Читать книгу Mission SOL 2020 Paket (1 bis 12) - Madeleine Puljic - Страница 61
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Quartier an Bord der S-1
Als sie auf dem Antigravband zurückfuhren, sprachen sie kein Wort. Anchi konnte Matabiau ansehen, dass er stolz auf sich war; immerhin hatte er mit seinem hyperphysikalischen Exkurs die Situation einigermaßen gerettet. Aber er war offensichtlich stinksauer auf Anchi, der es zuvor beinahe vermasselt hatte.
Letztlich hatten sie keine Ahnung, ob die Bordwissenschaftler ihnen abkauften, dass sie die fengolyonischen Hyperphysiker waren, für die sie sich ausgaben.
Einzig Danton schien anderen Gedanken nachzuhängen. Er war den drei anderen im Kopf wohl um ein paar Schritte voraus.
Im Quartier aktivierten sie auf einen Wink Dantons erneut den Helmfunk zwischen den SERUNS, für alle Fälle.
»Du hast uns beinah ans Vibromesser geliefert!«, bellte Matabiau. »Was hast du da gequasselt über Hyperraum und extrauniversalen Bereich? Wenn man sich nicht auskennt, sollte man vielleicht den Mund halten! Wir sollen als Experten auftreten, Mann! Die hätten uns beinahe enttarnt!«
Anchi zog ein betrübtes Gesicht. Was hätte er sagen sollen? Dass sie ohnehin in Gefahr gewesen waren, enttarnt zu werden? Dass er etwas tun wollte, um sie zu retten? Dass er nur das Beste im Sinn gehabt hatte?
Crompton trat an Matabiau heran und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Du hast es ja noch einmal rausgerissen. Werden die uns das abnehmen?«
Matabiau verzog das Gesicht. »Wir haben wahrscheinlich davon profitiert, dass die wissenschaftliche Entwicklung in zumindest diesem Teil Yahounas nicht so weit fortgeschritten ist wie in der Milchstraße. Mit etwas Glück konnte ich den Eindruck vermitteln, dass wir uns mit irgendwelchen abgehobenen Forschungen befassen, die nicht zur Standard-Hyperphysik gehören. Immerhin haben die uns als hochkarätige Experten engagiert, weil sie selbst mit ihrer Schulweisheit nicht weiterkommen.«
Kampfeslustig bleckte er die Zähne. »Die kannten jedenfalls die gute alte Hamillersche Algebra nicht.« Zu Anchi sagte er: »Du solltest dich auch einmal damit befassen. Payne Hamiller war einer der bedeutendsten Wissenschaftler der Menschheit. Er wurde auf der SOL geboren!«
»Ist gut!«, beschwichtigte Danton. »Wir haben geblufft, und die wollten noch nicht sehen. Klar ist, dass sie irgendwann herausfinden werden, dass wir keine echten Hyperphysiker sind. Erst recht, falls wir wirklich zu Haldukass vorgelassen werden. Ihr erinnert euch, was der angeblich mit Leuten macht, die sein Missfallen erregen?«
Die Solaner schwiegen betroffen.
Energisch fuhr Danton fort: »Wir sollten also recht schnell wieder verschwinden. Allerdings nicht zu überhastet. Lasst uns das Positive sehen: Wir haben einiges in Erfahrung gebracht, das wir vorher noch nicht wussten. Erstens, Haldukass ist wohl die Stimme BARILS, der oberste Ritter, eine ganz große Nummer. Zweitens wird hier tatsächlich an einem Projekt gearbeitet, das für die Chaotarchen von äußerster Wichtigkeit ist, und mittlerweile scheinen sie's eilig zu haben. Wir müssen mehr über die sogenannte extrauniversale Zone herausfinden. Lasst uns so viel wie möglich Informationen sammeln, die wir später auf der SOL auswerten können. Minon, geh in den Bordrechner und speichere alles, was du findest, in deine Anzugpositronik.«
»Bin dabei!« Minon Crompton hatte an ihrem kleinen Tischterminal bereits einen yahounaischen Holobildschirm aufgerufen und machte sich mit flinken Fingern daran, auf die ihnen zugänglichen Informationen zuzugreifen.
