Читать книгу Mission SOL 2020 Paket (1 bis 12) - Madeleine Puljic - Страница 57
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CALAMAR, im Mauritiussystem
Neun Tage später
Vor ihnen lag das Mauritiussystem wie eine phantastische Traumlandschaft.
In der Mitte pulsierte ein kleiner weißer Stern, der Protuberanzen in den Kosmos warf, ein junger Stern, erst einige Millionen Jahre alt. Eine protoplanetare Scheibe umkreiste Mauritius, ein Meer aus Tausenden von Staubringen, die sich erst am äußeren Rand, viele Astronomische Einheiten von der Sonne entfernt, in der Unendlichkeit verloren.
In der Staubwolke bildeten sich an vielen Stellen Wirbel, die sich zu Materiehaufen zusammenballten, vieltausendmal größer als die SOL. Sie warfen bizarre Schatten und ließen erahnen, was im Mauritiussystem geschah: In diesen Bereichen würden einmal Planeten entstehen, in hundert Millionen Jahren würden die Wirbel sich zu Gas-, Stein- oder Eisplaneten verdichten.
Wenn diese aus den richtigen Materialien bestanden und im richtigen Abstand zur Sonne standen, würden sie vielleicht irgendwann einmal Leben hervorbringen, ein Vorgang, der wiederum viele Millionen Jahre in Anspruch nehmen würde.
Die CALAMAR näherte sich in vollem Tarnmodus von schräg oberhalb dem jungen Planetensystem. Niemand in dieser Galaxis würde sie orten können.
Anchi hielt den Atem an. Wie die meisten anderen Besatzungsmitglieder der Korvette hatte er sich in der Zentrale eingefunden und beobachtete ihren Anflug auf die Zielkoordinaten, die Rhodan vor zwei Tagen von der SOL übermittelt hatte. Der Terraner hatte die Daten – wie Danton anmerkte, »sicherlich mal wieder in einem haarsträubenden Risikoeinsatz« – auf Kessaila im Kepraunsystem erbeutet.
Alles, was Anchi bisher darüber wusste, war, dass dort ein streng geheimes Großprojekt im Bau sein sollte – eine Geheimwaffe der Ritter BARILS. Sie stünden nun im Dienst der Chaotarchen, einer dieser kosmischen Mächte, die weit über der Entwicklungsstufe der Menschen angesiedelt waren.
Danton hatte die unbekannte Sonne Mauritius genannt. So hieß auf Terra der Schutzheilige des Heeres und der Waffen.
»Die Diener BARILS sind in diesem System, bevor hier Planeten entstehen«, murmelte Danton wie zu sich selbst. »Vielleicht bauen sie ihre Waffe, und in hundert Millionen Jahren liegt sie im Innern eines Gasriesen.«
Anchi schluckte. Er bekam einen Eindruck von den unvorstellbaren Zeiträumen, in denen die Hohen Mächte des Kosmos operierten. Zeiten, im Vergleich zu denen selbst das Leben eines Roi Danton nur eine Millisekunde währte.
Wie würde das Mauritiussystem in hundert Millionen Jahren aussehen? Welche Welten würden entstanden sein? Würden irgendwann Lebewesen auf ihnen heranwachsen, die keine Ahnung davon hatten, dass in ihrer Heimat lange vor ihrer Geburt schon die Chaotarchen am Werk waren?
So wie die Gestrandeten auf Evolux gelebt hatten, ohne eine Ahnung von den ungeheuren Dingen zu bekommen, die ringsum geschahen? Würden die kosmischen Mächte, wenn es ihnen gefiel, das Mauritiussystem mit einem Fingerschnippen wieder auslöschen, so wie der Werftplanet Evolux zusammengebrochen und in Staub aufgelöst worden war? Anchi fühlte sich auf einmal klein und unbedeutend.
»Wir orten ein Objekt von der Größe eines kleinen Mondes, in einer Umlaufbahn mit anderthalb Astronomischen Einheiten Entfernung von Mauritius«, meldete Cinzo Tendoron von der Abteilung Funk und Ortung. Anchi kannte inzwischen alle Namen seiner Kameraden.
»Fliegen wir hin!«, entschied Danton. Er ging ein paar Schritte zu Fiya Zuhla und legte der Pilotin eine Hand auf die Schulter. »Langsam.«
Die CALAMAR war inzwischen auf die Ekliptikebene des Mauritiussystems herabgesunken und damit mitten in die Staubwolke getaucht. Aus der Nähe wirkte der sie umgebende Raum weitaus weniger sensationell als in der Fernsicht. Die Wolke bestand aus Milliarden winziger Staubpartikel, kaum millimetergroß und von Nahem nicht mehr zu erkennen.
