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ОглавлениеSo gegen sieben Uhr hatte William Ellis alle Vorkehrungen für sein wichtiges abendliches Unternehmen getroffen. Dem Briefe an den Zimmermann Paddy lag ein Zettel bei, auf dem »Heute elf Uhr nachts Narrow Street – Limehouse Canal« geschrieben stand, und um halb neun wartete in einem Klub in Soho ein Gentleman, der sowohl die Zustellung der Mitteilung in die Hafenkneipe, als auch die genaue Instruktion der Leute für das Weitere zuverlässig besorgen würde.
Ellis pflegte bei seinen abendlichen Ausfahrten, die sich oft bis in die Morgenstunden ausdehnten, einen unansehnlichen Zweisitzer selbst zu führen, und der Wagen stand bereits vor dem Portal, aber in der Halle wurde der Hausherr durch einen eiligen Diener aufgehalten.
»Mrs. Ellis läßt noch auf einen Augenblick bitten«, meldete der Mann, und der liebenswürdige Gatte schnitt eine Grimasse, die sein Vergnügen über diese Einladung restlos zum Ausdruck brachte. Dann wandte er sich mit einem Ruck gegen die Treppe zum Oberstock und glich ganz einem gereizten Gorilla, der zum Angriff übergeht.
In den Zimmern oben herrschte eine tropische Schwüle, geschwängert mit allerlei schweren Wohlgerüchen, und dazu paßte auch das Bild der Räume, in denen zwischen die modernste englische Inneneinrichtung mit Hilfe von farbenfreudigen Teppichen, Seidenstoffen und Kissen der kitschigste Orient eingebaut war.
Und gleich exotisch wie diese ihre Umgebung wirkte nun, da die sorgfältige Aufmachung für die Außenwelt fehlte, die Frau des Hauses selbst. Sie war nämlich unverkennbar ein Mischling, der von mütterlicher Seite sogar ziemlich viel von der dunklen Hautfarbe mitbekommen hatte.
Da ließ sich nichts verleugnen und nichts übertünchen. Dafür aber hatte Mrs. Elvira sich väterlicherseits einen äußerst klangvollen portugiesischen Namen von ansehnlicher Länge beigelegt, und der Name ihres ersten Gatten lautete noch klangvoller und länger. In etwas kürzerer und bescheidenerer Form trafen diese Namen auch zu, und sie waren eine Zeitlang an der afrikanischen Ostküste und im angrenzenden Hinterland sogar sehr bekannt gewesen, da ihre Träger den dortigen Polizeistationen manches zu schaffen gegeben hatten. Bei solch einer kriegerischen Gelegenheit war Mrs. Elvira auch tatsächlich durch eine tückische Kugel Witwe geworden, während sonst wohl der Strick sie eines Tages ihres tatenlustigen und tapferen ersten Gatten beraubt hätte. In der Blüte ihrer damaligen zweiundzwanzig Jahre hatte die dunkle Schöne diesen Schicksalsschlag aber nicht allzu schwer genommen; um so weniger, als bereits Mr. Ellis in ihrem Gesichtskreis aufgetaucht war und ihr Interesse erweckt hatte. Er war zwar auch schon zu jener Zeit weder äußerlich, noch in seinem Wesen irgendwie anziehend gewesen, aber darauf kam es der jungen Witwe nicht an. Sie hatte einzig den brennenden Wunsch, von den lumpigen kleinen Geschäften, bei denen man genau soviel riskierte wie bei den großen, zu lohnenderen Unternehmungen überzugehen und ehestens aus dem schmierigen schwarzen Erdteil herauszukommen. Und dazu schien ihr dieser Ellis der geeignete Mann.
