Читать книгу Gipfelliebe Gesamtausgabe - Mariella Loos - Страница 19
11
Оглавление„Na, was sagst du?“
Marie blickte in Marcs erwartungsvolle Augen. Das Strahlen darin war ansteckend. Er sah gut aus. Und er wusste es. „Wunderschön“, sagte sie. „So bunt und lebendig.“
Heute hatten sie sich zum ersten Mal für den ganzen Nachmittag verabredet. Marie war nach dem Besuch bei Georg mit dem Zug in die Stadt gefahren. Marc hatte sie vom Bahnhof abgeholt. Sie waren durch die Stadt geschlendert, er hatte ihr seine Lieblingsplätze gezeigt und den Besuch in einem bekannten Kunstmuseum vorgeschlagen. Marcs gute Laune und das strahlende Wetter hatten dazu beigetragen, dass Marie zunehmend auftaute und sich an seiner Seite wohlfühlte. Jetzt standen sie in dem hallengroßen Hauptsaal des Museums und betrachteten gemeinsam ein riesiges Bild. Darauf waren menschengroße Blumen gemalt. Mit ihren fröhlichen Farbtönen schienen sie den ganzen Raum zu erhellen. Marc seufzte zufrieden. „Mein absolutes Lieblingswerk. Hier komme ich immer her, wenn ich Aufheiterung brauche.“ Er sah Marie von der Seite an und zwinkerte. „Oder wenn ich eine Frau beeindrucken will.“
Marie kicherte. Ein bisschen plump kam sie sich vor. Bestimmt lud Marc sonst nur irgendwelche Großstadtschönheiten ein. Modebewusste langhaarige Frauen mit endlosen Beinen und rot lackierten Fingernägeln. Doch so wie er sie ansah, schien es ihm nichts auszumachen, dass sie keine roten Nägel trug und alles andere als einen coolen Kleidungsstil besaß. Sie hatte sich für die dunkelblaue Jeans mit dem breiten braunen Gürtel entschieden und dazu ein hellblaues T-Shirt und eine graue Strickjacke gewählt.
Nachdem sie drei weitere Bilder bestaunt hatten, griff Marc nach ihrer Hand. „Komm.“ Er zog sie hinter sich her auf den Ausgang des Museums zu.
Marie war beeindruckt von den riesigen hohen Räumen und all den modernen und weniger modernen Kunstwerken. Sie wäre gerne noch geblieben. Aber Marc war kein Mann, dem man ohne Weiteres widersprechen konnte. Er sagte seine Meinung und ging davon aus, dass sein Gegenüber ihm folgte. „Genug Kunst für heute. Jetzt hab ich Hunger. Du bestimmt auch. Ich finde, wir zwei sollten jetzt was Schönes essen.“
Selbstverständlich wählte Marc auch das Lokal aus. Ein schickes und teures Gasthaus mit italienischen Spezialitäten. Aber Marie hatte keinen Appetit. Ein Blick auf die Speisekarte und die Preise tat ein Übriges. Niemals würden sie und Georg so viel Geld für ein Essen ausgeben. Doch kaum war ihr der Gedanke gekommen, ärgerte sie sich auch schon darüber. Warum konnte sie nicht einfach hier sitzen und das Zusammensein mit diesem attraktiven, erfolgreichen Mann genießen? Stattdessen dachte sie an ihren Jugendfreund. Wie dumm!
Marc riss sie aus ihrer Versunkenheit. „Ich empfehle die Pasta. Wahrscheinlich die beste in der Stadt.“
Marie spürte, wie sie errötete. Sie senkte den Blick tiefer in die Karte. Doch Marc war offenbar so mit sich selbst beschäftigt, dass er ihre gedankliche Abwesenheit gar nicht mitbekommen hatte.
„Ja, Nudeln mag ich“, murmelte Marie.
Marc nickte zufrieden. „Und Sekt, zur Feier des Tages“, beschloss er.
Marie antwortete nicht. Vielleicht würde ein bisschen Alkohol sie entspannen und von ihren unsinnigen Gedanken ablenken.
Kurz darauf stellte der Kellner zwei Sektgläser vor ihnen ab. Marc griff nach seinem Kelch und sah Marie tief in die Augen. „Auf dich. Und mich. Auf uns beide. Schön, dass wir uns kennengelernt haben.“
Er lächelte charmant.
