Читать книгу Mission SOL 2020 Paket (1 bis 12) - Madeleine Puljic - Страница 47
Оглавление16.
14. November 1552 NGZ
SOL, Kepraunsystem
Perry Rhodan kaute auf seiner Unterlippe und tippte mit den Fingernägeln auf den Tisch. Es war selten, dass er innere Unruhe so schlecht unter Kontrolle bekam. Woran lag das? Die Flucht war gelungen, die SOL hatte neue Anhaltspunkte zum weiteren Vorgehen. Er hatte erreicht, was er musste. Warum also fühlte sich das alles so falsch an?
Tess Qumisha betrachtete ihn skeptisch, Eroin Blitzer mit ausdrucksloser Miene. Zu dritt warteten sie im Besprechungsraum hinter der Zentrale auf SENECAS Analyse. Die Hyperinpotronik widmete sich gerade ausführlich den von Rhodan gestohlenen Daten und seinem hastigen Bericht über die Erlebnisse auf Kessaila.
»Das war interessant«, meldete sich SENECAS sonore Stimme schließlich.
Rhodan hörte auf zu tippen. »Was genau?«, fragte er unwirsch.
SENECAS halb charmante, halb enervierende Angewohnheit, mit Wissen zu protzen und sich darum bitten zu lassen, kannte er seit über anderthalb Jahrtausenden. Sie war eine der vielen Facetten, die dazu beitrugen, dass die SOL eine Legende war und nicht bloß nur irgendein Raumschiff. Es gab jedoch Momente, da wünschte sich Rhodan schlicht eine nüchtern analysierende Positronik.
»Zunächst der gestohlene Datenträger«, antwortete SENECA. »Die Dateien über das Diulusystem und die SOL enthalten nichts wesentlich Neues für uns. Anders die weiteren Datensätze, die Semmaru in jüngerer Zeit aufgerufen hat. Dazu gehören sämtliche Testszenarien, die Perry bisher durchlaufen hat, und ungefähr dreitausend weitere Prüfungskonstellationen. In den restlichen Informationen befindet sich ein verschlüsseltes und als streng geheim klassifiziertes Dossier über ein Forschungsprojekt des Ritterordens.«
»Was für ein Projekt?«, fragte Blitzer. »Die Waffe, die BARILS Ritter für die Chaotarchen entwickeln?«
»Der Inhalt des Projekts ist nicht bekannt.« SENECAS Stimme bekam einen schmollenden Ton. »Ich habe doch erwähnt, dass die Datei verschlüsselt ist, und zwar mit den Mitteln einer Superintelligenz. Seid froh, dass ich das herausbekommen habe, was ich habe.«
»Und was ist das?«, hakte Qumisha ungeduldig nach.
»Die galaktische Position des Projekts.« Schmollen wandelte sich in Selbstgefälligkeit. »Wir können selbst nachschauen, woran die Ritter dort arbeiten.«
»Wir brechen sofort auf«, verkündete Blitzer.
»Tun wir nicht!«, widersprach Rhodan scharf. »Ich will erst noch die weiteren Ergebnisse hören.«
Der Zwergandroide wandte den Kopf in einer langsamen und mechanischen Bewegung, bis er Rhodan direkt anstarrte. »Ihr habt einen klar umrissenen Auftrag.«
»Ein klar umrissenes Ziel«, korrigierte Rhodan. »Den Weg dorthin legen wir selbst fest.«
»Ich dachte, du wolltest die Aufgabe schnellstmöglich hinter dich bringen, damit ihr wieder die Souveränität über euer Schiff zurückerhaltet.«
Rhodan seufzte. »Nenn es Instinkt. So etwas bildet man mit dreitausend Jahren aus.« Stumm fragte er sich, wie alt Blitzer wohl sein mochte. Beziehungsweise die Blitzer-Vorlage auf dem Raumschiff LEUCHTKRAFT, deren Kopie die SOL nach Yahouna begleitet hatte.
Die Frage war allerdings müßig und im Moment unwichtig. »Also, SENECA, was hat die Auswertung der Rittertests ergeben?«, kam er zu seinem eigentlichen Thema zurück.
»Zunächst mal konnte ich die galaktischen Positionen aller Planeten feststellen, auf denen du entweder simuliert oder real in die Geschehnisse eingegriffen hast.«
»Wir wissen also, wo die S'Hud und Kraad gekämpft haben?«, vergewisserte sich Rhodan.
»Selbstverständlich«, beschied ihm SENECA.