Nun machte William Ellis sich zwar aus Frauen nichts, aber dieses Geschöpf, das von Vater und Mutter her eine ganz besondere Mischung zu sein schien, konnte er brauchen. Auch er hatte nach einer wechselvollen Abenteuerfahrt hochfliegende Pläne, bei denen ihm ein solches Wesen recht nützlich werden konnte, und da Mrs. Elvira es infolge ihrer strengen sittlichen Grundsätze nicht anders tat, verstand er sich sogar dazu, sie zur Mrs. Ellis zu machen. Schließlich nahm man ja drüben so etwas nicht so genau, und wenn ihm die dunkle Ehehälfte einmal unbequem wurde, würde er sie schon auf irgendeine Weise loskriegen.
Seither waren zwölf recht bewegte Jahre verflossen, aber die Hoffnungen, die die beiden an ihren Bund geknüpft hatten, waren nur zu einem unbefriedigenden Teil in Erfüllung gegangen. Mrs. Elvira war allerdings aus dem schwarzen Erdteil heraus und eigentlich auf dem Gipfel ihrer kühnsten einstigen Träume, aber sie hatte sich die weiße Welt nicht so gemein und langweilig vorgestellt. Nur der giftige Neid, mit dem die unverschämten hochnäsigen Frauenzimmer auf ihre feinen Steine schielten, bereitete ihr einige Genugtuung, und bloß die maßlose Wut, die sie gegen das angetraute Scheusal hegte, gab ihrem Dasein noch einen einigermaßen anregenden Inhalt.
Und gleich enttäuscht war William Ellis. Seine hochfliegenden Pläne hatte er zwar verwirklicht, und das dunkle Weib hatte ihm dabei tatsächlich in vielem geholfen, aber nun konnte er mit diesem Höllenbraten an der Seite seines Aufstieges nicht recht froh werden. Nicht nur, daß dieser besessene Niggerbalg das Geld mit vollen Händen hinauswarf, um sich am ganzen Leib mit sündhaft teurem, glitzerndem Tand zu behängen, war er auch sonst ein recht unbequemes Anhängsel geworden. Ellis war zwar gar nicht schamhaft, aber es paßte ihm doch nicht, mit diesem dunklen Fleck in seinen jetzigen Kreisen herumziehen zu müssen. Ihm selbst konnte man ja die Vergangenheit nicht ansehen, aber bei ihr wußte man sofort, wieviel es geschlagen hatte.
Dazu wäre es auch nie gekommen, wenn Ellis sich seinerzeit nicht in einem Punkte gewaltig verrechnet hätte: Mrs. Elvira war nämlich nicht so leicht loszuwerden, wie er sich’s gedacht hatte. Er hatte es schon einige Male und auf die verschiedenste Weise versucht, aber das Weib saß fest wie eine Zecke.
Heute war Mrs. Elvira bereits bedenklich über dreißig, hatte eine ziemliche Fülle angesetzt, und ihr Gesicht wirkte durch die schwammige Breite noch dunkler. Aber das tückische Licht in ihren Augen verriet, daß weder das nahende Alter, noch das Wohlleben die starken ursprünglichen Triebe in ihr geschwächt hatten.
Als Ellis in die Zimmerflucht gepoltert kam, lag die teure Gattin in einem schreiend bunten Kimono auf einem üppigen Ruhelager, und ihre Mienen kündeten nicht gerade sanfte Laune.
»Ehhh – wie denkst du dir denn das eigentlich?« empfing sie ihn mit ihrer tiefen kehligen Stimme und in einem Englisch, das diesmal gar nicht hochtrabend klang. »Muß ich immer erst einen Domestiken schicken, wenn ich mit dir zu sprechen habe? Seit einer Woche hast du dich nicht um mich gekümmert.«
»Du wirst dich daran gewöhnen müssen, daß es eines Tages noch etwas länger dauern wird«, knurrte Ellis mit grimmigem Hohn zurück, aber Mrs. Elvira zeigte sich von dieser Möglichkeit nicht allzu erschüttert.
