Читать книгу Die Staatsanwältin - Lisa Scott - Страница 12

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Vicki hatte sich auf einen mit allen Wassern gewaschenen Schreihals gefasst gemacht, doch Reheema Bristow sah aus wie ein schwarzes Model mit einem steroidgenährten Körper. Sie war sehr attraktiv, hatte große, mandelförmige Augen in einem ungewöhnlichen Karamellbraun, eine schmale Nase und volle Lippen, die sinnlich wirkten, auch wenn sie gerade nicht lächelte. Ihr dunkles Haar trug sie zu einem kurzen, steifen Pferdeschwanz gebunden, und selbst unter dem olivgrünen Gefängnis-Overall war ihr starker, muskulöser Körper zu erkennen. Ihre Haltung ließ die Handschellen seltsamerweise wie Sex-Spielzeuge aussehen.

Sie musste sich neben Melendez setzen, der deutliche Anzeichen beginnenden Verlusts der gebotenen anwaltlichen Beherrschung an den Tag legte. Vicki begriff, warum es einfach gewesen sein musste, ihn dazu zu bringen, an ihre Unschuld zu glauben. Und warum er sich heute für das Kardamom-Aftershave entschieden hatte.

»Reheema, wie geht es Ihnen?«, fragte Melendez mit einem strahlenden Grinsen.

»Gut, danke«, antwortete sie, und Vicki reagierte mit einem deutlichen Gefühl auf den Ton ihrer Stimme, der weich war, ohne einschmeichelnd zu sein, der die Straße kannte, ohne Teil der Straße zu sein. Wohlklingend, hätte man sagen können, wenn es sich nicht um eine Kriminelle gehandelt hätte. Vicki konnte einfach nicht vergessen, dass diese Frau möglicherweise wusste, wer Morty und Jackson getötet hatte. Sie konnte Teeg und Jay-Boy kennen. Vielleicht hatten die beiden sogar in ihrem Auftrag gehandelt – oder im Auftrag desjenigen, für den sie die Waffen gekauft hatte.

Vicki stellte sich vor und erklärte: »Ich bin die neue Staatsanwältin in diesem Fall, Nachfolgerin von Jim Cavanaugh, mit dem Sie schon gesprochen haben. Ich glaube, es war die einzige Aussage, die Sie bei einem Treffen mit meiner Abteilung niedergelegt haben, richtig?«

Reheema Bristow nickte, und wenn sie Vicki aus dem Fernsehen wiedererkannte, ließ sie es sich nicht anmerken, was bewies, dass sie eine gute Lügnerin war. Die Nachricht von dem dreifachen Mord musste sich auch im Gefängnis längst verbreitet haben. Entweder man sah fern, oder man hatte es aus der »Schüssel« erfahren: Nachdem das Licht ausgeschaltet wurde, kommunizierten die Gefangenen über das Rohrsystem der Toiletten. Die Gefängnisbehörde konnte nichts dagegen tun. Es war dem Steuerzahler einfach nicht zu vermitteln, dass man Verbrechern ein nagelneues, sündteures Toilettensystem schenkte.

»Ich habe Sie heute herkommen lassen«, fuhr Vicki fort, »weil ich Ihnen ein paar Fragen stellen will. Wie Sie wissen, werden Sie beschuldigt, Waffen gekauft zu haben, um sie illegal wiederzuverkaufen.« Vicki warf einen Blick in ihre Unterlagen, bevor sie weitersprach. »Es handelte sich um zwei Colts vom Kaliber 45. Vielleicht wissen Sie, dass die Inhaber von Waffenhandlungen in Pennsylvania gehalten sind, beim Kauf von mehr als einer Waffe einen Bericht an das ATF zu schicken. Möchten Sie diesen Bericht oder die Anklageschrift sehen? Ich habe beide hier.«

»Nein. Ich habe es Cavanaugh schon gesagt, dass ich mich nicht schuldig bekennen werde.«

»Weil Sie es nicht getan haben?«

Die hübschen Augen der jungen Frau wanderten seitwärts, zu Melendez. »Muss ich das beantworten?«

»Wenn Sie nicht wollen, nein.«

»Kein Kommentar«, antwortete die Beschuldigte, was Vicki zögern ließ. Die meisten Beschuldigten wussten, dass man »kein Kommentar« zu Reportern sagte, nicht zu Staatsanwälten.

