Читать книгу Schusslinie - Manfred Bomm - Страница 11
Kapitel 7
Оглавление»Müller-Vorwieger will Taten sehen«, erklärte Stefan Beierlein, dessen junge, überaus schlanke Frau ins Wohnzimmer herauf gekommen war und den Besucher begrüßt hatte. Sie setzte sich in einen abseits stehenden Sessel und ließ ihre braun gebrannten Beine baumeln, die ihr buntes Sommerkleidchen preisgab.
Liebensteins Blicke hingen für einen kurzen Moment an dieser Frau, ehe er sich wieder auf das Gespräch konzentrierte. »MV, ja«, griff er die Initialen des genannten Namens auf, wie dies alle respektvoll taten, die es mit diesem energischen Mann zu tun hatten, »›MV‹, ich weiß – aber er ist in unsere Sache gar nicht involviert. Er gehört zur obersten Ebene, die bewusst herausgehalten wird.« Liebenstein überlegte und fügte hinzu: »Was die WM anbelangt, klar, da erwartet er natürlich einen absoluten Erfolg – wie alle. Aber das ist schließlich legitim. Nur: Wunder vollbringen kann niemand.«
»Sag’s ihm«, entgegnete Beierlein provozierend. Liebenstein schwieg. Er wusste genauso gut wie jeder andere, der auf ›MV‹ angewiesen war, dass dieser Mann keinen Widerspruch duldete. Und seine Beziehungen waren derart weit vernetzt, dass es der Karriere nicht zuträglich wäre, sich ihm in irgendeiner Weise in den Weg zu stellen. Die Frau lächelte, als amüsiere sie sich über die Ängste der beiden Männer. Draußen kam Wind auf und zerrte an Bäumen und Stauden.
»Und Geld? Wie weit ist der Etat gediehen?«, wechselte Liebenstein das Thema und öffnete den obersten Hemdknopf. Hier drin war es verdammt schwül.
Beierlein lächelte zufrieden. »Die Herren haben sich gestern auch getroffen. Rambusch, der die Kasse verwaltet, hat etwas von annähernd 27 Millionen gesprochen. 27 Millionen, ja, die Wirtschaft zieht mit.« Und er fügte süffisant hinzu: »Trotz aller Rezession. Geld ist genug da. Müssen die Proleten von den Gewerkschaften ja nicht wissen.«
Liebenstein lehnte sich nachdenklich zurück. »Wir brauchen aber noch ein Vielfaches. Ministerialdirektor Gangolf geht davon aus, dass bei manchen Zielpersonen die Hemmschwelle sehr hoch liegt. Wir werden teilweise hoch pokern müssen.«
Beierlein nickte bedächtig. »Das war uns von vornherein klar, Tobias. Mit Peanuts ist kein Pfifferling zu gewinnen. Außerdem vergiss nicht, werden wir mit Schwindlern rechnen müssen. Sie werden versuchen, uns aufs Kreuz zu legen. Deshalb muss jedes Geschäft so angelegt sein, dass unser Partner erpressbar wird. Verstehst du? Das ist das A und O an der Sache. Wer uns reinlegt und nicht spurt, der muss wissen, was ihm blüht …«
»Du meinst …« Er deutete die Geste des Halsabschneidens an. Die Frau lächelte wieder.
Klaus Riegert zählte zu jenen Politikern in der Bundeshauptstadt, die nie die Haftung mit der Basis daheim verloren hatten. Als Kripobeamter, der er einst war, hatte er als Nachrücker die Chance gehabt, in den Bundestag einzuziehen. Aber das war schon lange her. Längst kannte er die Gepflogenheiten im ›Hohen Hause‹, die Seilschaften und die Netzwerke, die Freundschaften und Feindschaften. Sein Büro im Paul-Löbe-Haus bot einen Blick schräg hinüber zur Spree und dort auf den Kindergarten, den sich der Bundestag leistete.
