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Macht

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Angesichts des häufigen Vergleichs des Polizeikorps mit einem Apparat zur Durchsetzung der staatlichen Herrschaftsgewalt54 erweist es sich im Kontext der Bedeutung von Kommunikationen als fruchtbar, wenn ein gesonderter Blick auf den Aspekt der Macht geworfen wird. Gerade in der Diskurstheorie Foucaults tritt dieser Aspekt (im Sinne einer diskursiv entstandenen Struktur) an besonders prominenter Stelle auf. Der französische Philosoph spricht im Zusammenhang mit Diskursen «von einem diskontinuierlichen Auftauchen und Verschwinden kontingenter Formationen».55 Mit diesem Ansatz will er herausschälen, «welche Aussagen bzw. diskursiven Ereignisse sich jeweils zu einem Diskursfeld bündeln l[ie]ssen». Dabei bildet laut Kneer, der den Bezug zur Systemtheorie herstellt, das «diskursive Feld […] ein autonomes System, das auf bestimmte, strukturierte Weise Objekte konstituier[t], Äußerungstypen hervorbring[t], Begriffe situier[t] und Themen verwende[t]».56 Foucault unterscheidet zwischen «Äusserungen» und «Aussagen» und verweist auf die Tatsache, dass Letztgenannte im Gegensatz zu Erstgenannten wiederholbar seien.57 Indem nun Foucault, so Kneer, behaupte, «dass die Identität der Aussage durch strukturelle Zusammenhänge konstituiert» werde, 58 ergebe sich die «Konsequenz, dass Strukturen nicht als deskriptive Regelmäßigkeit, wie Foucault behaupt[e], sondern als beherrschende Wirkkräfte konzipiert w[ü]rden».59 Tatsächlich nimmt der Begriff der Macht in Foucaults Diskursanalyse eine zentrale Stellung ein. Greifbar wird er spätestens in seinem Werk «Wille zum Wissen»60. Im staatlichen Apparat samt den damit verbundenen Institutionen und Gesetzeswerken erkennt Foucault eine Kondensation von Machtverhältnissen, verweist jedoch auf die darin nicht enthaltenen sonstigen zahlreichen Orte der Machtausübung.61 Damit möchte er zwar nicht behaupten, «dass der Staat nicht wichtig sei», fügt jedoch umgehend hinzu, dass die Analyse der «Machtverhältnisse» sich nicht nur auf den Staat beschränken dürfe. Erstens nämlich sei der Staat «mit seiner Allgegenwart und mit seinen Apparaten […] recht weit davon entfernt […], das gesamte reale Feld der Machtverhältnisse abzudecken», und zweitens könne derselbe Staat «nur auf der Basis von schon zuvor existierenden Machtbeziehungen funktionieren». Ganz allgemein indes geht Foucault davon aus, «dass alle Handlungen innerhalb eines Machtnetzes» erfolgen würden und insofern «niemals in einem machtfreien Raum agiert» werde.62 Für dieses Verdikt der Omnipräsenz von Macht verweist Kabobel unter anderem auf Foucaults Feststellung, dass sich Macht «in jedem Augenblick und an jedem Punkt – oder vielmehr in jeder Beziehung zwischen Punkt und Punkt – erzeug[e]».63 Foucault interessiert sich daher nicht in erster Linie für diejenigen Bereiche, in denen Macht ganz offensichtlich eine zentrale Rolle spielt (dazu gehört auch das Polizeiwesen), sondern gerade umgekehrt für die Formation von Macht in den von der Forschung noch wenig fokussierten Handlungszusammenhängen. Obwohl diese radikale Sichtweise im Hinblick auf den vorliegenden Untersuchungsgegenstand durchaus problematische Aspekte beinhaltet, 64 muss auch auf die gewinnbringenden Eigenschaften der foucaultschen Diskurstheorie verwiesen werden. Dies etwa, wenn nach den diskursiven Praktiken der staatlichen Herrschaftsmächte – wenn von solchen Mächten, was noch zu klären sein wird, im jungen Kanton Graubünden überhaupt gesprochen werden kann – oder dem strukturbildenden Diskurs der Polizeibeamten hinsichtlich der staatlich verfolgten Randgruppierungen gefragt wird. Für innerorganisatorische Strukturelemente jedoch erscheint die Herausschälung von durch die Diskursanalyse gewonnenen Machtformationen nur in Teilen als angebracht, da das Polizeiwesen organisatorisch betrachtet auf Hierarchien und insofern auf nackten Machtgefällen basiert. Zu fragen wäre allenfalls, ob auch Machtformationen von unten aufgedeckt werden könnten – also, ob in der diskursiven Tätigkeit der rangniedrigen Polizeibeamten verdeckte Machtansprüche gegen oben herausgeschält werden könnten und ob diese sich dann auch als erfolgreich und strukturkonstituierend bezeichnen liessen. Es ist jedenfalls wenig ertragreich, die Diskurstheorie für die Herausschälung von Normen rein organisatorischer Art heranzuziehen – etwa zur Frage, welche Regeln des Umgangs mit Vaganten die Landjäger befolgen sollten –, denn entsprechende Normen waren kaum von verdeckten Machteinwirkungen beeinflusst.

