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Mr. William Ellis machte sich nach dem zweiten Frühstück auf den Weg, um sich mit seinem Vertrauten und Teilhaber Iwan Karenowitsch in einer sehr dringlichen und heiklen Angelegenheit zu beraten. Er hatte heute einen Brief erhalten, dessen Inhalt höchst bedenklich lautete und einen raschen Entschluß forderte; und überhaupt sahen die Dinge so verdammt übel aus, daß man sich darüber wieder einmal gründlich aussprechen mußte.

Mr. Iwan Karenowitsch führte auf seinen gediegenen Besuchskarten vor seinem Namen ganz bescheiden den Titel »Konsul«, und der Aufschlag seines vollendet sitzenden Fracks war bei größeren gesellschaftlichen Anlässen immer mit einer ansehnlichen Ordenskette geziert. Das erhöhte den vornehmen Eindruck, den der schlanke, kaum vierzigjährige Mann mit dem exotischen Gesicht machte, und man munkelte, daß der elegante Konsul auf die Herzen und die Tugend der Frauen geradezu verheerend wirkte.

Diese Gefahr bestand bei seinem Freunde Ellis nicht, denn man konnte diesem weder äußere Vorzüge, noch ein gewinnendes Wesen nachsagen. Seine grobschlächtige Erscheinung erinnerte stark an einen Menschenaffen, und auch die plattgedrückte Nase, der breite wulstige Mund und die abstehenden fleischigen Ohren paßten ganz zu diesem Bild.

Er hatte nicht weit zu gehen, denn Karenowitsch bewohnte in unmittelbarer Nähe ein kleines Haus, das den Vorteil ziemlicher Abgeschiedenheit hatte. Da der lebenslustige Junggeselle nach seinen vergnügten Nächten immer erst sehr spät aufzustehen pflegte, traf ihn Ellis noch im Morgenanzug und beim ersten Frühstück an.

Der Konsul war über den Besuch weiter nicht überrascht, denn sein Teilhaber pflegte sich häufig bei ihm einzustellen, weil man hier völlig ungestört war. Auch als der Mann sofort ein Blatt Papier aus der Tasche zerrte und grimmig auf den Tisch klappte, machte dies auf den Konsul keinen sonderlichen Eindruck. Er strich sich in aller Ruhe noch ein geröstetes Brötchen, und erst, als er einen Bissen in den Mund geschoben und einige Schlucke Tee nachgespült hatte, nahm er das Briefblatt auf und faltete es ohne sonderliche Eile auseinander.

Er las die wenigen Zeilen, ohne eine Miene zu verziehen, aber als er damit fertig war, standen seine dichten, schwarzen Brauen plötzlich hoch in der Stirn.

»Wesley???« fragte er mit vorsichtig gedämpfter Stimme, und aus seinem Blick sprach außerordentliche Spannung.

Ellis unterbrach seinen aufgeregten Marsch durch das Zimmer und ließ sich krachend in einen der Klubsessel fallen. »Was könnte es denn sonst sein?« krächzte er ebenso gedämpft zurück. »Der Bursche schreibt, daß er unterwegs zu dem Ding gekommen wäre – und er ist Seemann. Auch die Zeit könnte stimmen, denn wahrscheinlich ist er noch irgendwo herumgegondelt, bevor ihn der Teufel hierher gelotst hat.« Er hieb mit der Hand abermals so heftig auf den Tisch, daß das Frühstücksgeschirr ins Wanken geriet. »Eine verdammte Schweinerei«, stieß er zwischen den schütteren Zahnstummeln hervor. »Da sitzen wir nun seit Monaten und lauern von Tag zu Tag, daß einem schier schon die Nerven reißen, und können uns nicht rühren, weil wir nicht wissen, woran wir sind – und dabei ist vielleicht alles schon längst erledigt. Wenn diese schmierige Wasserratte das Buch bloß gefunden oder gestohlen hätte, würde sie sich nicht getrauen, daraus Geld machen zu wollen. Sie muß ganz sicher sein, daß der Mann, dem es gehörte, ihr nicht mehr in die Quere kommen kann. – Aber was, zum Teufel, steht drin? Geht es um die Geschichten von drüben, von denen der gerissene Wesley trotz seiner ewigen Besoffenheit sicher manches aufgeschnappt hat, oder geht es um die Sache, die wir mit ihm hatten?«

Diese Frage war so schwerwiegend, daß sie Ellis alle Farbe aus dem Gesicht trieb, und auch Karenowitsch nagte eine lange Weile sehr nachdenklich an der Unterlippe.

»Du mußt dir den Burschen natürlich noch heute beibiegen«, unterbrach er endlich das Schweigen. »Wir können ihn mit dem Buch und dem, was er vielleicht sonst weiß, nicht noch länger herumlaufen lassen, ob es sich nun um das eine oder das andere handelt. Geht es aber wirklich um Wesley, müssen wir natürlich alle Einzelheiten genauestens erfahren. Wo und wie es geschehen ist – und was das Ende war. Du verstehst mich? Quetsche also diesen Paddy zunächst gründlich aus, und dann muß ihm der Mund gestopft werden. Wende dich an die Stelle, die uns der Mann in Soho empfohlen hat. Diese Leute sind geschickt, und wegen eines Matrosen wird es nicht viel Lärm geben. Und falls unser Plan wirklich geklappt hat, rücken wir sofort mit den Papieren heraus. Meine Leute warten schon darauf, und diese gefräßigen Engländer, die einfach alles schlucken möchten, können sich den Mund wischen.«

»Ich wünschte, es wäre schon so weit«, knurrte Ellis, indem er in eine dicke schwarze Zigarre biß und die Spitze kurzerhand auf den Tisch spuckte. »Die Dinge wollen mir nämlich gar nicht gefallen. Wir haben zwar schon ein paarmal den Kopf riskiert, aber dabei ist es immer rasch und glatt gegangen. Nicht so wie diesmal, wo wir seit mehr als einem Vierteljahr den Hals in der Schlinge haben und bis heute nicht wissen, ob wir nicht vielleicht drin hängenbleiben …«

Der vierschrötige Mann ließ diesem bekümmerten Stoßseufzer noch einen saftigen Fluch folgen, der Konsul aber gähnte und schlug gelassen ein Bein über das andere.

