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3. Paulus unter seinen Geschwistern

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Paulus versteht sich als ein Ausleger der Tora in Gemeinschaft. Auch die Menschen aus den Völkern haben schnell große Kompetenz erworben, die Tora zu kennen und für ihr Leben in der Gemeinschaft des Leibes Christi auszulegen. Paulus hatte Anteil an diesen Auslegungsgemeinschaften. Er bekommt keine Sonderrechte (s. 5,3–5), wenn die Versammlung auf der Grundlage der Tora Entscheidungen fällt.

Paulus war nicht der einzige von Gott gesandte Bote des befreienden Evangeliums. Seine Briefe sind meist mit anderen Menschen gemeinsam geschrieben (s. 1,1) und enthalten vieles von der Sprache der Gemeinden, ihren Gebeten und Diskussionen. Paulus „hatte“ nicht „Mitarbeiter“, die er dirigierte, sondern arbeitete mit anderen Geschwistern gemeinsam für das Evangelium (16,1–24). Im Leib Christi sollte es keine Beziehungen von oben nach unten geben. In der Auslegungsgeschichte ist Paulus vielfach als Gestalt, die Macht über andere hat, die Lehrdifferenzen mit Autorität entscheidet und die Gemeinde „ermahnt“ (s. 1,10), verstanden worden. Diese Paulusdeutung hat sein Bild nachhaltig geprägt – gerade auch durch entsprechende Wortwahl in Bibelübersetzungen. So wurde er zur Identifikationsfigur für Leitungsleute, die Herrschaft in der Kirche beanspruchten. Zugleich aber verbreitete dieser Paulus auch Furcht und Abwehr bei denen, die unter Hierarchien litten und an gerechten Beziehungen in der Kirche arbeiteten.

Frauen in den Gemeinden waren für Paulus gleichwertige Arbeiterinnen für das Evangelium. Aber wenn es um Frauen und ihre Sexualität und Beziehungen zum anderen Geschlecht geht, wird seine Ambivalenz ihnen gegenüber sichtbar. Er will zwar nicht, dass messianische Männer zu Prostituierten gehen. Die Prostituierten selbst bleiben dabei für ihn aber nahezu unsichtbar. Und es bleibt unsichtbar, dass ein relevanter Teil der Gemeinden aus Frauen besteht, die ihren Lebensunterhalt ganz oder teilweise durch Prostitution verdienen mussten. Für die Paulusrezeption im 21. Jahrhundert sollte eine Wiederentdeckung des Bruders Paulus begleitet sein von der offenen Aussprache über seine Ambivalenz in bestimmten Fragen. Paulus verbreitete auch Vorstellungen, die in der Geschichte der Kirche und der von ihr beeinflussten Gesellschaften Frauen und Männer unterdrückt und gequält haben. Das gilt besonders für Menschen, die gleichgeschlechtlich leben (6,9), und für Frauen in patriarchalen Ehen (7,10.36). Die unterdrückerische Seite des Paulus ist durch die Auslegungstradition noch zusätzlich verstärkt worden. Die Kritik an Paulus sollte in den Gemeinden des 21. Jahrhunderts, auch in Gottesdiensten, besprochen werden.

Der erste Brief an die Gemeinde in Korinth

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