Davon abgesehen bedarf der Begriff der Macht für die vorliegende Untersuchung ohnehin noch einer genaueren Erläuterung. Obwohl er bei Foucault zentral ist, hat der französische Diskursanalytiker keine eigentliche Machttheorie im Sinn einer kommunikativen Konstitution von Macht geliefert.65 Luhmanns Machttheorie ist diesbezüglich aussagekräftiger und insbesondere im Hinblick auf zu untersuchende Interaktionsformen der Polizeibeamten bedeutsam. Der deutsche Soziologe verweist auf die Bedeutung von «Unsicherheit» als «Machtquelle»: Macht könne als solche gespürt oder empfunden werden, wenn eine Person die Möglichkeit besitze, sie als «weitere Quelle von Unsicherheit» zu (miss-)brauchen.66 Mit diesem Ansatz möchte sich Luhmann, wie er gleich selbst festhält, von Machtbegriffen distanzieren, welche mit der «Referenz auf Kausalität oder auch Absichten (Willen etc.) des Machthabers arbeiten, so als ob auf diese Weise eine vorliegende Realität bezeichnet werden könnte».67 Zu einem «stärkeren» Machtbegriff gelange man, wenn das «Verhalten anderer» einbezogen würde. Dies könne «über Sanktionen geschehen», wobei die «Einschränkung auf Bewirkung des Verhaltens anderer […] einen Zugewinn an Macht» bedeutet.68 Bei dieser Machtform, die Luhmann als «Einfluss» bezeichnet und deren (Nicht-)Vorhandensein im kommunikativen Alltag der Polizeibeamten eine erhebliche Rolle spielte, unterscheidet er zwischen positiven und negativen Sanktionen. Während Erstgenannte ausgeführt werden müssten, sei dies bei Zweitgenannten nicht zwingend nötig. Insofern werde das «spezifisch politische[] Medium Macht» erst dann greifbar, wenn eine «Einflussform» zum Tragen komme, «die sich auf negative Sanktionen stütz[e]».69 Negative Sanktionen würden «über Drohung kommuniziert oder schlicht antizipiert». Damit sei eine «explizite[] Drohung» im Endeffekt gar nicht nötig. Negative Sanktionen seien also «negativ auch insofern, als das Medium, das auf ihnen aufbau[e], auf ihre Nichtbenutzung angewiesen» sei. An dieser Stelle wird der Vergleich mit einer Systemstruktur besonders gut erkennbar. Die Macht in der interaktiven Auseinandersetzung nämlich funktioniert gemäss Luhmann nur so lange, als es dem «Machthaber» unter den gegebenen Strukturen gelingt, «eine Alternative» zu konstruieren, die er selbst «nicht zu realisieren wünscht, die aber für ihn weniger unangenehm ist als für den Machtunterworfenen».70 Luhmann verweist hier beispielsweise auf die «Ausübung physischer Gewalt», auf die «Bekanntgabe einer unangenehmen Information» oder auf eine «Entlassung». Insofern funktioniert das «Medium Macht» nur, wenn «beide Seiten diese Vermeidungsalternative kennen und beide sie vermeiden wollen». Das Medium funktioniert «also nur auf Basis einer Fiktion, einer nicht realisierten zweiten Realität». Als Beispiel für eine solche Struktur verweist Luhmann bezeichnenderweise auf das Polizeiwesen: «Die Polizei darf erscheinen, aber sie sollte nicht genötigt sein zuzupacken.»71 In Anlehnung an Luhmanns Machttheorie interessiert im vorliegenden Zusammenhang also die Frage, inwiefern sich solche Strukturen aus dem Quellenmaterial rekonstruieren lassen. Im Fall nicht erkennbarer Machtpositionen der Polizeibeamten ist demgegenüber danach zu fragen, wie die gegebenen Strukturen vom oben genannten Zustand abweichen.



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