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3. Deutsches Zivilrecht und europäisches Privatrecht

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Im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts hat die Entwicklung zu einem gemeinsamen europäischen Privatrecht eingesetzt, welche die Besonderheiten der nationalen Zivilrechtssysteme schrittweise an Bedeutung zurücktreten lässt. Das europäische Privatrecht wirkt derzeit auf mehrfache Weise auf das deutsche Zivilrecht ein:

Zum einen betätigt die Europäische Union ihre Kompetenzen, auf bestimmten Problemfeldern verbindliche Vorgaben (Verordnungen, Richtlinien) für die nationalen Gesetzgebungen der Mitgliedsländer zu erlassen, in weit ausgreifendem Umfang.
Mit dem Europäischen Gerichtshof ist eine Instanz geschaffen, die das gemeinsame Recht interpretiert und näher ausgestaltet.
Schließlich ist eine europäisch ausgerichtete Privatrechtswissenschaft mit dem Ziel entstanden, die gemeinsamen Grundlagen, Rechtsinstitute und Rechtsregeln der europäischen Privatrechtssysteme herauszuarbeiten und für die künftige Rechtseinheit den wissenschaftlichen Boden zu bereiten.

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Eine besondere Dynamik geht von verbindlichen Vorgaben der Europäischen Union aus, die auch vom deutschen Gesetzgeber in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Meist finden sich die Vorgaben in Richtlinien, welche die Europäische Gemeinschaft in einem näher festgelegten Verfahren erlässt und die gemeinsame Ziele und Standards für die Regelung bestimmter Problemfelder festlegen. Dabei ist zu beachten, dass die Organe der Europäischen Union keine generelle Gestaltungsmacht auf dem Gebiet des Privatrechts besitzen, sondern nur unter „funktionalen Kriterien“ zuständig sind (zB nach Art. 115 EU-Vertrag: Der Rat kann Richtlinien für die Angleichung derjenigen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten erlassen, die sich unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Binnenmarktes auswirken). Doch wird von den eingeschränkten Kompetenzen ein weiter Gebrauch gemacht. Die Richtlinien haben insbesondere zum Ziel, die europäischen Grundfreiheiten zu verwirklichen sowie Hindernisse für den grenzüberschreitenden Verkehr im europäischen Binnenmarkt und Beeinträchtigungen des freien Wettbewerbs zu beseitigen. In diesem Zusammenhang steht das Bemühen, die Regeln des Verbraucherschutzes möglichst einheitlich festzulegen.

Als Beispiele seien genannt: Richtlinie 97/7/EG über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz; Richtlinie 1999/44/EG zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (umgesetzt durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz zum 1.1.2002). Besondere Bedeutung für das deutsche Privatrecht hat ferner die Umsetzung der Antidiskriminierungsrichtlinien (2000/43/EG; 2000/78/EG; 2002/73/EG; 2004/113/EG) durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vom 14.8.2006 (Rn 86, 561a). Die Umsetzung der Richtlinien in nationales Recht bewirkt, dass sich die Privatrechtsordnungen der EU-Staaten zunehmend einander angleichen. Sie bedeutet zugleich einen Reformschub für die nationalen Zivilrechte.

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Vielfach wird eine einheitliche europäische Zivilrechtskodifikation gefordert, von der wir allerdings noch ein gutes Stück entfernt sind. Die nationalen Rechte unterscheiden sich nicht nur durch die Inhalte einzelner Regelungen, sondern durch ihre Systeme und durch die Sprache. Es müssten also ein gemeinsames System und eine wenigstens in Grundbegriffen übereinstimmende Rechtssprache gefunden werden. Diese Arbeit kann nur von der europäischen Rechtswissenschaft geleistet werden, die seit geraumer Zeit Anstrengungen zur Ausbildung eines gemeinsamen europäischen Privatrechts unternimmt. So hat eine Kommission für Europäisches Vertragsrecht („Lando-Kommission“) einen Entwurf über „Prinzipien des europäischen Vertragsrechts“ ausgearbeitet, der allerdings noch kein geltendes Recht darstellt. Die deutschen Juristen werden noch geraume Zeit mit dem BGB arbeiten, das allerdings im Begriffe ist, mehr und mehr nach europäischen Vorgaben umgestaltet zu werden.

Rechtsquellen:

St. Grundmann/K. Riesenhuber, Textsammlung Europäisches Privatrecht, 2. Aufl. 2012; R. Schulze/R. Zimmermann (Hg.), Basistexte zum Europäischen Privatrecht, 4. Aufl. 2012.

Literatur:

G. Alpa/M. Andenas, Grundlagen des Europäischen Privatrechts, 2009; Chr. v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, Die Kernbereiche des Deliktsrechts, seine Angleichung in Europa und seine Einbettung in die Gesamtrechtsordnungen, Bd. 1, 1996; Bd. 2, 1999; Chr. v. Bar, Gemeineuropäisches Sachenrecht, Bd.1, 2015; Chr. v. Bar./R. Zimmermann/O. Lando, Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts, Teile I-III, 2002–2005; B. Heiderhoff, Europäisches Privatrecht, 4. Aufl. 2016; H. Kötz, Europäisches Vertragsrecht, 2. Aufl. 2015; K. Riesenhuber, EU-Vertragsrecht, 2013; R. Zimmermann, (Hg.), Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts. 2003; P. Hommelhoff, Zivilrecht unter dem Einfluss der europäischen Rechtsangleichung, AcP 192, 71; H. Roth, EG-Richtlinien und Bürgerliches Recht, JZ 1999, 529; A.-Chr. Mittwoch, Die Vereinheitlichung des Privatrechts in Europa – auf dem Weg zu einem Europäischen Zivilgesetzbuch?, JuS 2010, 767; R. Rebhahn, Zivilrecht und Europäische Menschenrechtskonvention, AcP 210, 489: P. A. Windel, Die Bedeutung der Europäischen Menschenrechtskonvention für das Privatrecht, JR 2011, 323.

Zeitschrift:

Zeitschrift für Europäisches Privatrecht, seit 1993.

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