Читать книгу Meine zwei Leben - Martina Prewein - Страница 15

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Dann war Holger wieder nett zu mir. 2005, nachdem er zum wiederholten Mal seinen Job verloren hatte, erklärte er mir freudestrahlend: Esti, ich weiß, was dein größter Wunsch ist, du hast schon so oft darüber geredet, und jetzt werden wir ihn uns gemeinsam erfüllen. Wir werden nach Wien ziehen, dort einen Eissalon eröffnen und eine Familie gründen. Ich jubelte, ich war glücklich.

Wien war immer schon meine Traumstadt gewesen, von Jugend an hatte sie mich magisch angezogen. Ich kannte sie zwar nur aus Fotobänden, aber die Bilder von den engen Gassen mit Kopfsteinpflaster, dem Stephansdom und dem Prater mit dem Riesenrad faszinierten mich einfach. An einem Ort zu leben, an dem die Zeit ein bisschen stehengeblieben zu sein schien, müsste wundervoll sein, dachte ich.

Esti, bald bist du dort und wirst deiner Leidenschaft nachgehen können. Eis herstellen, neue Sorten kreieren, in deinem eigenen Geschäft. Esti, das klingt doch fabelhaft.

Die Suche nach einem geeigneten Lokal dauerte nicht lange. Holger und ich setzten uns vor den Computer, studierten auf österreichischen Immobilienseiten die Angebote und fanden schnell in Meidling, einem Außenbezirk von Wien, ein Geschäft zur Pacht, das „Venus“ hieß. Nicht zu teuer, nicht allzu groß. Die Fotos, die wir davon im Internet sahen, gefielen uns. Was uns auch noch positiv schien: Zu dem Eissalon gehörte ein Lager in einem Nachbarhaus, das wir bei Bedarf anmieten könnten. Eine Dusche und eine Toilette waren darin, der Raum würde sich ganz einfach zu einer Wohnung umfunktionieren lassen. Ohne viel zu überlegen, riefen wir den Anbieter an und schlossen einen Vertrag ab.

Ein paar Wochen später kamen wir in Meidling an. Ich war sofort verliebt in das Lokal. Es sah mit seinen dunkelroten Leder-Sitzgarnituren und seinen Tischen aus echtem Holz wie ein Pub aus. Ich wollte es ein bisschen niedlicher ausstatten, kaufte hübsche Aschenbecher, Tischdeckchen und Zuckerstreuer.

Schnell machten wir das Lager im Nachbarhaus zu einer netten Bleibe. Wir strichen die Wände neu, stellten unsere alten Möbel aus Berlin hinein. Innerhalb kürzester Zeit wurde dieses Zimmer, das nur eine Rumpelkammer gewesen war, zu einer kuscheligen kleinen Wohnung.

Ich erkundete die Gegend und war begeistert. Die Lage des Geschäfts schien mir perfekt. In der Nähe eine U-Bahn-Station, ein paar Gassen weiter eine Schule, rundum Büros. Esti, Holger und du, ihr habt die richtige Entscheidung getroffen, der Eissalon wird gut laufen. Und ich hatte auch schon eine Idee, wie wir das Geschäft im Winter nutzen könnten. Unsere Kunden sollten dann dort Kaffee und Tee trinken und selbstgebackene Kekse kaufen.

Unsere Zukunft in Wien wird wunderbar, davon war ich überzeugt.

Kurz nach der Eröffnung des Geschäfts holte mich die Realität ein. Nein, Holger, unsere Abmachung ist nicht gewesen, dass ich schufte, während du faul auf der Couch liegst. Wir hatten anderes besprochen. Dass wir in Österreich endlich Kinder kriegen würden, zum Beispiel. Später. Wie oft habe ich dieses Wort auch von ihm gehört. Also hoffte ich auch diesmal wieder auf das Später. Während die Gegenwart laufend unerfreulicher wurde. Weil sich Holger zunehmend zu einem Spinner entwickelte.

Immer mehr fing er an, sich für Waffen zu interessieren. Immer mehr verschrieb er sich den Hare Krishnas. Immer mehr machte es ihm Spaß, mich zu demütigen. Je geduldiger ich mich seinen Anweisungen fügte, desto fordernder wurden seine Befehle. Je kraftloser ich mich fühlte, desto massiver übte er Macht über mich aus. Esti, mach dies, Esti, mach das. Esti, du bist nicht fleißig genug. Esti, es ist deine Schuld, wenn der Eissalon nicht läuft. Nichts konnte ich ihm recht machen, obwohl ich so viel für ihn tat, Miniröcke, Push-up-BHs und Stöckelschuhe anzog, um für ihn sexy zu sein. Ihn zu Schießübungen begleitete, sogar seine Pistolen, die ich hasste, putzte. Mein Ich völlig aufgab. Das Schlimmste überhaupt: Er zwang mich schließlich sogar dazu, meinen Glauben zu verleugnen und den Hare Krishnas beizutreten. Einmal pro Woche musste ich fortan mit ihm Veranstaltungen seiner Sekte besuchen und mich ihren Gesetzen unterwerfen. Nein, Esti, Sex ist nicht wichtig, sagte er, es gibt andere Dinge, die viel bedeutender sind. Aber wie sollte ich ohne Sex schwanger werden?

Heimlich ging ich weiter in die Kirche, bat Gott um Verzeihung für meine Irrwege, flehte ihn um Verständnis an, fragte ihn, wie ich mich aus der Sackgasse, in die ich mich selbst hineinmanövriert hatte, befreien sollte. Ich bekam keine Antworten.

Meine zwei Leben

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