»Ich suche insbesondere nach Daten, die nur für das fengolyonische Forscherteam freigeschaltet sind«, erläuterte sie. »Unsere Tarnidentität erlaubt uns, genau nach den Dingen zu suchen, die uns besonders interessieren. Außerdem werde ich mal versuchen, auf Systeme zuzugreifen, die eigentlich nicht für uns bestimmt sind.«
»Sehr gut!« Danton nickte. »Und dann ist da noch etwas, das ich euch sagen muss.«
Anchi, der seit der Zurechtweisung durch Matabiau still geblieben war, blickte überrascht auf. Das klang nicht, als käme als Nächstes eine simple technische Information. Sondern als habe der Einsatzleiter seinem Team bisher etwas verheimlicht.
»Das Stabschiff, das aus der Nebelzone gekommen ist ...« Danton holte tief Luft. »Der Schiffstyp ist mir bekannt. Zu bekannt.« Er blickte wie in unendliche Ferne. »Es ist eine Skapalm-Bark, eine medizinische Einheit der Terminalen Kolonne TRAITOR.«
Sie brauchten eine Weile, diese Information zu verarbeiten. Crompton erstarrte in ihren Bewegungen. Nur langsam hob sie wieder ihre Finger und fuhr mit den Datenabfragen im System der Raumstation fort.
Der Begriff TRAITOR war selbst Anchi bekannt, obwohl er sich nur wenig Zeit genommen hatte, sich mit der Geschichte der raumfahrenden Menschheit der vergangenen paar Jahrtausende zu befassen. Aber auch er wusste, dass es sich um eine unbesiegbare Streitkraft der Chaosmächte handelte, eine riesige Raumflotte mit grenzenlosem Potenzial und einem erbarmungslosen Auftrag. Wenn es im Sinn der Chaotarchen war, konnte TRAITOR Galaxien vernichten.
Chaotarchische Anlagen waren den Solanern nicht völlig unbekannt. Schließlich war sogar chaotarchische Technik auf der SOL verbaut worden. Und das Kolonnen-Fort, auf dem Danton, Matabiau und Mahlia Meyun im Susmalsystem gekämpft hatten, war ein Bestandteil der Terminalen Kolonne TRAITOR gewesen. Bloß hatte es sich dabei um ein verlassenes Relikt gehandelt, das von anderen Kräften eher unbeholfen wieder in Betrieb genommen worden war.
Nun waren sie auf eine Raumstation geraten, auf der sich ein aktives Element TRAITORS befand. Das war, als würde man in das zähnefletschende Maul eines lebendigen Urzeitsauriers sehen, statt nur ein paar alte Knochen zu finden.
Die Skapalm-Bark war im Hangar von S-1 gelandet, sie waren auf dem Antigravband darüber hinweggeglitten. Schon da hatte sich ein eisiger Nebel um Anchis Herz gelegt.
»TRAITOR nennt diese Fahrzeuge euphemistisch Medoschiffe«, informierte Roi Danton mit düsterem Blick. »Dabei sind es Laboratorien für Experimente an Lebewesen, Brutstätten des Grauens. Die Mikro-Bestien wurden dort geschaffen – und die Dualen.«
Matabiau und Crompton schwiegen betroffen. Sie schienen genau zu wissen, wovon Rhodans Sohn sprach.
Danton spann einen Gedanken. »Wenn die Skapalm-Bark gerade erst eingetroffen ist ... und ebenso Haldukass, der, wie wir vermuten, mit dem Diskusschiff zurückgekommen ist ... und Haldukass, wie die Wissenschaftler uns verraten haben, gerade ›schwer beschäftigt‹ ist ...« Er legte die Fingerspitzen aneinander. »... dann wird er unterwegs zum Hoch-Medokogh sein, dem Kommandanten der Skapalm-Bark. Das passt auch dazu, dass etwas gezüchtet werden soll. Wie war das noch genau?«
Matabiau wollte etwas sagen, aber Anchi kam ihm zuvor. Er hatte sich die Begriffe genau gemerkt, obwohl er kein Wort verstanden hatte.
