Читать книгу Liebe kennt deine Grenzen - Ludwig Schwankl - Страница 19
DIE HEILENDE TRANSFORMATION EINLEITEN
ОглавлениеIch möchte hier klarstellen: Will eine Form von traumabasierter unsicherer Bindung transformiert werden und wird der Anspruch gestellt, dass sich die Beziehung von innen heraus wirklich heilt, müssen beide Partner*innen im selben Maße Verantwortung dafür übernehmen. Ansonsten bleibt die einseitige Heilarbeit eines Parts im Sinne der Beziehung ein Aufopferungsmuster, aus dem heraus die Beziehung entstanden ist. So funktioniert das nicht.
Noch weniger funktioniert die gern bediente Therapeutenrolle, in dessen Kontext ein Part versucht, sein Gegenüber zu heilen und zu retten. Auch diese Rolle birgt trotz allem Anschein bedingungslos liebender Aufopferung immer auch den Versuch der Selbsterhöhung in sich. Die co-abhängige Therapeutenrolle ist ein Muster, mit dem wir Verbundenheit zu erzeugen versuchen, in der Regel aber nur noch mehr Spaltung ernten. Wir laden die Lasten unseres Gegenübers auf uns, nehmen ihm die Eigenverantwortung ab und fühlen uns dadurch unentbehrlich. Sosehr sich gewisse Anteile unseres Gegeübers dieses Gerettetwerden von uns auch wünschen mögen, beginnen andere, sich davon vereinnahmt oder in ihren Grenzen verletzt zu fühlen. So provozieren wir also – und wir können es noch so gut meinen – erneut Ablehnung und verwehren uns das, was wir eigentlich wollen: eine Beziehung auf Augenhöhe.
Würden wir die Energie nutzen, die wir investieren, um unsere Partner*innen zu analysieren, zu bewerten, zu therapieren oder gar zu retten, um stattdessen für uns selbst da zu sein und auf tieferer Ebene zu heilen, würden wir dieses hartnäckige Muster der Co-Abhängigkeit schrittweise durchbrechen. Dadurch erhöht sich die Wahrscheinlichkeit enorm, dass sich die Beziehung von den toxischen Elementen befreien und auf eine neue Ebene von gesunder Verbundenheit gelangen kann. Fakt ist: Du kannst deinen Partner oder deine Partnerin nicht verändern. Du kannst die Beziehung als Ganzes nicht verändern und erst recht kannst du nicht erzwingen, dass sie endlich funktioniert. Das Einzige, was du tun kannst, ist, bei dir selbst anzusetzen und in dir selbst neue Stadien von Heilung und Integrität zu erreichen. Auf dem Fundament dieses stabileren Selbst wirst du dann entweder deinen Partner oder deine Partnerin anstecken, auf diesem Weg »mitzuziehen«, oder du wirst aus dir heraus die Kapazitäten entwickeln, die Beziehung in Frieden zu verlassen, weil du genau spürst, dass du den alten Strukturen der ungesunden Beziehung entwachsen bist und nun etwas anderes willst. Ich möchte es hier noch mal betonen: In einer Beziehung stecken zu bleiben, in der du dich selbst manipulierst, dabei zu heilen und dich zu deinem besten Selbst zu entwickeln, ist keine Liebe, sondern ein Muster der Co-Abhängigkeit.
Wie sieht das also in der Praxis aus? Bei all den schönen Vorstellungen darüber, wie zwei Partner*innen in Beziehungen miteinander wachsen, heilen und sich zu ihrem besten Selbst entwickeln, muss uns trotzdem klar sein: Es braucht immer zwei dazu und meist ein bereits vorhandenes Stadium an emotionaler Reife und Bewusstheit, das die Voraussetzungen schafft, um diesen Weg der Selbstheilung wirklich konsequent und nachhaltig gehen zu können. Es ist ein Riesenunterschied, ob ein Mensch sich von dir dazu überreden lässt, jetzt endlich mal mit einer Therapie anzufangen, oder ob er wirklich aus sich heraus konsequent und nachhaltig notwendige Schritte der Heilung zu unternehmen bereit ist und dafür einen »inneren Drive« verspürt, der nicht sofort verpufft, wenn eure Beziehung gerade wieder einigermaßen gekittet und damit erträglich ist.
Viele Menschen haben noch nicht – und das dürfen wir respektieren – die Ressourcen für den Weg, den es brauchen würde, um ihren alten Mustern zu entwachsen und wirklich erfüllte Beziehungen zu kreieren. Und in solchen Fällen ist eine Trennung unausweichlich, weil es ohne die notwendigen Ressourcen nicht möglich ist, die »Spiegel« auf sicherem Boden zu heilen, ohne einander ständig zu verletzen oder sich sogar noch mehr zu destabilisieren.
Ich habe viele Menschen gesehen, die sich selbst einreden, sie müssten in einer ungesunden Beziehung bleiben, um hier zu lernen und zu wachsen. Diesen Menschen sage ich oft: »Du kannst nicht erwarten, nachhaltig zu heilen, wenn du jeden Tag aufs Neue wieder ins Säurebad steigst.« Mit dem Säurebad ist hier die Dynamik ungesunder Beziehungen gemeint, die uns immer wieder destabilisiert und unser System aufs Neue retraumatisieren kann. Eine mitfühlende Haltung uns selbst gegenüber ist hier essenziell: Wir sollten uns nicht – das wäre das alte Muster der Aufopferung – einer Beziehung ausliefern, die uns heilungstechnisch maßlos überfordert. Ein »Ich schaff das schon« kann hier zu einem Akt der Selbstsabotage werden, vor allem dann, wenn du es mit Partner*innen zu tun hast, die nur wenig oder vielleicht gar nicht mitziehen. In solchen Fällen ist eine Trennung stets ein Akt der Selbstliebe, auf den wir stolz sein können und der es uns ermöglicht, auf sicherem Boden neue Schritte der Selbstheilung zu gehen.
Manchmal müssen wir diese Ressourcen erst auf einem sicheren Boden des Alleinseins in uns selbst entwickeln und uns darin stabilisieren, bevor wir dann – auf einem stabileren Fundament in uns selbst – in einer anderen Beziehung weiter üben und heilen können. Je mehr der toxischen Traumaelemente, die sich in unseren Beziehungen zeigen, in uns selbst geheilt sind, desto mehr beginnen unsere Beziehungen in höheren Bewusstseinsqualitäten zu resonieren. Wir betreten die Ebene von »Spirit-Beziehungen«.