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1. Paulus, der Jude

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Paulus ist als Jude geboren, hat jüdisch gelebt und gearbeitet bis zu seinem Tod. Am Beginn seiner Arbeit für das befreiende Evangelium steht seine Berufung durch Gott. Diese Berufung war Paulus so wichtig, dass er in seinen Briefen vielfach auf sie Bezug nimmt, auch in 1 Kor (1,1; 15,8–10; 9,1.16–27 u. ö.). Durch die Berufung hat er den göttlichen Auftrag bekommen, besonders unter den unterdrückten Völkern des römischen Reiches, den ethne (s. zu 1,22–24), die Botschaft bekannt zu machen, dass der Gott Israels Jesus von den Toten erweckt hat. Jesus war ein jüdischer Mensch, der von Rom weniger als zwanzig Jahre zuvor hingerichtet wurde (s. zu 1,17.18; 2,6–8). Dass Gott diesen Hingerichteten erweckt hat, bedeutet, so verkündet es Paulus, dass die Welt nicht mehr der Herrschaft lebensfeindlicher Gewalten ausgesetzt ist. Gott hat den Todesstrukturen eine Grenze gesetzt. Gott hat damit das Volk Israel und die Völker (ethne) aus der Sklaverei befreit (15,20–22). Diese Sklaverei beschreibt Paulus als Herrschaft des Todes (3,22; 15,22.26.56), als Herrschaft der Sünde (15,56) und der Welt (kosmos 3,22). Diese Mächte zwingen die Menschen, als Mittäter und Mittäterinnen an ihrer Ungerechtigkeit teilzuhaben und sie in ihrem Leben zu praktizieren, d. h. die Tora nicht zu halten (6,9–11; 5,10–11). Politische Analyse und mythische Vorstellungen von weltbeherrschenden dämonischen Mächten fließen hier ineinander.

Sowohl mit der Vorstellung von Berufung als auch mit der von der Herrschaft der Sünde bewegt sich Paulus innerhalb der Traditionen des Judentums. Die Verzweiflung über die Weltmacht Sünde, die jeden und jede versklavt, ist z. B. Thema im 4. Esrabuch (zu Sünde s. Basisinformation bei 9,20). Für die Tradition, in der seine Berufung steht, verweist Paulus auf die prophetischen Bücher (s. zu 1,1). Erst unter dem Einfluss der Abgrenzung des Christentums vom Judentum ab dem zweiten Jahrhundert wurde diese Berufung als Beginn eines vom jüdischen Gesetz befreiten christlichen Lebens verstanden, also als „Bekehrung“. Dieser Begriff ist jedoch dem gegenüber, was Paulus selbst sagt, unangemessen. Paulus ist durch seine Berufung nicht Christ geworden, sondern ein göttlicher Bote, der die befreiende Botschaft von der Erweckung Jesu verbreitet.

Paulus hat Befreiung vom Tun der Ungerechtigkeit unter der Herrschaft der Sünde verkündet, nicht Befreiung von der Tora und der Erfüllung ihrer Weisungen. Es geht also um Befreiung zur Tora, nicht von der Tora (s. zu 7,19.20).

Der erste Brief des Paulus nach Korinth ist insgesamt als Auslegung der Tora primär für Menschen aus den Völkern zu verstehen, die sich dem Gott Israels und seinem Messias zu eigen gegeben haben. Sie verstehen sich selbst nicht als jüdisch. Von jüdischer Seite werden sie als Menschen aus den Völkern (ethne) gesehen und in das breite Spektrum nichtjüdischer Menschen, die jüdisch leben, eingeordnet. In der römisch-hellenistischen Gesellschaft hingegen und vonseiten römischer Behörden wurden sie wohl meist wie Juden und Jüdinnen behandelt. Der Brief gehört in die Geschichte jüdischer Schriftauslegung für die Gegenwart (Halacha; s. z. B. zu 10,1–13; 5,1–11) im ersten Jahrhundert.

Es wurde oft gefragt, ob Paulus mit seiner Vorstellung von der Bedeutung des Messias Jesus nicht bereits den Rahmen des Judentums gesprengt habe. Obwohl dies verbreitet angenommen wird, bleibt Paulus auch in seiner „Christologie“ im Rahmen jüdischer Vorstellungen seiner Zeit. Entscheidend ist für ihn das Sch’ma Israel / Höre Israel, Israels Gott ist einzig (s. 8,5–6). Für ihn verkörpert Gottes Messias mit seinem Leib und mit seinem ganzen Leben göttliches Handeln in der Welt des Volkes Israel und der Völker. Es gibt in seinen Schriften keine Ansätze, den Messias in irgendeiner Weise zu vergöttlichen (s. zu 8,5–6). „Messias“ ist als ein verkörpertes Handeln Gottes vorgestellt, weniger als eine einzelne Person, die von anderen Menschen abgegrenzt wird (s. zu 10,4). Die Annahme, dass das Wort „Messias“ in der ins Griechische übersetzten Form Christos / Gesalbter bei Paulus schon auf dem Wege sei, ein Eigenname zu werden, entspricht nicht seinem Umgang mit dem Wort. Für ihn ist es kein Name; wenn Paulus Christus / Messias sagt, spricht er von Gottes Gegenwart, die die Menschen aus der Sklaverei der Todesstrukturen befreit.

Der erste Brief an die Gemeinde in Korinth

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