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Kapitel 8
ОглавлениеLiebenstein war mit dem Gespräch zufrieden und ließ sich von einem Taxi in den Stuttgarter Talkessel hinabbringen, der seine Schönheit und den Glanz sonniger Tage verloren zu haben schien. Der Fahrer quälte sich mit dem cremefarbenen Mercedes durch den mittäglichen Verkehr, kam am Landtag und an der Abzweigung zum Hauptbahnhof vorbei und fuhr ein Stück weit die Neckarstraße abwärts, um dann die B 14 anzusteuern, die ins Nebel verhangene Remstal hinausführte.
Liebenstein hatte sich in den Fond gesetzt, um während der Fahrt einige Aufzeichnungen machen zu können. Dazu legte er den Aktenkoffer auf die Knie, ließ den Deckel hochschnappen und griff nach einem Notizblock. Der Fahrer blickte seinen Gast kurz durch den Rückspiegel an. Liebenstein hatte sich zur Gewohnheit gemacht, sofort die wichtigsten Eindrücke und Ergebnisse eines Gesprächs schriftlich festzuhalten. Damit konnte er seinem Chef in Berlin später detailliert Bericht erstatten.
Er musste während seiner Dienstreise nach Süddeutschland so viel wie möglich klären. Gangolf verlangte jetzt eine deutlich umrissene Vorgehensweise.
Die vorausfahrenden Autos wirbelten den Straßenschmutz auf. Liebenstein fühlte sich matt. Eigentlich hatte er Hunger, doch sein eng bemessener Zeitplan ließ keine Mittagspause zu.
Der Taxifahrer fand die angegebene Adresse in Grunbach sofort. Das villenähnliche Haus von Pfisterer stand hoch überm Ort in herrlichster Südhanglage, direkt neben den Reben eines Weinbergs. Liebenstein wurde gleich eingelassen, erreichte über einen Gartenweg die schwere eichene Eingangstür und begrüßte den Mann, der ihn bereits erwartete, mit einem kräftigen Händedruck. Der Hausbesitzer, dessen dünn gewordenes Haar ziemlich ungekämmt in eine faltenreiche Stirn hing, führte seinen Besucher in ein Wohnzimmer mit schweren Holzmöbeln. Aus einem der wuchtigen Sessel erhob sich eine Frau, die ihre Fettpölsterchen gut in einem hellen, weit geschnittenen Kleid zu verbergen verstand. Sie schüttelte Liebenstein die Hand und lächelte. Er setzte sich an dem dunklen Holztisch ihr gegenüber und stellte seinen Aktenkoffer neben den Sessel.
»Die Sache kommt ins Rollen«, begann Edgar Pfisterer, nachdem er seinem Gast einen Orangensaft eingeschenkt hatte.
»Ich hoffe es«, entgegnete Liebenstein und nahm einen Schluck. »Herr Gangolf ist um einen zügigen Ablauf bemüht.«
Pfisterer sah seine Frau an, die sich in ein Buch vertiefte und an dem Gespräch der Männer nicht allzu interessiert zu sein schien. Liebenstein genoss für einen kurzen Moment die Aussicht durch eine große Glasscheibe über Grunbach hinweg – hinüber zu den Höhen des Schurwaldes. »Ich kann Ihnen von meiner Seite versichern, dass alles plangemäß angelaufen ist«, erklärte Pfisterer. »Meine Kollegen sind hoch motiviert. Sie sehen darin endlich einmal wieder eine Chance für unser Land.«
Liebenstein nickte und lehnte sich zurück. »Die es natürlich zu ergreifen gilt«, knüpfte er an Pfisterers Worte an, um damit die Bedeutung zu unterstreichen. »Ohne Sie und die Bereitschaft Ihrer Kollegen geht es natürlich nicht«, fuhr er fort. »Wir brauchen Kapital – sehr viel Kapital. Ich befürchte sogar, mehr als wir bisher errechnet haben.«
Pfisterers Gesicht versteinerte sich. »Sie kennen unser Anliegen«, sagte er mit leicht drohendem Unterton. »Die Gemeinnützigkeit«, gab er sich selbst das Stichwort.
»Herr Gangolf hat sich bereits mit dem Finanzministerium in Verbindung gesetzt und Kontakte geknüpft. Keine Sorge. Die Vereinsgründung ist erfolgt – und wer wollte es schon wagen, eine so gute Sache zu torpedieren? Doch auch die anderen nicht.«
»Manche Kollegen«, Pfisterer zögerte und rang nach Worten, »nun ja, manche wären auch bereit, sich sogar stärker zu engagieren, als es ihre Bilanzen zuließen – nur müsste sichergestellt sein, dass die Finanzämter keine unangenehmen Fragen stellen.«
Liebenstein verstand. »Sie meinen das Geldwäschegesetz«, brachte er das Problem auf den Punkt.
