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Auf dem Weg nach Hause war Georg nervös. Er wusste selbst nicht, warum. Irgendetwas ging in ihm vor, seit er das zweite Bier abgelehnt hatte. Aber er konnte dieses Etwas nicht fassen. Die Nacht war ungewöhnlich hell. Die Büsche am Wegrand stachen deutlich hervor, als würde sie jemand von hinten mit einer Taschenlampe anleuchten. Die kleinen Steine auf dem Pfad schimmerten im Mondlicht, und die Berge wirkten wie auf eine dunkle Leinwand gemalt.

Erst nachdem er an Josefszell vorbeigefahren und in den Bergweg eingebogen war, bemerkte Georg, dass er sein Fahrradlicht nicht angeschaltet hatte. Hier war um die Uhrzeit niemand, also radelte er noch ein Stück durch das Dunkel. Dann legte er sein Rad in die Wiese. Das letzte Stück wollte er laufen.

Als er auf Maries Haus zusteuerte, stellte er enttäuscht fest, dass sie wieder nicht da war. Das war ungewöhnlich um diese Uhrzeit. Außer an den Tagen, an denen sie Nachtdienst hatte, war Marie abends so gut wie immer zu Hause. Diese Woche war sie in der Frühschicht eingeteilt, das hatte sie ihm vor ein paar Tagen erzählt.

Georg beschloss, vor dem Haus auf seine Freundin zu warten. Er setzte sich auf die kleine Bank und ließ seinen Blick schweifen. Noch war die Nacht klar, doch der Nebel begann aus dem Tal aufzusteigen. Georg fröstelte. Er zog seine Jacke fester um den Körper. Er würde sich nicht vom Wetter abhalten lassen. Er würde hierbleiben, bis Marie kam. Um sich abzulenken, dachte er an Barbara, die er beim Wirt hatte sitzen lassen. Was für eine seltsame Begegnung! Warum gab eine so hübsche Frau eine Anzeige auf? Aber im Grunde war es ihm egal. Er würde sich mit keiner dieser Frauen mehr verabreden. Abmachung hin oder her. Da war er sich ganz sicher, und davon würde er auch Marie überzeugen. Der Gedanke, dass seine Freundin keine fremden Männer mehr treffen würde, erleichterte ihn. Er schloss die Augen und versuchte, die Kälte nicht an sich heranzulassen, während er allmählich müde wurde.

Er hörte Marie, bevor er sie sah. Er stand auf, um sie zu begrüßen. Seine Beine waren steif vor Kälte.

Als Marie ihn bemerkte, zuckte sie zusammen. Ganz kurz. Aber lang genug, um Georg zu verunsichern. Warum reagierte sie so? Fast, als fühlte sie sich von ihm ertappt. Georg spürte einen Stich in der Brust. Noch nie hatte Marie sich ihm gegenüber so abweisend benommen. Sie ging auf ihn zu und setzte ein Lächeln auf. War es entschuldigend? Oder erfreut? Im Mondlicht konnte Georg es nicht eindeutig erkennen.

„Hey Georg. Du hast mich erschreckt. Warum lauerst du mir hier denn auf?“ Anders als sonst umarmte sie ihn nicht zur Begrüßung. Stattdessen lief sie an ihm vorbei und öffnete die Haustür.

Georg folgte ihr nach drinnen. „Ich wollte dir nicht auflauern. Aber ich suche dich seit Tagen. Deshalb bin ich hergekommen.“

Marie sah ihn mit einem seltsamen Blick an. Sie schien nervös. „Ja, ich weiß. Tut mir leid. Ich hatte viel zu tun.“

Georg musterte sie fragend.

Sie zuckte mit den Schultern. „Tut mir auch leid, dass ich so lange nicht bei Boris war. Ich hoffe, es ist alles in Ordnung?“

„Ja, ja“, antwortete Georg. „Mit dem ist alles okay. Ich hab mich um ihn gekümmert.“

Marie nickte. „Danke, das ist nett von dir. Und Max? Ist er wohlauf?“

Die beiden standen immer noch im Hausflur. Georg konnte die Anspannung zwischen ihnen spüren. „Danke, dem geht es besser.“

Danach sagten beide nichts. Zum ersten Mal war die Stille zwischen ihnen nicht angenehm, fand Georg. Marie hängte ihre Jacke an den Haken. Georg meinte, einen ungewohnten Geruch an ihr wahrzunehmen. Süß und warm. Und fremd.

„Willst du reinkommen?“, fragte sie.

Georg zögerte. Dann zog auch er seine Jacke aus und folgte ihr in die Stube.

Als er über die Schwelle trat, traf ihn beinahe der Schlag. Normalerweise legte Marie großen Wert auf Ordnung. Ihr Haus war immer gemütlich und aufgeräumt. Doch heute war alles anders. Im ganzen Zimmer lagen Dinge herum. Kleidungsstücke und benutztes Geschirr waren wild im Zimmer verteilt. Und es roch ungewohnt muffig.

„Hat hier eine Bombe eingeschlagen?“, fragte Georg. Im nächsten Moment ärgerte er sich über die dumme Bemerkung. Marie war die Unordnung sichtlich unangenehm. Sie hob einen Pullover vom Boden auf und hängte ihn über eine Stuhllehne. Dann strich sie sich eine Haarsträhne hinter die Ohren, neigte den Kopf nach unten und sah knapp an Georg vorbei. „Nein, keine Bombe. Ich hatte nur wenig Zeit zum Aufräumen.“ Sie griff nach einem weiteren Kleidungsstück, ließ es aber wieder fallen. Stattdessen setzte sie sich auf einen Stuhl. Sie schnappte sich eine Flasche vom Tisch und schenkte Wein in ein Glas. „Magst du auch?“

Georg schüttelte den Kopf und setzte sich auf das Sofa. „Tut mir leid, ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen. Was ist denn los?“

Marie nippte und seufzte. Es schien ihr schwerzufallen, ihm die Wahrheit zu sagen. „Also, es ist etwas passiert“.