Marie hob ihr Glas und lächelte zurück. Einen kurzen Moment lang kam ihr die Situation seltsam vor. Sie meinte, sich und Marc von außen beobachten zu können.
Wie Schauspieler in einem Film, dachte sie.
Marc schien die Absurdität der Situation nicht zu bemerken. Er redete ohne Punkt und Komma von seinem Job als Marketingfachmann und von seiner neuen Wohnung in einem angesagten Stadtviertel.
Marie hörte kaum noch zu. Marcs Worte rauschten nur so an ihr vorbei. Nach etwa zehn Minuten und einem weiteren Glas Sekt wurden ihre Arme schwer. Eine prickelnde Wärme breitete sich durch ihren Körper aus und drang bis in die Fingerspitzen. Erst jetzt konnte sie loslassen und das Zusammensein mit Marc genießen. Seine tiefe Stimme jagte ihr einen wohligen Schauer über die Haut.
In dem Moment griff er über den Tisch nach ihrer Hand. „Danke, dass ich dich heute entführen durfte. Die letzten Stunden waren mir ein Vergnügen. Ich bin froh, dass dir meine Stadt gefällt.“
Marie runzelte die Stirn. Irgendetwas stimmte nicht. Hatte sie etwa gesagt, dass ihr die Stadt gefiel? Trotz der Alkoholschwere in ihrem Kopf konnte sie sich noch genau erinnern, was sie gesagt hatte. Viel war es nicht gewesen – Marc hatte umso mehr gesprochen. Nein, sie hatte sicher nicht die Stadt gelobt.
Am Bahnhof waren sie in Marcs Cabrio gestiegen und durch das Zentrum gefahren. Er hatte sie durch eine Straße mit luxuriösen Geschäften geführt. Hatte sie erwartungsvoll dabei beobachtet, wie sie die exklusiven Sachen in den Schaufenstern begutachtete und dabei so tat, als würden sie ihr gefallen, obwohl sie lieber in den Park gegangen wäre oder vielleicht an den See.
Danach waren sie im Museum gewesen. Und jetzt hier. Natürlich hatte ihr der Tag gefallen. Aber niemals wäre sie auf den Gedanken gekommen, „seine“ Stadt zu loben.
Stattdessen spürte sie gerade jetzt, wo es langsam dunkel wurde, eine Sehnsucht nach zu Hause. Nach der Ruhe auf ihrem Berg und nach der Schönheit des Tals. Sie wollte den Mund öffnen und Marc widersprechen. Aber er bedachte sie mit einem so verführerischen Blick, dass sie die Lippen kaum auseinanderbrachte. Außerdem redete er schon wieder weiter. Ihre Zweifel hatte er nicht bemerkt.
Marie leerte ihr drittes Glas Sekt und versuchte sich an einem geheimnisvollen Lächeln. Sie würde den heutigen Abend genießen! In der Stadt mit Marc. Und damit basta!
Nach dem Dessert und dem Espresso bezahlte Marc die Rechnung und stand auf. „Danke für den schönen Abend und das interessante Gespräch“, sagte er. „Und was unternehmen wir jetzt?“
Marie starrte ihn erstaunt an. Sie waren stundenlang in der überfüllten, lauten Stadt herumgelaufen. Ihre Füße schmerzten, und ihr Kopf brummte schon seit einer Weile. „Ähm, mir hat es auch gefallen mit dir“, antwortete sie. Ihre Zunge war schwer, und sie musste sich konzentrieren, um beim Aufstehen nicht zu sehr zu schwanken. „Aber jetzt bin ich müde und muss nach Hause.“
Marc schaute sie enttäuscht an.
„Tut mir leid. Es hat nichts mit dir zu tun. Aber ich muss morgen früh raus.“
Marc antwortete nicht. Er zuckte bedauernd die Schultern und führte Marie zurück zu seinem Auto.
Sobald sie den Stadtverkehr hinter sich gelassen hatten, wehte ihnen ein frischer Wind um die Ohren. Erleichtert lehnte Marie ihren Kopf an die weiche Nackenstütze. Im Radio lief ruhige Musik. Seit sie ins Auto gestiegen waren, hatte Marc kein einziges Wort mehr von sich gegeben. Marie war es egal. Sie spürte, wie der Alkohol sie schläfrig machte, und nur mit Mühe konnte sie die Augen offen halten. Endlich erreichten sie Josefszell. Marie lotste Marc an den Dorfrand und ließ ihn am Bach anhalten. „Von hier aus geht es zu Fuß weiter“, sagte sie.
