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Ein Leichentuch

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Morgen

Das Unwichtigste an meinem Leben ist das, was man von ihm greifen kann.

Das Einzige, was auf Dauer zählt, ist, was in mir geschieht.

Wenn ich grausam handele und dabei keine Grausamkeit fühle, bedeutet es nichts für meine Seele. Wenn meine Seele Grausamkeit fühlt, obgleich ich nicht grausam handele, mache ich mich einer Art Gemetzel schuldig und besudele meine geistigen Hände mit Blut.

Meine geistigen Abenteuer sind wirklicher als die äußeren Dinge, die mir zustoßen.

Es befriedigt mich unmittelbar, wenn ich mich mit dem Ich beschäftige, das ich allein kenne – dem Ich, das verschlungen und beweglich ist, getönt, halbgetönt, durchgefärbt, das leuchtet –, ich erlebe ein geistiges Erblühen und mitunter ein wahres Hochgefühl. Das ist nicht immer der Fall, doch es kommt vor.

Immer aber verdüstert es meinen Tag, wenn ich an die Menge der äußeren Ereignisse denke, die mein greifbares Leben ausmachen.

Meine Selbstbeobachtung zieht einen zauberischen Bannkreis um mich, auch wenn er vermutlich schwarz ist.

Aber jede Rückschau wickelt mich in ein Leichentuch.

Wenn der Tag unter tiefhängenden Wolken ohnehin schon dunkel ist – und oft auch, wenn die Sonne hell, hell, hell scheint –, gehe ich in meinem Zimmer auf und ab und denke mit gerunzelter Stirn: plump, heftig und hässlich gerunzelt, über das verstreute Treibgut meines Lebens nach.

Heute war ein bleierner Tag. Die Luft hatte etwas vom höllischen Atem toter Menschen. Ich stützte mich mit den Ellbogen auf mein stumpfes Fensterbrett und schaute hinaus auf grüne und violette Berge. Ich versuchte, einen Grund zu finden – einen greifbaren oder poetischen Grund –, um zu leben.

Ich trug meine lange chinesische Jacke aus Brokat, die auf der linken Seite mit runden blitzenden Glasknöpfen geschlossen wird und mit blauen Fledermäusen und Gardenien bestickt ist, dazu einen plissierten Unterrock aus Seidenkrepp, Seidenschuhe und ansehnliche weiße Seidenstrümpfe. Mir war ganz rechtschaffen zumute, da ich am Vormittag viel Hausarbeit erledigt hatte. Ich hatte gründlich und gut gearbeitet, wobei ich fluchte oder mir Gedichte vorsagte, um in Schwung zu kommen. Danach fühlte ich mich nützlich und gut.

Aber als ich das Spitzenhäubchen, die Schürze und die Häuslichkeit gegen duftende Seide und mein trauriges Fenster eingetauscht hatte, war mir mit einem Mal schwach und verletzlich zumute. Schatten erstürmten meine Mauer, erklommen sie, drangen ein und plünderten mein Schloss. Ich trollte mich von meinem Fenster, kreuzte meine Arme in ihren weiten blauen Ärmeln und wanderte langsam in meinem Zimmer auf und ab. Mir fehlte die innere Kraft, gegen die Schatten anzukämpfen.

Ich zupfte zwei nicht hierhergehörende Fitzelchen, eine Staubfluse und einen Papierschnitzel, vom Teppich, aber in mir nahmen unverdaute und unverdauliche Erinnerungen ihren Lauf.

Sie eröffneten einen unbefriedigenden und unzufrieden machenden Blick auf eine Reihe von Mary MacLanes.

Da war der dickköpfige Säugling in Winnipeg-Kanada, ein Baby mit, wie man mir sagt, weicher Haut, kalten nachdenklichen dunkelblauen Augen, ohne Haar, ohne Stimme, in handgenähten Kleidchen aus Musselin, Gesichtsausdruck fett und plump.

Die Mary MacLane, die ich heute bin.

