Читать книгу Gipfelliebe Gesamtausgabe - Mariella Loos - Страница 22
14
ОглавлениеDen Rest des Tages verbrachte Marie damit, sich abzulenken. Sie räumte ihr Haus auf, wusch ihre Wäsche, staubte die Regale ab und versuchte mit aller Kraft, jeden Gedanken an Georg zu vermeiden. Am Nachmittag rief sie Marc an und lud ihn zum Abendessen zu sich nach Hause ein. Danach schaltete sie ihr Handy aus. Sie wollte nicht erreichbar sein. Nichts hören. Nichts denken. Und vor allem nicht zur Vernunft kommen. Sie würde sich von Georg nicht ihre Zukunft zerstören lassen. Marc war der interessanteste Mann, den sie seit Langem getroffen hatte. Sie würde mit ihm Spaß haben. Ob es den anderen passte oder nicht!
Als es am Abend an der Tür klingelte, blitzte Maries Haus vor Sauberkeit. Sie hatte eine frische Tischdecke aufgelegt und eine Vase mit Wiesenblumen aufgestellt. Allerdings verblassten sie gegenüber dem Strauß, den Marc ihr entgegenstreckte, sobald sie die Tür öffnete. Als sie die langstieligen Rosen in Empfang nahm, beugte er sich zu ihr und küsste sie auf die Wange. Marie roch den herben Duft, den er verströmte, und sofort überlief sie ein wohliger Schauer. Noch nie hatte ein Mann mit einem so erregenden Geruch ihr Haus betreten.
„Darf ich reinkommen?“ Marc grinste.
Marie trat einen Schritt zurück und atmete aus. „Ja klar. Schön, dass du da bist.“
Während sie die Blumen in eine Vase stellte, durchschritt Marc mit prüfendem Blick das Haus. Er hob das gerahmte Bild hoch, auf dem Marie mit ihren Eltern zu sehen war, und blieb schließlich am Fenster stehen.
Als Marie die Rosen auf den Tisch gestellt hatte, drehte er sich um, verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. „Also hast du es dir anders überlegt?“
Marie schluckte. „Wie meinst du das?“
„Wie ich das meine? Du konntest beim letzten Mal gar nicht schnell genug aus dem Auto flüchten. Du bist buchstäblich vor mir weggelaufen, als wollte ich dich auffressen. Und jetzt hast du mich hergebeten.“
Marie strich sich verlegen die Haare aus dem Gesicht. „Na ja, so war das nicht gemeint. Ich war einfach müde.“ Sie versuchte ein unverbindliches Lächeln. „Aber jetzt bin ich ausgeschlafen.“
Marc schien das als Erklärung zu reichen. Er ging an Marie vorbei in die Küche und warf einen Blick in den Ofen. „Mmmmh, Braten. So einen hab ich schon ewig nicht mehr gegessen. Bei uns gibt es so was selten.“ Auf wen er mit „uns“ anspielte, wusste Marie nicht. Sie wollte es auch nicht wissen. Sie bedeutete ihm, sich an den Holztisch zu setzen, und bat ihn, den Wein zu öffnen. Während Marc einschenkte, brachte sie die Platten mit den Knödeln und dem Fleisch.
Marc hob sein Glas. „Auf unsere zweite Chance.“ Dann begann er mit einem Appetit zu essen, der Marie unter anderen Umständen gefreut hätte. Heute war sie jedoch immer noch mitgenommen von dem Streit mit Georg, auch wenn sie es sich auf keinen Fall anmerken lassen wollte. Sie stocherte auf ihrem Teller herum, schenkte sich mehrmals nach und hörte Marcs Erzählungen zu. Das Geplauder über seine Arbeit und seine Hobbys in Kombination mit dem Wein entspannte Marie zusehends.
Als sie mit dem Essen fertig waren, hatte Maries Stimmung umgeschlagen. Sie fühlte sich gut. Gleichzeitig stark und gelöst. Sie stellte das schmutzige Geschirr in die Küche und kam leicht schwankend zurück ins Zimmer.