Die CALAMAR beschrieb eine elliptische Bahn um die Sonne und näherte sich dem Objekt, das die Ortung entdeckt hatte.
»Versteckt haben sie ihre Baustelle nicht«, sagte Danton leise, während in der Ferne eine matt erhellte kugelförmige Zone sichtbar wurde, die langsam näher kam.
Ein weißer Nebel, der nicht preisgeben wollte, was sich in seinem Innern verbarg. Das faszinierendste Objekt an diesem Geburtsort von Planeten!
Danton legte den Kopf schief, als überlege er, ob er den geheimnisvollen Nebel identifizieren konnte. Wieder sprach er leise, wie zu sich selbst, aber so, dass es alle hören konnten. »Vielleicht rechnen sie nicht damit, dass in den nächsten paar Millionen Jahren jemand hier vorbeischaut.«
Im selben Moment rief Tendoron halblaut: »Raumflugverkehr! Wir sind nicht allein.«
»Lass sehen! Maschine stopp!« Danton ging drei Schritte zurück und setzte sich in den Kommandantensessel. Sie waren nun nah genug heran, dass die optische Erfassung ihr Zielobjekt klar zeigen konnte.
Das Impulstriebwerk der CALAMAR stoppte keineswegs. Das Resultat von Dantons Kommando, das aus der alten Schifffahrt stammte, war lediglich, dass die Korvette ihre Fahrt verlangsamte und sich auf Lauerposition legte. Sie trieb in einer Entfernung von drei Astronomischen Einheiten vor Mauritius. Etwa auf der halben Strecke zwischen ihnen und dem Stern erstreckte sich die geheimnisvolle Nebelzone.
Anchi pfiff leise, als das Zentralholo den Nebel in Nahsicht zeigte.
Der weiße Nebel leuchtete nicht aus sich heraus, sondern reflektierte nur trüb-milchig das einfallende Licht, als wolle er seine wahre Natur nicht preisgeben und Geheimnisse für sich behalten, die niederen Wesen den Verstand geraubt hätten. Er hatte annähernd Kugelform, nur an den Rändern franste er aus.
Ab und zu flogen kleine Raumschiffe in ihn ein. Dann bildete sich eine Öffnung im Nebel, und für einen winzigen Moment drang strahlendes Licht aus dem Zentrum hervor. Wenn das Raumschiff verschwunden war, schloss sich der Nebel wieder.
Anchi spürte, wie ihm kalt wurde. Die Nebelzone war ein Abgrund, der alles verschlingen wollte. Im Vergleich dazu erschienen die Staubwolken der protoplanetaren Scheibe, die ihn eben noch fasziniert hatten, unscheinbar und banal.
Vor ihnen stand ein kosmisches Objekt, das zweifellos ein Geheimnis barg. Ein Objekt, das es so nicht geben durfte. Nicht dort, nicht zu dieser Zeit. Es war kein Planet, auch kein protoplanetarer Wirbel, dafür war es zu groß, zu weit entwickelt. Das Mauritiussystem war zu jung, als dass sich aus dem Staub ein Planet manifestiert hätte.
Was immer da drin lauerte, es war etwas anderes. War es natürlichen oder künstlichen Ursprungs?
»Durchmesser etwa eintausendfünfhundert Kilometer«, meldete Tendoron. »Die Nebelzone ist von einer Ringschale aus zwölf Raumstationen umgeben, angeordnet wie die Eckpunkte eines Ikosaeders.«
Die Positronik markierte die Stationen im Holo mit roten Kreisen und zeichnete Verbindungslinien, sodass der Nebelball von einem roten Netz eingehüllt wurde. Anchi wusste aus der Hypnoschulung, dass jeder Eckpunkt eines Ikosaeders genau gleich weit von den fünf benachbarten Ecken entfernt war. Die Stationen legten tatsächlich ein perfektes Netz um den Nebel. Hatten sie ihn erzeugt? Oder kontrollierten sie ihn?
Die Optik zoomte einen der Kreise heran und zeigte die Raumstation darin: ein eleganter doppelter Ring, der sich langsam drehte. Etwa ein Drittel der Außenwandung sah aus, als sei sie ein Gerüst.
Eine der anderen Stationen war ein Gebilde mit bizarrer Form, als sei man dabei, Raumlaboratorien verschiedener Völker in möglichst unmöglichen Winkeln aufeinanderzusetzen.
Eine weitere Station war eine Kugel, auf die wie Blasen weitere Kugeln aufgesetzt wurden ...
Jede der zwölf Stationen sah vollkommen einzigartig aus, und alle wirkten sie irgendwie unfertig, als seien sie noch im Bau.
