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1,1–2

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Dieser Brief ist der älteste Paulusbrief, der im Neuen Testament überliefert ist.15 In seiner Briefeinleitung (1,1–3) charakterisiert Paulus die Absender nur kurz, ausführlicher die Adressatin: die messianische Versammlung in Korinth.

1,1 1,1 Paulus sagt über sich selbst, er sei vom Messias Jesus nach Gottes Willen zum Apostel gerufen worden. Über seine Berufung spricht er in 1 Kor 9,1; 15,8–10; Gal 1,1.13–17. Die Apostelgeschichte malt das Geschehen legendär als Christusvision erzählerisch aus (Apg 9,1–22 vgl. 26,12–18; 22,6–16). In der Auslegungstradition ist die Berufung oft als „Bekehrung“ im Sinne einer Abkehr von Judentum gedeutet worden.16 Paulus selbst versteht seine Berufung als Gottes Ruf, das Evangelium zu den Völkern zu bringen, d. h. zum neuen Exodus im Namen des von Gott erweckten Messias Jesus. Damit wendet er sich von seiner Arbeit gegen die messianischen Gemeinden ab, nicht aber vom Judentum. Er arbeitet nun für eine jüdisch-messianische Bewegung, zu der auch Menschen aus den Völkern hinzukommen. Diese Arbeit geschieht im Auftrag Gottes, als dessen Gesandter / Apostel er handelt. Die Vorstellung, Paulus habe sein Apostelamt im Sinne der späteren kirchlichen Ämter verstanden, ist unangemessen. Paulus selbst stellt sich in die Kontinuität der Prophetie Israels, s. Gal 1,15; Jes 49,1.

Bereits in der ersten Zeile seines Briefes erwähnt Paulus den Messias / Christus Jesus. christos ist die griechische Übersetzung des hebräischen Wortes maschiach / Gesalbter und Messias die gräzisierte Form des hebräischen Wortes.

Paulus verwendet das Wort mit und ohne zusätzliche Nennung des Eigennamens „Jesus“ (s. z. B. 1,6). Das Wort christos ist für ihn kein Eigenname, sondern verweist auf die Salbung und damit auf eine von Gott gewirkte Beauftragung. Der Gesalbte verkörpert Gottes Handeln für die Befreiung des Volkes. Das Wort christos ist kein Hoheits- oder Würdetitel, der Personen eine übermenschliche oder göttliche Qualität verleiht, die sie von allen anderen Menschen unterscheidet. Das Wort christos bei Paulus sollte mit „Gesalbter“ oder mit „Messias“ übersetzt werden und nicht durchweg mit „Christus“, da das Wort „Christus“ im gegenwärtigen Christentum häufig als exklusiver Würdetitel und Eigenname dieses einen Messias Jesus verstanden wird.

Das Wort nimmt jüdische Tradition auf.17 Es spielt für Paulus eine zentrale Rolle, wie schon das neunmalige Vorkommen in den neun ersten Versen des Briefes zeigt. „Die Salbung Jesu ist ein wichtiger Schlüssel, um ihn in seiner Würde als Messias / Christus als Teil einer ihn unterstützenden Gemeinschaft zu begreifen.“18 Paulus kann auch von der Gemeinde sagen, Gott salbe sie (2 Kor 1,21). Dass Gott den Messias zum König einsetzt, setzt Paulus klar voraus. Es gibt für ihn eine gegenwärtige und in die Zukunft reichende Königsmacht des Auferstandenen (s. besonders 15,20–28; s. zu 15,24). Zentrale Bedeutung kommt der Messianität Jesu für Paulus und für die Gemeinde in Korinth zu, weil es die Macht des Messias ist, die alle anderen Gewalten und Mächte in der Welt überwindet (s. zu 8,5).