Inzwischen hatte Marc auf dem Sofa Platz genommen. „Danke fürs Essen.“ Er klopfte mit der Hand auf den Platz neben ihm. „Jetzt erzähl du mal. Ich weiß noch nicht viel von dir. Was passiert denn so in deinem Leben?“
Marie blieb vor dem Sofa stehen. Eine unangenehme Hitze schoss ihr in den Kopf. Am liebsten wäre sie nach draußen gelaufen. Hätte sich vors Haus gesetzt und in den Sternenhimmel geschaut. Stattdessen sollte sie diesem Mann von ihrem Leben erzählen. „Also gut. Einen Moment noch“, sagte sie. Sie ging in ihr Schlafzimmer, tauschte die dünne Strickjacke gegen ein T-Shirt aus und öffnete eines der Fenster. Sie blieb kurz stehen und atmete die kühle Bergluft ein. Dann war sie bereit.
Sie lief zurück und setzte sich neben Marc. „Was willst du hören?“
„Was du mir erzählen willst.“ Marc lächelte schelmisch. „Noch lieber, was du mir eigentlich nicht erzählen willst.“
Marie schaute Marc prüfend von der Seite an. Konnte sie wirklich einem wildfremden Mann anvertrauen, was ihr auf dem Herzen lag? Immerhin war er bis hier heraufgekommen. Saß bei ihr auf dem Sofa und wollte mit ihr reden. Sie beschloss, dass es das Beste war, die Wahrheit zu sagen.
Sie nahm einen Schluck Wein, stellte das Glas ab und lehnte sich zurück. „Ich hab einen Freund.“ Sie stutzte. „Nein. Ich meine keinen festen Freund. Eher einen Kumpel. Er heißt Georg und wohnt auf einem Bauernhof in der Nähe.“
Marc musterte sie interessiert.
„Wir haben uns gestritten.“
Jetzt zog Marc die Augenbrauen nach oben. „Aha.“ Er hatte offensichtlich eine andere Erzählung erwartet.
Aber Marie ließ sich nicht bremsen. „Ja, und zwar richtig schlimm. Max ist gestorben. Und ich war nicht da. Obwohl Georg versucht hat, mich anzurufen. Verstehst du?“
„Na ja“, sagte Marc, „nicht so ganz.“ Er stützte die Ellbogen auf die Knie und drehte den Kopf zu Marie. „Also, dein Freund wollte dir sagen, dass der andere gestorben ist, aber du warst nicht da?“
Marie schüttelte den Kopf. „Nein. Der Max wollte, dass ich komme. Weil er mich so gern mag. Und er keinen Arzt holen wollte. Und der Georg hat mich gebraucht. Aber ich war nicht da. Und jetzt mag er mich nicht mehr.“
Marc schüttelte verständnislos den Kopf. „Ich glaub, ich kann nicht folgen.“ Er zog seine Mundwinkel nach unten. Er schien diese Geschichte ganz und gar nicht hören zu wollen.
Doch Marie war jetzt in Fahrt und ließ sich nicht davon abhalten, ihm ihr Herz auszuschütten, bis es leer war. „Und jetzt hab ich keine Ahnung, was ich machen soll. Wegen der Beerdigung. Da muss ich doch hin. Aber er will mich nicht mehr sehen.“ Sie sah Marc hilfesuchend an.
Der kratzte sich unwillig am Kopf. „Woher weißt du, dass der dich nicht sehen will? Er ist ja schon gestorben.“
„Nein! Der Georg doch nicht. Der lebt noch. Zum Glück. Aber Max ist tot, sein Vater. Also der Vater vom Georg. Deswegen ist er ja sauer auf mich.“
Jetzt hatte Marc anscheinend endgültig genug. Er stand auf und klopfte mit den Händen auf seine Hose, als wolle er die Krümel von Maries Geschichte wegwischen. Dann atmete er entschieden aus und trat auf Marie zu.
