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Als sich die Haustür hinter ihnen schloss, fiel Vicki in Dans Arme, und als sie ihn um sich spürte, merkte sie, wie sehr sie ihn brauchte. Sie vergrub sich in die kalte Weichheit seiner Daunenjacke und fühlte darunter die harten Muskeln seiner Brust und seiner starken Arme. Sein Hals roch nach kalter Luft und Kernseife, und er war auch in der dicken Daunenjacke noch groß und schlank. Sie hielt ihn so fest an sich gedrückt, wie es erlaubt war, und trat dann einen Schritt zurück. Ihre Beziehung trieb Vicki in den Wahnsinn, auch wenn Plato sehr stolz auf sie gewesen wäre.

Denn Dan Malloy war verheiratet.

Vicki kannte die Regeln: Eine Umarmung war nicht verboten, wenn sie nicht zu lange dauerte und es nicht zu Kontakten unterhalb der Taille kam. Ein Kuss war koscher, wenn nur die Stirn berührt wurde und sie gerade einen Prozess gewonnen hatte. Das Wort, das mit L anfing und sich auf Triebe reimte, war verboten, es sei denn, sie sprachen über sizilianische Pizza, die sie beide liebten. Selbstredend hatte heißer Sex, Sex mit Sprengkraft, glühender, brennender, wilder Ich-hab-mich-lang-genug-beherrscht-Sex niemals stattgefunden. Und so würde es bleiben, jedenfalls außerhalb von Vickis Phantasie, wo Sex häufig und mit größter wechselseitiger Befriedigung stattfand.

»Ich wollte sichergehen, dass dir nichts passiert ist.« Dan hielt Vicki auf Armeslänge von sich entfernt und sah ihr mit seinen himmelblauen, von der Kälte leicht wässrig gewordenen Augen prüfend ins Gesicht. Sein rotblondes Haar mit den langen Koteletten war verführerisch zerrauft. »Du musst dich sterbenselend fühlen. Ich hatte immer den Eindruck, dass Morty wie ein Vater für dich war.«

Genau. Vicki hatte sich noch nie so ganz und gar von jemandem verstanden gefühlt, der so ganz und gar verheiratet war.

»O Gott, er ist tot. Ich kann es einfach nicht glauben. Wie hast du es erfahren?«

»Aus dem Fernsehen. Es ist einfach nicht vorstellbar, dass er nicht mehr da sein soll.« Dans Blick vernebelte sich, seine Stimme war gedämpft. Seine Augen waren trüb vor Traurigkeit, sein Mund zog sich unglücklich nach unten, und auf seiner sommersprossigen Stirn wurden tiefe Falten sichtbar. »Er war ein so großartiger Mensch. Er hat so hart gearbeitet, und doch hat es immer Spaß gemacht mit ihm. Er hat es immer geschafft, mich zum Lachen zu bringen.«

Vicki verspürte einen scharfen, kummervollen Stich. Dan hatte Morty wirklich gemocht, und die Zuneigung beruhte auf Gegenseitigkeit. Natürlich mochten alle Dan; er war der Sunnyboy der Abteilung. Er hatte mehr Verurteilungen erreicht als jeder andere in seiner Altersklasse, spielte im Footballteam der Assistenzstaatsanwälte als Quarterback gegen die Marshals und kaufte die Aprikosentorte für den Geburtstag der Empfangssekretärin. Im Alter von fünfunddreißig Jahren war Dan Malloys Karriere gesichert, und jeder wusste es, außer ihm selbst.

»Morty hat es nicht verdient, so zu sterben«, sagte er.

»Niemand hat das verdient. Auch sie nicht.« Vicki blinzelte gegen ihre Tränen an. Später würde sie weinen. Sie wusste nicht, wann später war, aber als Anwältin hoffte sie gewohnheitsmäßig auf Fristverlängerung.

»Mariella lässt dir ausrichten, dass es ihr wirklich leid tut. Sie wäre auch gekommen, aber sie hat Bereitschaftsdienst.«

»Sag ihr vielen Dank.« Vicki hoffte, dass das überzeugend klang. Dans Frau, die exotische Dr. Mariella Suarez, war Ärztin im Hahnemann Hospital; sie war schön, gertenschlank, blondiert und hatte immer Bereitschaftsdienst. Sie sprach drei Sprachen, einschließlich ihrer Muttersprache Portugiesisch, und stand, selbst für eine Chirurgin, weit über weltlichen Dingen. Sie war mit dem wunderbarsten Mann auf dem Planeten verheiratet, ohne ihm Beachtung zu schenken, was wiederum, nach der verständlichen ewigen Logik des Kosmos, der Grund war, warum sie ihn besaß.