»Reheema – darf ich Sie Reheema nennen?«

»Ja.«

»Reheema, es ist Ihnen klar, dass Sie bei einer Verurteilung in diesem Fall – und Sie werden verurteilt werden – fünf Jahre in einem Bundesgefängnis verbringen werden, oder? Fünf verlorene Jahre Ihres Lebens.«

Reheema sagte nichts.

»In der Akte steht, dass Sie keine Vorstrafen haben. Daher wissen Sie vielleicht nicht, dass es in einem Bundesgefängnis weit weniger gemütlich ist als in diesem Gefängnis hier, das neu und sauber ist. Es ist ganz anders als im Fernsehen.«

Reheema zuckte nicht mit der Wimper, was Vicki ärgerte. Sie hatte schon in drei ähnlich gelagerten Fällen ähnliche Reden gehalten und hatte nie so viel Mühe gehabt. Der Bezirksrichter hatte viel weniger Ermessensspielraum als der Richter eines Bundesstaates; der einzige Weg, sich vor langen Strafen zu retten, war für einen Angeklagten die Bereitschaft zur Kooperation. Die Einrichtung der vertraulichen Aussage half der Anklage, doch Vicki dachte, dass sie auch den Wettbewerb verdarb. Es hatte sich eine ganze Kultur von Denunzianten entwickelt, und nach einer Verurteilung fielen ihre ehemaligen Freunde aus der kriminellen Szene über sie her. Im letzten Monat hatte Vicki sogar ein Geständnis auf ihrem Anrufbeantworter gehabt.

»Reheema. Knast ist hässlich, gemein und brutal. Auch Frauen verprügeln einander, manchmal täglich. Denken Sie nach. Fünf Jahre!«

Die Beschuldigte schwieg. Ihr Ausdruck war so gleichmütig, als posiere sie für das Titelbild von Vogue, und Vicki kam zu der Überzeugung, dass sie vom Tod Jacksons erfahren haben musste und darauf vertraute, dass es nicht zu einer Anklage kam.

»Reheema, wir sollten realistisch sein. Sie sind eine schöne Frau, das wissen Sie. Es wird furchtbar sein für Sie. Sie werden den anderen nicht entkommen. Sie werden tun müssen, was irgendjemand von Ihnen will.«

Der schöne Mund blieb geschlossen, aber Vicki gab den Versuch nicht auf, ihn zum Reden zu bringen. Reheema konnte nicht vollkommen sicher sein, dass es nicht noch weitere Beweise gegen sie gab. Vicki war sicher nicht die einzige Staatsanwältin, die Informationen zurückhielt, um sie erst vor Gericht zu präsentieren.

»Wenn Sie Glück haben, werden Sie von einer Frau missbraucht. Einer einzigen. Aber vielleicht auch von mehreren. Womöglich wandern Sie von einer zur anderen. Wollen Sie das?«

Reheema gab keine Antwort. Neben ihr rutschte Melendez auf seinem Stuhl hin und her. Genau genommen war Vicki dabei, der Beschuldigten zu drohen, was nicht rechtmäßig war; aber Melendez wollte seine Mandantin retten.

»Ich versuche nicht, Ihnen Angst zu machen. Ich versuche nur, Ihnen klarzumachen, was Sie riskieren, wenn Sie es zum Prozess kommen lassen. Sie haben zwei Pistolen für jemanden gekauft und sie weiterverkauft. Alles, was ich will, ist der Name desjenigen, an den Sie sie weiterverkauften.«

Als Reheema wieder die Antwort schuldig blieb, spürte Vicki, dass sich ihre Wangen vor Ärger röteten.