„Also, ganz hab ich das nicht verstanden. Ist aber auch egal.“ Er griff nach ihrer Hand und zog sie nach oben. „Ich hab jetzt genug gehört. Ein wunderschönes Mädchen wie du sollte sich nicht mit so komplizierten Sorgen rumschlagen. Komm. Ich weiß, wie wir die hässlichen Gedanken aus deinem hübschen Kopf vertreiben.“ Er zog Marie hinter sich her ins Schlafzimmer. Dort schubste er sie mit sanftem Druck auf das Bett. „Jetzt machen wir es uns gemütlich.“ Er setzte sich neben sie, sodass ihre Arme sich berührten.
Marie spürte, wie sich die Härchen auf ihrer Haut aufstellten. Sie schloss kurz die Augen. Die Dunkelheit drehte sich hinter ihren Lidern, und auf einmal stieg eine Übelkeit in ihr hoch. Schnell öffnete sie die Augen wieder und kippte den Kopf nach hinten.
Marc schien das für eine Einladung zu halten. Langsam kam sein Gesicht ihrem näher, und er legte seine Lippen auf ihren Mund. Marie zuckte zurück. Sie hatte schon lange keinen Mann mehr geküsst. Marc schien ihr Zögern nicht zu bemerken. Sein Kuss war warm und prickelnd. Marie gab sich ihrer Begierde hin und öffnete die Lippen. Sie erlaubte seiner geschickten Zunge, das zu tun, was sie schon lange hatte tun wollen. Dem ersten Kuss folgte ein zweiter. Dann noch einer. Marie fühlte sich, als schwebte sie auf einer Wolke, die einen Schleier des Vergessens um sie legte und die Gedanken an Georg und Max darin versinken ließ. Alles, was sie spürte, konzentrierte sich auf die Begegnung ihrer Münder. Jede Berührung ihrer Zungen schickte einen Schauer durch ihren Körper und füllte ihn mit einem anschwellenden Feuer.
Als Marc seine Hand unter ihrem Pulli nach oben gleiten ließ, entfuhr Marie ein wohliger Seufzer.
Marcs Stimme schien von weit her zu ihr zu dringen. „So ist es besser. Das macht Spaß, oder?“ Offenbar erwartete er keine Antwort. Stattdessen öffnete er geschickt den Knopf an Maries Hose. Er schob ihren Oberkörper mit sanftem Druck nach hinten, und Marie spürte eine Welle der Erregung, die sie hinwegzutragen drohte.
„Hilfe! Was war das?“ Plötzlich schnellte Marc hoch. Ein dumpfes Grollen kam auf sie zu. Im selben Moment wurde das Haus von etwas Großem, Schwerem getroffen. Der Schlag löste Erschütterungen aus, die den Boden und die Wände des Hauses zum Zittern brachten. Krachend fiel die Vase mit den Rosen im Wohnzimmer auf den Boden. Marc starrte Marie mit aufgerissenen Augen an.
Sie setzte sich auf und zog ihren Pulli nach unten. „Ach, das ist nicht schlimm. Das war ein Steinschlag. Manchmal lösen sich Felsbrocken vom Berg und rollen herunter.“
„Nicht schlimm?“ Marc klang fassungslos. „Das war das Krasseste, was ich seit Langem erlebt hab. Der Stein hätte ein Loch in die Wand schlagen und uns begraben können.“
Marie musste sich ein Kichern verkneifen. Mit bemüht teilnahmsvoller Stimme versuchte sie, Marc zu beruhigen. „Nein, da passiert schon nichts. Für dich war es bestimmt eine Überraschung. Aber ich bin das gewohnt. Solche Dinge passieren nun mal hier oben am Berg. Man muss nur aufpassen, dass nicht zu viel kaputtgeht.“ Marie stand auf, holte einen Besen und begann, die Scherben aufzukehren. Ihre Hose ließ sie im Schlafzimmer liegen. Die beschwipste Laune und die erotische Spannung zwischen ihnen waren wie weggeblasen. Jetzt hatte sie nur noch Kopfschmerzen.
