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An dem kalten, klaren Himmel brannte eine kalte Sonne, aber Vicki hielt sich warm, indem sie versuchte, mit Jim Cavanaugh Schritt zu halten. Er war groß und schlank und trug einen gutsitzenden grauen Wollmantel, den er ganz bestimmt von seiner ersten Prämie gekauft hatte. Ehemalige Assistenzstaatsanwälte verdienten gut und gern hundertfünfzigtausend Dollar jährlich als Anfangsgehalt, wenn sie in eine der großen Anwaltsfirmen von Philadelphia eintraten; damit besserten sie ihre Garderobe auf und kauften sich Autos mit vielen PS. Die alten Jettas überließen sie ihren Haushaltshilfen. Vicki empfand Gehaltsneid. Die Arbeit im Dienst des Justizministeriums brachte nur etwa ein Drittel jener Summe ein, was bewies, dass es keine Gerechtigkeit auf Erden gab.

»Ich muss Sie etwas über einen Ihrer alten Fälle fragen«, sagte sie, während sie neben Cavanaugh auf dem Bürgersteig herhastete. Seine Krawatte wurde von dem kräftigen Wind zur Seite gedrückt. Er hatte keine Zeit gehabt, Vicki in seinem Büro zu treffen, aber sie hatte sich nicht abwimmeln lassen, und so hatte er schließlich eingewilligt, dass sie ihn auf seinem Weg zu einem Gerichtstermin begleiten dürfe. »Der Name der Beschuldigten ist Reheema Bristow. Sie soll im Auftrag von jemand anderem Waffen gekauft und wiederverkauft haben. Sie hatten den Fall bearbeitet. Kurz bevor Sie ausgeschieden sind.«

»Illegaler Waffenhandel?« Cavanaugh trug eine modische randlose Brille, und als er weiterstürmte, wehten ihm seine dunklen Ponyfransen ins Gesicht. Geschäftsleute, Arbeiter in Daunenjacken und gut angezogene Frauen strömten lachend und plaudernd an ihnen vorbei. Es war die Zeit nach dem Mittagessen, alle kehrten zu ihren Schreibtischen und in ihre Werkstätten zurück. »Mit so was soll ich mich eingelassen haben? Ich hätte mich eigentlich für cooler gehalten.«

»Zwei Pistolen wurden gekauft. Von einer Informantin namens Shayla Jackson.«

»Sagt mir gar nichts.«

»Sie haben mit Jackson telefoniert?«

»Kann mich nicht erinnern.«

»Sie müssen ihr bei der Anhörung vor der Grand Jury begegnet sein.«

»Der Name sagt mir nichts. Wie sah sie aus?«

Vicki fiel zuerst das Bild der erschossenen Frau auf dem Bett ein. Dann dachte sie an die Fotos an ihrem Spiegel. »Sie war hübsch. Schwarz. Sie hatte ein sehr gewinnendes Lächeln.«

»Wer hat das nicht?«

Na, großartig. »Bitte, denken Sie nach. Es war noch jemand in den Fall verwickelt, eine Bombe. Reheema Bristow. Groß, schwarz, schön, tougher Körper. Sieht wie ein Model aus.«

»Ach, jaaa.« Cavanaugh lächelte. Atemwölkchen stiegen vor ihm in die Luft. »Jetzt erinnere ich mich. Wer könnte Reheema vergessen? Sie war echt scharf. Re-hee-ma.«

»Ja, Reheema. Sie haben eine Aussage von ihr bekommen, das sagt Ihr Bericht in der Akte. Ich habe ihn hier, wenn das hilft.«

»Lassen Sie sehen«, sagte Cavanaugh, und Vicki klemmte sich ihre Handtasche unter den Arm und holte das Blatt aus ihrer Aktentasche, um es ihm hinzuhalten. Ein Junge mit Kopfhörern beobachtete sie. Cavanaugh warf einen Blick auf seinen Bericht. »Ach ja, wirklich. Ich erinnere mich.«

»Sie schreiben, dass auch ihr Verteidiger da war, Melendez, und noch ein Beamter, Partino.«

»Ja, stimmt.«

»Erinnern Sie sich an Melendez? So ein gedrungener Mann, kräftig.«

»Ach ja. Netter Kerl.«

Außer, er verklagt dich. »Und Partino. Wo ist er eigentlich jetzt? Warum ist er aus dem ATF ausgeschieden?«

