Читать книгу Der Skorpion - Louis Weinert-Wilton - Страница 13
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ОглавлениеKaum fünf Minuten, nachdem Ellis den Gang zu Karenowitsch angetreten hatte, war in seinem Hause wieder einmal Inspektor Sharp vom Scotland Yard mit seinem kleinen Stabe, dem Assistenten Guy Denby und dem Sergeanten Huggins, erschienen.
Der Pförtner, der die Besucher bereits kannte, öffnete mit großer Beflissenheit die Gartentür.
»Mr. Ellis ist eben ausgegangen«, meldete er, »und Mrs. Ellis noch nicht aus der Stadt zurück. Sie dürfte aber nun jeden Augenblick kommen, da Mrs. Reed bei uns lunchen wird.«
»Mrs. Reed auch? – Gut, das erspart mir einen Weg. Wir werden also warten«, sagte der Inspektor mit seiner hohlen Stimme, die aus dem langen, dürren Halse wie aus einem Sprachrohr kam.
Der Türhüter schickte sich an, die Führung zum Hause zu übernehmen, aber Sharp lehnte ab.
»Danke. Wir bleiben im Garten«, erklärte er kurz, indem er auch schon den nächsten Kiesweg einschlug, und der mit Disziplin getränkte Sergeant Huggins folgte ihm in der durch den Respekt gebotenen Entfernung. Und wieder in einem entsprechend bemessenen Abstande schlenderte Assistent Guy Denby hinter den beiden drein. Keineswegs jedoch aus Respekt, für den er nicht viel übrig hatte, sondern weil er dies sich selbst schuldig zu sein glaubte. Mit dem dürren, quittengelben, unrasierten Inspektor Sharp ließ sich kein Staat machen, und Sergeant Huggins war zwar ein ganz stattlicher Mann, konnte aber bestenfalls für einen wohlsituierten Gemüsehändler gehalten werden, der zu irgendeinem feierlichen Anlasse unterwegs war.
Assistent Guy Denby hingegen hätte sich in der tadellosen Aufmachung, in der er augenblicklich in Kensington umherschlenderte, um gemeine Diebe zu fangen, auch auf dem Mittagskorso im Hydepark ohne weiteres sehen lassen können. Nur die Blume im Knopfloch des gediegenen Überrocks fehlte noch, aber daran war einzig und allein der verschrobene Geschmack seines unmittelbaren Vorgesetzten schuld. Inspektor Sharp hatte nämlich zwar weder an spiegelnden Harmonikahosen, noch an ausgefransten Hemdkragen und fettigen Krawatten, ja nicht einmal an einer penetrant riechenden Stummelpfeife etwas auszusetzen, Blumen im Knopfloch jedoch waren ihm schrecklich zuwider. Und er hatte in seiner galligen Art so lange herumgenörgelt, bis Assistent Denby als der Klügere und um des lieben Friedens willen auf diese letzte Krönung seiner Eleganz verzichtete. Aber nur darauf, obwohl es an ihm noch einige andere Dinge gab, über die der giftige Inspektor unausgesetzt seine bissigen Bemerkungen zu machen hatte, Sharp liebte ihn offenbar nicht, das beruhte jedoch auf Gegenseitigkeit. Und es berührte Denby auch nicht sonderlich, denn seit einiger Zeit lag ihm etwas viel Wichtigeres am Herzen als das Wohlwollen seines Vorgesetzten. Die Sache hatte gerade hier in diesem Hause ihren Anfang genommen, in das ihn vielleicht seine gute Fee geführt hatte. Vorläufig trug die Bekanntschaft mit dem netten Mr. William Ellis allerdings bloß hie und da ein paar Pfund ein, weil der gute Mann von Poker und Bakkarat nicht die blasseste Ahnung hatte, aber vielleicht schaute dabei eines Tages ein wirklich großer Schlag heraus. Und solch eine Chance brauchte Guy Denby, denn die kleinlichen Sorgen, mit denen er sich derzeit herumbalgen mußte, waren seiner angeborenen Großzügigkeit höchst zuwider. Nur hatte es mit dem besondern Glücksfall, von dem er träumte, noch einen kleinen Haken: Erstens hatte er für gewisse Vermutungen bisher bloß einen geradezu lächerlichen Anhaltspunkt, und zweitens bestand die Gefahr, daß sein mißgünstiger Vorgesetzter ihm einen Strich durch die Rechnung machte. Denn man mochte über diesen Neid- und Geizhammel mit den Harmonikahosen denken wie man wollte – daß er eine verdammt feine Spürnase hatte, konnte man ihm nicht absprechen. Und wenn man sich dann vielleicht schon zu tief in die Geschichte eingelassen hatte, konnte dabei nicht nur die große Chance, sondern auch die Aussicht auf den Polizeipräsidenten zum Teufel gehen.