Da war das dreijährige Kind, an das ich mich dunkel erinnere, immer noch in Kanada, immer noch dickköpfig, mit einem kräftigen, fassartigen, rosaweißen Körper, erstaunlichen blauen Augen, einer mickrigen Stimme, dicken sonnenfarbenen Locken, Batistkleidchen, kurzen weißen Socken und mürrischem Naturell. Es gab etwas, das sie liebte: ein gelbes Schildpattkätzchen, das sie umarmte und gewaltsam umarmte, bis es eines Tages überraschenderweise in ihren Armen verstarb.

Die Mary MacLane, die ich heute bin.

Da war das sieben Jahre alte Kind in Minnesota, an das ich mich gut erinnere, noch immer dickköpfig, noch immer häufig mürrisch, mit einem dünnen, knochigen Körper, wissenden grauen Augen, einem gebräunten Gesicht, wettergegerbten Händen, unordentlichen Kleidern, schönem flaumigem goldenem Haar, einer Neigung zu Heimlichkeit und Lügen, einem grüblerischen Geist, phantastischen Tagträumen und der freien Lebensweise eines Wildfangs. Sie hatte Spielkameraden, aber keine besondere Zuneigung außer einer vorurteilslosen Vorliebe für stille, grüne Wälder, süße Wiesen, windige Hügel, strohgefüllte Scheunen und sämtliche Einzelheiten an der Oberfläche des Lebens. Durchaus eigen war ihre Abscheu gegen jede Art von Getue, das um sie gemacht wurde, gegen Neckereien und Verwandte.

Die Mary MacLane, die ich heute bin.

Da war eine Person von dreizehn Jahren, an die ich mich gut erinnere, in einer windigen Stadt in Montana, die weder Mädchen, Kind noch Wilde war, sondern eine Mischung aus allen dreien. Sie hatte einen teuflischen Widerspruchsgeist und ebensolchen Charakter, die von keiner Vernunft erhellten, ausdruckslosen und absolut unattraktiven Gesichtszüge und Körpermerkmale einer Heranwachsenden, eine Eigenliebe noch ohne die Würde der Ichbezogenheit sowie einen alles verschlingenden Lesehunger. Sie las, was immer ihr in die Hände fiel – von Voltaire bis zu Nick Carter, von Lady Audleys Geheimnis bis zu Foxes Buch der Märtyrer. Sie las Alexander Pope, Victor Hugo und John Stuart Mill. Sie las Lena Rivers von Mary J. Holmes, Konfuzius und die Brüder Grimm. Sie war schlaksig, mit langen Beinen, klugen grauen Augen, schönem, kupfergoldenem dunklem Haar, und hatte den ganzen dummen Kopf voller verworrener, unvernünftiger Gedanken. Sie hatte gefühlsüberladene unmögliche Tagträume. Sie hatte wenige Gefährten und niemanden, den sie liebte, aber sehr viel Abscheu gegen alles Vernünftige, Sinnvolle und Ehrliche.

Die Mary MacLane, die ich heute bin.

Da war das achtzehn Jahre alte Mädchen in diesem Spitzkegel-Butte, ich erinnere mich gut an es, das sich alle äußere Wildheit durch Lerneifer ausgetrieben hatte. Sie war dünn, aber nicht mehr schlaksig, und von weiß glühender Lebendigkeit und Anmut. Sie hatte abweisende graue Augen und das schöne kupferfarbene Haar, sie wirkte einsam und äußerst reserviert. Ihr Geist ernährte sich von herrlichen, exquisiten Träumen, die von Schüben jungen, leidenschaftlichen Elends unterbrochen, analysiert und in Stücke zerrissen wurden – und all das verborgen unter einer sehr ruhigen Oberfläche. Äußerlich strahlte sie etwas Angespanntes, deutlich Jüngferliches aus, innerlich war sie auf unverschämte Weise demi-vierge10. Sie hatte keine Gefährten, keine Freunde. Sie ging ganz darin auf, Wissen aus ihren Schulbüchern herauszuschaufeln, lernte aus ihnen, phantasierte über ihnen und machte sich auf die faszinierenden, gut ausgebauten Wege, die sie ihr eröffneten. Es war die Zeit, in der ihr Gehirn erwachte, ihre Seele erwachte, ihr Geschlecht erwachte, ihr Leben erwachte, die Welt erwachte: dieses Erwachen riss die Vorhänge von den Fenstern einer alten, zauberischen Trauer, so dass sie hinausblicken konnte. Sie hatte keine charakterlichen Schwächen – ihr Mut war stark und voller Verachtung. Er und ihr Bedürfnis, sich selbst auszudrücken, das sich ihrem immer regen Geist und dessen lebenslanger Unterdrückung verdankte, brachten sie dazu, sich selbst in einem Buch, das veröffentlicht wurde, auszubuchstabieren. Es handelte sich um ein poetisches Buch, zusammengesetzt aus Einsichten, Visionen und einem Aufstand der Farben, dessen Grundton das Jungsein angab. Es war menschlich und symbolisch, und der Teufel steckte in mehr als den Details. Das Publikum überall in England und Amerika las es, die Zeitungen machten eine Menge Lärm darum, und das einsame Mädchen, das es geschrieben hatte, war zu seiner eigenen Überraschung mit einem Mal nur allzu bekannt. Es brachte ihr Geld ein, mit dem sie sich von Butte befreien konnte, es brachte Menschliches und allzu Menschliches in ihr Leben, das dieses Leben für immer änderte. Und es brachte ihr keinerlei innere oder äußere Erregtheit oder Hochstimmung.

