Читать книгу ICH. Aufzeichnungen aus meinem Menschenleben - Mary MacLane - Страница 14

Ein Ich-Gefängnis

Оглавление

Morgen

Meine Zwei Kleider führen mir den Spielraum meiner derzeitigen Mary-Mac-Lane-haftigkeit vor Augen.

Jeden Tag sagen sie mir etwas über mich selbst.

Sie sagen mir, dass ich in einem Ich-Gefängnis lebe, unsichtbar, entsagend, düster rechtschaffen.

Sie sagen mir, dass ich äußerlich ein enges Leben führe, grüblerisch und ohne Freunde, und wäre ich aus langer Gewohnheit nicht so selbstgenügsam, würden an einem lepraartigen Aussatz von innen heraus mein Körper und Geist verrotten.

Sie sagen mir, dass aufgrund der äußeren Einsamkeit ein inneres Fieber aus Gefühlen und Ichbezogenheit und ein hitziges analytisches Licht alle Schichten meines Ichs durchdringen: die geistige, körperliche, psychische und die sexuelle.

Sie sagen mir, dass meine Art zu denken grüblerisch und zugleich höhlenweiblich ist.

Sie sagen mir, dass ich von oben bis unten Unverheiratete Jungfer bin und absolut Liebhaberlos.

Sie sagen mir, dass ich einem Kind gleiche und einer unter Vormundschaft gestellten Wilden.

Sie sagen mir, dass mein gesellschaftliches Leben keinerlei behagliche Unwirklichkeiten mit tratschenden Frauen und keine eintönigen, nebenbei blutrünstigen Flirtereien mit Männern enthält.

Sie sagen mir, dass ich jeden Tag an den Rand meines Ichs wandere und in schrecklich süße ichbezogene Abgründe starre.

Sie sagen mir, dass ich Augen wie ein Grab habe und kalt-melancholisch bin.

Sie sagen mir, dass meine Brüste hängen, als hätte man mir etwas geraubt, und meine lose gegürteten Hüften vor Unerfülltheit klappern.

Sie sagen mir, dass ich eine Ödnis bin, was Wahrnehmungen angeht, aber von Gefühlen überschäume.

Sie sagen mir, dass Gott den Zucker weggenommen hat und auch das Schlecken verboten und mir ein paar Kanten Brot und etwas Wasser hingestellt hat.

ICH. Aufzeichnungen aus meinem Menschenleben

Подняться наверх