Je näher die Optik an die Stationen herankam, desto deutlicher sah Anchi zahlreiche kleinere Flugkörper, die unermüdlich aus- und einflogen und um das größere Objekt wimmelten. Baufahrzeuge vielleicht, oder Versorgungsschiffe. Jedenfalls herrschte ein reger Verkehr aus allen nur denkbaren Raumschiffstypen.
Die Ortungsabteilung der CALAMAR wertete die eingehenden Daten aus, vermaß, registrierte und analysierte die vor ihnen liegenden Objekte sowie den codierten und uncodierten Funkverkehr. Gleichzeitig begann die Positronik, die Lingua franca dieses Systems zu dechiffrieren. Wichtige Daten wie Maße der Stationen und Anzahl identifizierter Raumschiffstypen wurden im Holo angezeigt. Einige von ihnen konnten es mit der Größe der SOL aufnehmen.
»Sieht aus wie galaktischer Handelsverkehr«, sagte Danton wieder so, als spräche er zu sich selbst, in Wirklichkeit jedoch an alle gerichtet. »Hier sind die Angehörigen von Hunderten, wenn nicht sogar Tausenden von Völkern unterwegs. Keines davon ist uns bekannt. Und es werden immer mehr.«
Raumschiffe verkehrten nicht nur um die Stationen und zwischen ihnen, sondern es kamen immer wieder neue Schiffe aus dem All und steuerten eine der Stationen an.
»Sind das Projektoren?« Mit ein paar Handbewegungen an seiner Kommandokonsole schob Danton einige der Großaufnahmen der Raumstationen nebeneinander und hob eine Gemeinsamkeit hervor: Von all diesen Stationen richteten sich röhrenförmige Aufsätze auf die Nebelzone aus.
»Diese Objekte befinden sich auf allen zwölf Raumstationen«, antwortete die Schiffspositronik. »Sie emittieren Strahlung ins Zentrum der Nebelzone.«
»Wie beim TERRANOVA-Schirm«, murmelte Danton. Damit meinte er einen Schutzschirm, wie Anchi schon wusste, der vor Jahrhunderten um das heimatliche Sonnensystem der Menschen errichtet worden war.
Damit war es offiziell: Ihre Arbeitshypothese lautete, dass diese Stationen eine Art Schirmfeld erschufen und damit die Nebelzone bildeten. Nur: Was verbarg die Zone in ihrem Innern?
Anchi löste seinen Blick von dem Holo und betrachtete Danton. Danton saß starr im Kommandantensessel und blickte konzentriert auf das eigenartige Gebilde im Weltraum, die Raumstationen und die eingeblendeten Daten, als wolle er sich all das einprägen. Zweifellos hatte Rhodan wegen dieser Objekte die CALAMAR in die Weite der Galaxis geschickt: Es musste sich um die Waffenschmiede der Ritter BARILS handeln, die Danton und seine Truppe für Rhodan ausspionieren sollten.
Danton zuckte mit keinem Lid und wirkte dennoch ... abenteuerlustig. Hatte Rhodans Sohn etwa vor, sie in den Kampf gegen Tausende von Völkern zu schicken, die dieses Geheimnis bewachten – eine Sechzig-Meter-Korvette mit zwanzig Männern und Frauen Besatzung, von denen einer sein Raumfahrertraining vor gerade mal neun Tagen begonnen hatte?
Wie zur Antwort sagte der Kommandant laut und deutlich: »Unsere Mission besteht im Beobachten und Erkunden. Wir wollen so viel wie möglich über dieses Objekt herausfinden: was es ist, was es kann, wann es fertig wird. Noch operiert die CALAMAR im algorrianischen Ortungsschutz. Ich glaube nicht, dass die uns bemerkt haben, selbst wenn sie in der Lage wären, ein so getarntes Raumschiff zu erkennen. Dafür ist dort einfach zu viel los.« Danton lächelte. »Das bietet uns eine Chance, die wir nutzen werden. Wie weit ist die Auswertung des Funkverkehrs?«
»Wir haben 937 verschiedene Idiome identifiziert«, antwortete Tendoron. »Es gibt dort sehr viele unterschiedliche Wesen und Völker. Die meisten bedienen sich einer Verkehrssprache, die wir in diesem Moment in unsere Translatoren speichern. Einige der Völker sind sogar humanoid.«
Danton nickte. »Das dachte ich mir. Wir werden also nicht besonders auffallen. Wir können runtergehen, ohne besondere Maske zu machen, und uns auf einer der Stationen etwas umsehen. Wir gehen mit einem kleinen Trupp.«
Danton nickte Peet Matabiau zu, Dantons Stellvertreter auf der CALAMAR. Auch Minon Crompton gehörte zu Dantons engsten Vertrauten. Beide Solaner waren schon lange Offiziere in Dantons Elitetruppe und hatten sich im Kampf bewährt.