Riegert war keiner von denen, die nur schöne Sonntagsreden hielten, um sich vor Kameras und Mikrofonen zu profilieren. Er war der typische Schwabe, der lieber im Hintergrund arbeitete, sich umfangreiches Wissen aneignete und es da, wo es galt, auch einbrachte. Dass diese Art manchmal missverstanden wurde und ihm deshalb mangelndes Engagement vorgeworfen wurde, wie mal in einer Leserbrief-Kampagne geschehen, ärgerte ihn. Doch sein früherer Kollege August Häberle hatte ihn damals beruhigt: »Weißt du, Klaus«, hatte dieser gesagt, »alle wichtigsten Posten in dieser Republik sind von Schwätzern besetzt.« Ja, wie Recht der August doch hat, dachte Riegert und vertiefte sich in die Protokolle einiger zurückliegender Sitzungen des Sportausschusses. Mitte März war es heiß hergegangen, als ein Vertreter des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) ein Frühwarnsystem gegen Manipulationen bei Fußballwetten vorgestellt hatte. Als erste Reaktion auf den vorausgegangenen Wettskandal seien die Schiedsrichter-Beobachtungen »massiv verschärft« worden, las Riegert und erinnerte sich an die Sitzung und an die dargestellten Unregelmäßigkeiten über auffälliges Wettverhalten, hohe Einsätze und fragwürdige Schiedsrichter-Entscheidungen. Gefordert wurde jetzt ein gemeinsames Informationssystem aller 16 Lotteriegesellschaften der deutschen Bundesländer. Die Ausschussmitglieder, so hieß es am Ende des Protokolls, ›zeigten sich aber besorgt über einen möglichen Vertrauensverlust des deutschen Fußballs.‹ Und dies ausgerechnet jetzt, ein Jahr vor der Fußballweltmeisterschaft. Riegert seufzte still in sich hinein. Er hoffte inständig, dass die beschwichtigende Äußerung des DFB-Vertreters zutreffen würde: ›Der Confederations-Cup und die Fußball-WM 2006 sind in ihrem Ansehen nicht so stark gefährdet, wie behauptet wird.‹ Riegert, sportpolitischer Sprecher der konservativen Fraktion, hatte beim Lesen der Akten gar nicht bemerkt, dass diese überaus selbstbewusste Frau in sein Büro gekommen war. Sie stand plötzlich neben seinem Schreibtisch und erst nach und nach nahm er im Augenwinkel diesen dunkelblauen Hosenanzug wahr, der die weiblichen Formen betonte. Riegert, der sich sein jugendliches Aussehen bewahrt hatte, drehte langsam den Kopf und schaute in ein strahlendes Gesicht. »Immer in die Arbeit vertieft«, stellte die Frau mit gespielt unterkühlter Stimme fest. »Du solltest Acht geben, dass du nicht eines Tages das wirklich Wichtige verpasst.«
Riegert lächelte verlegen, klappte den Aktenordner zu und drehte sich in seinem Bürosessel vollends zu ihr um. »Glaub mir, Eva, ein Politiker weiß sehr schnell zwischen Wichtigem und Unwichtigem zu unterscheiden.«
Die blonde Frau lehnte sich keck an den Schreibtisch. »Deshalb hast du jetzt auch prompt deine Akten zugeklappt, stimmt’s? Was würde da wohl der Herr Bundeskanzler sagen?«
Der Bundestagsabgeordnete erhob sich und schob den Stuhl an den Platz zurück. »Der Herr Bundeskanzler ist mir wurscht«, sagte er und fügte spitz hinzu: »Außerdem wird er bald ohnehin nichts mehr sagen.«
Riegert versuchte, ein Mindestmaß an Ordnung zu halten, wenngleich sich auf seinem Schreibtisch Papiere stapelten und in den Regalen rundum Schnellhefter zwischen Aktendeckeln steckten. Irgendwie waren die Abgeordnetenbüros auch viel zu klein, hatte er sich schon oft beklagt.
»Auch die künftige Frau Bundeskanzlerin wär vielleicht nicht gerade erbaut, wenn sich der Herr Abgeordnete so schnell ablenken lässt«, stichelte Eva weiter.
