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RAVANA

AUTOR: Vālmīki

TITEL: Ramayana

(aus dem Sanskrit von Claudia Schmölders)

ORIGINALFASSUNG: 2. Jh.


»Ich gewähre dir noch zwei Monate Bedenkzeit. Dann mußt du das Bett mit mir teilen. Wenn du dich weigerst, werden meine Köche deine Glieder mir zum Frühstück zerhacken!«

Das Böse hat viele Gesichter, heißt es. In diesem Fall sind es genau zehn. Der Anführer der Rakshasas, der dämonischen »Beschädiger« der indischen Mythologie, hat zehn Köpfe, die – damit das gleich geklärt ist – in Echsenmanier nachwachsen, wenn man sie ihm abschlägt.

Da es sich dieser durch und durch düstere Dämon also in alle zehn Köpfe gesetzt hat, seiner Schwester wegen an Altindiens perfektem Schwiegersohn Rama Rache zu üben – nicht etwa weil dieser sie geschändet, sondern eben weil er sie verschmäht hat – und Rama die entsandten »vierzehntausend Dämonen von schrecklicher Tatkraft« mit links (und unzähligen Pfeilen) abwehren konnte, hat Ravana nun Ramas Geliebte Sita in der Hand. In einer seiner Hände, genau genommen, denn er besitzt zwanzig davon. Herz hat er freilich nur eines, und mit diesem verliebt er sich in sein Opfer. Da Sita aber so treu ist (und somit neben dem Traumschwiegersohn eine Traumschwiegertochter darstellt), bleibt die königlichdämonische Begierde unerfüllt. Was Ravana nicht gerade entspannt in den finalen Kampf ziehen lässt.

Der Dämonenkönig ist einer dieser lauten, größenwahnsinnigen Bösewichte, die auf Masken mit grotesk verzerrter Mimik dargestellt werden und im Film wahrscheinlich Jack Nicholson wären. Einst vor dem großen Gott Brahma konnte er sich zwar zusammenreißen und höflich um Schutz vor allen Göttern und Dämonen bitten, vergaß aber vor lauter Überheblichkeit zu erwähnen, dass natürlich auch kein Mensch oder – in diesem Fall relevant – Affe ihm ein Leid antun können solle.

Das Ramayana ist neben dem etwa gleichzeitig entstandenen Mahabharata das älteste Epos Indiens, und die Überlieferungen unterscheiden sich zwischen Norden und Süden erheblich. Dass Ravana grundsätzlich ein übler Schurke ist, darin sind sich alle einig. Vereinzelt werden ihm jedoch seine Weisheit und Musikalität zugute gehalten.

Auf ihn geht etwa die Ravanahattha zurück, die Langhalsspießlaute, die in Indien von Straßenmusikern gespielt wird. Ravanahattha heißt »Ravana-Hand«, und die zwanzig Hände mögen nebst widerlichen Grapschüberfällen auch ein faszinierendes Streichorchester abgegeben haben.

Rama erhält seinerseits nicht nur Hilfe von einer Affenarmee, sondern ist auch von Natur aus göttlich und kann nach einem siebentägigen Kampf in Ravanas Königreich Lanka (geografisch heute Sri –) auf eine Wunderwaffe von Brahma himself zurückgreifen: einen zischenden Pfeil, der »eine Gestalt des Todes selbst, ein Sämann der Sorge« ist. Den richtet Rama auf das einzige Organ, das das verkopfte Böse noch einigermaßen im Zaum hält: das Herz. ■

THAILÄNDISCHER NAME: Thosakanth

HERKUNFT: (Sri) Lanka

BERUF: Dämon / König

KÖPFE: zehn

HÄNDE: zwanzig

HOBBY: Musik

BANDNAME: die Rakshasas

OBJEKT DER BEGIERDE: Sita

LIEBLINGSSPEISE: Sita

ERZFEIND: Rama

MANFRED VON OTRANTO

AUTOR: Horace Walpole

TITEL: Das Schloß Otranto – Ein Schauerroman

(aus dem Englischen von Hans Wolf)

ORIGINALFASSUNG: 1764


»Ich sage euch«, versetzte Manfred gebieterisch, »Hippolita ist nicht mehr mein Weib; von Stund an bin ich von ihr geschieden. Gar zu lang war ich gestraft mit ihrer Unfruchtbarkeit. Mein Schicksal hängt daran, Söhne zu haben, und die heutige Nacht wird meinen Hoffnungen gewißlich ein neues Datum geben.«

Bei diesen Worten ergriff er Isabellas kalte Hand; die Jungfer war vor Furcht und Entsetzen halb tot.

Es gibt verschiedene Obsessionen: Die einen haben einen Ordnungsfimmel, andere können nicht aufhören zu rauchen. Fürst Manfred von Otranto ist besessen davon, seine Erblinie zu sichern, und das geht nur mit männlichen Nachkommen. Die eigene Ehegattin, die ihn wegen ihrer mangelnden Fruchtbarkeit nervt, hat ihm eine Tochter und immerhin einen Sohn geboren. Als der jedoch die vertraglich vereinbarte Eheschließung mit der lieblichen Isabella eingehen soll, erschlägt ihn ein alter Helm. Aus Panik vor dem Abbruch der Erblinie, vielleicht aber auch einfach aus geifernder Lustgreisigkeit jagt Manfred fortan also selbst der Fast-Schwiegertochter nach.

Der Tod seines eigenen Sohnes entlarvt Manfred als herzlos selbst der eigenen Familie gegenüber. Der Verlust ruft nicht wirklich Trauer hervor, eher eine gereizte Ungeduld, die ihn übereilte Todesurteile aussprechen, die Ehefrau verstoßen und die Tochter zuerst irritiert ignorieren und dann – wenn auch aus einem Missverständnis heraus – erstechen lässt. Lange Zeit ist ein überdimensionaler Helm der einzig ernst zu nehmende Gegenspieler des berserkerischen Amokregenten.

Im zu dieser Zeit gerade erst entstehenden Genre des Schauerromans ist dieser Diktator ein zu besonderer Gefährlichkeit aufgeblasener Bösewicht, den aber in erster Linie Schwächen wie Angst und Neid umtreiben. »Hitzig«, »in Zorn geratend« und »sich die Stirne streichend« finden wir ihn in Horace Walpoles Beschreibung die meiste Zeit vor. Am Ende bereut Manfred von Otranto alles ganz schrecklich, ist sein Fürstentum aufgrund abenteuerlicher Deus-exmachina-Gegebenheiten aber natürlich trotzdem los. Der wahre Herrscher Otrantos heiratet die verzagte Schließlich-doch-noch-Braut.

Ein liebenswerter Schurke der ganz eigenen Art ist hier übrigens Autor Horace Walpole selbst. Der Sohn des damaligen Premierministers erlaubte sich anno 1764 einen kleinen Scherz. Eine »ganz und gar italiänische« Geschichte behauptete er entdeckt zu haben, die ein Mönch namens Onuphrio Muralto verfasst und ein gewisser William Marshal ins Englische übertragen habe. Als seine Schlossgespenststory sich dann eines riesigen Erfolgs erfreute, ging die Eitelkeit mir Signore Walpole durch: Er bekannte sich zu dem Schwindel und brüstete sich damit, die gothic novel erfunden zu haben. Der nicht sonderlich italienisch klingende Name Manfred hätte manchen Leser dabei stutzig machen können. Oder doch nicht? Von 1258 bis 1266 gab es tatsächlich einen König von Sizilien namens Manfredi di Hohenstaufen. ■

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