»Wenn Sie Angst haben, kann ich das verstehen. Es handelt sich um gefährliche Leute, furchterregend gefährliche Leute. Ich kann dafür sorgen, dass Sie ins Zeugenschutzprogramm kommen. Sie haben in einem Apartment in West Philly gewohnt, nicht?«

Reheema schwieg, und Vicki versuchte, die Fassung zu bewahren.

»Kommen Sie, das können Sie doch beantworten! Es steht in der Anklageschrift. Mit wem haben Sie zusammengelebt?«

»Ich habe allein gelebt.«

»Keinen Freund gehabt?«

»Nein.«

Wenn sie keinen hatte, dann habe ich keine Chance. »Und jetzt haben Sie das Apartment nicht mehr?«

»Nein.«

»Das trifft sich gut. Ich sorge dafür, dass Sie eine neue Wohnung bekommen, vielleicht sogar ein Haus. Ich werde alles für Ihre Sicherheit tun, das schwöre ich.« Vicki stand hinter jedem Wort, das sie sagte, wenn es nur zu Mortys Mörder führte. »Sie brauchen vor nichts und niemandem Angst zu haben. Selbst wenn es Drogendealer sind.«

Reheema senkte den Kopf, und Vicki spürte, dass ihr Herz schneller schlug.

»Wenn Sie mir den Namen sagen, werde ich dem Richter signalisieren, dass Sie mit uns kooperieren. Ich werde ihm die bestmögliche Empfehlung zu Ihren Gunsten geben und dafür sorgen, dass Sie Hafterleichterung bekommen. Das ist ein wirklich gutes Angebot.«

Reheema sah nicht auf, und Vicki lehnte sich über den Tisch.

»Nur den Namen. Sagen Sie mir nur den Namen. Diese Leute sind das Letzte, sie verdienen Ihre Loyalität nicht. Geben Sie mir den Namen, und Sie werden zu Ihrem früheren Leben zurückkehren. Sie hatten zwei Jobs, Sie können wieder damit anfangen. Sie werden einen neuen Mann kennen lernen, und ich wünsche Ihnen viel Glück mit ihm. Sie sind erst achtundzwanzig, genauso alt wie ich. Sie haben Ihr ganzes Leben noch vor sich – wenn Sie nur wollen.«

»Nein«, antwortete Reheema und hob den Blick. Ihre Augen waren ruhig; zwei kreisrunde braune Pupillen, die sich auf Vicki richteten, was Vicki nur noch wütender machte. Sie versuchte es auf einem anderen Weg. Wenn Reheema erfuhr, wie viel Vicki schon über sie wusste, redete sie vielleicht doch.

»Reheema, wer ist Jamal Browning?«

Melendez spitzte fast sichtbar die Ohren beim Klang des unvertrauten Namens, den er sich aufschrieb. Aber Reheema Bristow senkte nur wieder den Kopf und begann, prüfend ihre Fingernägel zu betrachten.

»Sind Sie jemals in der Aspinall Street Nummer 3635 gewesen? Das ist in West Philly.« Vicki hatte das heute Morgen im Internet recherchiert.

Reheema beschäftigte sich weiterhin mit ihren Fingernägeln.

»Kennen Sie einen jungen Mann, einen schwarzen jungen Mann von etwa vierzehn Jahren, etwa eins fünfundsiebzig groß, mit Rastalocken? Er wird Teeg genannt.«

»Einspruch.« Melendez hob die Hand, obwohl ein formeller Einspruch bei dem Versuch, einen Zeugen zum Sprechen zu bringen, weder notwendig noch rechtskräftig war. Aber dies war kein Versuch, einen Zeugen zum Sprechen zu bringen. Es war ein Überfall.