Paulus erwähnt Sosthenes als Mitverfasser. Er versteht sich durchweg in seinen Briefen als „Autor im Plural“.19 Auch wenn er in 1,4 wie oft in 1 Kor im Singular als Absender spricht, so hat er doch nicht den Anspruch, der Chef von „Mitarbeitern“ zu sein oder als einzelner Autor verstanden zu werden. Er versteht sich vielmehr als Teil einer geschwisterlichen Gemeinschaft. Sosthenes nennt er Bruder und redet so auch die Gemeinde als Geschwister an (z. B. 1,10). Diese geschwisterliche Beziehung ist durch „gegenseitige Verantwortlichkeit und Solidarität“ charakterisiert.20. Sie setzt die biblische und nachbiblische Tradition fort, nach der die Glieder des Volkes Israel sich wegen ihrer Bindung an den einen Gott Israels als Schwestern und Brüder verstehen.21 Die Menschen nichtjüdischer Herkunft verbindet diese Geschwisterbeziehung nicht nur miteinander, sondern auch mit dem Volk Israel. Sie eröffnet ihnen eine Alternative zur patriarchalen Familie. Die Beziehungen in der patriarchalen Familie sind in der Regel asymmetrisch, die in der Gemeinde nicht. Ob die Autorität der Apostel, Apostelinnen, Lehrer und Prophetinnen eine asymmetrische Beziehung herstellt, wird zu fragen sein (s. zu 3,11).

1,2 1,2 Die Gemeinde in Korinth wird von Paulus vierfach charakterisiert. Er nennt sie „Versammlung / ekklesia Gottes“. Das Wort hat noch seinen profanen Sinn: Versammlung an einem konkreten Ort – wie in Korinth so auch an anderen Orten (16,1.19). Diese Ortsversammlungen haben untereinander z.T. rege Kontakte. Doch denkt Paulus noch nicht an eine „Kirche“ im übergreifenden Sinne. Für ihn ist jede einzelne Versammlung von Messiasgläubigen Volk Gottes an diesem Ort.22 Sie beerbt Israel nicht, sondern kommt in Solidarität hinzu. Das Wort ekklesia knüpft neben seiner profanen Bedeutung an die alttestamentliche Geschichte Gottes mit dem Volk Israel an.23 Kahal Adonaj wird in der Septuaginta auch mit ekklesia Gottes wiedergegeben und bezeichnet z. B. die Vollversammlung Israels am Sinai (Dtn 4,10) oder die gottesdienstliche Gemeinde (Ps 35,18). Das Wort synagoge kann im selben Sinne gebraucht werden. Ein Neben- oder Gegeneinander von Ekklesia als christlicher Kirche und „der“ Synagoge als Judentum gibt es zu dieser Zeit noch nicht. In der Stadt Korinth gab es Raum für große Versammlungen zu unterschiedlichen politischen Zwecken (s. z. B. Apg 18,12–17). Solche Versammlungen standen den Menschen vor Augen, wenn sie das Wort ekklesia hörten. Deshalb hat das Wort eine deutliche politische Doppelsinnigkeit: Die Versammlung Gottes ist eine Alternative zur städtischen Volksversammlung, in der die jeweils politisch Herrschenden ihre Interessen darstellen und durchsetzen. So ist die Gemeinde als „alternative Gesellschaft […] in der Geschichte Israels verwurzelt und steht im Gegensatz zur pax Romana.“24

Dass die an den Messias Glaubenden Gerufene und Heilige genannt werden, stellt erneut ihre Beziehung zum Gott Israels in den Mittelpunkt. Gott hat sie gerufen wie er den Apostel gerufen hat (1,1). Diese Berufung (z. B. 7,17) oder auch Erwählung (1,28) hat ihr Leben grundlegend verändert. Sie leben nun dem göttlichen Auftrag entsprechend nach der Tora (7,17 s. dort). Die Bezeichnung „Heilige“ knüpft an die Heiligkeit des Volkes Israel an (Lev 19–20). Die Heiligkeit der Gemeinde wird im 1 Kor nachdrücklich herausgestellt. Die Gemeinde ist Ort der Gegenwart Gottes (3,16) und sie ist Leib Christi (12,12.27).

Die ausführliche theologische Würdigung der Gemeinde in der Adresse des Briefes schließt Paulus ab, indem er diese Gemeinde in die weitere Gemeinschaft aller, die den Namen unseres kyrios Jesus Christus rufen, einbezieht.

