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Feuerkasten Marke Eigenbau

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Heute

Hier in Butte-Montana bricht eine düstere Julinacht an.

Der Himmel hängt voller Wolken. Die nahen Berge sind melancholisch-grau.

Da stoße ich von Angesicht zu Angesicht auf Mich.1

Ich bin Mary MacLane: unbedeutend für die große schöne weite Welt und Mir verdammt wichtig und teuer.

Von Angesicht zu Angesicht schaue ich mich mit einer guten Portion Selbsthass an, mit Verzweiflung und gespannter Aufmerksamkeit.

Ich stecke Mich in einen Feuerkasten Marke Eigenbau und schiebe ihn in mein flammendes alltägliches geistiges Inferno. Daraus leite ich ab:

Ich bin ungewöhnlich – und in mancherlei Hinsicht unübertrefflich.

Ich bin durch und durch eine Heidin.

Ich bin eitel, trivial und verschlagen.

Ich bin ein hochspezialisiertes Wesen, zutiefst Ich.

Ich bin weiblichen Geschlechts und noch dazu fast alles, was damit einhergeht, mit ein paar weiteren pointes.2

Ich bin dynamisch, aber am Boden zerstört, eine geistige Wüste.

Ich bin wie ein Leopard, ich bin wie eine Dichterin, ich bin wie eine Nonne, und ich bin wie eine Ausgestoßene.

Ich habe einen kräftigen schrägen Sinn für Komik – eine lebensrettende und die Sitten verderbende Gabe.

Ich habe Gehirn und Gehirntätigkeit, nicht gewaltig, aber fein und von außergewöhnlicher Qualität.

Ich neige dazu, andere zu verhöhnen, und ich bin mutig.

Ich bin von schlankem Körperbau und zarter Konstitution, festfleischig und frisch.

Ich bin eine merkwürdige Närrin, eine seltsam komplizierte Lügnerin und eine spirituelle Vagabundin.

Ich bin entschieden und eigen in meiner Unaufrichtigkeit; wankelmütig, schwach und erfinderisch in meiner Wahrheit.

Ich bin mir ständig meiner selbst bewusst, darin aber ohne Falsch.

Ich bin ultramodern, sehr altmodisch: ein wandelnder Widerspruch.

Ich bin jung, aber nicht sehr jung.

Ich bin sehnsüchtig – ich bin berüchtigt.

Kurzum: Ich bin ein menschliches Wesen.

Ich bin vorausschauend und auf analytische Weise selbstbezogen, von atemberaubender, dumpfer Genialität.

Und wäre ich nicht auf so entschiedene, ermüdende Weise bei Sinnen, würde ich sagen, dass ich verrückt bin.

Nach dieser Selbstuntersuchung beginne ich dieses Buch über mich selbst, um mir in allen Einzelheiten die Frau zu zeigen, die in mir steckt. Kann sein, dass das auch einen Typus zutage fördert, etwas generell Weibliches, so alt wie Eva. Sollte dem so sein, war das nicht meine Absicht. Ich künde allein vom Ego und dem Individuum.

Wie es heimlich jeder tut, der atmet, Mann, Frau, Kind. Man fürchtet sich nur, es laut herauszuposaunen. Und kaum einer weiß, dass er dieses Lied singt. Dabei ist es das einzige, was jeder kann. Ein Bischof, der sich aufrichtig und unermüdlich im Dienst für die Armen seiner Diözese aufreibt, dient seiner starken Eitelkeit und seinem idealen Ego. Ein hungernder Bildhauer, der in seinen Träumen lebt und nur für sie, ist genauso ein Selbstherrlichkeits-Egoist wie der Bischof. Und beide sind exakt solche Selbstherrlichkeits-Egoisten wie ich.

Selbstherrlichkeits-Egoist, nicht nur Egoist, ist mein Wort. Dieses Wort, nicht das abgemilderte, ist das »geflügelte Wort«.

Aus Schimmer, Glut und Glanz ist es gemacht, dieses Ego. Ich zähle zu seinen Anhängern.

Daher schreibe ich mir dieses Buch von Mir – von Meiner Seele, Meinem Herzen, Meinem Fühlenden Körper, Meinem Zauberhaften Verstand: von ihren innersten Kräften und ihren Widersprüchen.

– in jedem Menschen gibt es ein Selbst, eines, das lebt und sein eigenes süßes, eitles, ein wenig erschreckendes Wesen treibt, nicht in der Tiefe und nicht auf den Oberflächen, sondern Gleich-Unter-Der-Haut. Es ist das Selbst, das man sich ganz allein für sich selbst hält. Es ist die Essenz der Seele und der Knochen. Es ist das Durchtriebenste und Scharfsinnigste, das der Mensch besitzt. Es ist das Einsamste: tragisch einsam. Es bedeutet endlose, endlose Eingeschlossenheit – schön, erschreckend, barbarisch, beschämend, trivial bis zum Wahnsinn, daueranwesend, für einen selbst unglaublich faszinierend, leidenschaftlich versteckt: versteckt für immer, für immer –

Mein Ziel ist es, all dies in diesem Ich-Buch zur Sprache zu bringen: nichts Tiefes, außer es steigt an die Oberfläche und berührt die Sache, nichts Oberflächliches, außer es geht unter die Haut. Nichts als das flache unscheinbare blutige Ich Gleich-Unter-der-Haut.

Ich werde daran scheitern, zum einen, weil mein Schreibtalent den delikateren Aspekten der Aufgabe nicht gewachsen ist, vor allem aber, weil ich nicht einmal mit mir selbst sonderlich ehrlich bin.

Aber ich werde darauf hinarbeiten.

ICH. Aufzeichnungen aus meinem Menschenleben

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