Читать книгу Der Skorpion - Louis Weinert-Wilton - Страница 16

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Alice Parker saß nun schon eine Ewigkeit in dem vornehmen Bibliothekszimmer in Kensington, aber der Herr des Hauses ließ sich noch immer nicht blicken. Das lange Warten und die bedrückende Stille steigerten die Erregung, mit der das junge Mädchen der kommenden Stunde entgegensah. Seit Monaten bemühte sich Alice, über einen furchtbaren Schicksalsschlag hinwegzukommen, der ungehobelte Mr. Ellis brachte ihr jedoch das unfaßbare Ereignis und den dadurch herbeigeführten Wandel der Dinge immer wieder in Erinnerung. Sie war gar nicht empfindlich, denn das durfte sie sich nicht mehr gestatten, aber die Art des Mannes war so abstoßend und verletzend, daß sie stets alle ihre Selbstbeherrschung aufbieten mußte, um einen schmerzlichen Ausbruch niederzukämpfen.

Die sorgenvolle Unterredung mit seinem Freunde Karenowitsch hatte Ellis nicht verdaulicher gestimmt, und als er endlich breitbeinig hereingestampft kam, hatte er für das harrende Mädchen nicht nur keine Entschuldigung, sondern nicht einmal das kürzeste Nicken zur Begrüßung.

Alice Parker übersah das und setzte sich hastig an der Maschine zurecht. Ellis pflegte so urwüchsig zu diktieren wie er sprach und wurde sofort sackgrob, wenn sie ein Wort nicht gleich verstand. Das kam leider hie und da vor, da sich die Korrespondenz zumeist um Pflanzen mit ungewöhnlichen Namen drehte. Der äußerlich wie innerlich gleich robuste Mann schien seltsamerweise ein großer Blumenfreund zu sein, denn er erhielt ständig derartige Angebote, über die er dann einen sehr eingehenden und sachkundigen Briefwechsel führte.

Auch heute kam zunächst ein solches Schreiben an die Reihe, aber es fiel sehr kurz und bündig aus. Man möge vorläufig von weiteren Sendungen absehen, hieß es darin, denn wer könne wissen, ob die Knollen in dem verdammten englischen Klima gedeihen würden. Überhaupt wäre es, da die Preise in der letzten Zeit so unverschämt in die Höhe gegangen seien, besser, bis auf weiteres zuzuwarten.

Nachdem er die Zeilen überflogen und auf den Schreibtisch geworfen hatte – die Adressen schrieb er immer selbst – holte er ein Briefblatt aus der Tasche und stellte sich damit ans Fenster.

Er starrte so lange darauf, daß Alice ihn endlich, mehr ungeduldig als neugierig, mit einem heimlichen Seitenblick streifte. Und dabei fiel ihr sofort die Art des Papiers in seinen Händen auf. Es hatte genau denselben Stich ins Gelbliche wie jenes, das in ihrer Schreibstube verwendet wurde, und auch dasselbe etwas ungewöhnliche Format. Sie konnte sich jedoch nicht erinnern, daß bei ihr je ein Brief an Ellis getippt worden wäre …

»… Mann, wenn Sie glauben, mich mit irgendwelchem Schwindel …«

Ellis stieß diese Worte so unvermittelt hervor, und sie klangen so wenig nach einem Briefanfang, daß das Mädchen aufschrak und unschlüssig nach dem Fenster blickte.

Der vierschrötige Gentleman nahm dies sehr übel.

»Hören Sie nicht?« brüllte er, und sein Gesicht färbte sich blaurot. »Wenn Sie schlafen wollen, tun Sie das daheim, nicht hier für mein Geld.« Er knurrte noch etwas, was wahrscheinlich noch brutaler war, und begann dann mit grimmiger Gereiztheit von neuem:

»Mann, wenn Sie glauben, mich mit irgendwelchem Schwindel einseifen zu können, sind Sie arg auf dem Holzweg. Ich bin kein Greenhorn. Aber ich will mir’s anschauen. Wann und wo, steht auf dem Zettel, der dabei ist. – Nichts weiter«, fauchte er Alice, die mit glühenden Wangen und verbissenen Zähnen klopfte, wütend zu, aber die stille Hoffnung des so arg gedemütigten Mädchens, daß nun vielleicht das Martyrium wieder einmal zu Ende sein würde, sollte sich nicht erfüllen.

