Читать книгу Der erste Brief an die Gemeinde in Korinth - Luise Schottroff - Страница 23
1,10–18
Оглавление10 Ich ermutige euch, Geschwister, vertraut auf den Namen Jesu, unseres Messias und Befreiers, und sprecht mit einer Stimme. Lasst keine Risse zwischen euch entstehen, haltet fest zusammen in gemeinsamem Geist und gemeinsamer Überzeugung. 11 Die Sklavinnen und Sklaven der Chloë haben mir von euch berichtet, meine Geschwister, dass es bei euch Streit gibt. 12 Damit meine ich, dass alle ihre Unterschiede betonen: Ich gehöre zur Paulusgruppe, ich zur Apollosgruppe, ich zur Kephasgruppe, ich zur Messiasgruppe. 13 Ist Christus teilbar? Ist etwa Paulus euretwegen gekreuzigt worden, oder wurdet ihr in den Namen des Paulus eingetaucht? 14 Ich bin Gott dankbar, dass ich außer Krispus und Gaius niemanden von euch getauft habe. 15 So kann niemand behaupten, in meinen Namen eingetaucht zu sein. 16 Ich habe zwar auch alle Menschen im Haushalt des Stephanas getauft. Sonst aber niemand, soweit ich weiß. 17 Der Messias hat mich nicht beauftragt zu taufen, sondern die frohe Botschaft zu verbreiten, und das nicht in beredter Menschenweisheit, damit das Kreuz Christi nicht seine Kraft verliert. 18 Denn von der Kreuzigung zu erzählen gilt denen als unklug, die zugrunde gehen. Uns aber rettet es, weil es Gottes Kraft Wirklichkeit werden lässt.
1,10 1,10 Es gibt Streit in der Gemeinde in Korinth. Paulus spricht von Rissen oder Meinungsverschiedenheiten (1,10) und von Streitigkeiten (1,11). In 11,18 kommt er auf die Risse zurück und es wird (11,22) deutlich, dass sie durch demütigendes Verhalten Wohlhabender gegenüber Armen beim Abendmahl entstehen. Für den Streit, auf den Paulus sich in 1,10–17 bezieht, sind die Konturen weniger deutlich.
Die breite Diskussion über die „Gegner“ des Paulus in Korinth hat sich als irreführend erwiesen. Sie arbeitete mit der Vorstellung von einer Gruppe, die eine andere theologische Lehrmeinung vertritt als Paulus. In dem Brief selbst werden jedoch eine solche theologische Gegenposition und eine durchgängige Differenz mit Paulus nicht erkennbar, wohl aber Auseinandersetzungen wegen Einzelfragen der Lebenspraxis, in denen es innerhalb der Gemeinde oder auch zwischen Paulus und der Gemeindeversammlung (5,1–13) Meinungsunterschiede gibt. Die Auslegungsgeschichte des 1. Korinthers ist geprägt von der hermeneutischen Annahme, dieser Brief bekämpfe „Gegner“ in Korinth. Man hat Polemik, Verurteilungen, Schärfe, Ironie in ihm gefunden. Diese Annahme beruht auf einem Vor-Urteil. In der folgenden Auslegung wird der Text ohne diese Vorannahme ausgelegt. Nur selten werde ich dabei explizit die gegnerorientierte Auslegung widerlegen – um den Text von der Gegnerschaft gegen die Gegner des Paulus zu entlasten. Die Annahme von „Gegnern“ beruht auf der aus der späteren Kirchengeschichte stammenden Frontstellung der Rechtgläubigkeit gegen Häresie. So erschien 1 Kor als erstes Dokument der Verteidigung des rechten Glaubens der Kirche gegen Abweichler und Paulus als der Vater der kirchlichen Rechtgläubigkeit.
Paulus hält die Risse in der Gemeinde für heilbar, weil alle den Namen Jesu anrufen und sich dem Messias und Befreier anvertraut haben. Deshalb sollte es möglich sein, mit einer Stimme zu sprechen und gemeinsam zu erreichen, dass die Einstellung und die Ziele (nous) einerseits und die Meinungen und Überzeugungen (gnome) andererseits wieder übereinstimmen.