»Krefferk sollte einen Kompanten züchten, aber es ist ihm nicht gelungen!«, rief er. »Kompanten brauchen sie, um in ein extrauniversales Dings reinzukommen. Deshalb haben sie uns angefordert ... ich meine, die fengolyonischen Hyperphysiker.«
»Krefferk! Das ist es!«, rief Crompton. Mit beiden Händen zog sie das Holo groß, an dem sie arbeitete. Gestochen scharf sahen sie die Holobilder zweier unnatürlich wirkender Gestalten. »Ich bin ins Kommunikationssystem der Station reingekommen. Das da ...« Sie zeigte auf das Holo. »... sind Krefferk und Haldukass!«
*
Das eine Wesen gehörte einer Spezies an, die ihnen auf ihrem Weg durch S-1 schon begegnet war. Es war klein und in einen schwarzen Anzug gekleidet. Die sichtbaren Teile seines Körpers waren kalkig-weiß und schienen aus vielen einzelnen Knochenplatten zu bestehen. Der Kopf sah aus wie ein Totenschädel. Im Gegensatz zu den Wesen dieser Art, die sie schon gesehen hatten, hatte dieser sieben Arme. Ein kleinerer ragte aus der Brust. Die anderen, je drei mit mehreren Gelenken an jeder Seite, vollführten während des Gesprächs einen langsamen, bedrohlichen Tanz. Dabei knirschten und knackten die Knochenplatten. Dieses Wesen war Krefferk..
Haldukass, BARILS oberster Ritter, war hingegen spindeldürr und nicht weniger beeindruckend als Krefferk, den er um mindestens einen Meter überragte. Er trug eine schmucklose dunkelblaue Uniform, die einen knochigen Körper erahnen ließ, hatte zwei Arme und zwei Beine wie ein Mensch und einen länglichen, schmalen Schädel, der von einem dürren Hals herunterhing. Seine Augen waren weiß wie die eines Blinden, die Nase nur ein schmaler Schlitz. Das Kinn sowie große Teile des Halses und der linken Kopfhälfte schienen aus Metall zu bestehen, was ihm ein halb-robotisches Aussehen gab.
Die beiden unterhielten sich in einer Sprache, die von den Translatoren der SERUNS als TraiCom identifiziert und simultan übersetzt wurde.
Haldukass' Stimme war ein metallisches Kreischen. »... keineswegs akzeptabel! Die Wesen, die du mir geschickt hast, wirken vielleicht auf den ersten Blick so wie Kompanten. Dabei sind die meisten abscheuliche Fehlzüchtungen. Das Einzige, was ich mit ihnen anfangen kann, ist, sie auf den bereits kartierten Routen einzusetzen. Und selbst dort versagen sie! Es ist eine Schande, dass diese missratenen Geschöpfe überhaupt am Leben sind.«
Haldukass wies anklagend mit dem knöchernen Finger auf sein siebenarmiges Gegenüber. »Ich habe bereits veranlasst, einen anderen Weg zu finden, dieses Problem zu lösen. Dann werden wir auf euch Kolonnen-Anatomen nicht mehr angewiesen sein!«
Krefferk zeigte sich völlig unbeeindruckt von Haldukass' Wutrede. »Du hast Versprechungen gemacht, die du nicht gehalten hast, Stimme BARILS! Es ist noch immer nicht möglich, das Portal mit größeren Einheiten oder Flotten zu durchfliegen. Sorg dafür, dass die Arbeiten schneller voranschreiten! Andernfalls wirst du es sein, auf den wir nicht mehr angewiesen sind!«
»Alle brauchbaren Kompanten sind im Einsatz und kartieren die Sphäre. Ohne sie geht jeder im endlosen Labyrinth verloren. Wie weit also bist du mit deinem Zuchtprogramm? Wann lieferst du endlich voll funktionstüchtige Exemplare, Hoch-Medokogh?« Das letzte Wort sprach Haldukass aus wie eine Beleidigung.