Er ließ sich nicht provozieren. »Hast du Lust auf einen Bummel zum Pariser Platz?«, fragte er und schaute auf die Armbanduhr. Es war kurz vor zwölf und seine Sekretärin bereits gegangen. Er hatte sich ohnehin vorgenommen, diesen Mittag trotz der ungewöhnlichen Kälte draußen zu verbringen. Sie willigte ein. In letzter Zeit war Eva auffallend oft um diese Zeit gekommen. Er kannte die Mittdreißigerin schon seit mehreren Jahren, doch waren die Kontakte nie über das rein Geschäftliche hinausgegangen. Da achtete er auch streng darauf. Denn er war daheim im Schwäbischen glücklich verheiratet und zählte nicht zu jenen, die sich die Sitzungstage in Berlin mit Affären versüßten.
Eva Campe arbeitete einige hundert Meter vom eigentlichen Regierungsviertel entfernt, drüben in der Scharnhorststraße, wo sich das Wirtschaftsministerium befand. Seit geraumer Zeit interessierte sie sich stark für Sport, diskutierte gerne über die Fußballspiele der Nationalmannschaft und konnte sich sogar ärgern, wenn die millionenschweren Kicker wieder mal absolute Lustlosigkeit bewiesen hatten, wie vor einigen Wochen gegen Slowenien. Riegert nahm in solchen Fällen den Bundestrainer in Schutz, der schließlich habe »bei null« anfangen müssen, was nicht einfach gewesen sei. Und Riegert verstand etwas von Fußball, war er doch seit Jahr und Tag aktiver Spieler in der Bundestagsmannschaft – sogar Torschützenkönig und jener mit der längsten Zugehörigkeit.
Sie waren durchs Brandenburger Tor gegangen, auf dessen östlicher Seite mehrere hundert Touristen aus Omnibussen quollen. Es hatte aufgehört zu regnen, als sie den großen Platz erreichten, an den sich das Nobelhotel ›Adlon‹ anschloss. Hier, auf der Straße ›Unter den Linden‹, hatte Riegert ein Café vorgeschlagen, vor dem man bei schönem Wetter im Schatten der Bäume und Häuserfronten ein Eis essen konnte. Heute jedoch mussten sie im Innern Platz nehmen. »Sag mal, Klaus«, begann die Frau, als sie an einem der Tischchen saßen, »wie ist das eigentlich – kriegst du überhaupt mit, was bei dir daheim so läuft? Ich mein’: Du bist die ganze Woche über in Berlin und dein Schwabenland ist weit.«
Der Politiker sah ihr in die großen, blauen Augen. Für einen Moment stutzte er, denn ihm war der Hintergrund der Frage nicht klar.
»Meine Frau hält mich auf dem Laufenden«, erwiderte er, als die junge Bedienung die Eisbombe mit reichlich Sahne brachte, »außerdem gibt’s mein Büro, das für mich den ganzen Schriftverkehr im Wahlkreis abwickelt.« Er begann die Sahne zu genießen, während ihn seine Gesprächspartnerin aufmerksam musterte. Riegert überlegte, worauf die Frau hinaus wollte. »Dazu kommt«, fuhr er fort, »dass ich im Internet täglich die beiden regionalen Tageszeitungen lese – wenigstens den Lokalteil, um zu wissen, ob mich jemand attackiert«, lächelte er. Eine Gruppe Amerikaner betrat lautstark das Café.
»Man wirft euch Politikern doch oft vor, den Kontakt zur Basis verloren zu haben«, provozierte Eva Campe und zog eine Schnute. »Ist das nicht frustrierend?«
Riegert nickte. »Schon, natürlich, ja – vor allem, wenn diese Behauptungen verallgemeinert werden. Natürlich gibt es Kollegen, die bar jeglicher Ahnung sind, wie es dem Normalbürger heutzutage geht. Die so genannten Berufspolitiker. Abitur, Studium, Politiker – nie aber ernsthaft gearbeitet, verstehst du? Vielleicht mal als Ferienjobber irgendwo reingeschnuppert, aber das war’s.« Wenn er auf dieses Thema angesprochen wurde, konnte er richtig emotional werden. Er genoss das herrlich sahnige Eis und sah in das interessierte Gesicht seiner Zuhörerin.