Dan sagte: »Du musst fix und fertig sein. Ich hab Wein mitgebracht. Na komm, ausnahmsweise. Aus medizinischen Gründen.« Auf dem Weg zur Küche zog er seine Daunenjacke aus, und sie sah das graue T-Shirt, in dem er offenbar vor kurzem Basketball gespielt hatte. Die Jacke legte er auf einen Stuhl im Esszimmer, und der schwache Geruch, der seinem Körper entströmte, untermauerte die These von der Wirksamkeit der Pheromone.

Vicki atmete tief ein und folgte ihm in die Küche. Kurz vorher entledigte sie sich ihres blutigen Trenchcoats und legte ihn über einen anderen Esszimmerstuhl. Sie würde es nicht ertragen, ihn noch einmal anzusehen, geschweige denn anzuziehen. In der Küche setzte sie sich an den runden Tisch und schlüpfte aus ihren Pumps. »Ich hasse hohe Absätze.«

»Ich auch.« Dan stellte den Wein auf die gekachelte Theke und holte den Korkenzieher aus der Besteckschublade. Er wusste genau, wo er lag, weil er schon so oft hier gewesen war. Vor einem Jahr, als sie ihren neuen Job angetreten hatte und man ihr das Büro neben dem seinen anwies, hatten sie sich kennen gelernt, und seitdem waren sie einander immer näher gekommen. So oft wie möglich gingen sie zusammen zum Mittagessen, tauschten den neuesten Klatsch aus und erzählten sich Geschichten von der Front. Auch nach der Arbeit aßen sie häufig zusammen, wenn Frau Doktor Bereitschaftsdienst hatte; Dan hatte wahrscheinlich schon öfter in dieser Küche gekocht als Vicki, was ihr manchmal peinlich war. Sie sah sich schnell in ihrer Küche um, falls jemand ihr unerwartet Fragen nach der Einrichtung stellen sollte.

Der Raum war etwa sechs Meter lang und nicht breiter als eine Schiffskombüse. Dielen aus ungleichmäßig behandeltem Eichenholz bildeten den Fußboden, dazu passende Schränke hingen an der Wand. Eine Halogenlampe mit mandarinenfarbenem Muranoglas warf einen weichen Lichtkegel auf den runden Küchentisch. Dan stand am Rand des Kegels. Er trug Jeans, die ihm etwas zu weit waren, was Vicki bezaubernd fand.

Sie beobachtete ihn, als er den Wein in zwei Gläser goss und die Flüssigkeit höher stieg. Es war ein Chardonnay. Dan wusste, dass das ihr Lieblingswein war, und dass er so aufmerksam gewesen war, ihn ihr mitzubringen, löste eine so machtvolle Welle der Sehnsucht in ihr aus, dass sie schlucken musste in dem Bemühen, sie niederzukämpfen. Sie wünschte, sich nur eine Nacht lang in ihm verlieren zu können, aber er sah die Sache offenbar anders. Was er davon hielt, würde ja nichts ausmachen. Es würde reichen, wenn er einfach nur still dalag.

»Das hier ist ärztlich verordnet.« Dan brachte die beiden Gläser zum Tisch, stellte sie ab und setzte sich auf den anderen Stuhl. Sie hoben wortlos ihr Glas und stießen schweigend auf Morty an. Ihre Blicke trafen sich, aber Vicki wandte zuerst die Augen ab und trank den ersten Schluck. Der kalte Chardonnay kitzelte auf der Zunge. Kalter Trost, aber immerhin Trost.

»Danke, dass du das tust«, sagte sie.

»Ich bin eben ein toller Hecht.«

»Wirklich, das war nett von dir. Ich weiß, dass du Chardonnay hasst.«

»Stimmt nicht.« Dan trank und wechselte das Thema. »Chardonnay hat Klasse. Das Wort allein hat Klasse. Bei Chardonnay habe ich immer das Gefühl, in deine Klasse aufzusteigen.«

»Hör auf.« Vicki lächelte. Es war ein alter Witz zwischen ihnen. Ihre Eltern waren prominente Anwälte mit einer gutgehenden Kanzlei in der Innenstadt, und Dan war in Juniata aufgewachsen, einem Arbeiterviertel. Sein Vater war ein Taugenichts, der wegen Bagatelldelikten auch schon mal im Gefängnis gesessen hatte. Dan hatte einen Komplex wegen seiner Familie, aber Vicki kümmerte seine Herkunft nicht, außer dass sie sie an ihre eigene erinnerte. Auch jetzt dachte sie an ihre Eltern und überlegte flüchtig, ob sie sie anrufen sollte, um ihnen zu sagen, dass sie wohlauf war. Sie entschied sich dagegen, weil ihr einfiel, dass sie meistens schon um zehn Uhr zu Bett gingen.