»Du willst hinfliegen«, vermutete Qumisha, »und der führungslosen Welt helfen, wieder auf die Beine zu kommen?«
»Normalerweise ja«, sagte Rhodan. »Aber noch nicht. Erst will ich wissen, wozu diese absurden Tests gedient haben. Was wollten BARILS Ritter wirklich von mir? Dreitausend Prüfungen, die vielleicht noch vor mir gelegen hätten! Kein Gericht der Welt betreibt so einen Aufwand, um einen Beschuldigten zu entlasten.«
»Die Berechnungen zwecks Beantwortung dieser Frage laufen noch«, sagte SENECA. »Bislang lässt sich allerdings kein kohärentes Ergebnis prognostizieren.«
Das war ein Eingeständnis der Unvollkommenheit, wie man es von SENECA üblicherweise nicht kannte. Entsprechend hellhörig wurde Rhodan. »Und woran liegt das?«
»Widersprüchliche Informationen«, gab SENECA zurück. »Das beginnt mit BARILS Botschaft, die vorgeblich als moralische Richtschnur und Leitlinie des Ritterordens gilt. Ich habe ihren vollständigen Inhalt in einer anregenden Unterhaltung mit einem von A-Kuatonds Robotern ermittelt, bevor diese ihre tragische Fehlfunktion erlitten. Ihr Inhalt deckt sich nicht mit den uns bekannten Verhältnissen in Yahouna.«
Dass religiöse Schriften und wissenschaftlich gesicherte Fakten nicht immer in Einklang miteinander standen, war nichts, was Rhodan bis ins Mark erschütterte. »Ein Beispiel?«, bat er.
»BARILS Botschaft zufolge strebt BARIL nach Neutralität im Kampf zwischen Kosmokraten und Chaotarchen«, gab SENECA bereitwillig Auskunft. »Wir wissen allerdings von unserem Berater an Bord ...« Rhodan bedachte Blitzer bei diesem Euphemismus mit einem freudlosen Lächeln. »... dass BARIL sich durchaus und langfristig aufseiten der Kosmokraten engagiert hat, angeblich aber vor zweihundert Jahren zu den Chaotarchen übergelaufen ist. Das passt nicht zusammen.«
Dem konnte niemand in der Runde widersprechen.
»Damit steht unsere gesamte Wissensbasis infrage«, fuhr SENECA fort. »Denn es kann weitere, uns noch unbekannte Widersprüche geben.«
»Lässt sich aus der Testkonstellation denn nicht errechnen, welchem Zweck sie dient?«, fragte Rhodan.
»Nicht ohne Kenntnis ihres Interpretationskontextes«, sagte SENECA. »Ich bedaure.«
»Das alles ist irrelevant!«, warf Blitzer ein. »Unser nächstes Ziel steht fest. Wir sollten keine Zeit verlieren.«
»Ruhe!«, schnappte Rhodan. »Ich denke nach. SENECA, die Tests, die noch ausstanden – gibt es darunter weitere Schlachten?« Und damit Todesfälle, die ich hätte verhindern können?
»Schlachten, Naturkatastrophen, jede Menge davon«, bestätigte SENECA. »Wenn diese Aufgaben tatsächlich der Wirklichkeit entsprechen, ist Yahouna eine sehr unruhige Galaxis. Allerdings halte ich es für zweifelhaft, dass die Szenarien realweltliche Konsequenzen haben.«
»Was?« Rhodans Kopf ruckte hoch. »Aber Semmaru hat ...«
»Semmaru ist als unzuverlässige Quelle einzustufen«, belehrte ihn SENECA. »Du hast selbst gesagt, dass er zunächst nur von Simulationen gesprochen hat und dich erst zwei Tage später informierte, dass dies nur teilweise stimmt.«
Darüber hatte Rhodan auch schon nachgegrübelt. Semmarus Erklärung, die Rhodans Flucht veranlasst hatte, war plausibel: Um wahrhaftig zu agieren, musste Rhodan die Prüfungen für real halten. Allerdings vor Beginn der Tests, nicht danach!
»Semmaru ist als unzuverlässige Quelle einzustufen ...«, sinnierte Rhodan. »Aber warum sollte er mich belügen?«
»Unbekannt«, antwortete SENECA. »Das ganze Prozedere in BARILS Adyton folgt unbekannten Regeln. Es ist völlig unklar, was in deine Bewertung einfließt und welche Maßstäbe dabei gelten.«
»Wir drehen uns im Kreis.« Rhodan massierte seine Nasenwurzel. »Meine Flucht jedenfalls werden sie ziemlich sicher negativ ...« Er riss die Augen auf. Semmaru ist als unzuverlässige Quelle einzustufen. »Verdammt!«
»Was?«, fragte Qumisha.
