Читать книгу Therapie in Aktion - Lothar Kuschnik - Страница 17

Оглавление
B B Biographie II
1. Familienbilder - Tante Ka und Ome Huub

Tante Ka ist die älteste Schwester von Joops Mutter. Der kleine Joop liebt diese Tante sehr. Er beschreibt eine Besuchsszene: „Mutter hat Geburtstag. Die Familie kommt zu Besuch. Mutter ist besorgt: ,Ich hoffe Ka kommt nicht, sie sieht so komisch aus und dann ihr lautes ,Jordaans`.‘ Die Türklingel läutet. Ich öffne die Tür von oben, indem ich an einem Strick ziehe, der mit dem Riegel der Tür zur Straße verbunden ist. Rate mal, wer es ist? Es ist Tante Ka. Ich laufe nach drinnen und ruf laut: ,Tante Ka!‘ ‚Jesus, es ist Ka‘, sagt meine Mutter zu den anderen.

Ich liebe es. Ich mag Tante Ka. Sie ist ein ,Charakter‘, eine Lebenskünstlerin. Und sie hat ein Herz aus Gold. Ich bin auch einen Schritt in der Verwandtschaftsbeziehung entfernt und kann mich von der Scham und der Aufregung distanzieren.

Tante Ka stolpert die Stufen herauf: ,He, netter Pimmel!‘ Ich wusste nie, wie ich das verstehen sollte, bis ich hörte, wie sie zu meiner Schwester Willy sagte: ,He, nette Möse‘. Ich konnte nicht glauben, dass sie das so meinte, aber sie meinte es als Kompliment. Erdverbunden waren die Leute im Jordaan. Tante Ka steht jetzt oben an der Treppe. Ihr Haar ist schwarz und glänzend, sie hat es schön gekämmt. Sie benutzt Asche, um es so aussehen zu lassen, das erzählt sie ganz stolz. Sie hat ihre besten Kleider an. Monströs: Perlen, Ornamente. Ka kauft ihre Kleider auf dem Waterloo Plein Flohmarkt. Heute trägt sie auch ihre Strümpfe. Sie hält die Strümpfe mit Gummibändern. Aber die Bänder sind ihr zu eng, so trägt sie die Gummis unter ihren Knien, was bedeutet, dass ihre Strümpfe zu den Knöcheln herunterfallen. ,Ja, sie taten weh, so hab ich sie runter gemacht.‘

Tante Ka verbringt die Hälfte ihres Lebens auf dem Waterloo Plein. An Sonntagen geht sie zur jüdischen Ecke, die nur zwei Blocks von ihrer Wohnung entfernt ist. Dann kommt sie mit Secondhand-Kleidung und beschädigten Nippesfiguren, die ihre Wohnung füllen, zurück.

Heute gibt sie meiner Mutter etwas, das in Papier eingewickelt ist. Es ist eine Nippesfigur. Meine Mutter hasst Nippes, das weiß ich. Sie sagt: ,Aber Ka, ich hab doch schon so viel von dem Mist!‘ Meine Mutter schießt scharf aus der Hüfte.

,Es ist ein Schäfermädchen‘, sagt Ka. ,Sie hat einen Arm verloren, aber wenn du sie zur anderen Seite drehst, sieht es ja niemand.‘ Ka stellt es auf die Anrichte. Meine Mutter schäumt, beißt sich aber auf die Zunge.

Willst du etwas zu trinken, Ka?‘ Ka sagt nie Nein. Manchmal will sie Zitronenlikör, manchmal Oranje bitter, heute ist es Genever. ,Mit Zucker.‘ Als meine Mutter fragt, warum ihr Mann - mein Onkel Huub - nicht mitgekommen ist, knurrt Ka: ,Ich wollte nicht, dass der Bastard mitkommt.‘ Meistens streiten die beiden miteinander.

