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Die vorliegende Untersuchung des Bündner Polizeisystems ist konzeptionell in drei Teile gegliedert. Im Ersten Teil werden die formal-normativen Rahmenbedingungen des Polizeisystems erörtert. Es handelt sich diesbezüglich um die von der Polizeileitung und den politischen Behörden intendierten oder angeordneten Normen und nicht um solche, die sich innerhalb der niederen Polizeibeamtenschicht informell konstituierten oder manifestierten. Eine ausschliessliche Fokussierung auf gedruckte Instruktionen und Reglemente indes genügt für die Untersuchung dieses Aspekts bei Weitem nicht, denn neben den explizit nach aussen vermittelten Anforderungen gilt es, aus dem Untersuchungsmaterial das ganze Kompendium des nach innen gerichteten Normenwerks mit den entsprechenden Gesetzmässigkeiten herauszufiltern. Dabei geht es auch darum, das vordergründig Implizite und Ungesagte sichtbar werden zu lassen, wobei hier je nach Thematik durchaus auch nach organisationsimmanenten Machtkompositionen gefragt werden muss. Im Zentrum stehen folglich nicht unbedingt Legitimierungsfragen der Polizei, sondern die Soll-Fragen des polizeilichen Alltags: Wie sollte das typische Landjägerprofil aussehen? Wie sollte der Alltag der Landjäger organisiert sein? Wie sollten die Landjäger mit Fragen wie Zeit- und Finanzhaushalt umgehen? Dabei müssen für die Ergründung des formalen Polizeisystems jedoch expressis verbis auch Alltagspraktiken berücksichtigt werden, denn in bestimmten Bereichen, gerade bei nach innen gerichteten Normen, werden die Grenzen nur an den sich den rapportierten Alltagspraktiken anschliessenden korrigierenden Weisungen ersichtlich.

Demgegenüber behandelt der Zweite Teil die Alltagspraktiken der Polizeibeamten vornehmlich aus der Perspektive der Landjäger; im Zentrum steht weit eher die Ist- als die Soll-Frage. Hier wird der systemtheoretische Ansatz Luhmanns besonders interessant, denn die Kommunikationen beziehungsweise Entscheidungen der einzelnen Landjäger sind aus deren Perspektive als konstitutive Elemente zu verstehen, welche die Autopoiesis des Polizeisystems in dessen evolutivem Fortgang prägten. Während den Anhängern eines in der theoretischen Einleitung vorgestellten kulturtheoretischen Ansatzes im Ersten Teil trotz mehreren Einwänden noch in Teilen beizupflichten wäre (Stichwort ‹Polizeikultur›), müsste eine analoge Gleichsetzung des Zweiten Teils mit der sogenannten Polizistenkultur (Behr) als umso weniger zufriedenstellend gewertet werden. Als Hauptproblem erweist sich der Faktor des Ein-/Ausschlusses von Personen, der im Kulturbegriff inhärent ist. Die im Kapitel System zur Hauptthematik erklärten Kommunikationen und Entscheidungen sind im vorliegenden Verständnis als systemkonstitutiv zu verstehen, und es soll gleichzeitig darauf hingewiesen werden, dass vorgelegte Interaktionsformen nicht pauschal für Typen des Gesamtkorps zu erklären sind. Insofern wird die Schwäche des von Behr propagierten polizistenkulturellen Ansatzes hier am augenfälligsten. Indem wenn immer möglich auch die sich den einzelnen Kommunikationen anschliessenden Folgekommunikationen – Weisung des Verhörrichters/Polizeidirektors, nachfolgender Rapport des Landjägers und so weiter – berücksichtigt werden müssen, soll danach gefragt werden, wie sich das Polizeisystem evolutiv weiterentwickelte: Wie erkannten und bewerteten die Polizeibeamten durch die Auslegung der Definitionsmacht die Grenzen des Systems, und welche individuellen Normen auferlegten sie sich in der Folge? Beeinflussung sowie kommunizierte oder auch stillschweigende Aufnahme beziehungsweise Ablehnung konnte hier sowohl bei der Polizeileitung als auch bei den rangniedrigen Polizeibeamten erfolgen. Der Verweis auf das Prozesshafte ist hier besonders wichtig: Aussagen zum Polizeisystem sind immer als Ausschnitte aus einem sich evolutiv fortentwickelnden Prozess zu verstehen: Wenn beispielsweise eine Polizei-Bürger-Interaktion untersucht wird und danach gefragt wird, inwiefern die Kommunikation des Polizeibeamten und im Besonderen die kommunikative Reaktion darauf nach dem Dualismus Macht haben/keine Macht haben codiert war, kann in Erfahrung gebracht werden, wie der Polizeibeamte diese Interaktion aus späterer Beobachtung beurteilte und inwiefern sie aus seiner Sicht die Grenze des Systems gebildet hat. Möglich ist eine vom Polizeibeamten rezipierte Bestätigung seiner Macht, das Gegenteil oder aber auch eine zwischen diesen beiden Extrempositionen liegende Auffassung. Da ein Urteil mehrere Selektionen erfahren hat und nicht alle Folgekommunikationen bekannt sind, können auch nur Momentaufnahmen gemacht werden. Das gemachte Urteil muss insofern nicht zwangsläufig für die gesamte Untersuchungszeit Gültigkeit haben. Aus der Retrospektive und infolge der vielen Selektionen bleibt dem Forscher diesbezüglich keine Alternative, wobei in Anbetracht der Evolution eines Systems, in welcher ein absoluter Verharrungsmoment durchaus theoriefremd erscheinen muss, dieses scheinbare Problem ohnehin relativiert werden muss.