»Willst du darüber reden? Über das, was passiert ist?« Dan sah sie mit einem eindringlichen Blick an, der wie eine Aufforderung zum Vorspiel wirkte. Aber im Bereich des Platonischen gab es kein Vorspiel.

»Gleich.«

»In Ordnung. Ich hab mir Sorgen um dich gemacht.«

»Mit Recht.« Auf Nettigkeiten Dans ging Vicki so wenig ein wie möglich, um nicht mal den Anflug eines Flirtgefühls aufkommen zu lassen. Er würde seine Frau niemals betrügen, und sie wollte keine Affäre mit ihm; nicht nur aus Gründen der Moral, die flöten ging, sobald sie ihn in diesen Jeans sah, sondern weil sie die Nummer eins sein wollte. Welcher Anwalt mit Kampferfahrung vor Gericht begnügte sich schon damit, die Nummer zwei zu bleiben? Nummer zwei sein heißt verlieren.

»Im Fernsehen hieß es, dass du knapp mit dem Leben davongekommen wärst.« Dan lächelte nicht. »Stimmt das?«

Vicki erinnerte sich plötzlich an die Waffen. An diesem Abend hatte sie zwei aus nächster Nähe gesehen, und das konnte man wohl als »knapp« bezeichnen. Eigentlich war es ein Wunder. »Ja.«

»Hattest du Angst?«

»Meine Unterhose ist sauber.«

Dan lachte. »Du hast ganz schön was abgekriegt.«

»Ich bin stolz darauf. Es war nicht einfach.«

»Ich versuche, nicht an deine Unterhose zu denken.«

Gib dir doch ein bisschen weniger Mühe. Vicki sah ihn aus seinem nur noch halbvollen Glas trinken, und ein Schweigen legte sich auf sie. Sie unterdrückte das Bedürfnis, ihm mehr zu erzählen, weil sie aus Mortys Tod nicht eine weitere Geschichte von der Front machen wollte. Und sie wusste, es war eine schlechte Gewohnheit, sich ständig nach dem zu richten, was ihm angenehm war. Ständig streckte sie innerlich die Hände nach ihm aus. Doch im Fall von unerwiderter Liebe sollte man nicht damit anfangen, Gefühle zu sezieren. Man sollte sich einfach überhaupt keine Hoffnungen machen.

»Ich hab wie wild herumgezappt, um die ganze Geschichte mitzukriegen.« Dan trank sein Glas aus. »Es gab Berichte von draußen, vor dem Haus, und Interviews. Strauss hat auch was gesagt, bevor er reinging.«

Vicki sagte nichts. Dan mochte Strauss.

»Hast du ihn getroffen?«

»Den Weißkäse? Ja. Und Bale war auch da, und er hat mich nicht gefeuert.«

»Warum hätte er das tun sollen? Es war nicht dein Fehler.«

Vicki konnte ihm nicht zustimmen. Sie trank einen Schluck Wein, aber es half nicht.

»Sie haben im Fernsehen ein Foto von dir gezeigt. Das von der Einführungswoche, wo sie uns alle zusammen fotografiert haben. Du sahst blendend aus. Einer der Moderatoren hat gesagt, du seist attraktiv und ein Shooting-Star der Anwaltsszene.«

»Haben sie auch gesagt, dass ich Single bin?«

»Das müssen sie vergessen haben«, sagte Dan mit schon etwas schwerer Zunge, und Vicki beobachtete ihn amüsiert.

»Hey, hast du heute schon zu Abend gegessen?«

»Nein. Ich hab ein bisschen Basketball gespielt, und danach haben wir noch ein Bier getrunken. Warum?«

»Deine Zunge will nicht mehr ganz so, wie du willst.« Vicki lächelte. Es war ein weiterer alter Scherz. »Trag’s mit Fassung, Malloy. Du bist ein Mädchen.«

»Nein! Ich habe ein paar Glas Bier getrunken, das ist alles. Dann hab ich ferngesehen und hatte keine Zeit mehr, etwas zu essen.« Dans sommersprossige Haut überzog sich mit einem rosafarbenen Schimmer. »Verdammt noch mal, es gibt auch Iren, die nichts vertragen.«

»Du bist kein Ire. Du bist Jesuit.«

»Nein, es ist deine Schuld, Vicki.«

»Meine?«

»Ich bin zu oft mit dir zusammen.«

»Unmöglich«, sagte Vicki und riss sich sofort wieder zusammen. Der Wein hatte ihre Zungen gelöst, und zufällig war etwas Wahres dabei herausgekommen. Es kam ihr vor, als sei ihr Rock zu kurz, obwohl sie nie kurze Röcke trug.