Ich liebe die raue Energie meiner Onkel und Tanten. Nichts Schlechtes über sie. Sie sagen, was sie denken. Ehrlichkeit zählt mehr als Nettigkeit. Das ist ein typischer holländischer Wesenszug, aber es wird im Jordaans intensiv praktiziert, gern mit viel Humor. Du musst immer mit einer Entgegnung rechnen, die witzig aber auch verletzend sein kann. Ich habe es aufgesaugt.“

Joops Augen glänzen, als er uns die alten Geschichten erzählt. Der Mann, der die „Geleitete Phantasie“ bekannt gemacht hat, taucht jetzt in seine inneren Bilder ein. Er ist wieder der kleine Junge und erzählt die folgende Geschichte von Onkel Huub mit einem kernigen Lachen:

„Onkel Huub hatte den Spitznamen ,Menschenretter‘. Er wohnte an einem der vielen Kanäle (Grachten), die Amsterdam durchziehen wie Adern den Körper des Menschen. Viele der Grachten haben zum Bürgersteig keine Absperrung, und deshalb fallen häufiger Betrunkene oder Kinder hinein. Dann riefen die Leute nach Huub. Und der kam angerannt in seinen Turnschuhen, die er ,für alle Fälle‘ immer trug. Ohne zu zögern sprang Huub dann in das schmutzige Wasser der Gracht und tauchte bald mit dem Ertrinkenden wieder auf. Dann zogen ihn die anderen mit einem langen Haken an Land.“ Jetzt kommt Joop glucksend richtig in Fahrt: „Einmal rettete Huub ein Kind. Er kam aus dem Wasser und tastete mit fragendem Gesicht alle seine Taschen ab. Nichts. Er rief: ,Meine Uhr, wo ist meine Uhr‘. Und die Eltern des Kindes konnten nichts anderes tun, als ihm eine neue Uhr zu kaufen.“

Wir schauen Joop irritiert an. Wo ist der Witz? „Das alte Schlitzohr hatte in seinem ganzen Leben keine Uhr“, lacht Joop.

2. Kinderbilder einer versunkenen Zeit

Bis zu seinem zwölften Lebensjahr lebt Joop mit seiner Familie ganz in der Nähe des Jordaans. Joop spielt in seinem Viertel gern mit seinen Freunden auf der Straße. Man spielt Räuber und Gendarm oder Fußball mit einem Tennisball. Für einen richtigen Fußball fehlt das Geld. In der „Knickerzeit“ wird mit Murmeln gespielt. Ein besonderes Vergnügen ist es, am Samstag sechs Wochen nach Ostern den „Faulpelz zu wecken“. „Luilak“ heißt der Tag. Ab morgens um 5 Uhr ziehen Jungs durch die Straßen des Jordaans und pochen mit ihren Stöcken an die Türen. Dabei singen sie: „Faulpelz, bist ein Bettsack, stehst erst um 9 oder 10 auf. Hat jemand den Faulpelz gesehen?“ Natürlich ist der Spaß groß, wenn jemand Tür oder Fenster öffnet und die Jungs mit einem Eimer Wasser vertreiben will. Anschließend gibt es um 7 die „Faulpelz-Brötchen“ beim Bäcker.

Die Tradition des Luilak stammt aus der Zeit, als junge Männer früh zum „Tau treten“ gingen, um Blumen für ihre Liebste zu pflücken.

„Ich hatte eine gute Kindheit“, beschreibt Joop diese Zeit. „Die Umstände waren schwer, aber trotzdem stellten meine Eltern unsere Armut niemals besonders heraus.“ Als die Familie ein WC mit fließendem Wasser bekommt, ist das ein großes Ereignis. Die Gasbeleuchtung der Wohnung war damals selbstverständlich. Als der kleine Joop losgeschickt wird, um einen neuen Glühstrumpf für die Lampe zu kaufen, können ihm die Eltern kein Geld mitgeben, und so bittet er darum, dass „angeschrieben“ wird. Das ist eine auch in Deutschland zu der damaligen Zeit in Arbeiterkreisen verbreitete Methode, das knappe Familieneinkommen etwas zu strecken.