»Pah«, sagte sie, »das werde ich aushalten. Du bist kein schöner Anblick. Laß mir genug Geld zurück – und meinetwegen kannst du dann zur Hölle fahren, wo du schon längst hin gehörst. Ich wollte dir bloß sagen, daß ich noch heute mindestens zweihundert Pfund haben muß …«
»Zweihundert Pfund …« würgte der empörte Gatte mit blaurotem Gesicht und stieren Augen hervor. »Schon wieder?« Er ließ seine schwere Faust auf ein zierliches Tischchen krachen, daß dieses in allen Fugen erzitterte. »Verdammt nochmal – glaubst du, ich werde mich von so einem schwarzen Balg bis auf den letzten Penny ausplündern lassen? – Das mußte die teuersten Brillanten auf seinem Fell haben, wo die nackte Mammie noch für ein Pfund Messing um den Hals Purzelbäume geschlagen hat …«
Er schnappte nach Luft, Mrs. Elvira aber bewahrte vorläufig noch geradezu bewundernswerte Ruhe.
»Son of a bitch«, zischte sie bloß und spuckte verächtlich aus. »Deine Mammie hat nicht einmal Messing um den Hals gehabt, sondern einen ganz gewöhnlichen Strick. – Gib mir die zweihundert Pfund, und dann scher dich rasch wieder davon.«
Der Mann machte einen krummen Buckel und duckte den Schädel. »Und wie lange glaubst du, daß das so weitergehen wird? Woher soll ich das viele Geld, das du hinauswirfst, nehmen? – He???«
Die Portugiesin zuckte gleichmütig mit den üppigen Schultern, ließ aber den gereizten Gatten nicht den Bruchteil einer Sekunde aus den Augen. »Aus dem Geschäft«, erwiderte sie. »Aus unserem Geschäft. Denn wenn ich dir nicht zu dem Handel mit den Pflanzen verholfen hätte, wärst du nie zu dieser feinen Sache gekommen. Du hast bloß ein ganz gewöhnliches Gaunergehirn …«
Die so offenherzige Mrs. Elvira straffte sich unauffällig, um mit einem Satz auf die Füße zu kommen, denn sie wollte bei dieser Gelegenheit noch etwas anbringen, was weit gefährlicher war als die bisherigen Liebenswürdigkeiten.
»Du kannst nur stehlen und betrügen«, fuhr sie fort und lag bei jedem Wort auf der Lauer. »Genau so wie dieser schiefäugige Schuft Karenowitsch. – Zu mehr reicht es bei euch beiden nicht. – Ich weiß genau, in welcher Patsche ihr sitzt, mein Lieber. Und ich wünsche, daß ihr an der Sache mit dem Manne auf dem Schiff ersticken …«
Die wachsame Mrs. Elvira schnellte trotz ihrer Fülle blitzschnell auf, und die zuschlagende derbe Faust traf ins Leere.
»Waaas – also doch?« keuchte Ellis mit verzerrtem Gesicht und geifernden Lippen. »Du unterstehst dich wirklich, uns nachzuspionieren? – Das werde ich dir austreiben …«
Er stürzte in tierischer Wut auf die Frau los, aber diese hatte bereits flink einen Tisch zwischen sich und den fürchterlichen Gatten gebracht, und ihr kräftiger, brauner Arm schwang unternehmend einen schweren Bronzeleuchter.
»Bei meiner Schutzpatronin – ich schlag dich nieder!« fauchte sie. »Und wenn ich der Polizei erzählen werde, was für ein viehischer Schurke du warst, wird mir gar nichts geschehen. Ich werde sagen, daß du mich umbringen wolltest. – Und dann werde ich auch von der Pflanzengeschichte reden und die Prämie verlangen!«
Die dunkle Dame durfte es wagen, ihren freundlichen Absichten so deutlich Ausdruck zu geben, denn William Ellis war vorläufig nicht mehr gefährlich. Er dachte nicht daran, sich den Schädel einschlagen zu lassen, denn er wußte, daß er diese Drohung ebenso ernst zu nehmen hatte wie alles andere, was seiner angenehmen Gefährtin eben über die vollen Lippen gekommen war. Und dieses andere machte ihn nochweit zahmer und vorsichtiger als der Bronzeleuchter; besonders die Bemerkung wegen der Prämie. Wenn diese habgierige schwarze Seele Geld roch, war sie zu allem fähig. Und nun hatte sie ihn und Karenowitsch sogar auch noch mit der übelsten Geschichte in der Hand. Der Teufel mochte wissen, wie sie dahintergekommen war.
