Читать книгу Die Verfassungsbeschwerde in Strafsachen - Matthias Jahn - Страница 24
3. Mandatsaufwand
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Ist die Entscheidung schließlich zugunsten einer Mandatsübernahme/-fortführung gefallen, gilt es zuletzt, sich einige – dogmatische wie tatsächliche und prozessuale – Besonderheiten des Verfahrens vor Augen zu führen.
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Die Verfassungsbeschwerde ist ein außerordentlicher und zugleich subsidiärer Rechtsbehelf zum Schutz und zur Durchsetzung der Grundrechte. Ihr ist nicht bestimmt, wahlweise neben andere Rechtsmittel zu treten oder diese zu ersetzen. Die Verfassungsbeschwerde stellt deshalb insbesondere keine Fortsetzung des Vorbringens im fachgerichtlichen Rechtszug dar, nunmehr feierlich „garniert“ mit der Erwähnung einiger Grundgesetzartikel und BVerfGE-Fundstellen.[72] Sie ist daher erst dann zulässig, wenn der Rechtsweg zu den Fachgerichten erschöpft ist und die Grundrechtsverletzung auch auf andere zumutbare Weise nicht hätte beseitigt werden können. Die Verfassungsbeschwerde ist weiter nur dann statthaft, wenn die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts – mithin eine grundsätzlich unrichtige Anschauung der Fachgerichte über Bedeutung und Tragweite von Grundrechten oder willkürliches Entscheiden[73] – geltend gemacht wird.
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Zwar besteht der Hauptaufwand daher im Verfassen der Beschwerdeschrift, die den Besonderheiten des Verfahrens Rechnung trägt: die Nichtsuperrevisionsinstanzbeschwerdeschrift. Damit ist es jedoch noch nicht getan. Zunächst einmal hat der Anwalt neben dieser ohnehin zeitraubenden Aufgabe den normalen Mandatsaufwand zu bewältigen. Des Weiteren muss er sich mit dem Gedanken vertraut machen, unter Umständen mehrere Jahre auf eine abschließende Entscheidung des Gerichts zu warten. Neben den ohnehin geringen Erfolgsaussichten müssen sich Anwalt und Beschwerdeführer hier auf eine zunehmende Verfahrensdauer einstellen, welche maßgeblich auf den erheblichen Arbeitsanfall des Gerichts zurückzuführen ist. In der Zwischenzeit will der Mandant dennoch regelmäßig über den Stand des Verfahrens informiert werden. Außer der – ungewissen – Aussicht auf eine informelle telefonische Information über den Verfahrensstand aus dem „Vorzimmer des Rechts“ durch den zuständigen Wissenschaftlichen Mitarbeiter gibt es dafür keinen Weg.[74]
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Beschleunigungsgrundsatz und Konzentrationsmaxime sind indes wesentliche Bestandteile jedes rechtsstaatlich geordneten Verfahrens. Gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK hat der Beschuldigte ein Recht darauf, dass die gegen ihn erhobene strafrechtliche Anklage innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Tatsächlich sind Verfahrensverzögerungen – auch vor dem BVerfG selbst – nicht erst seit kurzem Gegenstand kritischer Auseinandersetzung.[75] Vor der einschlägigen Gesetzesänderung des Jahres 2011 wurde die Bundesrepublik Deutschland auch vom EGMR deshalb mehrfach und auch in Strafsachen formell gerügt (und der Etat des Gerichts mit den Folgekosten belastet[76]).[77]
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Mit dem Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24.11.2011[78] wurde mit der Verzögerungsbeschwerde in den §§ 97a-e BVerfGG eine gegenüber den Änderungen des GVG deutlich engere Sonderregelung geschaffen, die auch für die Verfassungsbeschwerde Geltung beansprucht.[79]
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Hinweis
Die Entscheidung des Gesetzgebers, auch das Verfassungsgericht in den Anwendungsbereich der Rechtsbehelfe bei überlanger Verfahrensdauer einzubeziehen, ist gerade aus Sicht der strafrechtlichen Praxis zu begrüßen. Gerade bei Beschwerden mit strafrechtlichem Hintergrund kann die verzögerliche Verfahrensbehandlung in Karlsruhe für den Beschwerdeführer tatsächlich gravierende Folgen haben. Die physischen und psychischen Belastungen des Strafverfahrens verlängern sich dadurch noch. Hat der Beschwerdeführer keinen (erfolgreichen) Eilantrag gegen die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe gestellt, muss er in Strafhaft oder Unterbringung auf die Entscheidung warten. Rein faktisch kann die Entscheidung bei zwischenzeitlicher Entlassung zu spät kommen. Mit zunehmender Verfahrensdauer wird überdies die Wahrheitssuche im Ausgangsverfahren erschwert und die Gefahr von Beweisverlusten wächst. Der Richter wird bei Zurückverweisung der Sache unter Umständen nicht mehr in der Lage sein, seine Überzeugung noch aus dem Inbegriff der Verhandlung zu schöpfen. Freilich wird sich die konkrete Verfahrensdauer deshalb auch nach Bedeutung und Dringlichkeit der Sache, insbesondere nach den Erfolgsaussichten richten.
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Die Gründe für die zuweilen erstaunliche lange Verfahrensdauer sind – anders als in der fachöffentlichen Wahrnehmung – nicht immer nur in der besonderen Komplexität der Materie oder individuellen Belastbarkeit des Senats, des – ggf. länger akut erkrankten[80] – Berichterstatters oder seiner (regelmäßig[81]) vier Wissenschaftlichen Mitarbeiter vom „Dritten Senat“[82] zu suchen. Sie können durchaus auch strategisch-taktischer Natur sein, etwa dem Zuwarten bis zu einer prognostizierten Gesetzes- oder fachgerichtlichen Rechtsprechungsänderung, aber auch vorhersehbare ausscheidensbedingte (§ 4 BVerfGG) Änderungen der Kammerbesetzung („Kammerpolitik des Liegenlassens“[83]). Auch können gerichtsinterne Abstimmungs- und Diskussionsprozesse einige Zeit in Anspruch nehmen. So mag es im Einzelfall vorkommen, dass dann, wenn nach einer Vorsondierung die Zeichen im Senat ungünstig stehen, doch noch Einstimmigkeit im Kammerformat hergestellt wird.[84] Doch davon mag einmal an anderer Stelle ausführlicher die Rede sein.