»Fast alles, was ich im Adyton erfahren habe, kommt von Semmaru – und dem kann man nicht trauen, sagt SENECA. Ich habe mich über verschiedene Dinge gewundert, während ich dort war. Und Semmaru ist das Bindeglied!«
Er begann aufzuzählen. »Der Permittausch. Auch wenn ich mir größte Mühe gegeben habe und denkbar ist, dass Semmaru den Tausch an sich tatsächlich nicht mitbekommen hat ... Aber dass er zwei Tage lang nicht bemerkt, dass seine Befugnisse plötzlich eingeschränkt sind? Was, wenn er einfach dazu geschwiegen hat? Damit ich die Chance zur Flucht habe?«
»Diese Theorie überzeugt nicht«, stellte Blitzer fest. »Warum sollte er das tun?«
»Ich weiß es nicht. Aus irgendeinem Grund wollte er mich loswerden.«
»Vielleicht wollte er dir auch bloß helfen?«, spekulierte Qumisha. »Immerhin hat er für dich gestimmt.«
»Das behauptet er«, sagte Rhodan. »Einen Beweis habe ich dafür nicht.«
»Aber auch nicht für das Gegenteil.« Die Kommandantin der SOL schüttelte den Kopf. »Das klingt ziemlich ... weit hergeholt.«
Paranoid war das Wort, das sie vermieden hatte. Rhodan wusste, was sie meinte, aber eine bessere Erklärung hatte er auch nicht. Semmarus Verhalten war undurchsichtig und inkonsequent. Mit Rhodans These gab es wenigstens irgendwie Sinn.
»Gehen wir trotzdem einmal davon aus, dass meine Theorie stimmt«, schlug er vor. »Semmaru wollte mir die Gelegenheit geben, aus dem Adyton zu verschwinden. Aber ich habe ihm den Gefallen nicht getan, jedenfalls nicht sofort, weil ich noch weitere Informationen sammeln wollte. Stattdessen bin ich in seine Arbeitsräume eingebrochen, und auch das hat er ignoriert, wenn nicht sogar vertuscht.«
Je länger er darüber nachdachte, desto plausibler erschien ihm diese Erklärung. »Die Wachen haben mich dann zwar doch aufgegriffen. Aber die müssen ja nicht notwendigerweise eingeweiht gewesen sein.«
Rhodan stutzte. »Haben die eigentlich mich gejagt oder die Attentäter? Die ganze Zeit habe ich mich gewundert, wie diese drei Vogelwesen es mit ihrer lächerlichen Ausrüstung überhaupt in die Zitadelle geschafft haben. Sie waren auf dem Weg zu meinem Quartier. Wäre ich dort geblieben, hätten sie vermutlich Erfolg gehabt und mich einfach im Schlaf getötet.« Selbst im Nachhinein ihm verursachte dieser Gedanke ein unangenehmes Ziehen in der Magengegend. »Sie wussten sehr genau, wo sie mich finden konnten. Jemand muss ihnen geholfen haben.«
»Richtig, jemand«, sagte Qumisha. »Das kann ebenso gut einer von den anderen Rittern gewesen sein. Ich persönlich würde auf A-Kuatond tippen. Immerhin wissen wir von ihr mit Gewissheit, dass sie gegen dich gestimmt hat.«
»Normalerweise würde ich dir recht geben«, lenkte Rhodan ein. »Aber Semmaru ist derjenige, der die Kussu verhört hat. Wenn dabei zutage gekommen wäre, dass ein Ritter ihnen Zugang zum Adyton verschafft hat, hätte er das zweifellos gemeldet. Und ich bezweifle, dass mir dieser Eklat entgangen wäre.«
Nachdenklich rieb Qumisha ihre Fingerspitzen aneinander. »Also denkst du, dass er selbst dir die Attentäter auf den Hals gehetzt hat. Aber er wusste, dass du sein Permit gestohlen hast. Da müsste er doch damit gerechnet haben, dass du nicht mehr in deinem Quartier bist.«
»Vielleicht konnte er den Auftrag nicht mehr rückgängig machen«, überlegte Rhodan. »Oder es war ihm egal, ob sie bei der Suche nach mir erwischt werden. So oder so wäre er mich losgeworden.« Er stieß ein trockenes Lachen aus. »Dass ich den Kussu auf dem Flur über den Weg laufe und die Wachen uns allesamt paralysieren, war ein ziemlich unwahrscheinlicher Zufall. Damit hat der Mistkerl offensichtlich nicht gerechnet.«
»Also kam der nächste Test ...«, spann Qumisha den Faden weiter.