»Ja, so nennt man das wohl«, sagte er, »seit die Regierung hinter jedem Cent her ist, ist man in diesem Land doch vor nichts mehr sicher. Erst vor drei Monaten haben sie das Bankgeheimnis über Bord geworfen.« Pfisterer versuchte, ruhig zu bleiben. Immerhin hatte er einen Vertreter der Regierung vor sich, die den Niedergang aller bisherigen Werte zu verantworten hatte. »Aber es steht eine Wende bevor«, fügte er energisch hinzu.
»Ich kann Sie beruhigen«, entgegnete Liebenstein, »Ihre Kollegen können ihr Schwarzgeld unbesehen einbringen.«
Pfisterer holte tief Luft. »Wie sagt man doch gleich? Geld stinkt nicht.«
Liebenstein ging nicht darauf ein. »Sehen Sie es als Anschubfinanzierung für den konjunkturellen Aufschwung, Herr Pfisterer. Sollte das Vorhaben von Erfolg gekrönt sein, wird die Regierung, egal welche, das dürfen Sie mir glauben, gewiss alle Finanzgeber in den folgenden Jahren bei ihren Auftragsvergaben berücksichtigen. Und bedenken Sie: Es gibt viel zu tun – im Inland und bei den unzähligen Entwicklungshilfeprogrammen im Ausland. Die deutsche Wirtschaft wird davon profitieren. Oder besser gesagt, all jene Unternehmen, die jetzt mitziehen.« Liebenstein warf sein Jackett über die Stuhllehne. »Wenn man’s genau nimmt«, lächelte er, »dann hat diese Regierung doch Ihnen und Ihresgleichen die Kohlen aus dem Feuer geholt.« Frau Pfisterer blickte von ihrem Buch auf, als ob sie plötzlich an dem Gespräch der Männer interessiert wäre. Ihr Mann kniff die Lippen zusammen und starrte Liebenstein gespannt an.
»Hätten die Konservativen diesen sozialen Kahlschlag vom Zaun gebrochen, hätte man ihnen Kumpanei mit der Wirtschaft vorgeworfen. Die Gewerkschaften wären Amok gelaufen, Chaoten wären auf die Straße gegangen und hätten gegen das Großkapital losgeschlagen. Man kennt das ja. Jetzt haben aber ausgerechnet die Rot-Grünen Tabula rasa gemacht und aus panischer Angst, während ihrer Regierungszeit gehe vollends alles vor die Hunde, den Unternehmern Zugeständnisse gemacht, die in dieser Republik beispiellos sind.«
Liebenstein lächelte. Er war sichtlich stolz, auch Teil dieser Regierung zu sein, die dies so genial eingefädelt hatte. »So ist eine Situation entstanden … « knüpfte er an Pfisterers Worte an, »… mit der niemand gerechnet hätte. Niemand. Auf diese Weise sind aber den Unternehmen alle Freiheiten geschaffen worden. Freiheiten, die Sie und Ihre Kollegen zu einem Befreiungsschlag nutzen.«
Pfisterer schwieg erstaunt. Derlei ehrliche Worte aus dem Mund eines Vertreters des rot-grünen Wirtschaftsministeriums hatte er nicht erwartet.
»Gewerkschaften und Betriebsräte strecken die Waffen angesichts der finstren Lage«, machte Liebenstein weiter. »Die Stimmung im Land hat sich so gedreht, dass alle froh sind, überhaupt noch einen Arbeitsplatz zu haben. Eine geradezu geniale Stimmung …« Er behielt sein Gegenüber scharf im Auge und spürte, wie Pfisterer ihm an den Lippen hing. Auch die Frau hatte das Interesse an ihrem Buch vollends verloren.
»Alle tun alles, um ihren Job zu behalten«, dozierte der Besucher weiter, »man verzichtet auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld, ist bereit ohne Lohnausgleich mehr zu arbeiten – ja, und schon verhandelt die Gewerkschaft nicht um Tariferhöhungen, sondern ist froh, wenn der Lohn nur um ein oder zwei Prozent gekürzt wird. Herr Pfisterer, ich bitt Sie, was hätt den Unternehmern Besseres passieren können?«
Der Weißhaarige deutete ein Nicken an, ohne etwas zu sagen.
