Читать книгу Meine zwei Leben - Martina Prewein - Страница 10

4

Оглавление

Ich rufe meine Putzfrau an, Daniela. Sie ist so alt wie ich, eine gebürtige Serbin. Ich schätze sie sehr, weil sie klug, ehrlich und eine hervorragende Mutter ist. Seit sechs Jahren arbeitet sie für mich als Reinigungskraft und Küchenhilfe, noch nie hat sie mich enttäuscht. Jetzt ist sie bei mir daheim, räumt auf und bügelt. Alles unnötig geworden. Ich werde nie wieder in meiner Wohnung sein. Mein wunderschönes Leben, das gerade erst begonnen hat, ist vorbei. Ich weiß, die Hölle kommt auf mich zu. Ich will die Menschen, die ich liebe, davor bewahren, mit mir unterzugehen, mein Baby, Roland, meine Eltern, meinen Bruder. Denn sie tragen keine Schuld an meinen Verbrechen.

Ich habe Daniela am Handy. Sie versteht kaum Deutsch, aber es gelingt mir, ihr zu erklären, dass ich sie auf der Philadelphia-Brücke treffen will. Sie fragt mich, wo ich dort genau wäre. Ich stehe ungefähr in der Mitte der Brücke. Junkies und Bettler sitzen am Gehweg neben mir, überall sind Menschen, die hektisch ihrer Wege gehen. Hoffentlich findet mich Daniela in dem Trubel.

Ja, da, ich sehe sie kommen. Ich laufe ihr entgegen. Ich gebe ihr einen Kuss auf die Wange. Daniela, ich brauche dringend meine schwarze Geldtasche und mein Sparbuch aus dem Safe im Geschäft. Ich drücke ihr die Schlüssel dazu in die Hände. Sie geht sofort los. Ich warte, warte, warte. Ich werde nervöser und nervöser. Alles dauert so lange.

Ja, klar: Sicherlich wird Daniela bereits verhört und kommt mit Beamten in Zivil zurück. Ich rufe sie nochmal an, obwohl ich weiß, dass ich mich damit gefährde. Sie hebt ab. Ich stehe schon auf der Brücke, behauptet sie. Ich sehe sie nicht. Doch, sie ist wirklich hier. Sie überreicht mir das Geld und mein Sparbuch. Danke. Ich gebe ihr fünfzig Euro für ihre Arbeit, umarme und küsse sie. Wir weinen beide. Sie stellt mir keine Fragen. Wir haben einander immer ohne Worte verstanden.

Daniela hatte immer ein schlechtes Verhältnis zu Holger und Manfred. Nie sprachen die beiden ihren Namen aus. Sie sagten nur: Dragica, putzen, Dragica. Sie schrien Daniela oft an und machten ihre Arbeit schlecht. Sie zeigten ihr Stellen, die angeblich schmutzig, aber in Wahrheit sauber waren. Daniela war auch manchmal dabei, wenn mich Holger und später Manfred aus nichtigen Anlässen anbrüllten.

Ich fragte mich oft, warum wir zwei uns diese Schikanen gefallen ließen. Der Grund dafür war, dass Daniela und ich die absurde Überzeugung verinnerlicht hatten, Männern dienen zu müssen. Egal wie sie sich uns gegenüber verhielten. Danielas Leben war ja auch tragisch, nie durfte sie müde oder krank sein, und nach ihrem schweren Job musste sie ihren Gatten und die Schwiegereltern bedienen, die sie wie eine Sklavin behandelten. Irre. Aber dieser Irrsinn verband uns. Eine lange Zeit hindurch.

Der Drang, mich zu unterwerfen, entwickelte sich schon sehr früh in mir. Obwohl es dafür keinen wirklichen Grund gab. Denn meine Kindheit war zwar schwierig, aber nicht schlecht. Ich hatte immer genug zu essen, einen sauberen Schlafplatz und eine Familie, die mich liebte und dafür sorgte, dass ich eine gute Ausbildung bekam. Trotz der vielen Probleme, die wir hatten. Zuerst in Mexiko und später in Spanien.

In unserer neuen Heimat galten wir als Zuwanderer und damit als minderwertig. Obwohl mein Vater Psychologie studiert und meine Mutter eine Dolmetscherausbildung hatte. Besonders die ersten Jahre in Barcelona sind für uns hart ge wesen. Vielleicht entwickelte sich mein Vater deshalb immer mehr zu einem Menschen, der kaum Widerspruch duldete. Er gab die Regeln daheim vor. Brav sein, fleißig sein. Bloß nicht auffallen. Gesetze, die für meinen Bruder und mich mitunter nicht einhaltbar gewesen sind. Aber, und das kapierte ich rasch, es war notwendig, dass es sie gab und wir sie befolgten. Denn sonst wären wir daheim im Chaos versunken.

Lange wohnten wir in einem Fünfzig-Quadratmeter-Appartement. Zu sechst. Mein Vater, meine Mutter, ihre Schwester, meine Oma und wir beiden Kinder. Mein Vater war der Hauptverdiener, doch um uns über Wasser zu halten, musste auch meine Mutter arbeiten. Sie tippte für Studenten Manuskripte ab und war mit dieser Zusatzanforderung natürlich ziemlich überfordert. Weil sie ja auch noch so viele andere Aufgaben zu bewältigen hatte. Meinen Bruder und mich zu versorgen, ihre Mutter, die körperlich laufend schwächer wurde, und meine angeblich schizophrene Tante.

Mein Bruder und ich glaubten nie an ihre Krankheit. Lange hatte sie ein ganz normales Leben geführt, damals in Mexiko. Sie war einmal eine angesehene Sportlehrerin gewesen, bildhübsch, lustig und hochintelligent. Bis ihr Vater starb. Sie verkraftete seinen Tod nicht, ging danach nicht mehr außer Haus, wusch sich nicht mehr, hörte auf zu sprechen und wurde zum Pflegefall.

Je älter ich wurde, desto mehr begriff ich, dass meine Eltern unter einem enormen Druck standen, dass an jedem Morgen ein neuer Kampf für sie begann und sie daher kaum Zeit für lange Gespräche mit mir haben konnten. Ich gewöhnte mich daran, über meine Probleme kaum, oder eigentlich gar nicht, zu sprechen. Das war ein Fehler.

Meine zwei Leben

Подняться наверх