»Du siehst aus, als ob du es mit der ganzen Hölle aufnehmen würdest«, sagte er mit einem wenig schmeichelhaften Blick, »hast aber das Herz immer gleich in den Hosen. – Damals mit dem Sternenschreck war es genau so.«

»Hör schon mit diesen alten Geschichten auf«, fauchte Ellis zurück. »Wir haben andere Sorgen. Wenn aus dem großen Geschäft nicht bald was wird, sitzen wir in ein paar Wochen auf dem Trockenen. Von den Blumen allein können wir nicht leben, und vielleicht wird das überhaupt bald aus sein. Die Leute drüben sind jetzt verdammt scharf dahinter her, und auch im Yard möchte man sich die feine Prämie gerne verdienen. Ich weiß das von dem Gentleman, den ich kennengelernt habe. Er schwatzt fortwährend davon und ist überhaupt« – trotz seiner düsteren Stimmung brachte Ellis ein belustigtes Grinsen zustande – »ein sehr netter und unterhaltsamer junge. Man braucht nur leicht anzutippen und kann aus ihm herausholen, was man will. Besonders wenn man ihn ein paar Pfund gewinnen läßt. Ich muß mich jetzt, wo die nächste Sendung bald fällig ist, wieder ein bißchen mehr um ihn kümmern.«

»Vor allem kümmere dich um den unbequemen Seemann«, sagte Karenowitsch bereits etwas ungeduldig, »und ich werde die Sache mit dem Mann im Pool nun in Schwung bringen. Wenn Wesley wirklich tot ist, können wir den andern endlich energischer anfassen. Weiß der Kuckuck, wie er das in der Eile angestellt hat. Er muß rein im letzten Augenblick irgendwie Lunte gerochen haben …«

»Das Gute für uns ist, daß die Polizei glaubt, er wäre durchgegangen und säße schon längst irgendwo drüben«, bemerkte Ellis und fand dies so belustigend, daß er wiederum über das ganze Gesicht feixte, was ihn nicht hübscher machte.

Der Konsul nickte. »Darauf war ja auch alles angelegt. Besonders die Depesche nach der Schweiz war eine gute Idee. Die betreffende Person ist wirklich verschwunden und wartet offenbar irgendwo geduldig auf das Wort. Und auch das ist gut, denn wir werden sie vielleicht brauchen, um den versteckten alten Geldsack zum Reden zu bringen. Ich habe bereits ein verläßliches Detektivbüro beauftragt, sie auszuforschen. Durch die ›Times‹ wäre das zwar einfacher und billiger gewesen, aber es kann sein, daß die Polizei von dem Telegramm Kenntnis hat und noch immer scharf aufpaßt.«

»Zum Teufel«, platzte Ellis gallig heraus, »die sollte sich jetzt wahrhaftig um andere Dinge sorgen. Da wird unseren aufgetakelten Frauenzimmern einem nach dem andern der sündhaft teure Tand direkt vom Leibe gezogen, und das tüchtige Yard, von dem so viel Wesens gemacht wird, ist auf einmal mit allen seinen Künsten zu Ende. Die Sache ist einfach ein Skandal, und das alberne Weib« – damit meinte der höfliche Mann Mrs. Elvira Ellis – »ist in einer Laune wie des Teufels Großmutter, wenn dieser etwas über die versengte Leber gelaufen ist …«

Er zerdrückte wütend den arg zerkauten Zigarrenstummel, aber dann schnitt er plötzlich wieder eine seiner scheußlichen Grimassen.

»Daran bist übrigens auch du mit schuld«, fuhr er fort. »Seitdem du dich bei uns so rar machst und dafür fortwährend um Mrs. Reed herumscharwenzelst, kocht es in ihr gewaltig.« Das Lächeln des robusten Gentleman wurde noch anzüglicher. »Ich weiß nicht, ob sie sich darüber mit dir schon ausgesprochen hat, aber auf jeden Fall würde ich mich an deiner Stelle vor ihr gehörig in acht nehmen. Ein wenig kennst du sie ja auch, wenn auch noch lange nicht so genau wie ich.«

Konsul Karenowitsch, der die letzten verfänglichen Anspielungen mit der kühlen, verschlossenen Miene eines Mannes von Welt hingenommen hatte, warf einen deutlichen Blick auf die Uhr.

»Mein Lieber, ich muß mich nun ankleiden«, sagte er. »Spätestens um eins bin ich im Klub und warte dort auf dich. Sieh zu, daß alles glatt abläuft.« Er erinnerte sich plötzlich an die neben ihm liegende noch uneröffnete Post und begann diese hastig durchzublättern, Ellis aber stellte sich schwerfällig auf die massigen Beine und strampelte die hochgerutschten Hosen herunter.

»Verdammte Scherereien«, machte er sich noch einmal Luft. »Für alle Fälle werde ich natürlich nun auch an Wesley schreiben, und dabei will jedes Wort gut überlegt sein …«

Er nickte kurz und verdrießlich und hielt Karenowitsch die knochige Hand hin, aber dieser war noch immer mit seinen Briefschaften beschäftigt.

»Warte noch einen Augenblick«, sagte er. »Vielleicht ist darunter bereits eine Nachricht wegen der gewissen Person …«

Der Skorpion

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