Читать книгу Die Staatsanwältin - Lisa Scott - Страница 14
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ОглавлениеVicki lief hastig über den vollen Parkplatz. Sie zog ihren alten schwarzen Daunenmantel enger um sich und sah auf die Uhr – 12:45. Als sie den Eingang zum Leichenschauhaus erreichte, trat eine ältere Afroamerikanerin heraus. Ihr grauer Kopf war vor Trauer gesenkt, und sie hielt ein Papiertaschentuch in der Hand. Vicki beobachtete sie voller Mitgefühl. Sie war also noch rechtzeitig gekommen. Shayla Jacksons Mutter war pünktlich hier eingetroffen, um die Leiche zu identifizieren; ja, die Frau dort musste Mrs Jackson sein.
Aus der Tür trat eine weitere schwarze Frau, die nun ihren Ellbogen nahm und sie stützte. Sie trug zwei große Taschen, eine lederne Reisetasche und einen Leinenbeutel, vollgestopft mit roter Wolle, einer zusammengefalteten Zeitung und einem in Plastik eingeschlagenen Buch aus einer Bibliothek. Vicki kam sich wie ein Geier vor, als sie auf das verlorene Paar zuging und gerade rechtzeitig kam, als der Beutel auf den mit Streusalz und Splitt bedeckten Parkplatzboden fiel. Bevor die beiden Frauen sich bücken konnten, hatte sie ihn aufgehoben.
»Hier«, sagte sie und überreichte ihn Mrs Jacksons Freundin.
»Danke, vielen Dank.« Mrs Jackson sah sie voller Dankbarkeit an und schaffte es sogar, sie anzulächeln, obwohl die rotgeränderten Augen hinter dem billigen Stahlgestell ihrer Brille in Tränen schwammen. Aus der Nähe sah sie aus, als sei sie etwa achtzig Jahre alt. Sie hatte dünnes, silbergraues Haar, trockene, graue Haut und tiefe Falten um Augen und Mund.
»Ja, vielen Dank«, stimmte die andere Frau ihr zu. »Es ist nicht einfach, diese ganzen Sachen hier in der Hand zu behalten. Ich hätte meine Zeitung wegwerfen sollen, aber bis jetzt habe ich noch nicht mal Zeit gehabt, sie zu lesen.«
»Ich verstehe.« Vicki hielt sich an Mrs Jackson, die sich leicht auf ihren Arm stützte. Sie konnte nicht mehr wiegen als fünfzig Kilo, einschließlich ihres Mantels. »Ist alles in Ordnung mit Ihnen, Ma’am?«
»Ja ... doch. Ich bin so müde. Ich musste ... Ich musste gerade ...«
Ihre Freundin ergänzte: »Ihre Tochter ist ermordet worden.«
Vicki konnte nicht länger Versteck spielen. Sie stellte sich vor und fragte: »Sind Sie nicht Mrs Jackson, Shayla Jacksons Mutter?«
»Ja, das bin ich.« Sie war so überrascht, dass ihre tränenfeuchten braunen Augen zuckten. »Oder nein, eigentlich nicht. Ich bin ihre Tante.«
»Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen.«
»Ich bin ihre Tante Tillie. Mrs Tillie Bott. Mr Bott ist 1989 verstorben. Shayla hat früher Tante Tillie zu mir gesagt, aber jetzt sagt sie Tillie zu mir oder Mama Tillie.« Mrs Bott zögerte unsicher, dann sprach sie weiter. »Shayla war die Tochter meiner Nachbarin, aber dann war ihre Mutter eines Tages plötzlich weg. Ich habe sie aufgezogen wie meine eigene Tochter. Da waren meine Kinder schon alle erwachsen.«
»Da haben Sie sehr großherzig gehandelt«, sagte Vicki bewegt, aber Mrs Bott schüttelte etwas zittrig den Kopf.
»Nein, gar nicht. Dieses Kind hat mir mehr gegeben, als ich ihm je geben konnte. Das Mädchen war einfach so reizend -«
Ihre Freundin unterbrach sie: »Woher wissen Sie eigentlich, wer Tillie ist?«
»Ich bin Staatsanwältin. Ich sollte Shayla gestern Abend treffen, bevor sie ermordet wurde.« Vicki bemerkte, dass Mrs Botts Augen sich erschrocken öffneten, und sie fuhr in sanfterem Ton fort: »Shayla sagte mir, dass sie eine wichtige Information für mich hätte, deshalb sind mein Partner und ich zu ihr gegangen. Mein Partner ist gestern Abend auch ums Leben gekommen.«
»War das dieser Polizist?«, fragte die Freundin.
