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2. Der zivilrechtliche Fall

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Fall 1:

Anton Wimmerl (W) sieht dem Sänger Bobo (B) sehr ähnlich, zumal wenn er seine Designer-Sonnenbrille aufsetzt. Oft wird er auf der Straße angehalten und von Verehrern Bobos begeistert begrüßt. W gewinnt Spaß an der Rolle, als Bobo aufzutreten. Als solcher beruft er Pressekonferenzen ein und gibt Interviews zu allen möglichen Fragen der Kultur und des gehobenen Lebensstils.

Bobo, dem dies zu Ohren kommt, ist davon nicht begeistert. Er möchte dem Wimmerl untersagen, als Bobo aufzutreten. Mit Recht?

Wir haben die Grundstruktur eines zivilrechtlichen Falles vor uns. Der Text ist leicht in zwei unterschiedliche Abschnitte aufzuteilen. Zunächst wird eine Geschichte erzählt, nämlich eine Abfolge von Tatsachen geschildert. Wir nennen eine solche Geschichtserzählung Sachverhalt. Sodann wird gefragt, ob sich aus dem Sachverhalt eine bestimmte rechtliche Konsequenz (Anspruch auf Unterlassung) ergibt. Gefragt wird nach einer Rechtsfolge (Rechtswirkung). Ein guter Teil der juristischen Arbeit besteht darin zu untersuchen, welche Rechtsfolgen sich aus einem Sachverhalt ergeben.

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Die Frage nach der Rechtsfolge wird erst dann akut, wenn zwischen den Beteiligten Streit entstanden ist. Wir nehmen also an: B fordert W auf, es zukünftig zu unterlassen, sich als B auszugeben. Fügt sich W diesem Begehren, so entsteht kein Rechtsproblem. Weigert sich W, darauf einzugehen, beharrt B jedoch auf seinem Verlangen, so entsteht der Rechtskonflikt: B behauptet zu seinen Gunsten eine Rechtsfolge, W verneint sie. Es muss dann entschieden werden, wer „Recht hat“, dh ob die von B behauptete Rechtsfolge von Rechts wegen besteht.

Damit entstehen zwei Fragen: (1) Wer entscheidet den Streit? (2) Nach welchen Bewertungsmaßstäben wird der Streit entschieden?

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Zu (1): Die Streitentscheidung muss durch eine möglichst unparteiische („neutrale“) Person oder ein unparteiisches Gremium erfolgen. Denn die Streitbeteiligten haben ihre eigenen Interessen im Blickfeld und sind daher meist außer Stande, die Interessen des Gegners zutreffend zu würdigen. Es läge daher nahe, dass sie gemeinsam einen Schiedsrichter auswählen und sich dessen Entscheidung unterwerfen. Dabei ergeben sich jedoch Schwierigkeiten: Die Streitenden werden sich nur schwer auf die Person des Schiedsrichters einigen können. Selbst wenn diese Einigung zustande kommt, haben die Schiedsrichter als bloße Privatleute keine Hoheitsgewalt, um ihren Spruch durchzusetzen. Deshalb nimmt der Staat die Gerichtsbarkeit in die Hand. Er stellt die staatlichen Gerichte als streitentscheidende Einrichtung zur Verfügung. Die rechtsprechende Gewalt ist den unabhängigen Richtern (Art. 97 I GG) anvertraut und wird durch die Gerichte des Bundes und der Länder ausgeübt (Art. 92 GG).

Die Zivilprozessordnung lässt es freilich zu, dass die Parteien auf Grund eines Schiedsvertrages Schiedsrichter an Stelle des staatlichen Richters entscheiden lassen (§§ 1025 ff ZPO) und verleiht, wenn bestimmte Regeln eingehalten sind, dem Schiedsspruch unter den Parteien die Wirkung eines rechtskräftigen gerichtlichen Urteils (§ 1055 ZPO). Doch bleibt die Weitergabe richterlicher Entscheidungsmacht unter staatlicher Kontrolle (vgl § 1059 ZPO).

B wird sich also an das zuständige staatliche Gericht wenden und dort seine Rechtsfolgebehauptung geltend machen. Er wird beantragen: „Der Beklagte (W) wird verurteilt, es künftig zu unterlassen, als Bobo aufzutreten.“ W wird den Antrag stellen: „Die Klage wird abgewiesen.“ Es findet dann über die behauptete Rechtsfolge ein Prozess statt, in dem über ihr Bestehen „erkannt“ wird (Erkenntnisverfahren).

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Zu (2): Das angerufene Gericht hat folgendes zu überprüfen:

(a) Sind die im Sinne eines rechtsstaatlichen und zweckmäßigen Verfahrens angeordneten Prozessregeln eingehalten? Das ist eine Frage des Verfahrensrechts (Prozessrechts).

(b) Welcher Sachverhalt (welche Summe von behaupteten Tatsachen) ist der Entscheidung als „wahr“ zu Grunde zu legen? Das Verfahren der Tatsachenfeststellung ist gleichfalls im Prozessrecht geregelt.

(c) Ergibt sich aus dem vom Gericht als wahr angenommenen Sachverhalt die vom Kläger begehrte Rechtsfolge? Dies ist eine Frage des materiellen Rechts, von dem das Zivilrecht einen Ausschnitt bildet.

Bei der Streitentscheidung durch die Gerichte spielen demnach zwei Normenkomplexe eine Rolle: das Verfahrensrecht (hier: Zivilprozessrecht) und das materielle Recht (hier: Zivilrecht). Das Verfahrensrecht bestimmt nicht nur das Erkenntnisverfahren, sondern regelt auch die Art und Weise, wie ein auf Grund des Erkenntnisverfahrens ergangenes Urteil mit hoheitlichem Zwang durchgesetzt wird (Vollstreckungsverfahren, Zwangsvollstreckung).

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