1,11 1,11 Paulus sagt, woher er von den Streitigkeiten weiß: „von denen der Chloë“.39 Die Leute der Chloë können Sklavinnen und Sklaven sein (vgl. die Genitivkonstruktion in Röm 16,10.11), aber es ist auch denkbar, dass Chloë die Gastgeberin einer Gruppe von Frauen ist (vgl. Apg 9,39; 1 Tim 5,16). Deutlich ist nur die inhaltliche Position, die diese Gruppe vertritt: Sie steht dem Streit kritisch gegenüber und weiß Paulus auf ihrer Seite.
1,12 1,12 Es gibt Leute, die sich voneinander abgrenzen. Paulus übertreibt, wenn er sagt, „jeder“ sei daran beteiligt, denn mindestens die Chloëgruppe macht dabei nicht mit. Manche ordnen sich Paulus zu, manche Apollos und manche Kephas / Petrus. Andere protestieren gegen diese Abgrenzungen, indem sie sich Christus zuordnen. Die Zugehörigkeit zum Messias ist schließlich die Grundlage der ganzen Gemeinde. Die Christusleute sind vermutlich eine Gruppe, die diese Profilierungen ablehnt. In 3,3–4 wird erkennbar, dass Paulus die Selbstdefinitionen, durch die sich einige mithilfe eines Predigernamens von anderen abgrenzen, für Arroganz hält, die sich an die Strukturen dieser Welt anpasst.40 Sie sollte in der Gemeinde überwunden werden. Er stellt in 3,1–17 sein Verhältnis zu Apollos als Alternative dazu dar: Gott hat sie beide jeweils für ihre Arbeit beauftragt. Es gibt keinen Rangunterschied zwischen ihnen. In 4,6 sagt er, er habe sein Verhältnis zu Apollos als Beispiel genommen, von dem in der Gemeinde gelernt werden kann. Hier in 4,6 zeigt sich auch, dass er die Orientierung an der Tora als Grundlage für die Überwindung der Arroganz ansieht („sich nicht über die Schrift hinwegsetzen“). Man kann dafür auf Jer 9,22f. (vgl. 1 Kor 1,31) verweisen: Die Alternative zur Orientierung an Weisheit, Stärke oder Wohlstand unter Menschen ist die Orientierung, die aus dem Loben Gottes kommt. Viel lässt sich also über die Streitigkeiten in Korinth nicht sagen. Wir haben nur die Sicht des Paulus auf sie, wie sie sich vor allem aus 1,12; 3,3–4; 4,6 erkennen lässt. Er hält diese Profilierungen für zerstörerisches Konkurrenzverhalten (4,6). Niemand ist vor Gott wichtiger als andere Geschwister. Paulus vertritt die Gleichrangigkeit aller Glieder des Leibes Christi. Spekulationen, welche Inhalte die Menschen mit einer Zuordnung zu bestimmten Predigern verbunden haben (also: Worum geht es der Apollosgruppe? etc.), sind müßig. Paulus sagt darüber nichts. Er kritisiert die Profilierungen als solche. Es geht ihm nicht darum, einzelne Leute oder Gruppen in der Gemeinde zu verurteilen, sondern darum, Konkurrenzstrukturen sichtbar zu machen und zu kritisieren – als zerstörerisch und als Produkt einer Welt, die von Gewalt gezeichnet ist.41
Wie stark Konkurrenz und Profilierung auf Kosten anderer der gesellschaftlichen Ordnung der römisch-hellenistischen Welt zugrunde liegen, macht Cicero in seinem Lob des Verhaltens von Jungen deutlich: „Wie groß ist der Eifer bei ihren Wettkämpfen! Wie wichtig sind die Wettkämpfe selbst! Wie jauchzen sie vor Freude, wenn sie gewonnen haben! Wie schämen sich die Unterlegenen! Wie ungern lassen sie sich beschuldigen! Wie stark ist ihr Wunsch, gelobt zu werden! Welche Mühen nehmen sie nicht auf sich, um an der Spitze ihrer Altersgenossen zu stehen! Wie gut ist ihr Gedächtnis für Leute, die es gut mit ihnen meinten, und wie groß ihr Verlangen, sich dankbar zu erweisen!“42 Dieses Verhalten wird den Jungen anerzogen und von erwachsenen Männern nach Möglichkeit praktiziert. Frauen ordnen sich solchen Strukturen zu, auch wenn sie sie meist nicht aktiv übernehmen.43
1,13 1,13 Hier wird absichtlich die Absurdität der Konsequenzen, die solche Konkurrenzstrukturen und Profilierungen hätten, von Paulus auf die Spitze getrieben.