Dan sah in sein leeres Glas. Dann hob er den Kopf und blickte ihr schweigend in die Augen.

»Was ist?«, fragte Vicki.

»Ich bin heute Abend dort gewesen, aber das FBI wollte mich nicht reinlassen. Der Tatort war wirklich total abgeriegelt. Ich hatte meinen Ausweis dabei, aber es nützte nichts.«

Dan war dort gewesen? »Du bist heute Abend vor dem Haus meiner Informantin gewesen? Woher wusstest du, wo es ist?«

»Im Fernsehen haben sie den Namen der Straße gezeigt, und du hast doch selbst gesagt, wohin du wolltest, erinnerst du dich nicht? Du sagst mir doch alles.«

Nicht alles, Süßer.

»Ich habe eine Weile draußen gewartet. Dann dachte ich, sie nehmen deine Aussage auf, und kam hierher. Ich wusste, du würdest nach Hause kommen. Auf dem Weg habe ich noch den Wein gekauft. Und ich hatte jede Menge Zeit, um darüber nachzudenken, wie es wäre, wenn sie dich auch noch ermordet hätten. Ich meine, es war wirklich nah dran.«

Morty haben sie getötet. Morty war der Polizist.

»Ich habe darüber nachgedacht, wie mein Leben dann wäre.« Dan hielt inne. Seine Lippen verzogen sich, sein Blick blieb blau und stetig. »Wenn sie es geschafft hätten, meine ich. Das hat mir zu denken gegeben. Und ich habe über ein paar Sachen nachgegrübelt. Zum Beispiel über meine Gefühle dir gegenüber.«

Wie bitte? Vicki zwang sich, ruhig zu bleiben. Dan hatte ihr mit Sicherheit noch nie irgendetwas dieser Art anvertraut, und sie hatte ihm ebenso wenig von ihrer Zuneigung erzählt. Nach einem langen Jahr, in dem sie einander immer näher gekommen waren, war nun plötzlich der Moment da.

»Deshalb wollte ich dir heute Abend vor allem das sagen. Wie ich fühle. Weil ich jetzt weiß, dass das ganze Zeug, über das die Leute reden, wahr ist.«

Vicki sagte nichts, aber ihr Herz schien ein paar Schläge auszusetzen. Dans Zunge funktionierte wieder einwandfrei. Er sprach mit höchster Konzentration.

»Weißt du, was ich meine? Dass man nie weiß, wann das Leben einem genommen wird und was passieren kann? Dass man alles, was man hat, in einer Sekunde verlieren kann und dass es dann zu spät ist? Diese ganzen Sachen?«

Vicki wusste ziemlich sicher, dass sie atmete, aber sie wollte es nicht beschwören.

»Na gut. Es stimmt. Man kann nie sicher sein. Man muss Menschen seine Gefühle zeigen, solange sie lebendig sind, denn was morgen ist, kann man nie wissen.« Dan beugte sich vor und legte seine Hand neben die ihre.

O mein Gott.

»Also, mir ist bewusst geworden, dass ich mir ein Leben nicht vorstellen kann, in dem du keinen Platz hast.«

Vicki hörte ganz offiziell auf zu atmen.

»Du bist meine beste Freundin.«

Vickis Mund wurde trocken. Sie wartete eine Minute. Sie war sich nicht sicher, ob sie richtig gehört hatte und ob Dan fertig war. Aber er sagte nichts mehr. Vielleicht wollte er doch noch etwas sagen? Er musste noch etwas sagen, weil er das noch nicht gesagt hatte, was sie mehr als alles hören wollte, nämlich:

Ich liebe dich.

»Du siehst komisch aus.« Dan legte den Kopf schief. »Glaubst du, es ist abartig, eine beste Freundin und keinen besten Freund zu haben?«

»Nein, überhaupt nicht«, antwortete Vicki kraftlos. Sie zog ihre Hand zurück und stand auf, um sich noch einmal Wein einzuschenken. Sie würde ziemlich viel trinken müssen, wenn sie für alle Zukunft beste Freunde bleiben sollten.

Später, bevor sie sich mit schmerzendem Körper auf ihrem Bett ausstreckte, rief Vicki ihre Eltern an und hinterließ Nachrichten auf ihren Handys, weil sie wusste, dass beide morgens als Erstes ihre Mailbox abhörten. Sie sagte, sie sollten sich keine Sorgen machen, was immer sie im Fernsehen, im Internet oder im Autoradio über sie erfuhren, weil es ihr gut gehe und alles in Ordnung sei.

Was sie nicht erwähnte, war, dass sie hoffnungslos in einen verheirateten Mann verliebt war und dass sie sich am nächsten Morgen in die Ermittlungen im Fall eines dreifachen Mordes stürzen würde.

Die Staatsanwältin

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