Auch Marc war offenbar nicht mehr in Stimmung. Er war aufgesprungen und knöpfte sich sein Hemd zu. „Ich finde es sowieso schrecklich hier. Schau dich doch mal um.“ Er fuchtelte in Richtung Fenster. „Nur Berge und alles düster. Auch hier drinnen ist alles dunkel und beklemmend. Das ist doch kein Ort für eine junge Frau wie dich.“
Marie stützte sich auf den Besenstiel. Marcs Worte hatten sie getroffen. „Ach, und was ist der richtige Ort für mich?“
Statt einer Antwort bückte Marc sich und schlüpfte in seine Lederschuhe.
Marie ließ Rosen und Scherben mit Gepolter wieder fallen. „Etwa deine laute, schmutzige Stadt? Voller aufgeblasener Wichtigtuer? Nein danke.“ Sie warf den Besen auf den Boden. „Ich bin hier zu Hause, und mir gefällt es hier.“
Marc richtete sich auf und stemmte die Hände in die Hüften. „Ach, jetzt kommt es raus. Du findest, ich bin ein Draufgänger aus der Stadt? Du meinst, hier in der Natur leben die besseren Menschen? Von wegen!“ Er stampfte auf und traf eine der Rosen, die am Boden verstreut lagen. „Dann solltest du dir mal selbst zuhören, was für Geschichten du erzählst. Von deinem Max und deinem Moritz. Ihr spinnt doch alle!“ In wenigen Schritten war er an der Tür. „Ich hab genug vom Landleben. Ich verschwinde, bevor noch einer von denen vorbeikommt. Oder der Berg mich endgültig unter sich begräbt.“ Er drehte sich um, und die Scherben unter seinen Schuhen gaben ein knirschendes Geräusch von sich. „Viel Glück bei der Männersuche.“ Mit einem Krachen schlug die Tür hinter ihm zu.
Marie stand wie angewurzelt im Zimmer. Sie starrte auf das Chaos am Boden, als würde sie dort eine Erklärung finden. Wie konnte es sein, dass sie das Offensichtliche nicht schon vorher gesehen hatte? Marc war ein selbstverliebter Angeber, das hatte sie von Anfang an gemerkt. Dennoch hatte sie geglaubt, aus der aktuellen Anziehung könnte sich etwas Tieferes entwickeln. Jetzt war ihr klar, dass es ihm nur darum gegangen war, sie ins Bett zu bekommen. Marie schüttelte sich und griff wieder nach dem Besen. Sie kehrte die Scherben auf und warf sie in den Mülleimer. Die Rosen schleuderte sie hinterher.
Wie gut, dass Marc rechtzeitig sein wahres Gesicht gezeigt hatte. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn die Felsbrocken nicht abgegangen wären. Bei dem Gedanken an den verunglückten One-Night-Stand wurde Marie ganz schlecht. Der Berg hatte sie vor einem großen Fehler bewahrt, das war mal klar. Und dabei ging es nicht nur um Marc. Da war noch mehr. Ja, am Anfang hatte sie Marc spannend gefunden. Aber eigentlich hatte sie schon nach dem letzten Treffen genug von ihm gehabt. Aber dann hatte Georg so schrecklich reagiert. Und sie war sauer auf ihren Freund gewesen und wollte sich einfach nicht den Spaß vermiesen lassen. Möglicherweise war eine Portion Trotz der Grund gewesen, Marc heute Abend noch mal anzurufen. Aber gut, jetzt war es vorbei. Marie atmete tief ein und aus, um die Übelkeit zu vertreiben. Mit einer Mischung aus Erleichterung und Enttäuschung schlich sie ins Schlafzimmer. Sie wollte nicht mehr darüber nachdenken. Nichts sehen und nichts hören. Ohne sich umzuziehen, ließ sie sich in ihr Bett fallen. Jetzt schlafen und alles vergessen, war ihr letzter Gedanke.