Die Mary MacLane, die ich heute bin.

Da war die junge Frau von sechsundzwanzig in Boston und New York, die ihr lang vertrautes Ich fast vergessen hatte für ein paar Jahre. Ihr bewegtes Leben bestand aus Torheiten, Belanglosigkeiten und Falschheit. Hatte sie früher zu wenige Gefährten gehabt, hatte sie nun zu viele, die ihr weder guttaten noch ihr schadeten, sie halfen ihr nur dabei, ihre Tage, ihre Launen und ihre Geisteskräfte zu verschwenden. Ihr Geschmack war recht weltlich geworden, sie dachte nurmehr schwache Gedanken, ihr Körper wurde anfällig, da sie nur unregelmäßig aß und schlief, und was ihre Eigenschaften anging, war sie sich keiner einzigen mehr sicher. Ihre Seele lag im Tiefschlaf, ihr Herz, das zu stark fühlte, arbeitete pausenlos, ihren Geist fesselte nichts. Aber ihre analytische Neigung verließ sie nicht, und mit ihrer Hilfe zerlegte sie die verschiedenen, bruchstückhaften Dinge, die ihr begegneten. Die Stadt New York erfuhr sie auf menschliche schmutzige erhellende maßregelnde Weise. Menschen verschiedenster Art erfuhr sie auf höchst unterschiedlichen Wegen. Sie erfuhr andere junge Frauen, die sie traurig machten, sie erfreuten und sie erstaunten. Sie erfuhr Männer – eine Rasse, deren Beschaffenheit und Beweggründe, was Frauen angeht, sich jeder Analyse entziehen. Die übliche Rüstung, mit der normale Frauen sich wehrten, stand ihr nicht zur Verfügung, denn sie war keine normale Frau, sondern verkörperte gewisse Neigungen unterschiedlicher Einzelwesen, alle zusammen in ein empfindsames weibliches Kuvert gestreckt. Sie war der räuberischen männlichen Gier auf Sex gegenüber leichtsinnig, wie keine ›ordentliche‹ Frau es wagen oder erleben wollen würde. Kein Mann entlockte ihr auch nur eine Träne, keiner brachte ihr närrisches Herz dazu, schneller zu schlagen, noch rief ein einziger ein anderes Gefühl als Heiterkeit hervor. Sie hatte auch Freundinnen – von einigen bösen Folgen mancher dieser Freundschaften wird sie sich nie erholen, sie hatte ihnen zu viel von sich selbst überlassen, so neu und alles auf den Kopf stellend war es, nach der langen Einsamkeit ihrer Jugend Freundschaft zu erfahren und sich auch einzugestehen.