»Und nun schreiben Sie noch was«, sagte nämlich Mr. Ellis etwas gemäßigter, nachdem er einige Male durch den Raum marschiert war, und wurde plötzlich so gesprächig, wie ihn Alice bisher noch nie kennengelernt hatte. »Da ist nämlich ein Mann, von dem ich keine Antwort kriegen kann. Wegen eines Geschäfts, in das ich ein Heidengeld gesteckt habe. – Schreiben Sie zuerst den Umschlag, damit der Name und die Adresse ganz deutlich sind …«

Alice beeilte sich, um nicht eine neue Rüpelei heraufzubeschwören, und Ellis zog mittlerweile ein abgegriffenes Notizbuch zu Rate.

»Also, der Brief geht an: Thomas Wesley, Esq., Royalhotel, Baltimore …« sagte er und stellte sich hinter das junge Mädchen, um die Niederschrift zu kontrollieren. Dann setzte er sich wieder in Marsch.

»Wesley, alter Junge, was, zum Teufel, ist denn mit Ihnen los?« begann er endlich mit einem entschlossenen Anlauf, wurde aber sofort wieder langsamer und schien jedes der weiteren Worte erst sorgfältig abzuwägen.

»Wenn ich nicht wüßte, daß mit der Konzession alles in Ordnung geht, und wenn ich nicht das Papier mit Ihrer Unterschrift in der Tasche hätte, würde ich jetzt mit einem verdammt schweren Kopf herumlaufen, weil Sie sich so lang nicht rühren. Sie haben mir doch versprochen, spätestens in drei oder vier Wochen noch ein paar Angaben über die Sache zu schicken, damit der Prospekt ein richtiges Gesicht bekommt, und nun sind es fast schon vier Monate, daß ich nichts mehr von Ihnen hörte. Also lassen Sie mich nicht länger warten. Ich habe Ihnen ja den gepfefferten Preis bar auf den Tisch gezahlt und muß nun schauen, daß ich mein Geld raschestens wieder hereinbekomme. Die Geschäfte gehen lausig, und außerdem habe ich bei dem verwünschten Lumpen, dem Hayward, der durchgegangen ist, kaum daß Sie weg waren, gehörig Haare lassen müssen. Der Teufel soll diesen gemeinen Dieb holen, und Sie können Gott danken, daß Sie die Sache mit mir gemacht haben und nicht mit ihm. Aber nun setzen Sie sich sofort hin – aber nicht zur Flasche – und stellen Sie mir alles, was Sie mir versprochen haben, fein zusammen. In spätestens acht Tagen muß ich’s haben. Schicken Sie mir’s mit der Luftpost, wie ich Ihnen diesen Brief. Good bye, alter Junge …«

Das Klappern der Maschine hatte schon längst jäh ausgesetzt, aber dem gedankenvollen Mr. Ellis kam die Stille erst jetzt zum Bewußtsein. Er fuhr wütend herum, und selbst der erbarmungswürdige Anblick des totenbleichen, zitternden Mädchens vermochte ihn nicht zu entwaffnen.

»He – was ist denn heute in Sie gefahren?« spie er giftig durch die Zähne. »Warum glurren Sie so blöd drein, statt zu schreiben? So ein hysterisches Frauenzimmer kann ich nicht brauchen. Weil Sie Ihre nichtsnutzigen Gedanken wer weiß wo haben, werde ich nicht meine Zeit vertrödeln …«

Er polterte mit schweren Schritten heran, stierte auf das Blatt in der Maschine, und brach dann von neuem los. »Unerhört. – Da fehlt ja der halbe Brief. – Und so was hat die Frechheit, sich als perfekte Schreiberin anzubieten. – ›Bei dem verwünschten Lumpen, dem Hayward …‹ habe ich gesagt. Wenn Sie schon taub sind und den Namen nicht verstanden haben, hätten Sie wenigstens den Mund auftun können. – Aber nun fix, sonst werde ich Sie in Schwung bringen …«

»… habe ich bei dem verwünschten Lumpen, dem Hayward, der durchgegangen ist, kaum daß Sie weg waren, gehörig Haare lassen müssen …« begann der ergrimmte Mann den Schluß des Briefes fast im gleichen Wortlaut neuerlich zu diktieren, und Alice Parker, die einer leblosen Wachsfigur glich, zwang die widerstrebenden Finger mit automatenhaften Bewegungen über die Tasten.

Ellis folgte ihnen mißtrauisch bis zum letzten Buchstaben, dann griff er in die Westentasche und klappte mit seinen groben Händen eine Einpfundnote und einen Schilling auf das Tischchen. »Legen Sie die Post auf den Schreibtisch, und nächstens will ich wen andern«, bellte er zum Abschied und warf die Tür mit einem gewaltigen Krach hinter sich zu.

Der Skorpion

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