Nach kurzer Zeit werden elektrische Kabel durch die Gasrohre verlegt, und die Familie hat elektrisches Licht. Wenn man ein „Kwartje“ (niederländische 25 Cent-Münze) einwarf, schien das Licht. Immer musste ein Kwartje auf dem Zähler liegen. Die Wohnung der Krops hat ein sonniges Wohnzimmer, ein Schlafzimmer für die Eltern und einen Alkoven ohne Fenster, in dem Joop schläft. Lebendig ist die Erinnerung in Joop, wie er seinem Vater beim Schreinern zuschaut, denn auch die kleine Werkstatt findet in einer Mansarde über der Wohnung noch Platz. Joop fühlt sich sicher und geborgen in seiner kleinen Welt. Nur wenn er Kohlen von der Mansarde holen muss, pfeift er vor Angst, sammelt die Kohlen und rennt wieder runter.

Jede Woche wird die Miete von einem Mann kassiert, der klingelt und ruft: „Die Miete, Frau Krop.“

Die Mutter von Joop geht weiterhin putzen, und weil der Vater häufig arbeitslos ist, schreinert er zu Hause oder kümmert sich um den kleinen Joop. Zusammen gehen sie zur öffentlichen Bücherei, wo der Vater populärwissenschaftliche Sciencefiction-Bücher ausleiht. Joop schaut sich begeistert die Bilder der „Reisen durch das Universum“ an. Der Vater erfindet bei diesen Gängen zur Bücherei viele Spiele für Joop.

„Siehst du die Spielkarte dort auf dem Bürgersteig? Berühr sie nicht mit deinen Fingern. Dreh sie vorsichtig mit einem Streichholz um. Das ist eine Botschaft. Was ist es?“ „Sieben Spaten.“ (Pik Sieben) „Gut. Das heißt, wir werden sieben Dinge finden. Pass gut auf.“ Wenn sie „Dinge“ finden, beginnt die Diskussion, ob eine leere Zigarettenschachtel ein „Ding“ ist. Unweigerlich geht Joop irgendwann an einem Cent vorbei. „Hey, pass auf, was da liegt.“

„Ich brauchte sehr lange, um zu begreifen, dass mein Vater immer wieder einen Cent deponiert hatte, damit ich ihn fand. Er war wunderbar kreativ.“ Diese Art, mit wacher Aufmerksamkeit durchs Leben zu gehen, hat sich Joop bis heute bewahrt. Sie ist auch bezeichnend für sein Verständnis von Therapie.

3. „Die Essenz des Lebens ist die Suche“,

wird er später formulieren. Vielleicht wurden Spuren zu dieser Haltung in eine Kinderseele auf den Straßen von Amsterdam durch einen liebevollen Vater gelegt.

Der kleine Joop verdient sein „erstes Geld“, als er bei einem seiner Spaziergänge mit dem Vater von einem Mechaniker gebeten wird, mit seiner kleinen Hand eine Schraube aus einem Gastank zu holen. Er findet Schraube und Mutter und ist so stolz, als er zwei „Kwartjes“ als Lohn bekommt. Umso mehr schmerzt es, als er einige Zeit später eben diesen Lohn abgeben muss, weil er beim Fußballspielen eine Scheibe zerschossen hat. „Dabei hat sich der Mann noch nicht einmal eine neue Scheibe gekauft“, empört sich Joop noch nach 80 Jahren mit blitzenden Augen über diese Ungerechtigkeit. Auch solche Erlebnisse hinterlassen Spuren in unserer Seele.