– sie war nicht dazu fähig, etwas auf vernünftige Weise wertzuschätzen. Sie war nicht dazu fähig, in der Tür zu stehen und einen hübschen Vogel über die grüne Hecke fliegen zu sehen, den Glanz seiner leuchtenden Flügel in der Sonne zu bewundern und ihn ziehen zu lassen. Sie musste unbedingt hinausrennen – die Tür blieb offen, Tee und Kuchen im Haus blieben unberührt – und dem Vogel folgen, wohin er auch flog, durch Morast und Dornenast, rund um die Welt –

Ihrem zweifelhaften Ruf sind viele Briefe, Erfahrungen und Abenteuer zu verdanken. Sie lernte einige Berühmtheiten kennen – Schriftsteller, Schauspieler, Künstler –, die hübsche philosophische Plaisanterien zu bieten hatten. Sie erlebte, wie ihr jugendliches Buch mit kunstfertiger Pikanterie in der aktuellen Vaudeville-Show von Weber und Fields11 als Burleske dargeboten wurde (mit einem Herrn Collier, dem gewandteste der Komödianten, in der Rolle ihres vor langem verlorenen Teufels). Es kam zu einer eiligen Reise an den Rand Europas – eine Reise, auf der sie ständig nur schrecklich seekrank in ihrer Luxuskabine lag; zu einem halben Blick auf Paris, nichts als grau und grün im Regen; einem ganzen Blick auf London, geheimnisvoll, Dickensianisch und rundweg britisch in seinem gelbbraunen Nebel; dann ging es zehn Tage lang wieder zurück mit mehr kojenlägriger Seekrankheit von Cherbourg bis in den Hafen von New York – und all dies, das ganze Abenteuer, nur aufgrund einer plötzlichen Eingebung an einem Frühlingsmorgen. Sie erlebte mehrere Winter in Florida in sonnendurchfluteten Urlaubsstädten voller Prunk, Glücksspiel und überraschenden Leuten auf Winterurlaub. Taugenichts-Bastardjahre waren das, denen jegliche Wirklichkeit abging, jeder Sinn, jeder Vorteil – sie schenkten ihr eine Menge Halbklugheiten.

Die Mary MacLane, die ich heute bin.

