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Zum Geburtstag eines Helden
ОглавлениеAls sie ihn, nicht zum ersten Mal, in die Intensivstation des Krankenhauses brachten, sagten die Ärzte, viele Hoffnungen soll man sich nicht mehr machen. Er war im Wald verunglückt, beim Holzfällen. Kein richtiger Arbeitsunfall. Der Mann war stockbetrunken gewesen. Lebensgefährlich die Verletzungen, lebensgefährlich die Überdosis Alkohol.
Der Mann war mit Alkohol praktisch aufgewachsen. Er hatte gelernt, dass richtige Männer Schnaps trinken, viel Schnaps. Als der Mann noch ein Kind war, wurde er mit Most und Bier belohnt, wenn er tüchtig war. Mit siebzehn, nach der Musterung, gewann er sein erstes Kampftrinken. Damals, lallte er später manchmal stolz, seien die anderen wie die Fliegen unter dem Tisch gelegen, und er selber habe noch mit dem Moped heimfahren können.
Er hat dann auch den Alkoholunfall im Wald überlebt. Das war am 22. März vor 20 Jahren. Die Narben von der Motorsäge sieht man noch an seinem Arm. Zwei Finger sind stumpengroß.
Jetzt feiert der Mann den zwanzigsten Geburtstag. Geboren ist er vor sechzig Jahren im November, davongekommen im Frühling 1978. Er hat seit diesem Unglück damals nie mehr einen Tropfen Schnaps getrunken. Auch sonst keinen Alkohol.
Zuerst haben ihm die Ärzte geholfen. Damit er langsam wieder auf die Beine und zur Besinnung kam. Dann hat er diesen Entschluss gefasst. Leben! Das kann kein Arzt für mich beschließen, sagte er. Das muss ich selber tun.
An jedem Geburtstag geht er in dieses Wirtshaus, aus dem sie ihn früher manchmal tragen mussten. Er trinkt einen Kaffee und macht sich nichts draus, wenn ihn einer hänselt. Sie stellen ihm Schnaps hin, er lässt ihn stehen. Wahrscheinlich ist er ein Held. Aber das sehen seine Kumpels nicht so. Sie saufen noch immer. Sofern sie nicht gestorben sind.
21. März 1998