Manchmal, wenn der Vater genug Geld hat, kaufen die zwei auf dem Markt in Scheiben geschnittene Stücke Rinderherz. „Ein paar Stücke mit Salz und scharfem Senf direkt von einem Pappteller gegessen, treiben dir das Wasser in die Augen,“ erinnert sich Joop.

Joop wächst im Kreis seiner Verwandten auf. Die Tanten kümmern sich um ihn, denn seine Mutter ist das jüngste von neun Kindern der Familie, sein Vater das 7. von ebenfalls neun Kindern. Oma Krop wohnt auf der anderen Straßenseite. Opa Krop, nach dem Joop benannt ist, ist bereits verstorben, als Vater Rinus neun Jahre alt war.

Joop erinnert sich heute noch mit einem Gefühl der Dankbarkeit an seine Kindheit. Obwohl die Familie zeitweise von der „Fürsorge“ leben muss, empfindet Joop durch die Armut keine Belastung. „Nur einmal, als ich schwarze Strümpfe mit roten Zehen anziehen musste, die wir vom Sozialamt bekommen hatten, dachte ich, jeder müsste mir ansehen, dass sie vom Sozialamt wären. Die meisten meiner Erinnerungen sind von einem sicheren Gefühl geprägt, die Unterstützung der engeren und weiteren Familie war tragend für mich.“

„Zu Nikolaus“, erinnert sich Joop, „gab es einmal eine besondere „Überraschung“: „Ich bin zu Besuch bei Oma Krop, Tante Nel und Tante Riek. Mitten in der Feier plötzlich ein heftiges Klopfen an der Tür. Tante Nel öffnet und ruft in gespieltem Entsetzen: ,Oh, schau dir das an‘. Sie trägt eine lebensgroße Puppe herein. Einen Mann mit einer schrecklichen Maske. Ich bin total erschrocken und schreie mir die Seele aus dem Leib. Jetzt bin ich der Mittelpunkt: ,Gib ihm ein Glas Wasser. Bring das Ding in die Küche. Jopie, es ist doch nur eine Puppe. Nichts vor dem du Angst zu haben brauchst.‘ Alle haben ihre Ratschläge und Lösungen. Meine Mutter bringt mich ins Schlafzimmer. Als ich ruhiger geworden bin, kann ich zusehen, wie die Puppe auseinander genommen wird. Sie enthält Geschenkpakete. Jeder Empfänger muss das Gedicht vorlesen, das er mit seinem Päckchen bekommt. Das Gedicht beschreibt in humorvoller Form die Eigenarten des Beschenkten.“

Joop ist fünfeinhalb Jahre alt, als er für einige Tage zu Oma Krop gebracht wird. Auf dem Rückweg zu den Eltern erzählt ihm die Oma, dass er eine Schwester bekommen habe. Joops erste Frage ist: „Wo kommt die her?“ Jetzt muss seine Tante Riek helfen. Sie erzählt ihm die Geschichte vom Storch. „Aber warum muss meine Mutter dann im Bett bleiben?“ - „Der Storch hat sie gebissen, deshalb muss sie ein paar Tage im Bett bleiben.“ - „Wo hat er sie gebissen?“ - „Ins Bein.“ - „Darf ich das mal sehen?“ - „Nein, das ist nicht erlaubt.“ - „Wohin hat der Storch dich gebissen, Tante Riek?“ Sie hatte vor 14 Tagen seinen Cousin Guido zur Welt gebracht. Sofort beginnt Tante Riek zu hinken, um zu demonstrieren, dass der komische Vogel sie auch nicht verschont habe. „Erst wirft er ein Baby auf dich und anschließend beißt er dich.“

Joop braucht einige Zeit, um sich an die Schwester Willy zu gewöhnen. Den Rest seiner Jugend wird er dann ihr Beschützer. Mit ihr verbindet ihn bis heute ein herzliches Verhältnis. Sie lebt in Zaandam in den Niederlanden und hat ihn im Oktober 2010 in Los Gatos besucht.

