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Firmenchef Sven Temming war seit dem Telefonat mit seiner Frau innerlich zerrissen. Was heute Abend noch auf ihn zukommen würde, konnte er bislang nicht abschätzen. Vor allem schien es ihm völlig unangebracht zu sein, die Eltern damit zu erschrecken. Hinzu kam, dass ihm der Termin, den Sylvia über seinen Kopf hinweg ausgemacht hatte, überhaupt nicht passte. Er musste ein Gespräch, das für 17 Uhr vorgesehen war, kurzfristig absagen, ging oberflächlich den Schriftverkehr durch, den ihm seine Sekretärin auf den Tisch gelegt hatte und kämpfte gegen die Gedanken an, die sich mit dem dubiosen Kuvert beschäftigten, mit dem Namen Barbara und einem seltsamen Schlüsselanhänger. Als er endlich das Wichtigste erledigt hatte, verließ er sein Büro, nickte der Sekretärin freundlich lächelnd zu und verschwand in die Tiefgarage.

Auch heute warf er erneut prüfende Blicke in jede Richtung des hell erleuchteten Untergeschosses, dann rangierte er den voluminösen Mercedes GLC aus der Parklücke und ließ ihn zur Schranke rollen, die sich automatisch öffnete, nachdem eine Videokamera das Kennzeichen erfasst hatte. Er trat sanft aufs Gaspedal, und der PS-starke SUV überwand die steile Ausfahrt in den asphaltierten Firmenhof hinaus, wo die Sonne direkt auf die Windschutzscheibe schien.

Temming zog die Sonnenblende nach unten und fuhr zügig über die Freifläche, die in etwa 50 Metern Entfernung mit einer hohen Betonmauer begrenzt war. Die einzige Öffnung, die es gab, bestand aus einem schweren Eisengittertor, das er per Fernsteuerung zur Seite rollen ließ. Bis das Auto dort ankam, war es weit genug offen, um dem Mercedes die Durchfahrt zu ermöglichen. Temming wusste, dass hier besondere Vorsicht geboten war, weil direkt hinter der Begrenzungsmauer eine Straße mit Radweg entlangführte.

Seit er der Chef war, hatte er bei der Stadtverwaltung mehrfach den Antrag gestellt, auf der anderen Straßenseite einen Spiegel anzubringen, mithilfe dessen bei der Ausfahrt aus dem Grundstück der vorbeifließende Verkehr zu überblicken wäre. Insbesondere Fahrzeuge mit langer Motorhaube machten das Herausfahren zu einem riskanten Manöver. Temming wusste dies. Und auch heute tastete er sich vorsichtig aus dem Firmengelände he­raus. Aber doch eine Nuance zu schnell. Denn der Schatten, den er links wahrnahm, hatte ihm in der blendenden Sonne keine Chance gelassen, rechtzeitig zu stoppen. Temming trat augenblicklich kräftig auf die Bremse und erkannte das links hinter der Mauer aufgetauchte Objekt als Fahrrad, das knapp vor dem Kotflügel nach vorne auswich. Die Person geriet ins Straucheln und sprang vor der Motorhaube ziemlich unkontrolliert von dem Gefährt. Aber ohne zu stürzen, wie Temming erleichtert zur Kenntnis nahm. Eine Schrecksekunde lang blieb er regungslos sitzen, das Lenkrad mit beiden Händen fest umklammert, den rechten Fuß bleischwer auf dem Bremspedal.

Augenblicklich wurde er in die Realität zurückkatapultiert, denn die Person vor ihm hatte sich bereits aufgerappelt. Durch die Windschutzscheibe sah er, dass es ein Mann war, mittleren Alters, vermutlich 50 plus. Kantiges Gesicht, ungepflegt, nicht rasiert, nicht gekämmt und blond. Für einen Moment erinnerte ihn die Frisur an den unsympathischen US-Präsidenten Donald Trump. Mit der flachen Hand schlug der Mann zornig auf die Motorhaube des Mercedes und rief so laut er konnte: »Idiot, verdammter Idiot.« Der Kopf war hochrot.

Temming stellte hektisch den Motor ab und war ebenfalls entschlossen, seinem Ärger Luft zu machen. Obwohl die Vorderseite des Mercedes-Geländewagens den Radweg blockierte, stieg er aus und starrte den Radler über die Motorhaube hinweg mit finstrer Miene an. »Es tut mir leid, aber ich denke, Sie waren ziemlich schnell unterwegs.«

»Ach, was«, wehrte der Mann ab. »Reden Sie doch nicht so saudumm daher. Hier ist ein Radweg. Und wenn Sie hier rausfahren, dann müssen Sie damit rechnen, dass jemand kommt.«

Temming musterte sein Gegenüber, dessen kräftige Oberarme aus einem kurzärmligen Karohemd quollen. Er versuchte, sich die äußeren Merkmale noch einmal bewusst einzuprägen – vor allem, dass der Kerl keinen Schutzhelm trug.

Temming wollte die Situation nicht weiter eskalieren lassen. »Ist Ihnen denn etwas passiert?«, fragte er deshalb so ruhig, wie es ihm angesichts der Situation möglich war.

»Was soll mir schon passiert sein?«, entgegnete der Mann mit nervöser Stimme, deren hohe Tonlage ihm unangenehm in den Ohren klang.

Weil ein vorbeifahrendes Auto hupte, schob der erzürnte Radler sein Gefährt vollends vorne am Kühlergrill des Geländewagens vorbei zur anderen Seite, sodass nun die breite Motorhaube die beiden Männer trennte. Noch schien er sich nicht beruhigt zu haben: »Man könnte fast meinen, Sie wollten mich über den Haufen fahren.« Er warf Temming einen angriffslustigen Blick zu und giftete weiter: »Es soll ja hin und wieder vorkommen: Radler über den Haufen fahren und dann abhauen. Auch wenn man so ´nen dicken Bonzenschlitten fährt wie Sie.« Er drehte sich beiseite, um auf das Rad zu steigen, ließ aber von Temming nicht ab: »Ich kann Ihnen nur raten, künftig besser aufzupassen. Denn so ein Unfall kann einem das ganze Leben versauen.«

Temming sah ihn konsterniert an. Ohne weitere Worte schwang sich der Mann auf sein Fahrrad und fuhr so schnell er konnte davon.

Temming spürte, wie seine Knie weich geworden waren.

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