Читать книгу Meine zwei Leben - Martina Prewein - Страница 11

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Ich hätte mit meiner Familie reden müssen, viel mehr reden. Ich hätte ihnen sagen sollen, dass ich wegen der fürchterlichen Dinge, die in Mexiko geschehen waren, an Alpträumen litt. Die Geschichte mit den Puppen war ja nicht das einzige Drama, das ich dort erlebt hatte.

Drei Mal versuchten Banditen, mich auf offener Straße zu entführen. Weiße Mädchen galten in meiner alten Heimat als wertvoll, sie ließen sich für hohe Summen an illegale Adoptionsagenturen verkaufen. Aber mein Vater schaffte es immer, die Kriminellen zu vertreiben, bevor sie mich in ein Auto zerren und verschleppen konnten. Und dann geschah auch noch diese Sache in dem Bus. Meine Mutter und ich saßen darin, nebeneinander, auf einer Bank. Plötzlich gab es einen unvorhergesehenen Stopp. Vermummte mit Waffen stürmten den Passagierraum, und sie drohten damit, die Fahrgäste zu erschießen, wenn sie ihnen nicht ihr Geld aushändigen würden.

Ich habe mich bei allen diesen Überfällen geduckt und geweint. Still geweint. Ein Verhaltensmuster, das in mir blieb. Immer wenn jemand auf mich losging, wurde ich unfähig, Widerstand zu leisten. Spürten die anderen Menschen meine Hilflosigkeit? Stand schon von klein an „mach mich fertig“ auf meiner Stirn geschrieben? Warum wäre ich wohl sonst zu einem einfachen Opfer für Vergewaltiger geworden?

Das erste Mal geschah es, als ich 16 war. Ich lernte einen jungen Mann in einer Disco kennen, er schien mir vertrauenswürdig, und als er mich auf einen Drink in seine Wohnung bat, ahnte ich nichts Böses. Bei ihm daheim fiel er über mich her.

Ich hatte daraus nichts gelernt. Ein paar Monate später passierte mir das Gleiche nochmal, wieder mit einer Bekanntschaft aus einem Lokal. Der Typ war viel älter als ich, schon um die 30. Ich ließ mich ohne Bedenken von ihm zu einer Privatparty einladen. Während des Fests ging er mit mir in ein leeres Zimmer und fesselte mich dort mit Handschellen.

Nein, ich habe mich gegen beide nicht gewehrt. Nein, ich habe nicht um Hilfe geschrien, während sie sich an mir vergingen. Nein, ich habe sie nicht bei der Polizei angezeigt. Nein, ich habe niemandem von ihren Verbrechen erzählt.

Ja, ich habe Holger und Manfred geliebt. Nur, sie nutzten diese Liebe aus und machten mich wieder zu dem Mädchen, das sich duckte und still weinte. Genauso, wie die Uniformierten, die meine Puppen töteten. Genauso, wie die Männer, die mich entführen wollten. Genauso wie die Vermummten aus dem Bus. Genauso wie meine Vergewaltiger.

Ich hätte Holger und Manfred rechtzeitig verlassen müssen. Doch ich konnte nicht. Ich schaffte das nicht. Aber ich schaffte es, sie zu töten.

Meine zwei Leben

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