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Eine fadenscheinige Verdammnis

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Morgen

Ich besitze zwei schlichte schwarze Kleider, das ist alles.

Mehr brauche ich nicht.

Mit diesen beiden Sätzen sind der Kern, der Grundton und die fadenscheinige Verdammnis meines Lebens erfasst, so wie es vor mir liegt: meines Lebens, nicht meines Selbst, denn mein Selbst lebt nackt in der Arena meines Lebens.

Aber den Umfang meines äußeren Lebens bestimmen meine Zwei Schlichten Kleider. Meine Zwei Kleider zeigen an, wie weit ich mich augenblicklich entfernt finde von der weiten Welt der Dinge.

In der Welt der Dinge wird eine Frau nicht hauptsächlich nach ihrer Sittsamkeit beurteilt; nicht unweigerlich nach ihrem Ruf; nicht ausschließlich nach ihrem Vermögen; nicht zweifellos nach ihrem Sozialprestige; nur im Verhältnis zu anderen nach ihrer Schönheit, und was ihren Verstand angeht oder dessen Fehlen – lalala! In der materiellen Welt wird sie schlicht, vollständig und ausschließlich nach ihrer Kleidung beurteilt. Das ist stillschweigend so ausgemacht und beschlossen und gilt für den gesamten Erdkreis – wo auch immer Frauen weiblichen Geschlechts sind und von Männern verfolgt werden.

Aber nein, daran ist nichts ungerecht. Keiner einzigen Frau gegenüber. Es ist das gerechteste aller ungeschriebenen Gesetze.

Nur einige wenige Frauen, ein paar von besonderer Art, können ihr inneres Feuer oder die Tatsache, dass sie Menschen sind, ausdrücken, indem sie schauspielern oder sich den Suffragetten anschließen oder singen oder malen oder schreiben oder Kurse in Heilkunde oder Haushaltsführung besuchen. Aber nicht eine einzige lässt sich finden – von der herumziehenden Roma, rotblütig und starkherzig, zur überbehüteten, überzüchteten britischen Prinzessin –, die, was sie ist, nicht darin ausdrückte, welche Kleider sie trägt und wie sie es tut.

Ihre Kleidung verdeckt und enthüllt, auf kunstvolle, widersprüchliche, nie an ein Ende kommende Art.

Ein weites, weites Feld.

Kein Schauspieler könnte den Hamlet geben ohne sein perfektes hamlethaftes schwarzes Kostüm.

Das nüchterne schöne Habit einer Nonne legt nach innen und außen dar, was es bedeutet, sie zu sein.

Eine Frau kann nackt ausgesprochen rein aussehen; auf die übliche sittsame Weise gekleidet, bringt dieselbe Frau es möglichweise nur auf ein schäbiges, schauriges, abstoßendes Erscheinungsbild.

Man wird durch seine Kleider entweder gemacht oder umgebracht.

Eine Frau kann durch die Machart und den Stil ihrer Gewänder mehr von ihrem Verstand, ihrem Ich, ihrem Charakter, ihrem Gemüt, ihrer formbaren, pulsierenden Persönlichkeit zeigen, als wenn sie eine Bombe würfe, eine gute oder schlechte Nachspeise zubereitete, ihre Unschuld verlöre oder ihren Nachbarn verleumdete. Der Keim, das Schattenbild und die Wahrscheinlichkeit für jede dieser Aktionen stecken im Stil, der Form und den Details ihrer Kleidungsstücke.

Eine Jury glaubt, sie fälle ein Urteil darüber, ob eine Frau ein Verbrechen begangen hat. Einige der zwölf Gerechten geben vielleicht im stillen Kämmerlein nur vor sich selbst zu, dass sie die Frau nach ihrer Augenfarbe, der Form ihres Kinns oder den Kurven ihrer Schultern beurteilen. In Wirklichkeit aber ist es einzig die Kleidung, nach der sie unbewusst urteilen, ob sie einen Mord, Diebstahl, Betrug, oder was immer ihr vorgeworfen wird, begangen hat. Kann sein, dass ein verführerisch schäbiges Kleid sie vor dem Galgen rettet. Kann sein, dass ein Hut, der im falschen Winkel auf dem Kopf sitzt, für schuldig befunden und zum Tode verurteilt wird. Ein Handschuh in ihrem Schoß, ein wehender Schleier, ein kleines weißes Taschentuch, das neben ihrem Stuhl auf dem Boden liegt – das ist, wonach das Gericht entscheidet, ob sie freikommt oder ums Leben.