»Du hast mal richtig gearbeitet? So hab ich das in Erinnerung …«
»Ich bin Kriminaloberkommissar, ja. Deshalb sind mir die Nöte des werktätigen Volkes durchaus bekannt. Ich weiß, was es bedeutet, mit einem relativ geringen Gehalt eine Familie ernähren zu müssen – mit richtiger Arbeit, unter Stress und Druck durch Vorgesetzte. Während die meisten hier …« Er deutete eine Kopfbewegung in Richtung Reichstagsgebäude an, »… während die meisten hier doch derart dummes Zeug daher schwätzen, dass man meinen könnte, eine Kassiererin beim Aldi zähle schon zu den Besserverdienenden, die man ruhig weiter mit Steuern und sonstigen Einschränkungen belasten kann. Das Schlimmste ist, dass gerade die Sozis so daher reden. Aber was soll ich sagen, Eva? Wahrscheinlich verdirbt dieser Job hier den Charakter. Wer daheim die Bodenhaftung verloren hat, schwebt hier in höheren Sphären – und weiß überhaupt nicht, wie’s draußen in der Republik brodelt.« Nach kurzer Pause fügte er hinzu: »Aber seit der NRW-Wahl haben sie’s wohl kapiert.«
»Und warum hast du bisher da drüben nicht auch mal ordentlich auf den Tisch geklopft?« Sie sah ihn mit einem angedeuteten Grinsen an.
»Wenn ich eines in all den Jahren gelernt habe, dann sind es die Gesetzmäßigkeiten, mit denen da drüben alles abläuft. Jeder Einzelne weiß, wie schwerfällig dieser Regierungsapparat geworden ist – jeder sieht es ein. Aber keiner, nicht einer, ist in der Lage, daran was zu ändern. Als Einzelner geht das sowieso nicht.« In Riegerts Stimme schwang ein bisschen Resignation mit.
»Das klingt nach Frust«, meinte Eva und sah auf die Straße hinaus.
»Was heißt Frust!?« Der Politiker wollte nicht den Verdacht der Hilflosigkeit aufkommen lassen. »Du weißt doch selbst, wie hier Besitzstände verteidigt werden, wie Lobbyisten und Interessenvertreter ihr Süppchen kochen – ganz zu schweigen von den Seilschaften und Verflechtungen zwischen Ministerien, Parteipolitik und Wirtschaft.« Der Politiker sah in Gedanken versunken zu einem Pärchen am Nebentisch hinüber. »Ich sag dir, Eva, der Einfluss des Kapitals in die Regierungspolitik war nie zuvor so groß. Manchmal hab ich den Eindruck, die Rot-Grünen hätten sich den Unternehmern geradezu angebiedert und dabei nicht gemerkt, wie sie über den Tisch gezogen wurden. Hätten wir Konservative das alles angezettelt, was jetzt passiert ist – ich glaub, die Bevölkerung hätt uns auf Jahrzehnte hinaus nicht mehr gewählt.«
»Glaubst du das wirklich?«, zeigte sich Eva kritisch, »die Bevölkerung kriegt doch in dieser medienüberfluteten Welt gar nicht mehr mit, was in der Politik geschieht. Was heute gilt, ist morgen schon wieder anders.«
Riegert nickte eifrig. »Du sagst es überdeutlich. Kürzlich hat mir ein Bürger aus dem Wahlkreis gesagt, ihm komme Berlin wie ein großer Ameisenhaufen vor. Jeden Tag stochere ein anderer darin rum – dann herrsche große Aufregung und Geschäftigkeit und über Nacht kehre wieder Ruhe ein. Bis der Nächste reinsteche – und der Zirkus aufs Neue losgehe.« Der Politiker genoss die letzten Löffel Eis. »Man kann’s auch drastischer ausdrücken: Hier wird jeden Tag eine andere Sau durchs Dorf getrieben.«
Eva lachte laut. Das hatte sie noch nie gehört. Sie zögerte kurz, sah dann aber doch die Gelegenheit für ein Thema gekommen, das sie schon lange hatte ansprechen wollen: »Hast du dir als Sportpolitiker schon mal Gedanken darüber gemacht, welch große Hoffnung die Regierung in die Fußballweltmeisterschaft setzt?«
Riegert unterdrückte ein Lachen. »Gedanken?«, wiederholte er, »Eva, das Ding läuft schon lange. Diese Regierung hat sich von einem Titel-Gewinn positive Signalwirkungen auf die Bundestagswahl erhofft. Pech nur, dass die NRW-Wahl alles durcheinander gebracht hat. Aber egal, wer nächstes Jahr an der Macht ist, wir könnten den Titelgewinn gut gebrauchen, keine Frage. Psychologen glauben sogar, es würde in der Bevölkerung zu einem neuen ›Wir‹-Gefühl führen – und diese Lethargie beseitigen, die sich wie ein Leichentuch über diese Republik gelegt hat.« Der Politiker schob seinen leeren Eisbecher zur Seite. »Neue Regierung, neues Glück«, grinste er viel sagend.
