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Marie saß noch lange auf ihrem Stuhl. Inzwischen war es im Haus fast so dunkel wie draußen. Nur die Leselampe sandte einen kleinen Lichtkegel auf den Tisch. Marie starrte auf den Schimmer und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Noch nie hatte sie ihren Freund so erlebt. Sie konnte sich nicht erklären, was in Georg vorging. War er wütend, weil sie seit Tagen ihr Pferd nicht versorgt hatte? Machte er sich Sorgen um seine Zukunft? Oder hatte ihn Max’ Schlaganfall mitgenommen? Während sie über ihren Freund nachdachte, wanderten ihre Gedanken zu Marc. Er war das erste Blind Date, das sie nach Josef getroffen hatte. Und er gefiel ihr richtig gut. Marc war so anders als die Männer hier in der Gegend. Attraktiv, aufregend und weltmännisch. Sie hatten sich am Wochenende zweimal getroffen, einmal zum Essen, einmal waren sie ins Kino gegangen. Noch war nicht viel passiert, aber wenn Marie an ihn dachte, kribbelte ihr ganzer Körper.

Konnte es sein, dass Georg eifersüchtig war? Aber warum sollte er? Sie hatten beide in der Vergangenheit Beziehungen gehabt, und es war nie ein Problem zwischen ihnen gewesen. Es hatte keinen Zweck. Sie würde die Antworten nicht finden, solange Georg nicht mit ihr redete. Und Georg redete erst dann, wenn er dazu bereit war. Marie kannte ihren Freund gut genug, um zu wissen, dass das noch eine Weile dauern konnte. Morgen würde sie auf jeden Fall auf dem Hof vorbeischauen. Und danach Marc treffen.

Am nächsten Morgen machte Marie sich früh auf den Weg. Sie hatte frei und wollte den Vormittag nutzen, um Georg zu besuchen. Wie immer versetzte die Schönheit der Landschaft sie in eine besondere Stimmung. Heute waren die Wiesen besonders grün. Als wollten sie sich zum Abschied vor dem Winter noch einmal richtig hübsch machen, dachte Marie. Kaum bog sie um die letzte Kurve, da vernahm sie Lärm aus Richtung des Hofes. Sie blieb stehen und lauschte. In Wellen drang das Geräusch an ihr Ohr, es klang wie das Kreischen großer Vögel, in das sich ein sirrender Ton mischte. Als Marie durch das Hoftor ging, sah sie Georg vor einem Stapel Baumstämme stehen. Er hielt eine Motorsäge in der Hand. Marie stoppte und beobachtete ihren Freund. Er zerteilte einen Stamm in vier etwa gleich große Teile. Dann legte er die Säge ab und griff nach einem der Stücke. Obwohl sie fast zwanzig Meter von ihm entfernt war, konnte Marie erkennen, wie Georgs Körper sich anspannte. Die Sehnen an seinem Unterarm traten hervor, als er das Baumstück auf den dicken Holzblock wuchtete. Seine Hände steckten in Arbeitshandschuhen, aber Marie wusste, wie sie aussahen, wenn Georg die schwere Hofarbeit verrichtete. Wie oft hatte Marie danebengestanden, wenn Georg gleichzeitig stark und geschickt mit ihnen zupackte. Auf einmal schlug etwas in ihrem Inneren um. Dieser Mann war ihr ältester und bester Freund und ihr so vertraut wie der eigene Bruder, den sie nie gehabt hatte. Und doch stieg jetzt ein leises Flattern in ihr auf, das sich von ihrem Bauch aus über den ganzen Körper ausbreitete. Ihr blieb keine Zeit, sich darüber zu wundern, denn im nächsten Moment drehte Georg sich zu ihr um. Er schien kein bisschen überrascht, sie zu sehen. Fast, als hätte er ihre Anwesenheit gespürt.

