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Ich bin jetzt wieder alleine und fühle mich noch einsamer als vor dem Treffen mit Roland. Ich versuche, meine Gedanken zu ordnen. Wenn ich in Paris ankomme oder spätestens, wenn ich in Mexiko bin, wird mich die Interpol verhaften. Ich darf meine Tickets nicht benutzen. Ich muss weg vom Flughafen. Soll die Polizei hier nach mir suchen. Damit gewinne ich vielleicht etwas Zeit.

Ich steige in ein Taxi. Zum Westbahnhof, bitte. Mein Magen beginnt zu rebellieren. Mir fällt ein, dass ich heute noch nichts gegessen oder getrunken habe. Ich merke, wie hungrig und durstig ich bin. Komisch, denke ich mir, dass diese Instinkte selbst in der fürchterlichen Situation, in der ich mich befinde, noch funktionieren.

Ich schaue aus dem Fenster des Wagens. Wir fahren an zwei Lokalen vorbei, die ich jahrelang mit Eis beliefert habe. Nun begreife ich alles erst so richtig. Mein bisheriges Leben, es existiert nicht mehr. Die vielen Menschen in Wien, die ich mochte, ich werde sie nie wiedersehen, ihnen nichts erklären können. Was sollte ich ihnen sagen? Ich verstehe mich doch selbst nicht. Und ich bin auch nicht daran gewöhnt, über meine Probleme zu sprechen.

Nach der Tat an Holger ging es mir psychisch sehr schlecht, und nach der an Manfred genauso. Es ist nicht schön, Menschen zu töten. Es ist die Hölle, mit dem Wissen, eine Mörderin zu sein, zu leben. Da hilft nur verdrängen. Doch das funktioniert nicht immer, und dann laufen meine Verbrechen wie ein Film vor mir ab. Ich fürchte mich vor diesen Momenten. Tausende Male überlegte ich, mich jemandem anzuvertrauen. Einem Psychiater, meiner Mutter, einer Freundin.

Hatte ich überhaupt jemals eine Freundin, eine richtige Freundin? Eigentlich nicht. Warum nicht?

Schon von Kindheit an hatte ich Angst davor, von anderen Menschen enttäuscht zu werden. Dafür gab es Gründe. Als ich mit meiner Familie nach Spanien kam, gehörten wir der untersten sozialen Schicht an. Viele Kinder weigerten sich, mit mir zu spielen, wenn sie erfuhren, dass ich aus Mexiko stammte. Meine Mutter tröstete mich dann immer. Esti, sei nicht traurig, diese Buben und Mädchen sind dumm. Du bist gescheit, du bist ein liebenswerter Mensch, und wenn sie das nicht kapieren, sind sie deiner nicht würdig. Du bist nicht minderwertig, weil du in einem anderen Land geboren wurdest, versteh das. Ich fühlte mich trotzdem wie ein Stück Dreck.

Dann kam ich in die Schule, in eine öffentlich-katholische. Dort unterrichteten Nonnen. Obwohl ich fleißig lernte und gute Noten schrieb, mochten sie mich nicht. Ich war auch für sie bloß die arme Ausländerin. Meine Klassenkameraden orientierten sich an dem Verhalten meiner Lehrerinnen und hielten Distanz zu mir.

Mit zwölf verbesserte sich meine Situation allmählich. Meine Eltern hatten mittlerweile genug Geld gespart, um eine große Eigentumswohnung in einer guten Lage von Barcelona zu kaufen und mich auf eine Privatschule zu schicken. Dort waren meine Mitschüler netter zu mir. Sie luden mich auf Partys ein. Ich fand in meiner Klasse Mädchen, mit denen ich ins Kino gehen oder durch die Stadt bummeln konnte. Wir tauschten auch kleine Geheimnisse miteinander aus, welche Burschen uns gefielen und so. Aber über das, was wirklich in mir vorging, redete ich nicht mit ihnen.

Genausowenig wie mit meinem Vater oder meiner Mutter. Obwohl ich das inzwischen hätte tun können. Denn sie befanden sich nicht mehr im Dauer-Stress. Sie merkten schnell, wenn es mir nicht gut ging. Aber ich blockte alle ihre Versuche, in meine Seele vorzudringen, ab. Ich schaffte es einfach nicht, mit ihnen über meine Ängste und meine Traurigkeit zu sprechen. Nie.

Meine zwei Leben

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