»Ja. Er war ein Beamter des ATF.« Irgendwann würde Vicki sich Gedanken darüber machen, warum sie ständig alle Leute über die korrekte Berufsbezeichnung von Morty aufklären musste. »Ich bin hergekommen, um mit Mrs Bott über Shayla zu sprechen, aber es widerstrebt mir, Sie gerade jetzt stören zu müssen. Vielleicht können wir ein anderes Mal reden.«
»Wir wohnen nicht hier«, antwortete die Freundin. »Wir kommen vom Land. Wir leben in Florida und fahren jetzt wieder heim. Wir nehmen den Bus. Die Hinfahrt haben wir mit dem Flugzeug gemacht, aber zurück nehmen wir den Bus. Das Flugzeug ist zu teuer.«
»Sie fahren jetzt gleich?«
»Um drei Uhr geht der Bus.«
»Dann haben wir noch ein bisschen Zeit, um zu reden.«
»Nein, haben wir nicht.«
Vicki fragte sich, seit wann Bibliotheksangestellte so unnachgiebig reagierten. »Warten Sie mal. Ist Mrs Bott schon von der Polizei befragt worden?«
»Welche Polizei?«
»Die Polizei von Philadelphia.«
»Nein.«
»Haben sie Sie nicht angerufen, um mit Ihnen über Shayla zu sprechen?« Vicki hatte sich an Mrs Bott gewandt, die dabei war, sich die Augen mit ihrem durchgeweichten Papiertaschentuch abzuwischen, um sich dann die Brille wieder gerade auf die Nase zu setzen.
»Nein, sie haben sie nicht angerufen«, antwortete die Freundin. »Und jetzt entschuldigen Sie bitte, wir müssen gehen. Wir fahren heim, und wir werden Shayla mitnehmen. Sie soll ihre letzte Ruhe zu Hause finden, wo sie aufgewachsen ist.«
Mrs Bott sah völlig gebrochen aus. Die kalte Luft trocknete die Tränenspuren auf ihren runzligen Wangen, so dass helle Linien entstanden. So sehr Vicki sich zu ihr hingezogen fühlte, sie konnte sie jetzt nicht gehen lassen.
»Ich habe eine Idee«, sagte sie freundlich. »Vielleicht könnten wir irgendwohin gehen, wo es warm ist, und eine Tasse Kaffee trinken. Bevor Sie beide fahren müssen.«
»Nein, dafür ist sie zu durcheinander«, antwortete die Freundin und zog Mrs Bott näher zu sich. Vicki hielt den anderen Arm der armen Trauernden. Wenn das hier zu einem Tauziehen ausarten sollte, würde die Bibliotheksfrau den Kürzeren ziehen. Vicki war jünger, stärker und angehende Bundesanwältin, was ihr einen ganz entscheidenden Vorteil verschaffte.
»Es tut mir leid, dass ich Ihnen das antun muss.« Vicki beugte sich vor und sprach direkt zu Mrs Bott. »Ich bin sicher, dass die Polizei Sie auch noch anrufen wird. Aber ich muss herausfinden, wer Shayla und meinen Freund ermordet hat. Ich hoffe, von Ihnen etwas über Shayla zu erfahren, was mir dabei helfen kann.«
»Haben Sie die Polizei über Ihr Vorgehen verständigt?«, fragte die Freundin, die sich wieder einmal vordrängte, und Vicki biss sich auf die Lippe.
»Ja, aber ich habe meine eigenen Fragen.«
»Das gehört doch gar nicht zu Ihrem Job«, entgegnete die Freundin scharf, und Vicki überlegte schon, wie sie sie loswerden konnte, als Mrs Bott sich räusperte und sagte: »Mir würde es nichts ausmachen zu reden, wenn es Shayla hilft.«
Ein lärmerfülltes Schnellrestaurant war nicht gerade das, was Vicki im Kopf gehabt hatte, um ein ruhiges Gespräch zu führen, aber Zeit, um etwas Besseres zu suchen, hatte sie nicht, und das Lokal an der Ecke Thirty-eighth und Spruce Street, nur ein paar Schritte vom Leichenschauhaus entfernt, lag auf dem Weg zum Busbahnhof. Die Instrumentalversion von »Love Will Keep Us Together«, das Rasseln von Kassen und das Piepsen von elektronischen Bestellbildschirmen erfüllte die Luft; das Publikum bestand aus hünenhaften Erstsemestern, erschöpften Examenskandidaten und Universitätsangestellten, aber nach einigem Suchen fand Vicki einen freien Tisch am Rand des größten Trubels, an dem sie Mrs Bott und ihre aggressive Freundin – sie hieß Mrs Greenwood – Platz nehmen ließ.
