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I. ANAMNESE (GEDENKEN, ERINNERUNG)
ОглавлениеDas jüdische Passamahl feierte das Gedächtnis des Auszuges des Volkes Israel aus Ägypten als Heilstat Jahwes. Die einzelnen Gebete und Bitten, aber auch die Mahlelemente, wie Speisen und Getränke, erinnern daran. So erzählt der Hausvater in feierlichem Gedenken den Auszug aus Ägypten, den Durchzug durch das Meer, durch die Wüste. Die Mazzen auf dem Tisch bedeuten das Manna, die Bitterkräuter die Not in der Wüste; der Wein ist Zeichen für Gottes berauschende Liebe zu Israel. Diese Elemente haben also eine doppelte Aufgabe. Sie sind Zeichen der Not und erinnern an die Unheilssituation des Volkes Israel. Sie sind aber zugleich auch Zeichen der Liebe Gottes, der diese Not gewendet hat. So stellt uns das Mazzenbrot den Hunger Israels ebenso vor Augen wie das Manna, das Gott sandte, um die Juden vom Hunger zu erlösen. So erinnert das Lamm an das in Ägypten geschlachtete Lamm, dessen Blut an den Türpfosten der israelischen Häuser zugleich Zeichen des Todes für alle Erstgeburt der Ägypter, aber auch Zeichen dafür ist, daß der Würgengel vorbeigeht. Das Lamm ist Zeichen des Todes und des Lebens. Alle Zeichen haben diese Doppelbedeutung: Zeichen menschlicher Unheilssituation und Zeichen göttlichen Erbarmens. Auch Jesus hat dieses Mahl gefeiert, wie gesagt, als sein letztes. Auch er hat die Geschichte der Errettung Israels im Gedenken erwähnt. Er hat hingewiesen darauf, daß das Mahl sein letztes mit den Jüngern ist, weil die Menschen nicht wahr haben wollen, daß in ihm Gott einen neuen Bund mit den Menschen eingeht. Und die Jünger scheinen zu spüren, daß plötzlich die Abendmahlsgaben, Brot und Wein, Bitterkräuter, Lamm noch einmal eine neue Bedeutung erhalten. Das Brot, das Jesus austeilt, erinnert nicht nur an das Manna in der Wüste, es erinnert an die Brotvermehrung Jesu selbst in der Wüste. Jesus offenbart sich so als der eigentliche Mahlherr im Passamahl. Und wenn er dieses Brot austeilt, dann ahnen die Apostel schon, daß hier Jesus das Brot des Lebens austeilt. Und wenn sie sehen, daß man das Lamm aufträgt, dann bedeutet dies wohl die Erinnerung an das Passalamm, das geschlachtet wurde, um mit seinem Blut den Würgengel und damit den Tod abzuhalten. Und man erinnert sich nun der vielen Totenerweckungen Jesu. Man spürt, daß mit diesem bevorstehenden gewaltsamen Tod Jesu, mit seinem Blut, es eine besondere Bewandtnis haben muß. Beim Wein erinnert man sich des ersten Wunders Jesu, der Hochzeit von Kana. Dort hatte Jesus sich offenbart als der eigentliche Herr des Hochzeitsmahles, bei dem der Wein nicht mehr ausgeht. Und jetzt im Abendmahlssaal sagt er, er werde von dem Gewächs des Weinstockes nicht mehr trinken, bis er es neu trinken werde im Reich seines Vaters, und zwar mit den Jüngern zusammen. Dieser Wein wird zum Zeichen eines Bundes, der über den Tod hinausgeht, eines Bundes, der Leben spendet, der von Gott kommt und göttliches Leben gibt. Auch die Bitterkräuter bekommen einen neuen Sinn, ohne den alten zu verlieren. Sie bleiben Zeichen der Not, jetzt der neuen Not des bevorstehenden Todes Jesu. Und – das ist jetzt die Erwartung und Ahnung der Apostel: mit diesem Tod muß es eine Heilsbewandtnis haben. Und schon hören sie, daß Jesus Brot und Wein nimmt und diese Elemente als Zeichen seiner Hingabe deutet: Das ist mein Leib – für euch; das ist mein Blut für euch! Und so umfassen diese Gaben symbolisch die Not des Volkes Israel ebenso wie den Segen Gottes, sie umfassen die Not und den bevorstehenden Tod Jesu und die Angst der Apostel ebenso wie Gottes rettende Tat auf dem Wüstenzug und Gottes großen Gnadenerweis in Jesus Christus. Und sie umfassen das Heil der Apostel.