»Bald!« Krefferk breitete die oberen beiden Armpaare aus. »Sehr bald! Denn wir erzielen Ergebnisse, anders als du es bisher getan hast. Unsere Experimente bringen immer bessere und präzisere Kompanten hervor. Dass dabei gelegentlich Genmüll entsteht, ist hinzunehmen. Unser großes Ziel jedoch ...«
»Warte!« Haldukass unterbrach den Kolonnen-Anatomen so harsch, dass dieser tatsächlich sofort innehielt.
»Verdammt!«, entfuhr es Anchi, der das Gespräch der Chaotarchen-Diener mit wachsendem Entsetzen verfolgt hatte.
Matabiau warf ihm einen strafenden Blick zu.
Die fahle Haut an Haldukass' linker Schädelhälfte, die großenteils von Metallteilen bedeckt war, pulsierte von innen heraus in einem trüben roten Licht, was dem Ritter BARILS ein dämonisches Aussehen gab.
Haldukass, der in sein Inneres gehorcht hatte, schlug die Lider auf und blickte dem Kolonnen-Anatomen in die Augen. »Ein Alarm! Wir müssen später weiterreden!«
»Ein Alarm?« Krefferks Stimme troff vor Verachtung. »Der deine Aufmerksamkeit erfordert? In diesem total abgeschiedenen System? Du hast hier wohl nichts im Griff!«
Im selben Moment erlosch das Holobild.
»Ich musste abbrechen«, bekannte Crompton, ohne aufzusehen. »Es bestand Gefahr!« Ihre Hände bewegten sich schnell durch eine virtuelle Datenlandschaft.
»Galt das uns?«, fragte Matabiau. »Sind wir entdeckt worden?«
Crompton, die weiterhin unermüdlich auf Informationsjagd in den Schiffsdatenbanken war, schüttelte zweifelnd den Kopf. »Unbekannt. Oh nein! Seht euch das an!«
Ein neues Bild flackerte auf. Eine Dateneinblendung besagte, dass es sich um eine Aufzeichnung handelte, die kaum ein paar Minuten alt war.
Das Bild zeigte ein exotisches Lebewesen in einer roten Arbeitsmontur in einer Art Verhörraum.
Anchi stöhnte auf, als er das Wesen erkannte. Es war Sakano, der molchähnliche Amphiboide aus der Doppelringstation.
*
Sakano gab sich leutselig und plauderte so unverfangen, wie Anchi ihn kennengelernt hatte. Nur bei dem, was er diesmal sagte, wurde es Anchi gleichzeitig heiß und kalt.
»Der Typ kam mir sofort verdächtig vor!«, zischelte der Molchähnliche und fuhr mit der Zunge wieder einmal über alle vier Augen. »Er nannte mir seinen Namen, sagte aber sonst nicht viel. Wollte mich wohl aushorchen! Und das total amateurhaft! Ein berufsmäßiger Spion war der jedenfalls nicht. Trotzdem hatte er etwas zu verbergen! Ich habe ihm ein kleines Referat über elektronische Musik gehalten. Er interessierte sich aber nur für einen besoffenen Fengolyonen. Ist zu ihm hin und hat ihm was aus der Tasche gestohlen. Deswegen bin ich hinter dem Kerl her, die haben mich überhaupt nicht bemerkt!«
»Was meinst du mit ›die‹?«, drängelte eine Stimme aus dem Hintergrund.
Zwei der vier Augen fixierten den unsichtbaren Gesprächspartner. »Oh ja, er hat sich mit diesen drei anderen Typen getroffen, die aus dem gleichen Volk wie er stammten. Ich bin dann hinter denen her. Sind runter in den Raumhangar und haben sich in ihrem Schiff versteckt. Wenn ihr mich fragt, das sind Saboteure, Attentäter, galaktische Spione! Deswegen habe ich ja sofort Alarm geschlagen, als sie das fengolyonische Schiff gestohlen haben!«
Anchi hatte den Mund aufgerissen. Sein neuer amphibischer Freund hatte ihn gnadenlos verraten, sobald er ihm den Rücken zugewandt hatte. So viel zu Anchis Fähigkeiten, mit Fremden auf charmante Weise in Kontakt zu kommen!
Danton schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Wir haben genug gehört«, sagte er scharf. »Wir sind enttarnt. Wir müssen so schnell wie möglich hier weg!«