»Er war Reservist und wurde eingezogen. Ist immer noch im Irak, glaube ich.«

»Ich kann also nicht mit ihm reden.«

»Nein.«

Vicki ließ sich nicht entmutigen. »Gestern Abend wurde mein Partner ermordet, als wir uns mit Jackson treffen wollten. Jackson wurde auch getötet. Sie war schwanger.«

»Sie war die Informantin, ja, das habe ich im Internet gelesen«, sagte Cavanaugh und verzog bedauernd das Gesicht, was ihn ein wenig sympathischer erscheinen ließ. »Es war mir bis jetzt nicht klar, dass es derselbe Fall ist. Reheema. Und was wollen Sie von mir?«

»Ich versuche herauszufinden, was passiert ist.«

»Sollte das nicht die Polizei tun?«

Lieber nicht länger darauf herumreiten. »Na gut. Reden wir über Shayla Jackson.«

»Die Informantin? Weshalb?«

»Punkt eins: Ihre Aussage vor der Grand Jury war nicht in der Akte, aber es gibt einen Vermerk darüber, dass Sie sie angefordert haben. Wissen Sie, wo sie sein könnte?«

»Schuldig. Ich gebe zu, die Ablage ist nicht meine Sache. Vielleicht ist sie irgendwo anders mit hineingerutscht. Aber ehrlich, der Gedanke gefällt mir, dass jemand sich um meine alten Akten kümmert.« Cavanaugh grinste. »Heute habe ich meine eigene Sekretärin. Das heißt, der Kollege, mit dem ich sie teile, ist immer auswärts beschäftigt. Sehr angenehm.«

»In Ihrem Bericht steht, dass Jackson Sie angerufen hat und freiwillig aussagen wollte.«

»Genau.«

»Also hat sie Sie einfach so angerufen? Das ist ziemlich seltsam.«

»Soll aber ab und zu passieren.«

»Aber normalerweise gibt es gute Gründe dafür.« Vicki begriff es einfach nicht. Die Freundin eines Drogendealers sollte einfach eines Tages im Büro des Staatsanwalts angerufen haben, um aus dem Nähkästchen zu plaudern? Es ergab keinen Sinn. Aber sie konnte Cavanaugh nichts von dem Kokain erzählen. »Wissen Sie, warum sie es tat?«

»Nein.«

Im Gehen prüfte Vicki das Datum auf dem Bericht. Er war vor acht Monaten abgefasst worden. Da konnte Shayla gerade herausgefunden haben, dass sie schwanger war. »Hat sie damals erwähnt, dass sie schwanger ist?«

»Nein.«

»Sah sie schwanger aus? Man hätte es ihr vielleicht schon ansehen können.«

»Ich wusste nicht, dass sie schwanger war. Vielleicht war sie ein bisschen pummeliger als sonst, aber das fällt ja nicht aus dem Rahmen. Goldschmuck, lange Fingernägel, na, Sie wissen schon. Was man bei solchen Typen unter schön versteht.«

Vicki überwand ihren Neid und begann, eine herzliche Abneigung gegen ihn zu entwickeln. »Okay. Also Jackson kam hereinspaziert und sagte vor der Grand Jury aus, dass Reheema die Waffen weiterverkaufte?«

»Ja.«

»Woher wusste Jackson das?«

»Nach meiner Erinnerung hatte die Angeklagte selbst es Jackson gegenüber zugegeben.«

Vicki glaubte, sich verhört zu haben. »Bristow selbst soll es ihr gesagt haben?«

»Tja.«

»Also kannten sie sich?«

»Ich glaube, das sagte sie. Sie waren die besten Freundinnen.«

Wie passte das zusammen? Heute Morgen hatte Vicki Reheema gefragt, ob sie Jackson kenne, und es hatte so ausgesehen, als sei ihr der Name völlig unbekannt. Und das stimmte mit dem überein, was Mrs Bott erzählt hatte. »Wer hat Ihnen das gesagt?«

»Was?« Cavanaugh schien leicht zerstreut zu sein; er nickte einem Mann zu, den er kannte.

»Wer hat gesagt, dass sie die besten Freundinnen waren?«

»Die Informantin.«

»Jackson?«

»Ja, klar.«

»Hat Jackson Reheema jemals ›Mar‹ genannt oder so ähnlich?« Vicki dachte an Mrs Bott. Es tat weh, an sie zu denken.

