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Modifikation von Theorien

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Wird die Aussage einer Theorie widerlegt, führt dies i. d. R. nicht zu einer sofortigen Verwerfung der gesamten Theorie, sondern zunächst zu einer Anpassung bzw. Spezifikation der jeweiligen Aussage. Nehmen wir als Beispiel die Aussage »Wenn Kinder viel fernsehen, dann sinken ihre schulischen Leistungen« und nehmen wir weiter an, diese Aussage habe sich in empirischen Studien nicht bewährt (vgl. Winterhoff-Spurk, 2004), dann gibt es mehrere Möglichkeiten, die Aussage zu spezifizieren (genauer auszuführen) (vgl. dazu Bortz & Döring, 2006):

1. Erweiterung der Wenn-Komponente des Konditionalsatzes: Den Wenn-Teil (»Wenn Kinder viel fernsehen …«) kann man entweder durch eine Und-Verknüpfung (eine sog. Konjunktion) oder eine Oder-Verknüpfung (eine Disjunktion) erweitern. Bei einer Und-Verknüpfung (z. B. »Wenn Kinder viel fernsehen und sich intensiv mit Computerspielen befassen …«) wird die Aussage voraussetzungsreicher, wodurch es zu einem Absinken ihres Informationsgehaltes kommt. Eine Oder-Verknüpfung hingegen (z. B. »Wenn Kinder viel Fernsehen oder sich intensiv mit Computerspielen befassen …«) vergrößert die Anwendbarkeit der Aussage (und damit die Anzahl potentieller Falsifikatoren), wodurch ihr Informationsgehalt ansteigt.

2. Erweiterung der Dann-Komponente des Konditionalsatzes: Wird der Dann-Teil (»… dann sinken ihre schulischen Leistungen«) durch eine Und-Verknüpfung erweitert (z. B. »… dann sinken ihre schulischen Leistungen und es kommt zur sozialen Vereinsamung«), werden durch die Aussage mehr potentiell falsifizierende Beobachtungen abgedeckt, was ihren Informationsgehalt steigert. Reduziert wird der Informationsgehalt einer Aussage jedoch dann, wenn man ihren Dann-Teil durch eine Oder-Verknüpfung ergänzt (z. B. »… dann sinken ihre schulischen Leistungen oder es kommt zur sozialen Vereinsamung«), da dabei die Anzahl an Falsifikatoren verringert wird.

Werden die Aussagen einer Theorie empirisch widerlegt, kommt es in den Sozialwissenschaften häufig zu einer Veränderung (Modifikation) der Theorie dadurch, dass ihr Wenn-Teil durch eine oder mehrere Und-Verknüpfungen erweitert wird. Diese spezielle Art der Veränderung von Aussagen wird als Exhaustion bezeichnet (von engl. exhaustion für Erschöpfung). Ein Beispiel stellt die Frustrations-Aggressions-Hypothese dar, deren ursprüngliche Formulierung lautete: »Wenn Frustration vorliegt, dann folgt Aggression«. In vielen empirischen Studien hat sich die Hypothese in dieser Form nicht bewährt (z. B. Selg, Mees & Berg, 1997), weshalb es zur Formulierung von Zusatzannahmen kam. Berkowitz (1989) konnte beispielsweise in Untersuchungen nachweisen, dass Frustration nur dann zu Aggression führt, wenn (1) Frustration zur Auslösung eines unangenehmen Spannungszustandes führt (z. B. Ärger) und (2) die Situation, in der sich die Person befindet, sog. aggressive Hinweisreize enthält: Das können z. B. bestimmte Gegenstände sein (wie Waffen) oder bestimmte Medieninhalte (wie Gewaltfilme), die über Lernprozesse (das klassische Konditionieren) von den Akteuren mit aggressivem Verhalten assoziiert (verbunden) werden. Die Umformulierung der Frustrations-Aggressions-Hypothese lautet dann: »Wenn Frustration vorliegt und diese mit einem unangenehmen Spannungszustand verbunden wird und die Situation aggressive Hinweisreize enthält, dann folgt Aggression« (siehe z. B. Berkowitz, 1989). Eine solche Exhaustion einer Theorie ermöglicht es zwar, sie zunächst vor widersprechenden Beobachtungen zu »schützen«, allerdings schwächt sie gleichzeitig die Theorie durch eine Einschränkung ihres Geltungsbereiches, was langfristig – bei immer neuen Exhaustionen – dazu führt, dass die Theorie zunehmend unbedeutender (uninformativer) wird.

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