Marc stellte den Motor ab. „Na, dann lass uns zu dir gehen.“ Offensichtlich hatte er während der Fahrt darüber nachgedacht, wie er Marie von sich überzeugen könnte. Entsprechend verführerisch war sein Lächeln.
Marie zögerte. Er gefiel ihr. Seine kurzen dunklen Haare passten zu seinem kantigen Gesicht mit dem Dreitagebart. Er hatte einen schönen, wohlgeformten Körper. Nicht auf natürliche Weise kräftig wie Georgs, sondern mit Bedacht an den richtigen Stellen trainiert. Und Marie mochte seine weichen Hände, mit denen er beim Reden ausladende Gesten vollführte. Der Gedanke, von diesen Händen berührt zu werden, machte sie kribbelig. Schon lange hatte sie keinen Mann mehr bei sich gehabt. Andererseits war Marc so großstädtisch, so fremd. Er passte einfach nicht in ihr Haus. Überhaupt gehörte Marc nicht hierher, das spürte Marie überdeutlich. Die letzten Treffen hatten bei ihm in der Stadt stattgefunden, da war es nicht weiter aufgefallen. Sie seufzte. Es fiel ihr schwer, doch sie hatte sich entschieden. „Tut mir leid. Ich bin müde und muss unbedingt ins Bett. Vielleicht nächstes Mal. Danke für den schönen Abend.“ Sie beugte sich zu ihm und drückte ihm einen Kuss auf die Wange.
Dann stieg sie hastig aus dem Auto und schlug die Tür zu. Durch das offene Verdeck konnte sie seinen enttäuschten Gesichtsausdruck erkennen.
„Schade. Wirklich schade. Dann eben ein anderes Mal. Ich ruf dich an“, sagte er und fuhr mit quietschenden Reifen zurück in Richtung Landstraße.
Marie machte sich auf den Weg nach oben. Etwa zwanzig Minuten später öffnete sie ihre Haustür und fühlte sich augenblicklich erleichtert. Endlich war sie wieder daheim. Die Müdigkeit lastete auf ihren Gliedern. Sie schälte sich aus ihren Kleidern und ging in Richtung Badezimmer.
In dem Moment hörte sie ein leises Summen. Auf dem Tisch lag ihr Handy. Sie hatte es vergessen, als sie in der Früh zu Georg aufgebrochen war. Danach hatte sie sich direkt auf den Weg zum Bahnhof gemacht und keine Lust gehabt, wegen des Handys noch einmal umzudrehen. So viele Anrufe bekam sie normalerweise nicht.
Das Display zeigte neue Nachrichten. Marie klickte darauf und erschrak. Fünf Anrufe in Abwesenheit. Alle von Georg. Es musste etwas passiert sein. Hastig warf Marie einen Blick auf die Uhr: 23:15 Uhr. Egal, wenn er sie so oft anrief, war es wichtig. Sie tippte seine Nummer und horchte angespannt auf den Piepton. Aber nur der Anrufbeantworter meldete sich. „Ihr Gesprächspartner ist leider nicht zu erreichen“, verkündete er. Marie biss sich auf die Unterlippe. Warum hatte sie nur ihr Handy liegen lassen? Gerade heute.
Sie versuchte, sich zu beruhigen. Bestimmt war Georg schon im Bett und hörte das Telefon nicht. Christl und Max gingen sowieso früh schlafen. Doch ganz hinten in ihrem Kopf spürte sie ein bedrohliches Gefühl. Hoffentlich war nichts passiert! Noch einmal drückte sie die Nummer. Diesmal kam nur der Piepton. Es hatte keinen Sinn, sie musste bis morgen früh warten.
Als sie sich schlafen legte, war ihre Sektschwere wie weggeblasen. Übrig blieben ein flaues Gefühl im Magen und ein schaler Geschmack im Mund. Lange wälzte sie sich hin und her, bis sie in einen unruhigen Schlaf fiel. Im Traum sah sie eine riesige rosa Blume, die hinter ihr herlief und ohne Pause auf sie einredete. Mehrmals schreckte Marie hoch. Erst am frühen Morgen sank sie in einen tiefen Schlaf. Sie wachte auf, als das Telefon klingelte.