Tante Riek liebt Geschichten, am liebsten sind ihr magische Bilder und Mythen. Von ihr lernt Joop: „Wenn du Salz verschüttest, musst du sofort eine Prise über die linke Schulter werfen, um das Unglück abzuhalten, das dich sonst unweigerlich befällt.“

Es gibt auch andere Gründe, das Unglück anzuziehen: einen Regenschirm in der Wohnung öffnen, unter einer Leiter durchgehen, an der Ecke des Tisches sitzen (du wirst 7 Jahre nicht heiraten), die Schuhe auf den Tisch legen (Armut). Wenn ein Spiegel zerbricht, bringt das den Tod in die Familie. („Erinnerst du dich, eine Woche bevor Opa Krop starb, fiel der große Spiegel mit dem goldenen Rahmen in unserem Wohnzimmer herunter. Ehrlich.“)

Das Waschen der Hände nach dem Toilettenbesuch lernt Joop mit dem Hinweis auf die Cholera, die ihn sonst qualvoll dahinrafft. Tante Riek weiß aber auch, was Glück bringt: verschütteter Zucker zum Beispiel oder wenn die Katze sich leckt, kommt Besuch. Wenn deine Ohren jucken, wird über dich gesprochen: linkes Ohr gut - rechtes Ohr schlecht. So wird Tante Riek zum beschützenden Engel seiner Kindheit.

Während seiner Grundschulzeit beginnt Joop mit seinem Freund Ton Oud durch Amsterdam zu stromern. Da gibt es für zwei kleine Jungen eine Menge zu entdecken. Sie besuchen die Märkte: Albert Cuyp, den Waterloo Plein und den jüdischen Markt. Am liebsten sehen sie den Markthändlern zu, die ihr Geschäft ankurbeln, indem sie eine große Szene mit dem Publikum spielen. Joop erzählt: „Einmal wurde ich der unfreiwillige Teil einer solchen Szene. Ein Käsehändler verteilte Probierstücke seines Käses. Ich fing eins auf, steckte es schnell in den Mund, um ein anderes zu ergattern. Er kam auf mich zu, gab mir ein drittes Stück und sagte ganz laut: Hier sehen wir einen kleinen Kapitalisten - er hat schon viel und will immer mehr. Mir war das sehr peinlich, und ich grinste verlegen.“

Manchmal setzen die beiden Jungen mit der Fähre über den Fluss Y und streifen durch die Werften. Auf dem Friedhof in Sloterdijk faszinieren sie besonders die Kindergräber. Es ist eine sorglose Zeit des Entdeckens und meistens völlig ungefährlich. „Nur einmal“, erinnert sich Joop, „da hätte es böse enden können. In Kanälen wurden oft Flöße von Holzstämmen aufbewahrt. Sie wurden so gewässert, um dann als Pfähle benutzt zu werden. Die meisten Häuser in Amsterdam stehen auf solchen Pfählen. Mein Freund Ton und ich - ich war vielleicht 7 Jahre alt - sprangen von der Kade auf ein solches Floß. Ich sah einen Stock im Wasser treiben, den ich unbedingt haben wollte. So rannte ich ans Ende des Floßes beugte mich über den Rand und … fiel ins Wasser. Das Holz der Stämme war glitschig, und ich rutschte ab. Ich hatte noch nicht Schwimmen gelernt. Ton rannte die Kade auf und ab und schrie sich die Lunge aus dem Leib. Schließlich erregte er die Aufmerksamkeit eines Mannes. Der nahm sich eine Holzstange, sprang auf das Floß und versuchte mir die Stange zu reichen. Zu kurz. Ich war schon zweimal untergegangen, und es gab die Mär: Wenn du dreimal untergehst, ertrinkst du. Wir glaubten das. Dann sah ich plötzlich die weiße Stange vor mir, griff zu und war gerettet. Der Mann war selbst in den Kanal gesprungen, um mich zu retten. Jetzt mussten wir nach Hause gehen. Mein Freund Ton, der Mann und ich - klatschnass. Das blieb natürlich nicht unbemerkt, und bald liefen mir die anderen Kinder mit Spottliedern hinterher. Glücklicherweise war meine Mutter zu Hause. Sie zog mir die nassen Kleider aus, trocknete mich ab, währenddessen verschwand der Mann. So konnte ich meinem Retter nicht einmal richtig danken. Ich bekam Salzwasser zu trinken, gegen die Keime des Kanalwassers. Tante Riek wusste sofort, dass ich andernfalls an der Ruhr sterben würde.“