Dieses gedenkende Element einer Gedächtnisfeier hat sich unsere Eucharistiefeier bewahrt. Wie beim Passamahl gedenkt sie der Unheilsgeschichte Israels und der Heilsinitiativen Gottes. Sie betet zum himmlischen Vater, dankbar all dessen gedenkend, etwa im IV. Hochgebet: »Wir preisen dich, heiliger Vater, denn groß bist du und all deine Werke künden deine Weisheit und Liebe. Den Menschen hast du nach deinem Bild geschaffen und ihm die ganze Welt anvertraut. Als er durch Ungehorsam deine Freundschaft verlor und der Macht des Todes verfiel, hast du ihn dennoch nicht verlassen. Voll Erbarmen hast du allen geholfen, dich zu suchen und zu finden. Immer wieder hast du den Menschen einen Bund angeboten und sie durch die Propheten gelehrt, das Heil zu erwarten.«
Bis hierher geht das Gedenken der alttestamentlichen Heilstaten. Und schon tragen Brot und Wein eine Bedeutung, die die der bloßen Nahrung weit übersteigt. Sie sind als »Frucht der Erde« Ausdruck der Schöpfergüte Gottes, als »Frucht der menschlichen Arbeit« Zeichen der dem Menschen von Gott gegebenen Verantwortung über die Welt. Sie weisen auf menschliche Not und Unruhe, aber auch auf göttliche Initiativen hin. Sie sind Zeichen dieses »Immer wieder«, sind Zeichen des Bundes, Zeichen für das Wort der Propheten, das Nahrung sein kann, und Zeichen für Hunger und Durst nach Gott und seiner Treue. Aber die Eucharistiefeier holt noch mehr in ihrem Gedenken ein. Sie erinnert sich zurück auf das Christusereignis, auf Gottes Heilstat in seinem Sohn Jesus Christus. »So sehr hast du die Welt geliebt, heiliger Vater, daß du deinen eingeborenen Sohn als Retter gesandt hast, nachdem die Zeit erfüllt war. Er ist Mensch geworden durch den Heiligen Geist, geboren aus Maria der Jungfrau. Er hat wie wir als Mensch gelebt, in allem uns gleich, außer der Sünde. Den Armen verkündet er die Botschaft vom Heil, den Gefangenen Freiheit, den Trauernden Freude. Um deinen Ratschluß zu erfüllen, hat er sich dem Tod überliefert, in seiner Auferstehung den Tod bezwungen und das Leben neu geschaffen. Er hat uns den Heiligen Geist gesandt, der das Werk des Sohnes weiterführen soll« (IV. Hochgebet). Und wieder erfahren die Gaben eine zusätzliche Bedeutung. Sie sind Zeichen Jesu, aber auch Zeichen unserer Armut, unserer Gefangenschaft, unserer Trauer. Zeichen menschlicher Not und göttlichen Segens. Sie bedeuten Gottes Neuen Bund mit den Menschen in seinem Sohn. Aber diese Zeichen sind auch noch Zeichen der Hingabe Christi an die Menschen und an den Vater. Und an diesen Vater gewendet, betet der Priester gedenkend: »Da er die Seinen liebte, die in der Welt waren, liebte er sie bis zur Vollendung. Und als die Stunde kam, daß er von dir verherrlicht werde, nahm er beim Mahl das Brot und sprach den Segen, brach es und reichte es seinen Jüngern mit den Worten: Nehmet und esset alle davon: Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird« (IV. Hochgebet).
Wie das Volk Israel wußte, daß allein Gott seine Rettung sein kann, wie die Jünger erkannten, daß dieser Gott in Jesus Christus uns erlöst, wie sie erkannten, daß der Leib und das Blut Christi in den Gestalten von Brot und Wein ewiges Leben bedeuten, so preist die Kirche den Vater für diese Erlösung, die ihr in der Eucharistiefeier zuteil wird: »Darum feiern wir das Gedenken unserer Erlösung, allmächtiger Gott. Wir verkünden den Tod deines Sohnes und sein Hinabsteigen zu den Vätern, bekennen seine Auferstehung und Himmelfahrt und erwarten sein Kommen in Herrlichkeit« (IV. Hochgebet).
Und wieder bekennen wir, daß Brot und Wein wohl Zeichen des Todes Jesu, ja auch unserer Verlorenheit sind, aber zugleich und vielmehr Zeichen des allen Tod besiegenden Erbarmens Gottes. All dies wird mit den Zeichen unserem Glauben inne, lebt in der Gedächtnisfeier auf. Aber wir spüren schon: Gedächtnis meint ja auch immer Gedenken eines Vergangenen. Wie ist das Vergangene gegenwärtig?