Deshalb hatte Guy Denby auch dem heutigen Besuche in Kensington mit einiger Besorgnis entgegengesehen. Inspektor Sharp, der sich nie in seine Karten blicken ließ, schwieg sich über den Zweck völlig aus und hatte seinen Begleitern bloß angedeutet, daß er sie vielleicht brauchen werde. Nun ging es ja wahrscheinlich auch diesmal wieder nur um den gestohlenen Schmuck, aber man konnte nicht wissen, was alles dabei zufällig noch herauskam. Besonders da der Inspektor ganz so aussah, als ob er etwas im Schilde führte. Da galt es, Augen und Ohren gehörig offen zu halten …
Denby verwandte auch keinen Blick von seinem Vorgesetzten, aber Sharp beschränkte sich darauf, in der Nähe des Portals auf und ab zu marschieren. Er hatte die Hände auf dem Rücken gefaltet, und seine dürren Finger führten ein unruhiges Spiel auf. Und ebenso unruhig flatterten seine Gedanken. Er hatte nämlich wirklich etwas Besonderes vor, und davon, wie dieser gewagte Versuch ausfiel, hing für ihn unendlich viel ab. Er hatte schlimme Wochen hinter sich, denn er kam in den verwünschten Juwelendiebstählen nicht um einen Schritt weiter, und der neue Chefkonstabler ließ ihn diesen Mißerfolg doppelt bitter empfinden. Seit Tagen hatte Oberst Merewether überhaupt kein Wort mehr für ihn, sondern bloß ein beißendes Lächeln, das den verzweifelten Sharp immer wieder an die schreckliche Bemerkung von der »vorzeitigen Pensionierung« erinnerte, mit der ihn der Chefkonstabler kürzlich verabschiedet hatte.
Diese Bemerkung ließ den Inspektor das Äußerste aufbieten, und er wälzte das Problem, an dem seine Laufbahn scheitern sollte, Tag und Nacht im Kopfe herum. Und nachdem er alle Umstände der einzelnen Fälle hunderte Male geprüft und miteinander verglichen hatte, war ihm in der verflossenen Nacht plötzlich ein Gedanke gekommen, der möglicherweise die Lösung, hinter der er her war, bergen konnte. Aber dann mußte er die Geschichte anders anpacken und sich zunächst noch einmal mit Mrs. Ellis und Mrs. Reed ein bißchen unterhalten. Deshalb war er heute hier, und darum verriet er eine solche Erregung. Ein neuer Fehlschlag oder gar ein Skandal konnte ihm endgültig den Hals brechen. Aber vielleicht kam ihm endlich auch das zu Hilfe, worauf er seit ungefähr einem Monat von Tag zu Tag wartete. Wenn der seltsame Brief mit den eingestochenen Sternen für ihn wirklich Bedeutung haben sollte, mußte er nun diesem Zeichen ehestens irgendwo begegnen …
Es fehlten noch einige Minuten auf halb drei, als der Wagen mit Mrs. Ellis und Mrs. Reed eintraf, und die beiden Damen waren kaum im Hause verschwunden, als Inspektor Sharp feierlich seinen fadenscheinigen Überzieher zuknöpfte, soweit er sich zuknöpfen ließ, und ebenso feierlich die verblaßte und bereits etwas brüchige Melone zurechtrückte.
»Ich gehe allein. Warten Sie beim Portal, damit Sie gleich bei der Hand sind, falls ich Sie brauche«, sagte er zu dem Sergeanten Huggins und schlürfte auch schon eilig der Freitreppe zu.