Georgs Kopf schnellte nach oben, und er starrte Marie erschrocken an.

Sie winkte ab. „Nein, nein, nichts Schlimmes“, sagte sie. „Eher im Gegenteil, sozusagen.“

Jetzt verstand Georg noch viel weniger.

„Wir haben doch verabredet, dass wir uns mit anderen treffen, gell?“, sagte Marie.

„Ja“, erwiderte Georg, „deswegen bin ich hier.“ Er wollte weiterreden. Doch in dem Moment entdeckte er den Ausdruck in Maries Augen. Schlagartig wurde ihm klar, was seine Freundin ihm mitteilen wollte. Und es gefiel ihm keineswegs. Georgs Hände versteiften sich zu Fäusten. Er schob sie unter seine Beine, damit Marie nicht merkte, wie gereizt er wurde. „Ja, und?“, fragte er.

„Und einer von den Kandidaten war netter, als ich dachte.“ Sie vermied es, Georg anzusehen, als sie fortfuhr. „Tja, und ich glaub, daraus könnte was werden. Verrückt, oder?“ Jetzt war es heraus. Marie nahm einen großen Schluck aus ihrem Weinglas. „Was sagst du dazu?“

Georg spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg. Ihm wurde heiß. Mühsam gab er seiner Stimme einen beherrschten Klang. „Schön für dich. Wie heißt er?“

Marie starrte auf den Boden. „Er heißt Marc.“ Sie versuchte ein Lächeln. „Komisch, oder? Ich wollte doch nur zum Spaß mitmachen. Nur wegen dir. Und jetzt hab ich jemanden kennengelernt.“ Noch einmal führte sie das Glas an die Lippen und leerte es bis zum letzten Tropfen. „Und du? Du wolltest mir doch auch was erzählen, oder?“

Das war zu viel für Georg. Er war hergekommen, um … Ja, warum eigentlich? Es erschien ihm absurd, dass er geglaubt hatte, seine Gefühle für Marie seien mehr als freundschaftlich. Wie dumm von ihm! Während er sich Sorgen gemacht hatte, hatte sie sich mit einem Mann vergnügt. Jetzt konnte Georg die Wut nicht mehr unterdrücken. Sie schob sich seine Kehle hinauf und drängte nach draußen. Er war wütend auf sich, auf Marie, auf den saudummen Plan und vor allem auf diesen Marc. Er sprang vom Sofa auf und funkelte Marie an. „Gar nichts wollte ich dir erzählen! Ich wollte dich besuchen. Du hältst es ja nicht mehr für notwendig, dich bei mir zu melden.“

Marie blieb der Mund offen stehen.

Sie wollte Georg am Arm greifen, doch er stieß ihre Hand weg. „Lass mich bloß in Ruhe! Du meinst, du kannst mich benutzen, wie du willst? Der liebe, dumme Georg merkt ja eh nichts, was?“

Marie sprang jetzt ebenfalls auf und baute sich vor Georg auf. „Spinnst du? Wovon redest du überhaupt?“

„Ich rede von deinem ach so schlauen Plan. Wir suchen dem Georg eine Frau. Von wegen! Es ging von Anfang an nur um deinen Spaß. Den kannst du jetzt haben, aber ohne mich, das sag ich dir!“

Marie starrte Georg fassungslos an. „Was soll das? Ich versteh kein Wort. Was hab ich dir denn getan?“

Georg erwiderte wütend ihren Blick. Sein Gesicht war jetzt nah an ihrem, und er konnte ihren Atem spüren. Einige Sekunden standen sie sich wortlos gegenüber. Dann spürte Georg, wie die Wut in seinem Innern sich langsam auflöste. Maries Blick und ihre Nähe beruhigten ihn trotz seiner Enttäuschung. Er atmete mehrmals tief durch. Dann versuchte er, ruhig zu sprechen. „Es tut mir leid. Ich weiß selber nicht, was los ist. Die ganze Sache mit den Blind Dates geht mir einfach auf die Nerven.“

Marie nickte langsam und trat einen Schritt zurück. Auch wenn der Raum nur schummrig beleuchtet war, konnte Georg erkennen, wie blass sie auf einmal wirkte. Marie setzte sich zurück auf ihren Stuhl und stützte sich auf ihre Knie. „Darum geht es also? Du warst nicht erfolgreich?“

Georg seufzte. „Nein. Ich hab mich an unsere Abmachung gehalten, aber es war nix. Hab ich auch nicht anders erwartet.“

„Bist du deshalb so sauer auf mich? Weil ich jemanden kennengelernt hab und du nicht?“

Georg setzte sich Marie gegenüber und überlegte einen Augenblick. Dann schüttelte er den Kopf. „Nein. Ich weiß auch nicht, warum ich sauer bin. Ich hab’s nicht so gemeint. Wahrscheinlich wächst mir die Arbeit einfach über den Kopf. Tut mir leid.“ Er stand abrupt auf. „Aber ich muss jetzt los. Ist schon spät.“ Und ohne sich weiter zu verabschieden, verließ er das Haus.

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