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Der Krüppel Zilk
ОглавлениеVor acht Tagen halb verblutet und gestern eine Stunde Infotainment vom Feinsten gegeben. Besser als Gottschalk und Schreinemakers zusammen. Dieser Bürgermeister ist einfach unfassbar.
Seine drastischen Schilderungen von der Briefbombenexplosion. Vom Blut, das in Fontänen aus dem Körper schoss. Von Fleischklumpen, die auf dem Teppich lagen oder noch an dem baumelten, was vorher eine Hand gewesen war. Dagmar Koller, die danebensitzt und sich nur mühsam beherrschen kann, als sie das alles noch einmal in solchen Worten miterleben muss. Zilks mutige Sätze über Gewalt, Demokratie und über die Nazis, die damals nicht anders begonnen haben. Damals, als Zilk noch ein Kind war.
Der schwarze Humor, mit dem Zilk die entscheidenden Minuten seines Überlebens schildert: die Minuten, als man diese gottverdammte Schnur suchte, um den Arm abzubinden. Und wie das beinahe noch schiefgegangen wäre, wegen dieser Unordnung in diesem Künstlerhaushalt, und wie ihn das beinahe das Leben gekostet hätte.
Das Bekenntnis des Bürgermeisters, nun für immer ein Krüppel zu sein. Er sagte Krüppel, nicht Behinderter. Er sagte, er wolle dieses Wort. Er wolle ein Krüppel sein, um solidarisch zu sein mit allen, die man mit diesem Wort je gedemütigt hat. Seit gestern ist jeder Krüppel ein Held.
Und schließlich, am Ende der Sondersendung, die sich Pressekonferenz nannte und die alle Journalisten zu Stichwortgebern degradierte: am Ende die rührende, ehrliche und mediengeniale Nummer mit dem Ehering. Der Ehering, gerettet aus dem blutigen Inferno und nun von Dagmar Koller mit bebenden Händen erneut auf den Ringfinger der gesunden Hand gestreift.
Noch dem härtesten Hund musste da eine Träne ins Knopfloch tropfen.
14. Dezember 1993