Huggins war über diese Anordnung arg enttäuscht, denn er liebte es, bei derartigen dienstlichen Besuchen, besonders solchen in vornehmen Häusern, mit dabei zu sein, und seine Kränkung über die unerwartete Entscheidung des Inspektors war so tief, daß er sich darüber aussprechen mußte. Er setzte sich daher in Marsch, um den Assistenten einzuholen, der als einzigen Zweck seines Hierseins eine beschauliche Promenade durch den Park zu betrachten schien.
»Wir sollen beim Eingang warten, Mr. Denby«, störte ihn der Sergeant auf. »Mr. Sharp ist allein zu den Damen gegangen.«
Der Ton verriet ganz deutlich, wie Huggins über diese Zurücksetzung dachte, aber der Assistent nickte höchst befriedigt.
»Fein«, sagte er in seiner vornehm näselnden Oxforder Sprechweise. »Ich unterhalte mich ja ganz gern mit Damen, aber nicht über solche langweiligen Dinge. Und außerdem sind Mrs. Ellis und Mrs. Reed auch nicht mehr die Jüngsten.«
Mit dieser Antwort war dem Sergeanten nicht gedient. Er rieb sich eine Weile das kräftige Kinn und schüttelte schließlich den Kopf. »Weshalb hat er uns dann überhaupt mit herausgeschleift? Ich dachte, daß es sich um etwas besonders Wichtiges handelte, denn Mr. Sharp ist sehr aufgeregt. – Haben Sie das nicht auch bemerkt?«
»Nein«, erklärte Denby völlig interesselos. »Ich habe nur bemerkt, daß Mr. Sharp den obersten Knopf an seinem Überrock noch immer nicht angenäht hat. – Das stört mich nun schon seit dem vorigen Herbst …«
Der Sergeant erfuhr wieder einmal, daß mit dem Assistenten über ernste Dinge nicht zu reden war, aber das konnte ihn nicht abhalten, seiner argen Verstimmung Luft zu machen. Denby gegenüber durfte man sich das schon erlauben.
»Es wäre höchste Zeit, daß wir mit diesen Schmuckdiebstählen endlich fertig würden«, fuhr er mit einem bekümmerten Seufzer fort. »Die Luft im Yard wird immer dicker und ungemütlicher. Vor Oberst Merewether kann man sich geradezu fürchten, obwohl er fortwährend mit lächelndem Gesicht herumläuft. Aber man hat das Gefühl, daß dahinter nichts Gutes steckt, und daß es eines Tages eine schreckliche Explosion geben wird. Hoffentlich fliege ich dabei in eine kleine Station an der Peripherie, was ich mir schon längst wünsche. Dort tut man seine Pflicht und hat nicht die ewigen Aufregungen wie im Yard. Und dann kann man dort auch ein bißchen Mensch sein. Man hat sein bescheidenes Häuschen mit einem kleinen Garten …«
Das war ein Stichwort, das den Assistenten aus seiner Teilnahmslosigkeit jäh aufrüttelte. »Mit einem kleinen Garten – großartig«, fiel er begeistert ein. »Da könnte man sich die Blumen fürs Knopfloch in eigener Regie ziehen und eine ganze Menge Geld ersparen. Das würde auch mir so eine kleine Station ganz sympathisch machen. – Aber erzählen Sie das nicht Mr. Sharp, lieber Huggins. Sie wissen, daß er es auf Blumen abgesehen hat, und er ist aus lauter Bosheit imstande, Sie lieber zum Inspektor im Yard vorzuschlagen, damit Sie nur ja nicht zu dem netten Blumengarten kommen …«
Diese offenherzige Bemerkung ermutigte den Sergeanten, bei allem Respekt noch etwas vertraulicher zu werden. »Ich glaube, Mr. Sharp wird im Yard kaum mehr lange mitzureden haben«, flüsterte er. »Der Chefkonstabler verfügt schon jetzt über seinen Kopf hinweg. Sie haben doch von der Geschichte gehört, die es gestern nacht in Soho gegeben hat?«
Assistent Denby hatte davon gehört und sich sogar auch manches darüber gedacht, brauchte aber nun eine Weile, bevor er sich daran erinnerte. »Von einer Geschichte in Soho?? – Meinen Sie etwa die ganz gewöhnliche Wirtshausrauferei?«
