Читать книгу Compliance Management im Unternehmen - Martin R. Schulz - Страница 87
b) Gremienentscheidungen
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Die Entwicklung hin zu einer Gesamtverantwortlichkeit der Leitungsgremien des Unternehmens hat ihren Ausgang in der sog. „Lederspray-Entscheidung“ aus dem Jahre 1990 genommen.176 Die Angeklagten waren hier Geschäftsführer mehrerer (verbundener) Gesellschaften, die sich u.a. mit der Herstellung und dem Vertrieb von Lederspray befassten. Nach Eingang von Meldungen über signifikante Gesundheitsschädigungen nach Gebrauch des Ledersprays hat die mehrköpfige Geschäftsführung in einer extra einberufenen Sitzung zwar eine Veränderung des produktspezifischen Warnhinweises beschlossen, nicht jedoch eine öffentliche Warnung oder gar einen Produktrückruf des vertriebenen Ledersprays. Sowohl das erstinstanzlich zuständige Landgericht Mainz als auch der Bundesgerichtshof sahen in dem weiteren Inverkehrbringen des Ledersprays eine vorsätzliche gefährliche Körperverletzung und in dem Unterlassen des Produktrückrufes eine vorsätzliche gefährliche Körperverletzung durch Unterlassen sämtlicher Geschäftsführer. Obwohl sich einer der Geschäftsführer zunächst sogar für eine Rückrufaktion ausgesprochen hatte, sich jedoch mit seiner Meinung nicht durchsetzen konnte und sich der Mehrheitsmeinung angeschlossen hatte, hat der Bundesgerichtshof jedenfalls in Krisensituationen, in denen das Unternehmen als Ganzes betroffen ist, eine Gesamtverantwortlichkeit der Geschäftsleitung angenommen mit der Folge, dass auch im Falle eines (Mehrheits-)Beschlusses eines Kollegialorganes ausschließlich das Gesamtverhalten des Kollegialorganes strafbarkeitsbegründend ist. Unter Anwendung dieses Grundsatzes der Generalverantwortung und Allzuständigkeit der Geschäftsleitung hat der Bundesgerichtshof sämtliche an der Abstimmung Beteiligten als Mittäter gemäß § 25 Abs. 2 StGB angesehen. Mit dieser Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 1990 wurde ein Paradigmenwechsel eingeleitet, der im Hinblick auf die Strafbarkeit im Unternehmen unmittelbar bei der Unternehmensleitung ansetzt und insofern zu einer „Top down-Zurechnung“ führt.177 Die Rechtsprechung im Unternehmensstrafrecht bewegt sich damit von dem ursprünglichen Grundsatz der individuellen Verantwortlichkeit einer natürlichen Person in Richtung einer Art Kollektivhaftung aller Gremienmitglieder für eine rechtswidrige Entscheidung im Kollegialorgan.
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War Gegenstand des „Lederspray-Falles“ trotz der Äußerung von Bedenken noch eine einheitliche kollegiale Entscheidung, so musste sich der Bundesgerichtshof im „Mannesmann-Urteil“178 im Jahre 2005 darüber hinaus mit der Frage der Strafbarkeit einer Enthaltung eines Gremienmitgliedes befassen. In dieser Entscheidung hat der BGH die Strafbarkeit eines Mitgliedes eines Kollegialorganes (hier des Aufsichtsrates) angenommen, obwohl dieses sich bei der Fassung des (rechtswidrigen) Beschlusses der Stimme enthalten hat. In Kenntnis der Mehrheitsverhältnisse führe der sich Enthaltende durch seine Stimmenthaltung vorsätzlich die Wirksamkeit eines Beschlusses herbei, so dass ihm die (strafrechtlich relevante) Mehrheitsentscheidung als Mittäter zuzurechnen ist.