Es waren sehr böse Gedanken, die in Mr. Ellis wieder einmal wach wurden, aber vorläufig durfte er das Weib nicht allzusehr reizen.
»Du bist der niederträchtigste Bastard, den je eine Niggervettel in die Welt gesetzt hat«, sagte er daher bloß. »Aber Karenowitsch hat sofort den Verdacht gehabt, daß der alberne Brief von dir wäre.«
»Welcher Brief?« fragte Elvira, wartete jedoch die Antwort nicht ab, sondern setzte liebenswürdig hinzu: »Einem solchen Schwein wie Karenowitsch schreibe ich keine Briefe. Dem spucke ich höchstens ins Gesicht. Und das wird bei der nächsten Gelegenheit geschehen.« Aber ihre Neugierde war doch stärker als ihr Grimm. »Was soll ich ihm geschrieben haben?«
Ellis traute dieser Ahnungslosigkeit nicht. »Mach mir nichts vor«, knurrte er. »Es war so ein Wisch wie damals in Kapstadt. Aber wenn du nicht eine so einfältige Wilde wärst, hättest du dir denken können, daß wir darauf nicht hereinfallen werden.«
Das war auch für sie eine überraschende Neuigkeit, und es war gut, daß sie davon wußte. Kam ihr wirklich gerade jetzt, da sie sich einen so feinen Plan ausgedacht hatte, jemand anderer mit den Sternen in die Quere? Und wer? – Die alte Geschichte konnte es auf keinen Fall sein – und sonst wußten hier bloß Ellis, Karenowitsch und sie davon. – Was steckte da dahinter?
Endlich hob sie den Blick wieder, und ihr breites Gesicht war ein einziges verächtliches Hohnlächeln.
»Du bist, bei Gott, noch weit dümmer, als du aussiehst«, sagte sie. »Sonst hätte dir sofort ein Licht aufgehen müssen, daß dein sauberer Freund, der rote Bandit, dich mit dem Brief irgendwie hereinlegen will. Mir dürfte er mit so einem faulen Schwindel nicht kommen.«
Auf Ellis machte diese so entschiedene Erklärung seiner Ehehälfte keinen Eindruck. »Erzähl mir nichts«, krächzte er hämisch. »Nachdem du deine Schliche verraten hast, weiß ich ganz genau, was ich von der Sache zu halten habe. – Und ich weiß auch, warum du auf einmal auf Karenowitsch Gift und Galle speist, wo du doch früher immerfort nur ›liebster Iwan‹ gegurrt und dir dabei fast die Augäpfel herausgedreht hast …«
Einen Augenblick schien es, als ob Mrs. Elvira den Leuchter wieder etwas handlicher fassen wollte, aber dann begnügte sie sich mit einer Grimasse und wies mit dem kräftigen Zeigefinger gebieterisch nach der Tür. »Blöder Pavian – pack dich. – Aber erst die zweihundert Pfund. Und das nächste Mal werde ich nicht so viele Worte machen, wenn ich etwas brauche. Merk dir das. – Dem andern Schurken aber kannst du sagen, daß er sich in acht nehmen soll. Wenn er lange mit diesen Sternen herumflunkert, könnte es geschehen, daß eine Hand aus dem Grabe greift und ihm an den schmierigen Hals fährt …«
Wie schon so oft, mußte William Ellis sich auch diesmal geschlagen geben und konnte sich nur auf den Tag der endgültigen Abrechnung vertrösten, für den es nun höchste Zeit wurde. Er hieb einige Geldscheine auf den Tisch und polterte, wutgeladen, wie er gekommen war, wieder davon …