»Wie kommt man denn, verdammt noch mal, von Reheema zu Mar?« Cavanaugh rieb sich die Nase.

»Hat sie es getan?«

»Ich weiß nicht. Verdammt.«

»Hat sie irgendwann einmal eine Mar erwähnt?«

»Nein.«

Vicki war völlig verwirrt. »Und Sie sind sicher, dass Jackson gesagt hat, Bristow sei ihre Freundin?«

»Ihre beste Freundin, sagte sie.«

»Wie sind sie zu besten Freundinnen geworden? Sagen Sie bitte nicht, das wüssten Sie nicht.«

»Doch. Ich weiß es nicht.«

Sie stürmten die Straße entlang, und Vicki schüttelte den Kopf. »Sie haben ja nicht mal im gleichen Viertel gewohnt. Jackson wohnte im Nordosten, und Reheemas Apartment war laut Akte in West Philly.«

»Wenn Sie das sagen.«

»Hatte Jackson einen Job?«

»Keine Ahnung.«

»Und von der Arbeit konnten sie sich auch nicht kennen, obwohl Reheema zwei Jobs hatte.« Vicki hatte Reheemas Akte gelesen, und sie nahm an, dass Jacksons Aushilfsjob schon ziemlich lang zurücklag, gleichgültig, was Mrs Bott darüber wusste. Genau genommen sah es ganz danach aus, dass Jackson überhaupt nicht arbeitete, sondern von einem Dealer ausgehalten wurde. Aber aus irgendeinem Grund hatte sie, als sie schwanger wurde, alles Bristow in die Schuhe geschoben und beschlossen, ihr Leben zu ändern. »Hat Jackson je einen Jamal Browning erwähnt?«

»Nein.«

»Wissen Sie, ob Jackson einen Freund hatte?«

»Wo sind wir hier, in der High School?« Cavanaugh lachte.

»Kennen Sie die Namen Jay-Boy oder Teeg?«

»Sind das Hunde oder Menschen?«

Vicki versuchte nicht, sich zu einem Lächeln zu zwingen. »Na gut, zurück zu Reheemas Aussage. Hatte sie damals vor, einen Deal mit Ihnen zu machen?«

Cavanaugh griff nach dem Bericht und überflog ihn im Gehen. »Da steht, dass sie keinen wollte, also wollte sie keinen.«

»Haben Sie sie unter Druck gesetzt?«

»Klar. So was konnte ich gut.«

»Es ist doch merkwürdig, dass sie keinen Deal wollte, oder? Ich meine, sie hatte keine Vorstrafen, also wäre sie mit praktisch nichts davongekommen, wenn sie den Auftraggeber, für den sie die Waffen weiterverkaufte, preisgegeben hätte.«

»Stimmt.«

»Warum also? Warum hat sie es nicht versucht?«

»Ich weiß nicht.«

»Und Sie haben sie auch nicht nach dem Grund gefragt?«

»Ganz ehrlich, meine Gute, es war mir scheißegal.« Vor der roten Ampel an der Seventeenth Street blieben sie stehen. Cavanaugh drehte sich zu ihr um und zuckte unter seinem schweren Mantel die Schultern. »Sie sind neu, oder?«

»Ja.«

»Sie werden noch einsehen, was ich meine. Damals hatte ich mich schon halb entschlossen zu gehen, und ich war total fertig. Es macht einen einfach fertig. Das Ganze.«

Vicki musste nicht fragen, was das »Ganze« war. Sie hatte schon beim Bezirksstaatsanwalt genug davon mitbekommen. Aber es hatte sie nicht fertiggemacht. Seltsamerweise hatte sie sogar noch mehr davon gewollt. Vielleicht wäre es anders gewesen, wenn ihr Privatleben sich nicht so frustrierend angefühlt hätte. Oder wenn sie ein anderes Auto gehabt hätte.