Aus den obigen Anmerkungen ergibt sich demnach, dass im Zentrum des Zweiten Teils Bewältigungsstrategien der Landjäger, vorkommende Interaktionsmuster in unvorhergesehenen Situationen sowie die Verschiedenartigkeit der Interaktionskreise im Polizeialltag stehen.87 Dabei interessieren immer auch die (Nicht-)Kommunikationen und (Nicht-)Entscheidungen, welche sich aneinanderreihen, und damit verbunden die Frage, wie sich das System durch entsprechende Sinngebung gegenüber seiner Umwelt abgrenzte.

Abschliessend wird im Dritten Teil nach dem Innenleben der Polizeibeamten gefragt. Im Zentrum steht die Frage, wie die Landjäger ihren Beruf und ihren Alltag bewerteten. Im Wissen, dass dieser Versuch zur sogenannten Eruierung der Psychologie der Landjäger anhand eines Quellenkorpus erfolgen muss, der sowohl in der Entstehung als auch in der Weiterverwendung eine Vielzahl von bewussten und unbewussten Selektionen88 durchwandert hat, kann dieses Unterfangen auch nur in Ansätzen und mit einiger Relativität der Aussagen erfolgen. Dennoch ist die Frage nach der Identifikation mit dem Beruf zu wichtig und zu spannend, als dass sie für die Untersuchung unbeantwortet bleiben kann. Das vermeintlich Gedachte und Gefühlte gelangt folglich entweder gar nicht oder nur andeutungsweise zum Ausdruck. Dabei handelt es sich um sogenannte psychologische Dispositionen wie das Selbstbild, um verschiedene Konzepte wie dasjenige der Macht und der Sicherheit bis hin zu Diskrepanzen zwischen dem Idealbild und der Wirklichkeitsrezeption. Wenn auch der in der Systemtheorie Luhmanns verwendete Begriff des psychischen Systems in gewisser Weise fremd erscheinen muss, kann der Vorstellung, dass diese Gedanken im Handeln, also in den Kommunikationen und Entscheidungen der Landjäger, eine zentrale Rolle spielten und insofern einen wichtigen Einfluss auf den Alltag und das Polizeisystem ausübten, eine sehr relevante Dimension zugesprochen werden. In der Vorgehensweise hätte dieser Dritte Teil folglich auch an zweiter Stelle gesetzt werden können. Diesbezüglich gilt jedoch zu unterstreichen, dass die Perspektive auf psychologische Komponenten fruchtbarere Resultate liefert, wenn sie sowohl nach den von oben definierten formellen Rahmenbedingungen (Erster Teil) als auch nach der Alltagspraxis (Zweiter Teil) thematisiert wird, denn die Interpretation (und das Verständnis) der Gefühlszustände hinter dem äusserlich Sichtbaren der Alltagspraxis kann in gewisser Weise nur dann erfolgen, wenn diese zuerst auch wirklich sichtbar gemacht wurde.



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