Читать книгу Meine zwei Leben - Martina Prewein - Страница 8
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ОглавлениеIch zahle und mache mich auf den Weg zu meinem Eissalon. Die Stimmen der Leute, die Geräusche der Autos klingen verwaschen. Die Luft ist anders, reiner, frischer. Ich setze mich in die U-Bahn, ich fühle mich beobachtet von den Menschen, ich bilde mir ein, dass sie mich anstarren, auf meinen Bauch schauen. Ich sehe Mütter mit Kindern. Das tut mir gut. Ich bin glücklich.
Im Eissalon ziehe ich mich sofort in die Küche zurück. Ich weiß, ich muss vorsichtig sein. Ich will nichts riskieren. Ich darf jetzt nicht mehr schwer heben. Bei jedem Schritt, den ich mache, habe ich Angst auszurutschen. Der Fliesenboden ist manchmal glitschig, ich werde ihn in Hinkunft noch öfter als bisher aufwaschen. Nein, mein Kleines, fürchte dich nicht, deine Mami passt gut auf dich auf.
Früher als erwartet ist er da. Roland, der Vater meines ungeborenen Sohnes. Ich höre seine tiefe, männliche Stimme, vorne im Geschäft. Wo ist meine Frau? Wir umarmen und küssen einander. Gott, wie sage ich es ihm bloß? Wir hatten vor, ein Baby zu kriegen, aber erst in einem Jahr, und bis dahin wollten wir aufpassen. Wir haben aufgepasst und trotzdem ist es passiert.
Roland füllt einen Becher mit Eis, After-Eight und Schokolade, obendrauf schaufelt er Schlagobers. Mit vollem Mund stellt er endlich die Frage. Was war beim Frauenarzt? Mi amor, gehen wir essen und ich erzähle es dir. Im Gasthaus ums Eck hat ein Kellner Dienst, der ein Kunde von mir ist. Was darf ich euch bringen? Ein Soda-Zitron und eine Scholle mit Gemüse. Roland will ein Steak mit Kartoffeln und ein Bier. Die Getränke sind da. Prost. Und? Erzähl.
Roland schaut mich mit großen Augen und hochgezogenen Brauen an. Ich bin schwanger. Ich spreche den Satz schnell aus, in einem flachen, hektischen Ton. Wie wird er auf diese Nachricht regieren? Ich bin unsicher. Er lehnt sich zurück, nimmt einen Schluck aus seinem Glas. Ich habe es gewusst, sagt er. Sein Gesicht strahlt. Er freut sich. Ich setze mich neben ihn auf die Bank. Ich frage ihn. Willst du mich heiraten? Er schaut mich ernst an, ein paar Sekunden lang, dann gehen seine Mundwinkel hoch. Ja, ja, ja. Ja! Wir küssen uns. Ich drücke mich an seine Brust, an seinen Körper, der nach Zigaretten riecht und für mich jetzt schon mein Zuhause bedeutet. Roland ist der beste Mann auf dieser Welt. Ich erwarte ein Kind von ihm. Ein neues Leben hat begonnen.
Die kommenden Tage arbeite ich von früh bis spät im Eissalon, wie immer. Ich mache bloß öfter Pausen, ich esse viel Obst, Salat und Gemüse, ich trinke keine Energy-Drinks mehr und weniger Espressos, die Spritzweine am Abend sind sowieso gestrichen. Meine Angestellten sehen mich deswegen erstaunt an. Sie verstehen auch meine Stimmungsschwankungen nicht. Ich raste plötzlich wegen jeder Kleinigkeit aus. Wird das in den kommenden acht Monaten so bleiben?
Am Donnerstag, den 28. Mai, habe ich noch eine Untersuchung beim Gynäkologen. Neue Befunde liegen vor. Jetzt ist ausgeschlossen, dass es sich um eine Eileiterschwangerschaft handelt. Ich rufe meinen Bruder in Barcelona an. Du wirst Onkel. Er ist sprachlos. Bist du dir sicher? Ja. Esti, ich freue mich so für dich. Es ist ein Junge, sage ich, ich weiß es. Dann rede ich mit meinen Eltern. Meine Mutter ist zuerst am Apparat. Ich heirate. Esti, du bist schwanger. Ja, in der fünften Woche.
Es ist die bisher beste Zeit meines Lebens. Ich habe alles, eine wunderbare Familie in Spanien, einen treuen Mann an mei ner Seite, und ich trage ein Kind von ihm unter dem Herzen. Und auch das Geschäft läuft gut, die Kunden und die Mitarbeiter sind zufrieden. Es passt einfach.