Die Wendung ist durchaus wörtlich zu nehmen: Die Glaubenden rufen öffentlich: „Jesus ist unser Befreier“ / kyrios Jesus (s. 12,3). Der Name, der gerufen wird, ist der Name „Jesus“. Jesus ist ein alltäglicher Name für jüdische Männer (Joschua, Jeschua). Im frühen Christentum erhält dieser alltägliche Name als Eigenname dieses Messias, der von Rom gekreuzigt und von Gott erweckt wurde, theologische Bedeutung.25 Jesus erhält diesen Namen von Gott, damit in diesem Namen sich die Knie der „himmlischen, irdischen und unterirdischen“ Mächte beugen sollen (Phil 2,10). Mit diesen Mächten sind Kräfte bezeichnet, die die Erde und die Menschenwelt knechten (s. 3,22; 15,24; weitere Erklärung s. zu 15,24). Der Name Jesus verkörpert die von Gott bewirkte Befreiung, denn Jesu Schicksal war bestimmt von der Erniedrigung. Gott setzte seinem Tod und seiner Erniedrigung ein Ende. Er wurde von Gott erhöht. Eine weitere Theologie des Namens Jesus findet sich in Mt 1,21.23. Wenn die Menschen den Namen Jesu anrufen, stellen sie sich in die Gemeinschaft mit dem von Gott aus der Gewalt und dem Tod befreiten jüdischen Mann. So wird er für sie zum kyrios / Herrn, zum Befreier.

Das Wort kyrios ist ebenfalls ein Wort aus dem gesellschaftlichen Alltag zur Zeit des römischen Reiches. Es bezeichnet gängige Herrschafts- und Hierarchieverhältnisse: über Sklavinnen und Sklaven, Abhängige (vom pater familias) innerhalb der Familie, des oikos / Haushalts, und politische Herrschaftsverhältnisse. Der Kaiser in Rom ist kyrios / dominus der Völker im Imperium Romanum. Wenn in diesem Kontext Menschen Jesus für sich zum alleinigen (s. 8,6) kyrios erklären, werden zum mindesten alle anderen Herrschaftsverhältnisse, in denen jede Frau und jeder Mann leben, relativiert und in Frage gestellt. So verändert der Gebrauch dieses Wortes die Beziehungen, in denen die Einzelnen leben. In den christlichen Handschriften der LXX und in neutestamentlichen Schriftzitaten wird das Wort kyrios als Platzhalterwort für den Gottesnamen verwendet.26 Deshalb ist diskutiert worden, ob die kyrios-Bezeichnung Jesus auf eine Stufe mit dem Gott Israels stellt. Diese Schlussfolgerung blendet den Alltagsbezug des Wortes aus. Sie ist zudem auf dem Hintergrund des jüdischen Monotheismus problematisch. Eher ist anzunehmen, dass das Wort kyrios durch seinen Alltagsbezug für Herrschaftsbeziehungen für Jesus gebraucht werden kann, ohne dass eine Gleichbenennung mit dem Ersatzwort für das Tetragramm empfunden wird. Es erhält seinen Sinn durch den Gegensatz zu den alltäglichen Herrschaftsverhältnissen.

1,3 1,3 Gnade und Friede – beide Wörter haben bei Paulus einen vollen theologischen Klang, wobei er mit diesem Gruß auch an Briefsitten und den jüdischen Friedensgruß anknüpft.27 Die Zuwendung Gottes (Gnade / charis) wird bei den Beschenkten in ihrem Handeln wirksam.28 Der Friede, der von Gott kommt, steht in Kontrast zur Friedenspropaganda für den römischen Frieden, der pax romana. Der Friede der pax romana wird durch militärische und nichtmilitärische (Rechtswesen, Verwaltung) Gewaltausübung bei den unterworfenen Völkern erreicht. Kaiser Augustus (27 v. Chr. – 14 n. Chr.) spricht in seinem Testament davon, dass unter seiner Herrschaft „im ganzen Herrschaftsbereich des römischen Volkes, zu Wasser und zu Lande ein durch Siege gefestigter Friede“29 sein Ziel war, das er immer wieder auch erreichte. Der Friede Gottes hat nach der biblischen Tradition eine ganz andere Qualität: Er bedeutet umfassendes Wohlergehen in Gemeinschaft und Glück für Menschen, für ganze Städte, für ein Volk, den schalom; dieser Friede orientiert sich also am guten Leben der Menschen, nicht an den Interessen politischer Herrschaft. Durch den Messias Jesus hat Gott sich den Menschen zugewendet und den Frieden auch für die Leute in Korinth zugänglich gemacht.

Der erste Brief an die Gemeinde in Korinth

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