Die durch die wandhohen Glasfenster hereinströmende Sonne wärmte sie, und als Vicki die Kaffeebecher medium und die verdächtig bunt aussehenden, in Zellophan gehüllten Gemüsebrötchen mit Sardellen und Ei geholt hatte, war der Small Talk vorbei, Mrs Bott hatte sich ein wenig erholt, und Mrs Greenwood war fast so nett wie eine Bibliotheksangestellte.
»Wann haben Sie Shayla zum letzten Mal gesehen, Mrs Bott?« Vicki kam endlich zum Thema.
»Ich hab mein Mädchen lange nicht mehr gesehen. Sie ist fast nie heimgekommen.«
»Wie lange ist es her?«
»Vielleicht zwei Jahre. Vor zwei Weihnachten war sie da.«
»Sie haben sie also eine ganze Weile nicht gesehen. Haben Sie miteinander telefoniert?«
»Natürlich. Sie hat mich angerufen. Alle zwei Wochen oder so.«
Mrs Greenwood nickte bestätigend.
»Wussten Sie, dass sie schwanger war?«, fragte Vicki.
»Ja. Zuerst hat sie’s mir nicht erzählt, aber dann doch. Sie hat Angst gehabt, ich würde ihr böse sein.« Mrs Botts runzlige Mundwinkel zogen sich nach unten. Sie sah verloren aus in ihrem schweren Mantel, und ihr zu einem schütteren Knoten zusammengebundenes Haar glänzte matt in dem harten Licht. »Herrgott, ein Baby. Der Doktor heute hat gesagt, es wäre ein Mädchen geworden. Wenn es ein Mädchen wäre, wollte Shayla sie nach ihr selbst nennen, Shay. So hieß sie bei uns. Shay.«
Vicki nickte. All dieser Schmerz. Wer war dafür verantwortlich?
»Shay«, sagte Mrs Bott noch einmal.
»Es war so ein schöner Name«, sagte Mrs Greenwood hinter ihrem Kaffeebecher medium.
Vicki probierte den Kaffee. Er war kalt. »Wann hat sie Ihnen gesagt, dass sie schwanger ist?«
Mrs Bott dachte eine Zeit lang nach. »Das war vor ungefähr einem Monat. Ich war erstaunt. Ich hab ja nicht gewusst, dass sie mit jemandem gegangen ist.«
Mrs Greenwood lachte leise. »Du warst wirklich erstaunt, Tillie. Du hast mich sofort angerufen, weil du’s nicht glauben konntest. Und ich konnte es auch nicht glauben. Ich hab gerade das Geschirr gewaschen und hab vor lauter Schreck das Kuchenblech fallen lassen. Es hat jetzt eine Delle. Mein bestes Blech!« Sie sah zu Mrs Bott. »Weißt du, welches ich meine? Das mit den runden Ecken.«
»Ja.« Mrs. Bott nickte. »Ich weiß, welches du meinst.«
Vicki zögerte, bevor sie fragte: »Hat Shayla Ihnen gesagt, wer der Vater des Kindes war?«
»Nein. Nur dass sie Streit hätten und sie vielleicht umziehen müsste.«
Die Kartons im anderen Zimmer. »Wohin wollte sie umziehen?«
»Ich weiß nicht genau. Sie hat gesagt, sie wollte eine neue Wohnung finden und ihr Leben ändern.«
»Was meinte sie damit?«, fragte Vicki.