»... und Semmaru erzählt mir, dass ich zwölftausend Leben auf dem Gewissen habe«, übernahm Rhodan wütend. »Und die Ritter haben zu dem Zeitpunkt genug psychologische Daten über mich gesammelt, um zu wissen, wie ich darauf reagiere. Dass ich bei weiteren Tests nichts mitmachen werde. Er hat sich absichtlich überwältigen lassen!« Rhodan legte die Fingerspitze an die Schläfen und stöhnte leise. »Der Diplomat, so nennen sie ihn. Der Intrigant würde besser passen. Und ich bin ihm auf den Leim gegangen wie ein Anfänger!«
»Semmaru hätte dich auf einfachere Weise beseitigen können«, stellte Blitzer klar. »Er hätte bloß in der Verhandlung für deine Hinrichtung stimmen müssen.«
»Hat er ja vielleicht«, sagte Rhodan. »Ich habe nur sein Wort, dass er mich unterstützt hat. Oder er hat seine Meinung später geändert, warum auch immer.«
»Interessante Thesen«, räumte der Androide anerkennend ein. »Dennoch irrelevant für unsere eigentliche Aufgabe. Die SOL muss jetzt ...«
»Immer noch: Ruhe!«, sagte Rhodan bestimmend. »Wir machen Folgendes: Tess fliegt mit der SOL ins System der Kraad und S'Hud und schaut, ob und wie sie dort helfen kann.«
»Euer Auftrag ...«, setzte Blitzer an.
Rhodan ignorierte ihn. »Der Anflug mit der SOL auf die geheimen Zielkoordinaten ist sowieso zu gefährlich. Wenn der Diebstahl bemerkt wurde, erwarten sie uns dort. Das ist eine Aufgabe für ein kleines und unauffälliges Raumfahrzeug. Ein gut getarntes.« Er lächelte, nicht weniger grimmig als zuvor, doch nun wieder unternehmungslustig und zuversichtlich.
»Du willst Roi Danton schicken«, begriff Qumisha.
»Exakt«, bejahte Rhodan. »Eine Spionagemission für die CALAMAR unter seinem Kommando, mit der Kosmokratentarnung, die Curcaryen Varantir auf der Korvette eingebaut hat. Wir schicken ihm die Koordinaten verschlüsselt zu.«
»Und du?«, fragte Qumisha.
»Ich fliege mit einem Einsatzteam zurück nach Kessaila«, verkündete Rhodan. »Wenn Semmaru wirklich der kaltblütige Intrigant ist, für den ich ihn halte, wird er seine Spuren verwischen wollen. Die Kussu könnten ihn belasten, und sie sitzen immer noch in Haft. Also wird er sie zum Schweigen bringen, bevor die anderen Ritter sie befragen. Und wenn nicht ...« Er zögerte. »Falls ich mich geirrt habe, hätte ich wer weiß wie viele Schlachten verhindern können. Ich muss die restlichen Tests absolvieren.«
»Das ist Irrsinn!«, begehrte Qumisha auf. »Wir haben die Standorte dieser Tests! Wir können persönlich dort hinfliegen und eingreifen, ohne dass du zu den Rittern zurück ...«
Rhodan schüttelte den Kopf. »Wir können an einen von dreitausend Standorten fliegen, nicht an alle. Und vom Adyton aus habe ich die Macht, in die Abläufe einzugreifen – darum geht es ja bei diesen Prüfungen. Auf ein dahergeflogenes Raumschiff wird niemand hören.«
»Du meinst das wirklich ernst.« Tess Qumisha starrte ihn an. »Du willst zurück.«
Rhodan nickte. »Egal wie wir es drehen und wenden ... Meinetwegen sind unschuldige Leben in Gefahr. Ich habe sie im Stich gelassen. Also liegt es an mir, das zu bereinigen. Aber diesmal nach meinen Regeln, nicht, um irgendjemanden von irgendetwas zu überzeugen.«
»Diese Schlachten würden so oder so stattfinden«, wandte Eroin Blitzer ein. »Sie haben nichts mit dir zu tun.«
»Aber ich kann helfen!« Perry Rhodan dachte an die Zigtausende Sklaven, die von den Kraad und S'Hud rücksichtslos geopfert worden wären. »Ich kann vielleicht nicht alle retten ... Aber ich kann sie auch nicht einfach sterben lassen.«