»Und nicht die bösen Konservativen, denen man solche Sauereien jederzeit zugetraut hätte, haben’s angerichtet, sondern die Sozialisten und die Grünen. Hatten die Unternehmer jemals mehr Schützenhilfe? Irgendwann wird man sagen, die Rot-Grünen hätten die Drecksarbeit für die Konservativen gemacht.« Liebenstein reckte den Kopf, um über die blühenden Sträucher und Stauden der Terrassenbegrenzung hinweg auf die Dächer von Grunbach hinab zu sehen. »Sie können nach Herzenslust in Südosteuropa oder in China oder sonst wo investieren, bekommen das steuervergünstigt und mancherorts sogar noch staatlich subventioniert – und sie können dort spottbillig produzieren. Ich sag Ihnen doch nichts Neues, Herr Pfisterer: Die Gewinne der Konzerne steigen teilweise ins Unermessliche – und was tun sie? Weiterhin Arbeitsplätze abbauen.«
»Naja«, rang sich Pfisterer jetzt zu einem Einwand durch, »das mit den Gewinnen dürfen Sie nicht verallgemeinern. Es gibt auch andere Beispiele. Daimler …« Liebenstein winkte ab und fiel ihm ins Wort: »Missmanagement. Gegen selbstverschuldete Miseren ist kein Kraut gewachsen. Entschuldigen Sie, aber man kann durchaus den Eindruck gewinnen, die Herrschaften in manchen Großunternehmen hätten angesichts der Gunst der Stunde die Bodenhaftung verloren. Um es mal vorsichtig auszudrücken.«
Pfisterer zeigte sich ein bisschen zerknirscht. Dieser Liebenstein hatte gar nicht so Unrecht.
»Was ich mit all dem sagen will?« Der Besucher spannte wieder den Bogen zum Ausgangsthema. »Diese Stimmung im Lande ist eigentlich nichts Schlechtes für die Unternehmen – hätte sich daraus nicht diese Kaufzurückhaltung entwickelt. Etwas, das auch in Unternehmerkreisen anfangs unterschätzt wurde. Eigentlich aber klar: Je häufiger von Arbeitsplatzabbau gesprochen wird, desto mehr drückt dies aufs Gemüt der Verbraucher. Geld, das wissen wir, liegt noch mehr als genug auf den privaten Sparkonten. Nur will’s keiner mehr ausgeben. Und gerade darin besteht jetzt unsere Aufgabe. Und Chance.« Liebenstein trank sein Glas leer. Frau Pfisterer schien zu gefallen, was der Gast sagte.
»Die Stimmung muss besser werden. Dieses Land braucht jetzt eine neue Identität, ein neues ›Wir‹-Gefühl.« Liebenstein kniff die Augen zusammen. »So eine Aufbruchstimmung, verstehen Sie. Etwas, das dem Volke das Selbstwertgefühl zurückbringt. Etwas, wo man sagen kann: Schaut her, wir haben’s geschafft. Wir.«
Den Unternehmer plagten trotz der Euphorie, die sein Gast versprühte, weiterhin gewisse Zweifel. »Und wenn etwas schief läuft, wenn die Sache auffliegt? Sie haben es mit ziemlich vielen Personen zu tun, vergessen Sie das nicht.«
»Dann wird keiner etwas wissen wollen – das ist uns allen bewusst«, meinte er knapp. »Die ganz hohen Herren werden aus der Sache absolut herausgehalten.«
»MV?«, hakte der Hausherr vorsichtig nach. Sein Gesprächspartner nickte.
»MV, ja«, erwiderte Liebenstein, wohl wissend, welch geradezu ehrfurchtsvollen Klang diese beiden Buchstaben in manchen Kreisen hatten, »der weiß von nichts, aber auch Beckenbauer und Klinsmann nicht. Sie sollen, wenn’s hart auf hart kommt, in nichts hineingezogen werden können. Saubere Weste, wenn Sie verstehen …« Der Mann räusperte sich. »Anweisung von Ministerialdirektor Gangolf.«
Pfisterer strich sich über den Bierbauch, um den herum sich ein viel zu enges Freizeithemd spannte. »Und es ist sichergestellt, dass die Wirtschaft als Gesamtes nicht ins Zwielicht gerät? Ich denk nur an die Boulevard-Presse, die wie die Hyänen über uns herfallen wird.«
Liebenstein schüttelte den Kopf. »Sie können mir glauben, Herr Pfisterer, es wird keine Spuren geben. Keine.«
»Und wenn es doch eine undichte Stelle gibt?«
Über Liebensteins Gesicht huschte ein gekünsteltes Lächeln. »Dann – das dürfen Sie mir glauben – dann wird gehandelt.«
Frau Pfisterers Miene verfinsterte sich.