»Ich weiß nicht. Ich hab immer gedacht, sie sagt es mir irgendwann. Ich war so glücklich, dass ich ein Enkelkind bekommen würde.«
»Hat sie einen Jamal Browning erwähnt?«
»Nein, nein. So einen Namen hat sie nicht gesagt.«
Vicki begriff nicht. »Ich glaube, das war ihr Freund.«
»Ich kenne ihn nicht.«
»Er war womöglich der Vater des Babys. Ich glaube, er hat ihre Rechnungen bezahlt, Strom und Telefon und so weiter.«
»Hm. Davon weiß ich nichts. Ich kenne den Namen nicht.«
Vicki seufzte unhörbar. »Wer war Ihrer Meinung nach der Vater des Kindes?«
»Ich weiß nicht. Ich hab nicht gefragt. War schließlich ihre Sache, nicht meine.«
»Hat sie von irgendjemandem erzählt, mit dem sie sich regelmäßig getroffen hat?«
»Regelmäßig nicht. Sie ist immer gern ausgegangen, hat gern getanzt. Shay war wirklich eine gute Tänzerin, und sie hat Musik gemocht.« Mrs Bott dachte eine Zeit lang nach. »Doch, da war jemand, vor einer Weile. Er hieß Dwayne.«
Ja! Endlich! »Dwayne, und mit Familienname?«
»Ich weiß nicht. Oder vielleicht Don. Oder Wayne.« Mrs Bott machte eine Bewegung mit ihrer knotigen Hand. »Das ist Jahre her.«
»Wenn sie Sie besuchte, hat sie da jemals irgendjemanden mitgebracht? Freundinnen oder Freunde?«
»Nein. Sie ist immer allein gekommen.«
Das führte offenbar zu nichts. »Was hat sie gearbeitet?«
»Sie hat am Computer gearbeitet. Im Büro. So was«, sagte Mrs Bott vage.
»Hat sie in einer Firma gearbeitet, wissen Sie das?«
»Nein, nur mal da, mal dort. So als Aushilfe.«
»Ich verstehe.«
»Aber sie hat sich nie Geld von mir geliehen, kein einziges Mal«, fügte Mrs Bott hinzu.
»Sie war also finanziell unabhängig.«
»Ja. Und sonst auch. Eigensinnig.«
»Hat sie jemals eine Reheema Bristow erwähnt?«
»Nein.«
»Sind Sie sicher?«
Mrs Bott dachte eine Minute nach. »Ich kenne diesen Namen nicht. Ich würde mich daran erinnern. Reheema. Das ist ein ungewöhnlicher Name.«
»Ja, bestimmt, ungewöhnlich«, fügte Mrs Greenwood hinzu, was Vicki besonders frustrierte.
»Wussten Sie, wer ihre Freundinnen waren?«
»Eigentlich nicht.«
»Hatte sie keine beste Freundin? Jedes Mädchen hat eine beste Freundin.« Vicki kniff die Augen zusammen. Außer mir. »Ich meine, die meisten Mädchen.«
»Doch. Ja. Sie hat ein paar erwähnt. Sie hat einmal von einer Mar gesprochen.«
»Mar? Hatte sie einen Nachnamen?«
»Ich weiß nicht. Ich würde sagen, Mar war ihre beste Freundin. Glaube ich. Meistens sprach sie von Mar.«
»Ist Mar in Philadelphia? Haben Sie ihre Adresse oder Telefonnummer?«
»Nein, ich weiß nur, dass Shay sie manchmal angerufen hat, auf dem Handy. Als sie daheim war bei uns, hat sie immer diese Mar angerufen. Mar da, Mar dort.«
Vicki fasste zusammen. Vielleicht gab es keine Verbindung zwischen Jackson und Bristow. Aber andererseits hatte Shayla Jackson ihrer Tante Tillie nicht sehr viel über ihr Leben in Philly erzählt. Oder vielleicht war das Ganze nur Vickis Projektion gewesen. Egal, jetzt musste sie das peinliche Thema anschneiden.
»Mrs Bott, ich habe das Gefühl, dass jemand, der Shay nahestand, vielleicht ihr Freund, Drogen verkaufte. Wissen Sie irgendetwas darüber?«
Mrs Bott schwieg. »Ich weiß nichts davon«, antwortete sie nach einer Minute. »Früher, bei uns daheim, hat sie so was nicht getan. Sie hat manchmal ein bisschen getrunken, bei Partys in der Schule, aber so etwas nicht.«
»Nein, so was hat Shay nicht gemacht.« Mrs Greenwood schnalzte mit der Zunge und schüttelte den Kopf.
