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Gisela Temming war nach dem Telefonat mit ihrer Schwiegertochter zurück ins Haus gegangen. Die Nachricht vom Auftauchen des Schlüsselanhängers hatte sie tief getroffen. Ihre Knie zitterten, ihr Herz pochte. Dass nahezu zeitgleich zwei dubiose Botschaften eingegangen waren – eine hier in Kuchen, die andere beim Sohn in Laupheim –, konnte natürlich kein Zufall sein. Und Barbara – dieser Name war natürlich genau so wie die anderen schriftlichen Hinweise ein Zeichen dafür, dass der Absender die Umstände von jenem Oktobersamstag des Jahres 1968 genau kannte. Dass beides so gehalten war, als kämen sie aus einer anderen Welt, oder besser gesagt aus dem Jenseits, ließ ihr keine Ruhe mehr. Nutzte da jemand ihr Faible für parapsychologische Themen, um ihr und ihrer Familie Angst und Schrecken einzujagen? Aber was hatte Sven damit zu tun, der doch von all den schrecklichen Details überhaupt nichts wissen konnte?

Gisela hatte sich vergewissert, dass ihre Haushaltshilfe, eine ältere Dame, bereits gegangen war, und ließ sich im angenehm warmen Wohnzimmer in einen Ledersessel fallen. Sie musste ihre Gedanken ordnen, die sich seit gestern wie ein wildes Karussell drehten. Woher kam der Schlüsselanhänger – und wo war der Schlüssel?

Sie spürte, wie schwer es ihr fiel, dies alles in eine vernünftige Reihenfolge zu bringen: das Geschehen vor 49 Jahren, die Botschaften und der Schlüsselanhänger. Vergangene Nacht, als sie sich schlafend gestellt hatte, waren ihr bereits Tausende Gedanken durch den Kopf geschossen – doch jetzt, nach dem Gespräch mit Sylvia war alles noch viel schlimmer geworden. Konnte es überhaupt eine logische Erklärung geben? Oder war sie inzwischen gefangen von ihren vielen Büchern, die sie über das Leben nach dem Tod geradezu verschlungen hatte? Natürlich gab es seriöse Berichte darüber, dass sich Sterbende zum Zeitpunkt des Todes auf seltsame Weise bei den ihnen nahestehenden Menschen abgemeldet hatten: Sei es, dass ein Foto von ihnen von der Wand gefallen war oder dass sich sonst etwas in der Umgebung veränderte.

Sie selbst war inzwischen fest davon überzeugt, dass es Kräfte gab, die die reale Welt mit einer unsichtbaren verbanden. Sie vertraute ihren Schutzengeln und glaubte, dass es gewisse Zeichen gab, die auf Künftiges hindeuteten.

In diesem Augenblick wurde sie der ungewöhnlichen Stille gewahr. Nichts in der Wohnung gab ein Geräusch von sich. Totenstille. Eine erschreckende Stille. Kein metallisches Klicken, mit der die antike Standuhr das Zerrinnen jeder einzelnen Sekunde abhakte. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie heute noch keinen einzigen Stunden- oder Halbstundenschlag wahrgenommen hatte. Gisela drehte sich vorsichtig zu dem Uhrenmöbelstück um. Ein weiterer Schreck jagte durch ihre Glieder: Das Pendel hing bewegungslos hinter dem Glas, die Zeiger auf dem Ziffernblatt standen auf 5.10 Uhr. Wie gelähmt starrte Gisela auf diese Zeigerkonstellation. 5.10 Uhr. Eine magische Zahl, die sie schlagartig an ein Datum erinnerte: 5.10. – 5. Oktober.

Nein, nein, hämmerte es in ihrem Kopf, Quatsch. Wir haben vergessen, das Uhrwerk aufzuziehen. Es ist rein zufällig um diese Zeit stehen geblieben. Nach dem ersten Schock erhob sich Gisela, um langsam auf die Uhr zuzugehen, die drohend vor ihr zu stehen schien. Sie besah sich das Ziffernblatt, das einen halben Kopf über ihr aus dem Holzkasten ragte, und konnte aus allernächster Nähe zweifelsfrei erkennen, dass der große Zeiger auf die Zahl Zwei zeigte – zehn Minuten nach der vollen Stunde. Der kleine Zeiger war nur wenig von der Fünf entfernt. 5.10 Uhr, zweifelsfrei. Gisela öffnete das schmale Türchen, um neben und hinter dem stillstehenden Pendel auch die Gewichte sehen zu können, die das mechanische Uhrwerk mithilfe der Gravitation am Laufen hielten. Waren sie ganz unten, blieb das komplizierte Räderwerk stehen. Doch heute hingen sie noch einen guten Meter über dem Boden.

Gisela wagte nichts anzurühren. Es schien ihr, als ob sie irgendetwas daran hinderte, in ein schicksalhaftes Ereignis einzugreifen.

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