»Und du? Was meinst du?«, wollte die Frau wissen, deren stets positiver Gesichtsausdruck Riegert von Anfang an begeistert hatte.
»Die WM wird ein Riesenspektakel, ein Fest fürs ganze Land«, erwiderte er in seiner ihm eigenen Sachlichkeit, »und dass wir ein Erfolgserlebnis vertragen können, wie gesagt, das steht außer Zweifel. Aber beeinflussen kannst du das nicht. Das kann genauso gut in die Hose gehen.« Er fügte mit gedämpfter Stimme hinzu, als ob er Sorge habe, man könnte es an den Nebentischen hören: »Wenn ich die Leistungen unserer Nationalmannschaft so sehe, Eva, ganz unter uns und um ehrlich zu sein, dann mag ich im Moment nicht so recht an einen Erfolg glauben. Aber es ist ja noch ein Jahr hin!«
Eva fasste ihn am Arm. »Seh’s nicht so schwarz, Klaus. Vielleicht sollten wir nur alle zusammenhalten – und fest dran glauben.« Sie lächelte ihn an und spürte, dass er die Bedeutung ihrer Worte nicht verstand. Deshalb versuchte sie, ihn aufzumuntern: »Glaube versetzt Berge – nie gehört?«
Er nickte. »Nur haben leider manche der Jungs nur noch Geld im Kopf.«
»Insoweit unterscheiden die sich nicht von den Politikern.« Eva grinste.
Riegert hörte solche Anspielungen nicht gerne, zumal er sein Amt bisher nie zum Eigennutz missbraucht hatte.
»Tut mir leid, Klaus, aber vielleicht sollte man, was die Fußballer anbelangt, noch mehr Anreize schaffen.«
»Noch mehr?«
»Ja, die Bedingungen verbessern – ich meine, man sollte vielleicht auch politisch den Fußballstandort Deutschland aufwerten.«
Der Politiker schwieg. Er konnte noch immer nicht nachvollziehen, worauf Eva hinaus wollte. Wieder war es ihr plötzliches Interesse am Fußball, das ihn stutzen ließ. Ihm war in den vergangenen Jahren nie aufgefallen, dass sie sich sonderlich damit beschäftigt hätte.
