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Walter Temming war – tief in finstre Gedanken versunken – an den Gräbern entlang zum Friedhofsportal gegangen, um sich im kühlen Herbstwind seinem schwarzen BMW zuzuwenden. Noch während er beim Näherkommen das Türschloss ferngesteuert entriegelte, stoppte neben ihm ein dunkelgrauer Kombi, den er im Augenwinkel sofort als Leichenwagen erkannte. Die Scheibe auf der Fahrerseite glitt herunter, am Steuer saß ein schwergewichtiger Mann, dünne graue Stoppelhaare, breites Grinsen im Gesicht. Wie immer, wenn er allein und ohne Sarg unterwegs war, konnte sich der weithin bekannte Bestattungsunternehmer seine flotten und bisweilen ironisch-satirischen Bemerkungen nicht verkneifen: »So, Walter, kommsch’ vom ›Probeliegen‹?«, rief er leicht schwäbelnd Temming zu, dem es in diesem Augenblick nicht nach einem heiteren Dialog oder gar nach makabren Bemerkungen zum Sterben zumute war. Allerdings war Bestatter Peter Leichtle sein Jugendfreund, den er jetzt nicht mit ein paar Worten abfertigen wollte. Immerhin galt Leichtle in dieser Stadt als gern gesehenes und beliebtes Original, der sich seit Jahr und Tag kommunalpolitisch engagierte und auch den Mut hatte, Unangenehmes beim Namen zu nennen. Die Art, wie er dies tat, kam bei den Menschen an – und sie nahmen ihm daher auch selten etwas übel. Vermutlich, hatte Temming schon oft gedacht, musste sein Jugendfreund das vielfältige Leid, mit dem er’s berufsmäßig zu tun hatte, mit einem Schuss Selbstironie und dem gewiss angeborenen Optimismus kompensieren.

»Mensch, Peter«, versuchte Temming sein Gefühlsleben zu verbergen, »ich hoffe, ich zähl noch nicht so schnell zu deiner Kundschaft.«

»Aber ich versprech’ dir, Walter, du krieg’scho von mir ein besonders schönes Begräbnis.« Leichtle lachte schallend, wozu sein mächtiger Leibesumfang als Resonanzkörper diente. Aber auch damit konnte er die Stimmung seines Jugendfreundes nicht aufheitern.

»Man würde das alles viel leichter nehmen, wenn man wüsste, was danach kommt«, sagte er, worauf Leichtles Miene ernster wurde.

»Was nachher kommt, kommt sowieso«, erwiderte er. »Deshalb sollte man jetzt leben, hier und heute.« Es war die Empfehlung eines Mannes, der es täglich mit dem Tod zu tun hatte.

»Aber wenn noch etwas danach kommt, muss man dort auch dafür büßen, was man hier angestellt hat«, meinte Walter Temming nachdenklich.

Leichtle hatte längst dessen depressive Verstimmung gespürt und augenblicklich seine Frotzeleien eingestellt. »Ich glaube, Walter, wir beide haben da wohl wenig zu befürchten, weil es vor uns genügend andere Herrschaften gibt, mit denen sich das Jüngste Gericht eine Ewigkeit lang beschäftigen müsste. Oder siehst du das anders?«

Temming ging einen Schritt auf seinen BMW zu, um zu signalisieren, dass er das Gespräch beenden wollte. »Peter«, sagte er, »vielleicht braucht’s gar kein solches Gericht, weil alles irgendwie schicksalhaft vorbestimmt ist – weil alles vielleicht ein Naturgesetz ist, dem sich niemand entziehen kann.«

Leichtle sah seinen Jugendfreund kritisch an. So hatte er ihn nie zuvor reden hören. »Wenn du mich fragst, Walter: Egal, wie man’s nennt – ob Gott oder anders –, es wird etwas geben, das alles so eingerichtet hat, wie’s ist.« Während sich Walter Temming weiter entfernte, rief er ihm noch zu: »Und dieses Etwas wird auch dafür sorgen, dass am Ende die Gerechtigkeit siegt.«

Temming war von diesen Worten ergriffen. Hatte sie Leichtle nur so dahingesprochen, um ihn zu trösten? Oder wusste dieser Mann, dem nachgesagt wurde, das Gras wachsen zu hören, viel mehr?

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