»Ja – die ganz gewöhnliche Wirtshausrauferei«, wiederholte Huggins mit vielsagendem Nachdruck. »Das ist es ja eben. – Weil es sich um eine so bedeutungslose Sache handelte, hatte Mr. Sharp auf eine Anfrage des Inspektors von Soho angeordnet, daß Roger Meraine und der andere, der ihn so schrecklich verprügelt hat, nach der Einvernahme freizulassen seien. Aber kaum fünf Minuten später ist Oberst Merewether plötzlich im Yard erschienen und hat persönlich den telefonischen Befehl nach Soho gegeben, die beiden bis zur Verhandlung vor dem Polizeirichter in Haft zu behalten. – Nun gehört ja dieser abgefeimte Halunke Hodge allerdings schon längst hinter Schloß und Riegel, aber wegen einer einfachen Rauferei …« Der Sergeant schüttelte verständnislos und bedenklich den Kopf. »Da muß noch was anderes dahinter stecken. – Wie gesagt, mir kommt es ganz so vor, als ob sich im geheimen besondere Dinge vorbereiteten. Und unsereiner, der doch dazu gehört, hat nicht die leiseste Ahnung davon …«
Der diensteifrige Sergeant empfand dies offenbar sehr bitter, Assistent Denby aber war auf die Dinge, die sich zusammenbrauen sollten, nicht allzu begierig.
»Nun, eines Tages wird die Bescherung schon kommen«, meinte er leichthin. »Sie müssen nur ein bißchen Geduld haben. Vielleicht gibt unser netter neuer Chefkonstabler demnächst einen Ukas heraus, daß keiner seiner Beamten ein Kleidungsstück länger als drei Jahre Tag für Tag tragen darf und jeden abgesprungenen Knopf binnen vierundzwanzig Stunden anzunähen hat. Da müßte ich aber lachen …«
Huggins gab den Versuch, bei dem so oberflächlichen jungen Manne Verständnis zu finden und dabei aus ihm vielleicht etwas herausziehen zu können, als völlig aussichtslos auf. »Nun muß ich aber schauen, daß ich wieder auf meinen Posten komme«, sagte er mit einem besorgten Blick nach der Freitreppe. »Wenn Sharp so aufgeregt ist, hat man sofort seine Nase weg.«
»Ja, tun Sie das, lieber Huggins«, riet ihm der Assistent dringend. »Sie haben für so was ein zu weiches Gemüt. Ich bummle noch ein bißchen herum, denn mir kommt es auf einen Anschnauzer mehr oder weniger nicht an. Bis ich Polizeipräsident sein werde, lade ich diese Rüffel alle wieder ab …«
Guy Denby dehnte seinen ziellosen Spaziergang so weit aus, bis er von einem durch dichtes Buschwerk verdeckten Seitenwege die rückwärtige Front der Villa überblicken konnte. Dann blieb er stehen, holte eine gediegene goldene Dose hervor, und während er diese öffnete und darin nach einer Zigarette fingerte, hefteten sich seine Augen verträumt auf ein kleines Gewächshaus, daß unweit der Gartenmauer stand. Anscheinend war der blumenliebende junge Gentleman in die Betrachtung der bunten Blüten versunken, die in verschwommenen Farben durch die dunstbeschlagenen Scheiben schimmerten. Er war davon sogar derart gebannt, daß eine lange Minute verging, bevor er an die Zigarette dachte, die er schon längst zwischen den Fingern hielt. Endlich aber schob er sie doch zwischen die Lippen, und nachdem er sie in Brand gesetzt hatte, führte er eines jener kurzen Selbstgespräche, mit denen er seinen Gedanken gerne Luft machte.
»Mein lieber Huggins«, murmelte er vor sich hin, »Sie wollen mir mit Ihrer Einfalt und Ihrem Blumengärtchen an der Peripherie ebensowenig gefallen, wie der unausstehliche Mr. Sharp mit seiner Aufregung und unser verehrter Oberst Merewether mit seinem heimtückischen Lächeln. Aber solange es nicht um diese meine Gegend hier geht, die hoffentlich eine Goldader ist, berührt mich euer Getue nicht …«