»Wissen Sie von Freunden von ihr, die mit Drogen dealten? Oder mit Waffen handelten? Ich glaube nicht, dass sie etwas Schlechtes getan hat, aber sie kannte ein paar schlimme Leute. Wenn Sie etwas über sie wissen, könnte das helfen, ihre Mörder zu finden.«
»Ich weiß nichts davon. Ich wünschte, ich wüsste mehr.« Mrs Bott sah in ihren Kaffeebecher medium und seufzte. »Man konnte Shay zu Dingen überreden. Sie war gutgläubig. Sie hat jedem vertraut.«
»Vielleicht hat sie den falschen Leuten vertraut?«
»Vielleicht.«
»Vielleicht wollte sie deshalb ihr Leben ändern.«
»Vielleicht. Ja.« Mrs Bott nickte.
Aber man hat ihr keine Chance gegeben.
»Ich weiß, dass sie sich auf das Baby gefreut hat. Sie hat immer Kinder haben wollen.«
Vicki versuchte, die Erinnerung an die ermordete junge Frau auf dem Boden ihres Schlafzimmers zu unterdrücken. »Haben Sie je die Namen Jay und Teeg gehört?«
»Nein, bestimmt nicht.«
»Ich glaube, die beiden hatten auch mit Drogen zu tun.«
»Darüber weiß ich nichts.«
»Sie musste ziemlich viel Geld haben, sie besaß hübschen Schmuck.«
»Shay mochte schöne Dinge«, antwortete Mrs Bott. »Als sie klein war, musste sie immer Schleifen haben. Und Ketten. Und Kleider.«
»Hm«, fügte Mrs Greenwood hinzu. »Und solche weißen Söckchen, mit Spitzen oben. So gekräuselte Spitzen.«
»Die habe ich selbst gehäkelt.«
»Ja, ich weiß, Tillie.« Mrs Greenwoods Ton wurde weicher, wie der von Mrs Bott; so ähnliche Dialoge waren wohl schon oft von den beiden alten Freundinnen geführt worden. »Ich weiß.«
»Und schwarze Lackschühchen.«
»Oh, sie liebte diese schwarzen Lackschühchen!«
»Sie war ein so hübsches kleines Mädchen. So hübsch.«
»Ja, das war sie.«
Mrs Bott lächelte Mrs Greenwood warm und freudig an, und die beiden schienen eine Minute lang zu vergessen, wie das alles geendet hatte. Vicki störte sie nicht, erlaubte ihnen diese kurze Träumerei von dem, was hätte werden können, was aus dem hübschen kleinen Mädchen mit den weißen Söckchen und schwarzen Lackschühchen hätte werden können. Sie wünschte, die Szenen aus dem Leichenschauhaus mit den fröhlichen, pastellfarbenen Bildern des kleinen Mädchens überdecken zu können. Den beiden alten Frauen hätte das alles erspart bleiben sollen. Vicki hatte fast ein schlechtes Gewissen, dass sie das Drogenthema angesprochen und all diese Fragen über Jacksons Leben in Philly gestellt hatte.
»Es tut mir so leid, dass Sie Shayla verloren haben«, sagte sie, und Mrs Bott schien resigniert zu sein und überwältigt von Traurigkeit.
»Danke. Vielen Dank. Wissen Sie, ich hab ihr gesagt, wenn sie in die Stadt geht, dann ist alles anders. Da passieren eben Sachen. Solche Sachen.«
So traurig es war: Das konnte Vicki nicht abstreiten, auch wenn es sich um ihre Heimatstadt handelte.
Als es Zeit war, setzte sie Mrs Bott und Mrs Greenwood in ein Taxi zum Busbahnhof. Sie hatte ihnen angeboten, ihnen ein Flugticket zu kaufen, aber die beiden wollten nichts davon hören, und dann hatte sie versprechen müssen, dass sie, sollte sie jemals in Nordflorida sein, bei ihnen vorbeikam und ihren Walnusskuchen probierte. Als das Taxi losfuhr, stand sie am Bordstein und winkte, und dabei überlegte sie sich schon ihren nächsten Schritt.
Sie wusste noch nicht genug über Shay Jackson, und es gab noch jemanden, der ihr vielleicht etwas sagen konnte. Autos und Busse rumpelten die kopfsteingepflasterte Spruce Street entlang und verpesteten die eisige Luft mit ihren Abgasen. Vicki hielt Ausschau nach dem nächsten Taxi. Sie würde der Polizei nicht ins Handwerk pfuschen, nicht direkt. Es war mehr wie etwas, was sie unbedingt noch zu erledigen hatte.
Und Dinge zu erledigen hatte ihr niemand verboten, oder?