Crompton, die an einem der Pults saß, wandte sich direkt an den Kommandanten. »Eine Station unterscheidet sich von den anderen. Sieh dir das an!« Sie schaltete ein Bild auf den Holoschirm.
Die Raumstation, die im Holo auftauchte, erinnerte Anchi sofort an die dunkle Burg eines grausamen Ritters. Die Außenwände waren beinahe schwarz wie Ricodin – dabei handelte es sich um das geheimnisvolle Material, das die Chaotarchen in ihren Kolonnen-Forts einsetzten. Auch in der SOL war Ricodin-Verbundstoff verbaut worden, als sie im Susmalsystem mit chaotarchischer Kolonnentechnik aufgerüstet worden war. Daher war das Material den Solanern vertraut, wenngleich niemand damit arbeiten konnte.
Die schwarze Raumstation hatte die Form eines großen Zylinders mit seitlich aufgesetzten Noppen. Der Durchmesser betrug einen Kilometer, die Länge zweieinhalb. Die Zylinderenden waren nach innen gedrückte Halbkugeln, und auf der Seite, die der Nebelzone zugewandt war, saß das röhrenförmige Aggregat, das möglicherweise im Verbund mit den anderen Aggregaten die Zone erst erzeugte.
Anchi erkannte sofort, dass es bei dieser Station im Gegensatz zu den anderen so gut wie keinen Raumschiffsverkehr gab. Dafür stand eine Wachflotte bedrohlich wirkender Kampfraumschiffe in direkter Nähe im Raum. Die Schiffe wiesen zwar verschiedene Größen und Bauarten auf, aber Anchi nahm an, dass dies keine zivilen Fahrzeuge waren, sondern sie die schwarze Station vom Rest des Systems abriegelten.
Anchis Herz schlug schneller. Keine Heldengeschichte, die er Nadarr erzählen konnte, war es wert, einen Fuß in diese monströse Weltraumröhre zu setzen. Danton würde doch nicht etwa ...?
Er hatte sich in Danton getäuscht. Der Kommandant legte erneut den Kopf leicht schief. Dann schnalzte er mit der Zunge.
»Wir wollen natürlich herausfinden, was es damit auf sich hat«, sagte er ruhig. »Unser Auftrag lautet, Informationen zu sammeln, nicht jedoch, uns einem unkalkulierbaren Risiko auszusetzen. Perry und ich sind oft genug in irgendwelche Kerker geworfen worden. Das wollen wir nicht wiederholen. Wir werden da hinuntergehen. Aber wir gehen auf eine der anderen Stationen, wo wir uns unauffällig umsehen. Unser Job ist lediglich, so viel Wissen wie möglich zu sammeln, das wir später einem Einsatzteam der SOL zur Verfügung stellen können.«
Anchi atmete tief durch. Die Solaner würden sich also auf einer der harmlosen Stationen in die Menge mischen und Informationen sammeln. Das klang nicht wie ein Agenteneinsatz, sondern vielmehr wie ein Ausflug an einen grandiosen Urlaubsort. Außerdem war noch gar nicht gesagt, dass er persönlich ...
Sein Herz raste, als sich Crompton, die mit Danton und Matabiau diskutiert hatte, aus der kleinen Gruppe löste und auf ihn zusteuerte.
Sie lächelte, mehr als in den neun letzten Tagen zusammen, und kam ganz nah an ihn heran. »Sag es mir ganz ehrlich: Bist du bereit, mit uns runterzugehen? Roi hätte dich gerne bei dem kleinen Erkundungstrupp dabei.«
Anchi sah Crompton mit offenem Mund an und hoffte, dass sie es nicht merkte. Seine Gedanken rasten. Er hoffte, dass er nicht im nächsten Moment das Bewusstsein verlor.
Das war die gefährlichste Sache, auf die er sich jemals eingelassen hatte!
Dann dachte er an seinen Heimatplaneten Evolux, dessen Zerstörung er überlebt hatte. Er dachte an die Höllenfahrt der SOL, die er überstanden hatte. Den Kampf gegen das Chaos, an dem er zwar nicht aktiv teilgenommen, der ihn aber sehr leicht das Leben hätte kosten können.
Und ihm fiel ein, dass die Erkundung dieser fremden Station mit Danton und Crompton an seiner Seite das Abenteuer versprach, das er sich immer gewünscht hatte. Er spürte immer noch das Pochen seines Herzens, aber irgendwie fühlte es sich auf einmal gut an.
Er setzte einen, wie er hoffte, harten Blick auf und sagte zu Crompton fest: »Ja. Ich bin bereit.«