Niederländer fahren gern Fahrrad. So lag die Frage nah: „Sag mal Joop, wann hast du eigentlich Fahrrad fahren gelernt?“ Joop erinnert sich ganz genau: „Ich war ungefähr 8 Jahre alt, als ich für ein paar Tage zu Besuch bei Tante Riek war. Einer der Nachbarjungen hatte einen richtigen Fußball, und wir spielten tagelang Fußball. Eines Tages sah ich meinen Vater auf seinem Fahrrad, wie er den Platz umkreiste. An der Hand führte er ein zweites Fahrrad mit sich. Ich lief zu ihm und fragte: ,Papa, wem gehört das Fahrrad?‘ Er: ,Ich halte das für einen Jungen fest, der hat mich darum gebeten‘. Ich wusste, dass er mich ein bisschen auf den Arm nehmen wollte. Schließlich sagte er: ‚Ja, es gehört dir‘. Ich stieg sofort auf und fiel prompt hin. Das Fahrrad war auf ‚Wachstum‘ gekauft worden. Meine Beine waren zu kurz und würden auch in nächster Zeit nicht lang genug sein, die Pedale zu erreichen. Mein Vater machte mir Holzklötze auf die Pedale, und ich konnte fahren. Allerdings waren die Kurven schwierig, dann musste ich die Füße still halten, damit die Holzklötze nicht über den Boden schrammten. Die Familie machte sonntags ausgedehnte Touren zu den zahlreichen Verwandten in der ganzen Umgebung: Hilversum, Zaandvort, Utrecht.“

Die Arbeitslosigkeit des Vaters belastet die Familie, aber es gelingt den Eltern, Joop diese Belastung nicht spüren zu lassen. An seinem Geburtstag darf er sich eins seiner beiden Lieblingsgerichte wünschen: Gulasch oder einen leckeren Eintopf mit Zwiebeln und Fleisch. Als die Telefonzentrale von Amsterdam niederbrennt und wieder aufgebaut werden muss, bekommt der Vater endlich Arbeit.

Joop ist zwölf Jahre alt, als die Familie in einen der neuen Wohnblocks zieht, die die sozialdemokratische Stadtverwaltung für die Arbeiter bauen ließ. Jetzt hat Familie Krop ein Badezimmer und - ganz erstaunlich - warmes Wasser! So viel, wie sie wollen. Ein wahrer Luxus, der Joop heute noch strahlen lässt. Nur die kleine Küche fand die Familie nicht so schön. Die Mutter fand es gemütlicher, hier zu essen. Aber es war die Absicht der sozialdemokratischen Erbauer der Wohnungen, die Arbeiterfamilien dazu zu erziehen, im Wohnzimmer zu essen. Den Preis bezahlte Familie Krop sehr gern.

Die Wohnbedingungen in Amsterdam waren zu der Zeit katastrophal: Keller-Appartements, Alkoven als Zimmer, keine Toilette mit fließendem Wasser, zwei Familien in einer Wohnung. Viele Krankheiten und eine hohe Kindersterblichkeit waren die Folge. Die Sozialdemokraten beendeten diese Zustände. Arbeiterfamilien konnten jetzt unter menschenwürdigen Bedingungen leben.

Therapie in Aktion

Подняться наверх