Читать книгу Forschungsmethoden und Statistik für die Soziale Arbeit - Mathias Blanz - Страница 23
2 Forschungsfragen und Untersuchungsplanung 2.1 Hypothesen, Gesetze und Theorien Formulierung von Forschungsfragen
ОглавлениеWie kommen Forschende zur Entwicklung einer Fragestellung? Neben den bereits erwähnten Anlässen – ein soziales Problem, die Überprüfung einer Theorie, eine Auftrags- oder Kooperationsarbeit – kommen weitere Gründe in Frage wie z. B. auffallende Beobachtungen (»Warum reagieren einige Kinder auf Lob und Tadel weniger als andere?«), wissenschaftliche Kontroversen (»Gibt es so etwas wie soziale oder emotionale Intelligenz?«) oder praktische Fragestellungen (»Wie sollte man Lernprozesse während einer sozialpädagogischen Beratung gestalten, damit sich die Lernfortschritte auf den Alltag des Klienten ausweiten?«). Im Laufe des Entscheidungsprozesses sollte man sich u. a. mit folgenden Fragen auseinandersetzen: Weist die Fragestellung über das persönliche Interesse hinaus Relevanz für die Profession auf? Bin ich in der Lage, die Fragestellung mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln (zeitlich, finanziell, personell usw.) angemessen zu bearbeiten? Lässt sich die Fragestellung überhaupt empirisch untersuchen? Verfolge ich mit meiner Fragestellung lediglich das Ziel, meine persönlichen Vorurteile zu bestätigen? Kann meine Forschung zu dem bestehenden Wissen etwas Gewinnbringendes beitragen? Wie stark wird die Fragestellung von bestimmten Interessensgruppen beeinflusst (Institutionen, Auftraggebern)? Demzufolge kann man eine »gute« Forschungsfrage charakterisieren durch eine hohe Relevanz ihres Themas, ihre prinzipielle Beantwortbarkeit durch empirische Mittel, ihre Umsetzbarkeit auf hohem wissenschaftlichem Niveau, ihre Vernetzbarkeit mit anderen Forschungsbefunden und ihre Robustheit gegenüber Vorurteilen und einseitigen Einflüssen Dritter (Objektivität).
Im Laufe des Forschungsprozesses ( Abb. 1) wird aus einer zunächst eher vagen Forschungsfrage (z. B. »Wie gehen Personen mit einem Migrationshintergrund mit der dauerhaften Veränderung ihrer Umwelt um?«) nach und nach eine konkrete empirisch prüfbare Behauptung (Aussage oder Hypothese) entwickelt (z. B. »Je stärker MigrantInnen ihre Kultur in der neuen sozialen Umwelt akzeptiert sehen, desto höher ist ihr Wohlbefinden«; vgl. Florack & Quadflieg, 2002). Die Aufgabe für die Forschenden besteht an diesem Punkt darin, eine Verbindung zwischen der Forschungsfrage und aktuellen Theorien, die sich auf die Forschungsfrage beziehen (lassen), herzustellen (z. B. die Akkulturationstheorie von Berry, 1997). Dazu ist eine ausgedehnte Suche nach Literatur (Büchern, Artikeln in Fachzeitschriften usw.), die für die Forschungsfrage einschlägig ist, unerlässlich (s. Box 3). Dies umfasst auch Theorien, die für den speziellen Kontext der Fragestellung bislang noch keine direkte Anwendung erfahren haben bzw. Befunde, die in Bezug auf ähnliche Personengruppen oder verwandte Merkmale vorliegen. Aufgrund der zunehmenden Internationalisierung des Wissenschaftsprozesses ist es dabei häufig unumgänglich, sich auch mit fremdsprachigen Publikationen zu befassen (z. B. in Englisch). Auch die Kommunikation mit den Forschenden oder Forschergruppen (z. B. per E-Mail) kann dabei sehr nützlich sein. Dieser Such- und Rezeptionsprozess kann sich über eine längere Zeitspanne erstrecken und sollte nicht über Gebühr abgekürzt werden (»Ich kann dazu keine Literatur finden«, ohne dass wirklich alle Quellen sorgfältig geprüft wurden), sonst besteht die Gefahr, die eigene Forschung für »neu« zu halten, obwohl sie das nicht ist – ein Fehler, der später kaum mehr gutzumachen ist.