Da war die junge Frau von siebenundzwanzig Jahren, seelisch ausgelaugt und zersplittert, die eines Wintertages in einer Anwandlung von Gleichgültigkeit in dieses Spitzkegel-Butte zurückkehrte. Es war ihre erste Rückkehr, seit sie und ihr Buch acht Jahre zuvor an die Öffentlichkeit getreten waren. Sie beging den festlichen Augenblick, indem sie sich von einem unheilvollen, blutsaugenden Krankheitsdämon namens Scharlach in die Knie zwingen ließ. Nach einem Leben auf Meereshöhe wieder der Wucht der Höhenluft ausgesetzt, geriet sie ein paar Keimen einer Seuche in den Weg und hatte keine Chance. Eine gewaltige Fieberschlange wickelte sich um sie, auszehrend und zerstörerisch. Sterbenskranke, quälerische Wochen. Nie zuvor im Leben war sie krank gewesen. Ein derart kritisches körperliches Abenteuer hatte sie noch nie durchgemacht. Es eröffnete ihr eine neue, schreckliche Welt. Die Zeit wollte einfach nicht vergehen in diesen ewigen, ewigen Wochen, sie konnte keinen vernünftigen Gedanken mehr fassen, es gab weder Tag noch Nacht noch Dunkelheit noch einen Morgen noch Erinnerung. Was es gab, waren Schmerz, äußerste Mattigkeit und das Gefühl, dass sie in Höchstgeschwindigkeit auf ihr Grab zugetrieben wurde. Eile lag in der Stille um sie her, als hätten der Tod und sie eine Verabredung, und sie käme zu spät, wenn man sie nicht vorwärtsdrängte. Es gab einen Arzt und eine flotte weißgestärkte Krankenschwester, es gab unendlich viel bittere Medizin und große schmale Gläser voll monotoner Milch. Die Milch und die Medizin störten sie ständig, ebenso die kalten Umschläge und das Wechseln der fiebergetränkten Betttücher, die Salbungen mit Olivenöl, das Messen ihrer Temperatur, das Einsprühen ihrer Kehle – während sie doch nur sinken wollte, für immer und ewig, tief, tief hinuntersinken in die Unterwelt. Fast versank sie. Aber ein launischer Gott entschied, dass er andere Pläne für sie hatte – er beschloss jedenfalls, dass sie noch nicht gehen dürfe. Nach sieben Wochen stand sie zerschlagen von ihrem Bett wieder auf und machte eine Bestandsaufnahme. Sie spielte jetzt die Rolle eines furchtbar gelben Skeletts mit nach innen gewölbten grauen Augen und von so verheertem Fleisch und zerschmetterter Lebenskraft, wie nur Scharlach einen zurichten kann, und ihr dickes, kupferfarbenes Haar hatte sich in ein stoppeliges, mausfarbenes Nest verwandelt. Sie brauchte lange, um sich zu erholen. Der Scharlachdämon veränderte ihr Leben und dessen Bedeutung und Kraft und Ausrichtung auf wirksamere Weise, als wenn sie dabei ertappt worden wäre, mit dem Gesetz zu spielen, und die Gefängnisse und Gerichte ihren Tribut von ihr eingefordert hätten. Aber nach Monaten, genauer nach eineinhalb Jahren aus solchen Monaten, gewann sie ihre Gesundheit vollkommen, wenn auch nicht mit der gleichen Tatkraft zurück, und ebenso ihr gutes Aussehen – das wenige, was sie davon je besessen hatte, und selbst die sie wieder zu einem Menschen machenden, nicht zu bändigenden Locken wuchsen, wenn auch verändert, in die Länge und umschlossen ihren Kopf von neuem, heidnisch und frivol. Welch großartiges Geheimnis unser Fleisch-und-Blut doch ist. Noch aus seiner Asche ersteht es wieder. Verbrenn es in der glühendsten Krankheit bis auf eine Zelle und so, dass die Knochen noch unversehrt sind, und es wird sich von selbst aus diesem Zustand heraus erneuern, so vollkommen wie die Magnolie. Aber der Geist, minder großartig, minder geheimnisvoll, dafür empfindlicher und zweifelhaft, erholt sich nur mithilfe des unter ihm liegenden Herzens und der über ihn hinausreichenden Seele. Ihr Geist kroch langsam aus seiner verdunkelten Teilnahmslosigkeit hervor. Er lebte in einem von hohen Mauern eingefassten Kloster, in dem er routiniert seinen Rosenkranz betete. Doch als hätte er die süße Ausstrahlung ihres wieder lebendigen Körpers gespürt, wachte er schließlich über Nacht kalt und stark wieder auf und war sich seiner selbst und des trauervollen Zaubers des Daseins wieder bewusst.

Die Mary MacLane, die ich heute bin.

Und ein zwei Jahre später: die Mary MacLane.

Ich bin es, ich selbst.

An bleiernen Erinnerungstagen gehe ich in meinem Zimmer auf und ab mit einem Gefühl im Hals von verdammter und mich verdammender Unerfülltheit und mit stark gerunzelten Brauen.

Darin stecken Furcht, Seelenpein und Sorge, darin steckt die abscheuliche, alles ändernde, zerbrechende Überlegenheit des Todes.

– falls mein Haar, nur mein Haar, nach diesem roten Fieber nicht zurückgekommen wäre, hätte ich beschlossen – nicht so kapriziös wie Gott, sondern so entschieden wie ich selbst –, mich eines Nachts umzubringen. Das ist kein mutiger Gedanke, und es wäre keine mutige Tat gewesen. Auch wenn es eines finsteren Mutes bedarf, um das Leben zu verlassen, wenn man, allem zum Trotz, seine amorphe Farbe liebt, seine körperlose Luft und vor allem den gelben heißen unsterblichen Sonnenschein, der einen im dunklen Grab nicht mehr erreichen kann –

Aber mein Haar sieht aus wie das blühende Leben, und es fühlt sich auch so an, ganz das Gegenteil des Todes.

Ich werde tapfer bleiben, um meinem Haar gerecht zu werden.

Doch dann ereilen mich wieder die Erinnerungen, denen nicht zu entkommen ist, und wickeln mich in ihr Leichentuch.

ICH. Aufzeichnungen aus meinem Menschenleben

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