Aber ich spreche über Mich. Mich und meine Zwei Schlichten Kleider.

An mir machen ein elegantes Kleid oder eines, das mir nicht steht, einen überraschend großen Unterschied. Ich drücke meinem Aufzug mein gemischtes Temperament auf, und er vergilt es mir auf seine Art.

Einmal sah ich aus wie ein hübsches junges Wesen – es war in New York an einem Samstag im August –, ich trug ein für mich geschneidertes Kleid aus besticktem Leinen. Und dazu einen wunderbaren Hut: seine Farbe war ein blasses Olivgrün: sein Material war weiches Mailänder Stroh: sein Preis betrug vierzig Dollar. Meine Schuhe waren aus grauer Seide. Ich gefiel mir an dem Tag so sehr selbst, dass ich schon fürchtete, mein gesamtes Schreibtalent sei dahin. Denn Gott nimmt den Zucker weg, wenn er einem das Schlecken erlaubt. Und in unpassender Kleidung – an manchen Tagen kriecht einem das Wetter, der Teufel, die Feuchtigkeit des Lebens in die Stoffe, und noch die besten sehen dann unpassend aus – habe ich nichts als ein Durchschnittsgesicht, durchschnittlich von oben bis unten – so durchschnittlich, dass ich kaum mehr selbst an mein schurkisches Naturell glauben kann und mich halbwegs für ein braves weibliches Wesen halte.

In einem Leben voller Menschen besäße ich verschiedenste zarte, wunderschöne Kleidungsstücke, da man allein nach ihnen beurteilt wird und ich ziemlich eitel bin. Aber in meinem Leben gibt es keine Menschen. Das Ganze ist völlig aussichtslos. Ich fühle mich in eine Schraubzwinge eingespannt, die ich mir mit meinen analytischen Folgerungen selbst gemacht habe. Die Freiheit, ein weltliches Leben zu führen, kommt mir nicht zu, bis ich nicht Mich selbst ausgedrückt habe und wenigstens erfahren habe, wo ich stehe, wenn ich schon nicht weiß, wohin ich gehe.

Daher besitze ich Zwei Schlichte Kleider und nichts sonst.

Mehr werde ich vielleicht auch nie mehr brauchen.

Derzeit sind die beiden Kleider aus Serge und Voile. Ich ersetze sie, wenn die Mode sich verändert oder sie abgetragen sind. Sie sind gut geschnitten und passen mir gut. Aber es bleibt bei den beiden und der Schlichtheit. Ich wechsle immer nur von dem einen Kleid zum anderen und vom anderen wieder zu dem einen.

Außerdem habe ich noch ein paar andere Kleidungsstücke. Eine Frau – in welcher Verfassung sie innerlich wie äußerlich auch sein mag – sammelt, was sie nur kann an handgenähter Unterwäsche, anmutigen Nachthemden, Seidenhöschen und allem, was sonst noch so dazugehört. Sie bekleiden eher das Geschlechtswesen als die Person. Die ahnungslose Welt kann sie nicht nach ihnen beurteilen Aber die Frau selbst beurteilt und achtet sich aufgrund der Güte ihrer intimen Kleidungsstücke.

Mein Geschlecht erscheint mir als geheimnisvolles Geschenk. Ich staune es an und umkleide es mit Seide.

Darüber hinaus besitze ich ein oder auch zwei gesund aussehende Hauskleider aus Perkal, in denen ich die Hausarbeit verrichte.

Aber mein dahinschwindendes Leben, mein ängstliches, einsames Leben, wird in den Zwei Kleidern und nichts sonst geführt, und ich brauche nicht mehr.

ICH. Aufzeichnungen aus meinem Menschenleben

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