»Die politische Einflussnahme ist gering«, sagte er schließlich. »Heutzutage ist es doch eher umgekehrt: Jeder will Einfluss auf die Politik nehmen – und hat damit in vielen Fällen sogar Erfolg. Leider.«
Eva legte ihren rechten Arm freundschaftlich um seine Schulter. Das hatte sie bisher selten getan. »Mensch, Klaus, denk doch mal drüber nach!« Sie schaute ihm tief in die Augen. »Die große Politik könnte zumindest ein bisschen dazu beitragen, dass sich zwischen gewissen Interessengruppen und dem Sport ein günstiges Klima entwickelt.«
»Welche Interessengruppen denn?«
»Naja – die Wirtschaft eben. Überleg doch, Klaus: An diesem Spektakel, das so eine WM auslöst, hängen Milliarden. Vermutlich wird’s in den nächsten zehn, zwanzig Jahren nichts Vergleichbares mehr geben. Es ist eine riesige Chance für Deutschland. Die ganze Welt schaut zu uns – vier Wochen lang.«
Der Politiker befreite sich dezent von der Umarmung. Weshalb, so dachte er, weshalb machte sich die Frau für diese Weltmeisterschaft so stark? »Und du bist davon überzeugt, dass es neben den sportlichen Leistungen auch noch andere Möglichkeiten gibt, den WM-Titel zu erobern?«
Eva lächelte. »Sag mal, Klaus, wie lange bist du jetzt schon in der Politik? Zwölf Jahre, sechzehn Jahre? Mir scheint, da weiß sogar ich als einfache Angestellte des Wirtschaftsministeriums mehr über die Vorgänge hinter den Kulissen als du.«
Diese Feststellung ärgerte ihn. Natürlich hatte er damals schon nach den ersten Monaten bemerkt, wo der Hase hinlief. Was im Bundestag stattfand oder was vor den Kameras gezerft wurde, das waren meist nur die Scheingefechte fürs gemeine Volk. Die Weichen wurden im Hintergrund gestellt, in Ausschusssitzungen, oft auch bei heimlichen, parteiübergreifenden Gesprächen. Aber da unterschied sich die Bundespolitik nicht von den provinziellen Gemeinderäten.
»Du bist also davon überzeugt, dass es Einflussnahme auf den Sport gibt?« Möglicherweise wusste Eva mehr. Der Kommissar in ihm wurde wach.
»Das kann man sich an den Fingern einer Hand abzählen, Klaus. Und ich bin davon überzeugt, dass die Kräfte, die dahinter stecken, ziemlich mächtig sind.« Ihre Stimme hatte etwas drohend Geheimnisvolles angenommen.
»Und was bedeutet das deiner Ansicht nach?«
»Dass es sich empfiehlt, sie zu unterstützen«, antwortete sie knapp. Um jedoch gleich gar keine parteipolitische Variante aufkommen zu lassen, setzte sie hinzu: »Und das hat nichts mit der Regierungskoalition zu tun, Klaus – überhaupt nicht. Das ist eine Sache, hinter der die Wirtschaft steht. Das Kapital, verstehst du?«
»Und wieso erzählst du das gerade mir?«
Eva lächelte ihn charmant an. »Erstens bist du der sportpolitische Sprecher deiner Fraktion und zweitens kennen wir uns schon lange. Okay, ich bin sozusagen bei der Regierungskoalition angestellt, noch – aber deshalb darf man doch privat mit einem so netten Menschen wie dir von der Opposition über alles plaudern. Zumal du doch ohnehin davon überzeugt bist, bald der Regierung anzugehören. Findest du nicht?«
Er tat so, als fühle er sich geschmeichelt. »Wenn ich dich so reden höre«, entgegnete er, »dann könnte ich fast meinen, du wüsstest ziemlich viel.« Der Politiker spielte mit dem Löffel, den er vorhin in den leeren Eisbecher gesteckt hatte. »Du sagst, es empfehle sich, diese … diese Kräfte zu unterstützen. Wie … wie darf ich das verstehen?« Als gelernter Kriminalist hatte er ein Gespür für die Bedeutung beiläufiger Bemerkungen. Er war ein guter Zuhörer – und das unterschied ihn von den meisten seiner Kollegen im Bundestag, die oftmals nur sich selbst gerne reden hörten.
Eva dachte einen Moment nach, um jetzt nichts Falsches zu sagen. »Ich mein nur, dass die Kräfte vermutlich sehr mächtig sind, Klaus. Und dass sie …« Noch zögerte sie, es auszusprechen, doch dann entschied sie sich, es zu tun: »… dass sie im Ernstfall, wenn’s drauf ankommt, vor nichts zurückschrecken.« Sie machte eine Pause. »Vor nichts, verstehst du?«
Unweigerlich musste Riegert an den bedauernswerten, ehemaligen Ministerpräsident Barschel von Schleswig-Holstein denken, den man im Oktober 1987 in einer Badewanne eines Züricher Hotels tot aufgefunden hatte. Bis heute rankten sich allerlei mysteriöse Gerüchte um diesen Fall.