»Ich habe ihr nur eine Frage gestellt. Sie kann die Antwort ablehnen.« Vickis Ton war durch ihre Wut schärfer geworden, aber sie machte sich nicht die Mühe, sich zurückzuhalten. Sie wandte sich wieder an die Beschuldigte. »Wer ist Teeg?«

Reheema gab keine Antwort.

»Und wie steht’s mit Jay-Boy, einem jungen Schwarzen? Mit Spitzbart, älter als vierzehn, vielleicht sechzehn.« Vicki konnte keine weiteren Details angeben. Er war derjenige, der Morty erschossen hatte. In ihren Schläfen pochte es, und sie bekam kaum noch genug Luft zum Atmen.

Reheema schwieg. Vickis Wut schwoll von Sekunde zu Sekunde an.

»Woher kennen Sie Shayla Jackson?«

Nichts in Reheemas Gesichtsausdruck wies darauf hin, dass sie mit dem Namen etwas anfangen konnte.

Melendez sah mit gerunzelter Stirn von seinem Block auf. »Jackson. Ist das nicht der Name dieser schwangeren Frau, die gestern ermordet wurde? Ich erinnere mich daran, weil mein Nachbar genauso heißt.«

»Ich frage sie nur, ob sie Jackson kennt!«

Melendez legte seinen Kugelschreiber auf die Resopalplatte. »Weshalb sollte sie sie kennen?«, fragte er argwöhnisch.

»Ich bin nur neugierig. Sie hat mich vielleicht nicht im Fernsehen gesehen wie Sie.«

»Na und?«

Äh. »Ich mag es, wenn man mich wiedererkennt. Ich habe ein supergutes Gefühl dabei.«

Reheema Bristows Mund verzog sich zu einem ironischen Grinsen, was in Vicki den Wunsch entstehen ließ, ihr den Hals umzudrehen. Diese Frau war womöglich eine Mörderin und würde nicht dafür zur Rechenschaft gezogen.

»Reheema, ich weiß, dass Sie Shayla Jackson kannten. Sie war meine Informantin in diesem Fall. Sie wissen, was das heißt, ja?« Vicki lehnte sich über den Tisch. Fast spuckte sie der Beschuldigten die Worte ins Gesicht. »Jackson wollte Dinge über Sie verraten, und Sie wissen, dass sie gestern Abend zusammen mit meinem Partner ermordet wurde. Teeg und Jay-Boy waren die Killer, aber sie arbeiten für jemanden, und ich will wissen, für wen. Und was Sie damit zu tun haben.«

»Vicki, was sagen Sie da?« Melendez stand langsam auf, aber Vicki war nicht mehr aufzuhalten.

»Sie haben Jackson ermorden lassen, damit sie nicht gegen Sie aussagt! Sie haben sie und ihr Baby umgebracht! Und Morty!« Plötzlich kochte Vickis Wut über. Sie lehnte sich weit über den Tisch und packte Reheema am Arm.

»Nein, warten Sie!«, rief Melendez schockiert. »Hören Sie auf!«

»Sie Miststück!«, schrie Reheema, aber Vicki explodierte.

»Warum haben Sie das getan, Reheema? Warum? Um sich fünf beschissene Jahre zu ersparen?« Vicki konnte sich nicht mehr beherrschen, und sie wollte es auch gar nicht. Sie packte den gefesselten Arm und bog ihn zum Tisch hinunter. »Sie haben gestern Abend einen ATF-Agenten getötet! Meinen Partner! Meinen Freund! Und Sie wissen es!«

»Hilfe!«, schrie Melendez so laut er konnte.

Die Tür des Aussageraums flog auf, und der ATF-Beamte, bereit, eine Staatsanwältin vor dem Angriff einer Gefangenen zu beschützen, stürmte mit gezogener Pistole ins Zimmer.

Überrascht musste er zur Kenntnis nehmen, dass es sich diesmal umgekehrt verhielt.

Die Staatsanwältin

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