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»So ein einfältiger, zerfahrener Patron soll eine gerissene Diebsbande fangen«, äußerte Mrs. Ellis empört, als sie eine Viertelstunde später mit Mrs. Reed das Lunch einnahm. »Mein Vater, der Gouverneur, hätte einen so unfähigen Beamten einfach davongejagt. – Was wollte der Mann eigentlich von uns? Es ist doch alles klar. Man hat uns irgendein Betäubungsmittel in unsere Gläser gemischt, und als wir eingeschlafen waren, hat man uns einfach den Schmuck abgenommen. Nur begreife ich nicht, daß der gemeine Trick so oft gelingen konnte. Wenn ich nicht leider zuerst, sondern wie Sie als letzte an die Reihe gekommen wäre, hätte ich schon gehörig aufgepaßt.«

In dem Blick, den die Frau des Hauses auf ihre Tischgenossin richtete, lag wirklich ehrliche Verständnislosigkeit, was Mrs. Reed wiederum besonders heiter stimmte.

»Oh, ich habe damals an diese schrecklichen Geschichten gar nicht gedacht«, erklärte sie. »Ich habe mich zu gut unterhalten. Karenowitsch hat mir so viele drollige Dinge gesagt, daß ich fortwährend lachen mußte …«

Sie mußte dies selbst jetzt bei der Erinnerung noch, Mrs. Elvira aber bohrte die Gabel so nachdrücklich in ihren Teller, daß es einen kreischenden Laut gab.

»Sie sollten sich von Karenowitsch nicht so viel erzählen lassen«, sagte sie. »Oder es wenigstens nicht ernst nehmen. Der Konsul hat wegen seiner Weibergeschichten einen sehr schlechten Ruf, und man kann sich mit ihm nur bloßstellen. Bei mir hat er es auch versucht, aber kein Glück gehabt. Und wenn ich nicht dazu gezwungen wäre, weil Ellis mit ihm in geschäftlichen Verbindungen steht, würde ich überhaupt nicht mit ihm verkehren.«

»Oh, bei mir wird er auch kein Glück haben«, versicherte Mrs. Reed mit strahlenden Augen. »Obwohl er ein russischer Fürst sein soll …«

»Hat er Ihnen das gesagt???«

Die rasche Frage klang geradezu drohend, aber die Witwe schüttelte heiter und unbefangen den Kopf.

»Nein. Das habe ich von anderen Leuten gehört.

Wahrscheinlich vermutet man es, weil er so russisch und so vornehm aussieht und so viele Orden hat. Übrigens hat mich Mutter auch schon vor ihm gewarnt. Sie sagt, jetzt, wo ich so viel Geld habe, könnte ich ganz was anderes finden …«

Mrs. Ellis nickte sehr lebhaft. »Das meine ich auch. – Wie geht es denn Ihrer Mutter?«

»Danke, wie immer. Nur daß sie an den Rollstuhl gefesselt ist, macht sie schrecklich verdrießlich. Und mich auch, denn ich bin fortwährend angehängt. James und Mabel sind ja sehr brav und verläßlich, aber den ganzen Tag kann ich die Kranke doch nicht den Dienstboten überlassen. Und es gibt immer große Szenen, wenn ich mich einmal einen Abend freimachen will. Sie wissen es ja.«

»Das kann man einer leidenden alten Dame nicht übelnehmen«, sagte Mrs. Elvira. »Ich muß schon dankbar sein, daß man Sie mir wenigstens für die Vormittage überläßt. Die hiesigen Frauen sind ja so entsetzlich langweilig und spießerhaft. Ganz so, wie sie aussehen. Und wenn man etwas rassiger ist, wird man von ihnen wie ein Schaustück angestarrt. Ein albernes Volk. – Und die Polizei erwischt anscheinend nur Raufbolde, aber dann wird darüber gleich ein Riesenlärm geschlagen. Erst heute habe ich von solch einer Geschichte, die in Soho passiert ist, gelesen. Sie wird morgen vor dem Polizeirichter in Old Bailey verhandelt, und ich möchte mir eigentlich diese Komödie ganz gerne ansehen. Mein Vater, der Gouverneur, hat solche Rowdies einfach auspeitschen lassen, aber hier macht man nicht so kurzen Prozeß, und deshalb herrschen auch so feine Zustände. – Jedenfalls werde ich Sie um elf Uhr abholen, wenn es Ihnen recht ist, meine Liebe …«

· · ·

Inspektor Sharp saß mittlerweile bereits in der Untergrundbahn, und der begierige Sergeant Huggins stellte aus verschiedenen Anzeichen fest, daß sein zugeknöpfter Vorgesetzter noch verschlagener und unternehmender dreinblickte, als auf der Hinfahrt. – Was konnte es bei dieser Unterredung so Besonderes gegeben haben???

Dem eleganten Assistenten Denby aber schien diese Frage weit weniger am Herzen zu liegen als die Sorge, seine Zugehörigkeit zu dem Manne in dem unmöglichen Überrock mit dem fehlenden obersten Knopf und zu dem feierlichen Gemüsehändler nicht merken zu lassen. Er hielt sich den ganzen Weg möglichst weit ab, und erst im Haupteingang zum Yard war er auf einmal wieder da.

In diesem Augenblick machte Inspektor Sharp plötzlich halt und hatte für seine Begleitung endlich einige Worte. »Ich habe dann verschiedene Wege zu machen«, sagte er über die Schulter. »Wenn Sie nichts anderes von mir hören, erwarten Sie mich um neun Uhr auf der Station in West Brompton.«

»Sehr wohl, Sir«, meldete sich Sergeant Huggins stramm und lebhaft, Assistent Denby aber zeigte sich weniger eifrig.

»Um sechs beginnt mein dienstfreier Tag, Mr. Sharp, wenn Sie nichts dagegen haben«, näselte er, und das Gesicht des Inspektors wurde noch um eine Schattierung gelber.

»Bewahre«, sagte er gallig. »Ich hätte sogar nichts dagegen, wenn Ihre Tätigkeit aus lauter dienstfreien Tagen bestünde …«

»Ich eigentlich auch nicht«, bekannte Guy Denby offen, aber als er dann als letzter die Treppe hinaufstieg, war er sehr nachdenklich und hatte sich wieder einmal einige vertrauliche Worte zu sagen.

»… In West Brompton – das ist verdammt nahe bei dem Ort, von dem wir eben herkommen«, murmelte er. »Ich glaube, aus dem dienstfreien Abend wird da nichts werden, mein lieber Guy …«

Und kaum eine Viertelstunde später wußten auch noch andere Leute durch ihre Beziehungen von diesem Programm des verschlossenen Inspektors Sharp und vermuteten ebenfalls, daß es da für sie vielleicht Arbeit geben dürfte.

Der Skorpion

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