Nach dem gestrigen Abend war Marie verunsichert. Sie lief auf ihn zu und suchte in seinem Gesicht nach Anzeichen einer Veränderung. Nach etwas, das ihr seltsames Gefühl erklären würde. Doch da war nichts. Georg legte die Säge ab und kam ihr entgegen. Er nahm sie in den Arm und begrüßte sie. Freundschaftlich. Wie immer. Marie atmete laut auf. Sie musste sich geirrt haben. Gestern war er wohl einfach nur müde gewesen. Er würde weiter für sie da sein. Und sie für ihn. Wie früher. Wie immer.

„Du kommst gerade richtig“, sagte Georg. „Es ist Zeit für eine Kaffeepause“.

Marie lächelte. Wie schön, dass zwischen ihnen keine schlechte Stimmung mehr herrschte! Sie hakte sich bei Georg unter, und gemeinsam gingen sie in die Küche.

Georg legte Brot, Wurst und Käse auf den Tisch. Während des Essens plätscherte ihr Gespräch ziellos dahin. Das Thema Internetbekanntschaften schien Georg zu vermeiden. Auch den gestrigen Abend sprach er nicht an. Stattdessen plauderten sie über seine Eltern, über ihre Arbeit und über die Neuigkeiten aus dem Dorf.

Als sie mit dem Essen fertig waren, griff Marie nach Georgs Arm. „Ich bin froh, dass du nicht mehr sauer bist“, sagte sie.

Georg lächelte. „Ich auch. Tut mir wirklich leid, dass ich gestern so schlecht drauf war.“

„Ist schon in Ordnung. Es hatte also nichts mit den Blind Dates zu tun?“

Georg schüttelte den Kopf. „Nein, ich bin doch froh, dass du mir helfen willst. Und dass du jemanden kennengelernt hast.“ Die letzten Worte schienen ihm schwerzufallen. „Ich hoffe, er ist nett.“

Marie grinste. „Das hoffe ich auch.“

Dann stand sie auf und wandte sich zum Gehen. „Ich schau noch schnell zu Boris. Der hat mich bestimmt schon vermisst die letzten Tage“, meinte sie und machte sich auf den Weg nach draußen.

Marie war froh, dass zwischen ihnen alles wieder normal war. Fast normal zumindest.

***

Georg blieb noch eine Weile in der Küche sitzen. Es hatte ihn große Kraft gekostet, den Brocken zwischen sich und Marie wegzuschieben und sich so zu verhalten wie immer. Doch jetzt, als Marie verschwunden war, spürte er eine Schwere in der Brust. Am liebsten wäre er ihr nachgelaufen. Hätte sie in den Arm genommen und sich wieder und wieder bei ihr entschuldigt. Hätte ihr übers Haar gestreichelt und ihr strahlendes Lächeln in sein Herz gelassen. Doch das ging nicht. Nicht mehr. Nicht seit gestern Abend. Er hatte sie verloren. Als Frau verloren. Jetzt musste er dafür kämpfen, sie nicht auch noch als Freundin zu verlieren. Er musste sich zusammenreißen. Ihr das Glück gönnen. Georg ging ins Wohnzimmer und schaltete den Computer ein, der auf dem Schreibtisch in der Zimmerecke stand. Eigentlich hatte er die Seite nie wieder besuchen wollen. Aber die Dinge hatten sich verändert. Er musste das jetzt tun. Mindestens eine Frau wollte er noch treffen, so wie mit Marie verabredet. Er wusste nicht, woher diese Gewissheit kam. Aber er spürte, dass es wichtig war, sich an seine Zusage zu halten. Wenn er die Freundschaft zu Marie nicht riskieren wollte, musste er ihr beweisen, dass er es ihr gönnte, einen Mann kennengelernt zu haben. Auch wenn ihm das noch so schwerfiel. Er klickte auf die Seite mit den Anfragen und begann, die Texte aufmerksam zu lesen. Dieses Mal würde er sich mehr Mühe geben. Für sich und für seine Freundin.

Gipfelliebe Gesamtausgabe

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