Bis zum 6. Juni 2011. Es ist ein Montag, es regnet, deshalb gibt es kaum Arbeit im Eissalon. Die Sitzecken bleiben leer, und mein Personal sieht sich auf dem kleinen Fernseher hinter der Theke eine Kochsendung an. Ich halte es nicht für notwendig, in meinem Geschäft zu bleiben, meine Serviererinnen werden sich um die wenigen Kunden, die heute noch kommen werden, alleine kümmern können. Ich bin froh über die unverhoffte Freizeit. Ich liebe diese Stunden, die ich ganz für mich haben kann. Sie sind ohnehin so selten.
Ich verlasse mein Lokal durch den Hinterausgang und begegne einem Handwerker. Er trägt einen blauen Overall und Werkzeugkisten in beiden Händen. Ich kenne ihn nicht. Er wirkt steif, irgendwie geschockt, sein Mund ist offen. Ich grüße ihn. Er antwortet nicht. Komisch, denke ich, vergesse ihn aber gleich wieder. Ich will meinen freien Nachmittag genießen.
Ich gehe schnell heim, meine Wohnung ist nur 300 Meter von meinem Eissalon entfernt. Ich sperre die Türe auf. Wunderbar, diese Ruhe dort. Ich lege mich aufs Sofa, lese ein paar Seiten in dem Liebesroman, den ich vor ein paar Tagen gekauft habe, nicke ein. Ich wache wieder auf, schaue auf meine Armbanduhr. Es ist schon 16 Uhr. Jetzt rasch unter die Dusche. Ich schminke mich ein wenig, ziehe ein hübsches Kleid an und beginne zu kochen. Putengeschnetzeltes mit Champignons in Rahmsauce und Reis dazu. Ich freue mich auf Roland, ich will ihn mit einem gemütlichen Abend zu zweit überraschen.
Um 18 Uhr kommt er nachhause. Vor deinem Nachbargeschäft, beim Friseur Erkan, ist der Wahnsinn los, sagt er. Die Polizei hat alles abgeriegelt. Vielleicht wurde eingebrochen.
Es ist der Moment, in dem ich spüre, dass irgendetwas nicht in Ordnung ist. Nein, ich will davon nichts wissen. Ich gehe nicht auf die Straße, um mich zu erkundigen, was geschehen ist. Ich rufe niemanden an. Ich verdränge meine schlimmen Gedanken, meine Panik. Darin bin ich gut.
Der Abend ist genau so, wie ich ihn geplant hatte. Roland und ich essen, wir reden dabei über die Hochzeit und unser Kind. Über unsere Zukunft, die wundervoll sein wird. Noch vor der Geburt des Babys wollen wir in ein Reihenhaus am Stadtrand ziehen. Unser Sohn soll im Grünen aufwachsen, nichts darf ihm jemals fehlen. Später haben Roland und ich Sex, innigen, zärtlichen Sex. Erst seit vergangenem Dezember sind wir ein Paar. Er ist so anders als die Männer, die ich vor ihm hatte. So anders als Holger und Manfred.
Roland gibt mir die Geborgenheit, nach der ich lange gesucht habe. Er hat mir beigebracht, was Liebe wirklich bedeutet. Warum sind wir nicht schon früher zusammengekommen? So viele grauenhafte Dinge wären dann nicht geschehen. Ich schlafe an ihn geschmiegt und mit einer Hand auf meinem Bauch, auf unserem Kleinen, ein. Unser Glück ist perfekt. Es muss perfekt bleiben.
Der Wecker läutet früh am Morgen. Roland arbeitet in einer Lebensmittelfirma. Ich stehe mit ihm auf. Er soll kräftig frühstücken. Beim Abschied küssen wir uns minutenlang. Bis heute Abend, mi amor.
Ich mache mich für die Arbeit zurecht, ziehe ein gelbes Rundhals-T-Shirt, einen kurzen Sommerrock und Stöckelschuhe an. Um neun Uhr gehe ich zum Eissalon. An der Kreuzung steht ein grauer Kombi, seine Scheiben sind verdunkelt, zwei Männer sitzen darin. Der Wagen sieht nach Polizeiauto aus. Mir wird kalt. Ich bin knapp davor, umzukippen.
Ich schleppe mich in mein Lokal, sehe im Hauseingang daneben zwei Uniformierte stehen, links und rechts vor der Kellertüre. Bitte, Gott, es kann nicht sein, lass es nicht zu. Nicht jetzt. Ich bekomme doch ein Baby!