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Kapitel 4
ОглавлениеDer junge Mann, der in einer roten Hotel-Uniform steckte, war mit den beiden Deutschen in den Aufzug gestiegen und hatte den Knopf fürs neunte Stockwerk gedrückt. Der Weißhaarige und sein jüngerer Freund hingegen wählten die sechste Etage. Als sich die Tür automatisch schloss, betrachteten sich die Gäste in den getönten Spiegeln der Kabine und stellten fest, dass sie übernächtigt aussahen. Während nacheinander die Kontrollleuchten für die einzelnen Etagen aufblinkten, drehte sich der junge Hotelangestellte zu den Männern um, überlegte kurz und fragte dezent: »Do you want a special service for the night?« Der Weißhaarige mit dem hochroten Kopf verstand nicht so recht. Sein Begleiter hingegen wusste sofort, was mit der Frage nach einem »speziellen Service für die Nacht« gemeint war. Er lehnte lächelnd ab. Ihm war nicht danach. Außerdem würde er kein Geld dafür ausgeben wollen. Inzwischen hatte der Aufzug die sechste Etage erreicht und die beiden Deutschen stiegen aus. Der Hotelboy fuhr sichtlich enttäuscht weiter. Die Vermittlung eines nächtlichen Services hätte sein Taschengeld aufgebessert.
Mittlerweile hatte auch der Weißhaarige begriffen, was gemeint war. Die beiden Männer lächelten und strebten durch den mit Teppichboden gedämpften Flur ihren Zimmern entgegen. »Sollen wir uns noch was aus der Minibar genehmigen?«, fragte der Ältere mit der sonoren Stimme. Der andere nickte und ließ sich gerne noch zu einem Drink im Zimmer seines Freundes einladen.
Es war inzwischen weit nach Mitternacht. Der Weißhaarige holte aus dem kleinen Kühlschrank zwei kleine Flaschen Pils, öffnete sie und goss den Inhalt in die beiden bereit stehenden Gläser. »Wo sind wir da reingeraten, Rainer?!«, sinnierte er und erfüllte mit seiner kräftigen Stimme den Raum. Sie hatten die Stühle mit den abgewetzten Polstern an das Tischchen gerückt, auf dem ein Fernsehgerät stand. Das Zimmer war eng.
Rainer, der Jüngere, kratzte sich im zersausten blonden Haar und kommentierte: »Räuber und Ganoven.« Er griff nach dem Getränk und hob das Glas.
»Das kannst wohl annehmen«, bekräftigte der Ältere, der seinen leicht bayrischen Dialekt nicht verbergen konnte – und es auch nicht wollte. Dann prosteten sie sich zu und nahmen einen kräftigen Schluck.
»Mensch, Martin, die haben ganz schön Schiss«, meinte Rainer und wischte sich Bierschaum vom Mund.
»Der Arsch geht denen auf Grundeis, mein Lieber. Da läuft mehr, als sie uns sagen wollen.«
»Natürlich, daran besteht überhaupt kein Zweifel. Warum soll sich denn die Mafia an den Geschäftsführer einer vergleichsweise kleinen und harmlosen Firma heranmachen, die nur mit Baustoffen handelt? Das gibt doch keinen Sinn.«
Martin nickte und lehnte sich zurück, sodass die Lehne bedenklich knarrte. »Und noch im vergangenen Jahr war alles in Ordnung, verstehst? Der Jano hat große Töne gespuckt – und die Bilanz hat gestimmt.« Er legte eine kurze Pause ein. »Naja, zumindest, was ich rausgelesen hab. Aber Bilanzen kann man nach Belieben frisieren – das kennt man ja, verstehst?«
»Wie ist deine Einschätzung? Haben wir noch eine Chance, unser Kapital wieder zu kriegen?«
»Ich kann die Zweihunderttausend nicht einfach wegstecken.« Er holte tief Luft. »Zunächst mal vertrau ich auf den Amerikaner, der schon seiner Schwester zuliebe seinen Schwager nicht als Betrüger abstempeln lassen will.«
Rainer nickte wieder. Er hatte zwar nur einen Bruchteil von der Summe seines Freundes investiert, war aber nicht minder stark darauf angewiesen, das als Darlehen gewährte Geld wieder zu erhalten.
Vor vielen Jahren hatte alles so verlockend angefangen. Jano, der smarte, slowakische Geschäftsmann, dem Beziehungen bis in die höchsten politischen Ebenen seines Heimatlandes nachgesagt wurden, unter anderem sogar zum späteren Staatspräsidenten, war auf der Suche nach Geschäftspartnern durch Deutschland gereist. Ganz im Stile eines amerikanischen Businessman hatte er geredet und das Vertrauen von potenziellen Investoren gewonnen. Er hatte Ideen und den nötigen Elan – nur eben kein Geld. Dabei konnte er, gemessen an deutschen Verhältnissen, bereits mit vergleichsweise geringem Kapitaleinsatz daheim etwas bewegen. Ein paar zehntausend Mark waren damals für ihn eine riesige Summe gewesen. Und weil in der Slowakei die Banken noch geradezu inflationäre Darlehenszinsen verlangten, oft über 20 Prozent, konnte er seinen Geldgebern gut und gern die Hälfte davon versprechen und es trotzdem verkraften.
Jano war es damals, Mitte der 90er Jahre, tatsächlich gelungen, Kapitalanleger zu finden, mit deren geldkräftiger Unterstützung er eine Firma aufbauen konnte, die in geradezu atemberaubender Weise expandierte und von der aufstrebenden Wirtschaft des kleinen Landes profitierte. Er bezahlte artig seine Zinsen und legte Bilanzen vor, die bei den jährlichen Gesellschafterversammlungen Freude aufkommen ließ. Als sich herumsprach, welch traumhafte Kapitalanlage eine Investition in ein slowakisches Unternehmen sein konnte, meldeten sich immer neue Interessenten bei Jano. Dass er ein Schwindler sein würde, hatte niemand gedacht. Und auch jetzt war sich Martin noch nicht sicher, ob Jano das viele Geld, das jetzt offenbar irgendwie verschwunden war, absichtlich veruntreut hatte oder ob er einfach zu hoch gepokert hatte – womit auch immer.
»Weißt«, meinte Martin, nachdem er einen kurzen Moment überlegt hatte, »letztlich ist’s mir wurscht, was da gedreht wurde. Ich will mein Geld wieder – und dann sehn die mich hier nie mehr. Nie mehr, verstehst?«
Rainer nickte. »Ich denk auch, wir sollten uns nicht allzu sehr in diese Sache einmischen. Der Amerikaner ist ehrlich bemüht, Gras über die Sache wachsen zu lassen.«
Martin holte tief Luft. »Du hast Recht. Weißt, mir ist heut Abend etwas eingefallen, was vor einigen Jahren einem Geschäftsmann aus dem Kreis Göppingen widerfahren ist.« Er holte ein weiteres Pils aus der Minibar und öffnete den Kronenkork. »Ich weiß zwar nicht, was er für Geschäfte gemacht hat. Aber weißt, was sie mit dem gemacht haben?«
Rainer zuckte mit den Schultern.
»Gekillt hab’n sie ihn. Erschossen. Regelrecht hingerichtet.« Martin schaute seinem Freund fest in die Augen. Seine Adern an den Schläfen waren hervorgetreten. »Erschossen – in Ungarn drübn.«
»Deshalb mein ich, es ist in diesen Gegenden vielleicht besser, man stellt nicht so viele Fragen.«
Rainer wurde bleich. »Vielleicht sollten wir Matthias anrufen.«
Martin nickte.