»Ich habe die Aussage nur aufgenommen, weil Melendez darauf bestand. Ich war da, falls Reheema reden wollte, aber sie wollte nicht reden. Bei der Anhörung hat sie ein Riesentheater gemacht, hat rumgeschrien, dass sie unschuldig wäre, und hat sich dadurch nur noch tiefer reingeritten.« Cavanaugh zuckte erneut die Schultern. »Solche Typen haben ihre Wahl getroffen. Die Konsequenzen müssen sie tragen. Ich versuche nicht, herauszufinden, warum sie das tun, was sie tun.«

Solche Typen. »Glauben Sie, dass sie aus Angst keine Namen nannte?«

»Ich weiß nicht.«

»Mir kam sie überhaupt nicht ängstlich vor.«

»Tja.«

»Erinnern Sie sich noch an irgendetwas außer dem, was Sie mir gesagt haben oder was im Bericht steht?«

»Nein, eigentlich nicht. Als ich mit diesem Job hier anfing, habe ich das alles hinter mir gelassen. An sehr viele Dinge von früher erinnere ich mich tatsächlich nicht.« Die Ampel sprang auf Grün, und sie überquerten die Straße. Cavanaugh begann, noch schneller zu gehen, und Vicki rannte neben ihm her. Ihr Körper unter der Daunenjacke glühte. Eine Frau kam ihnen entgegen, die sie wiederzuerkennen schien und flüsternd etwas zu ihrer Begleiterin sagte, aber Cavanaugh war noch immer ahnungslos. »Ich bin jetzt ein Jahr in meiner neuen Firma, und ich kann Ihnen sagen, es ist eine völlig andere Welt. Wissen Sie, wohin ich gerade unterwegs bin? Es ist ein Schadenersatzfall mit einhundertsiebenunddreißig Angeklagten. Das ist wirklich was ganz Großes! Zur Debatte steht eine Einwegspritze. Der Kolben hat wahrscheinlich einen Fabrikationsfehler –«

»Entschuldigung, aber gab es irgendeine Bestätigung für Jacksons Geschichte?«

»Es war ein Indizienfall, nichts Besonders. Der Mann vom Waffenladen bestätigte, dass sie die zwei Pistolen gekauft hat, und die beste Freundin sagte, dass sie ihr gegenüber zugegeben hätte, sie weiterverkauft zu haben«, sagte Cavanaugh abwehrend. Vicki kam sein Ton vertraut vor. Sie schlug ihn selbst oft an. Kein Verbrechen war einfach zu beweisen, egal, wie die Gesetzeslage war.

»Wem hat sie die Waffen verkauft?«

»Reheema hat es uns nicht gesagt.«

»Sie meinen, Jackson hat nichts darüber gesagt.« Die Anschuldigung des illegalen Waffenhandels stand auf so schwachen Füßen, dass Vicki selbst begann, daran zu zweifeln. »Wurden die Pistolen je gefunden?«

»Nein.«

»Bei einem Überfall oder einer Schießerei?«

»Nein.«

»Also ist das Einzige, worauf man sich stützen konnte, die Aussage von Jackson gewesen?«

»Ja.« Vor einem festungsartigen Bürogebäude mit dunklen Glasfenstern blieb Cavanaugh abrupt stehen. Rechts und links von ihnen strömten Menschen zu den Eingängen; Raucher inhalierten noch einmal, bevor sie das Gebäude betraten. »Sie müssen den Zusammenhang sehen. Es klingt heute nicht sehr überzeugend, aber als Anklage erhoben wurde, klang es besser. Letztes Jahr war das illegale Geschäft mit Waffen in aller Munde, und Strauss hat dieses Projekt ›Sichere Straße‹ ins Leben gerufen, um ein Zeichen zu setzen. Alle in der Abteilung hatten mit illegalem Waffenhandel zu tun. Das ATF hat uns eine Liste mit Strohmännern gegeben, die im Auftrag der Großen die Geschäfte tätigten, und wir haben sie uns vorgenommen. So haben wir Reheema Bristow und eine Menge anderer kleiner Fische ins Netz gekriegt.«

»So haben wir gezeigt, dass wir was tun, und das ist die Hauptsache.«

»Genau«, antwortete Cavanaugh mit einem abschließenden Lächeln. »Und jetzt habe ich zu tun.«

»Danke«, rief Vicki ihm nach, aber er hatte sich schon umgedreht und verschwand in den Reihen derer, die durch die Türen des dunkel verspiegelten Gebäudes strömten.

Unentschlossen blieb sie noch eine Sekunde stehen. Vielleicht hatte sie es falsch angepackt. Vielleicht war das hier eine Sackgasse.

Aber wenn sie es auf andere Weise versuchen wollte, hatte sie nicht mehr viel Zeit.

Die Staatsanwältin

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