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Das Modell POIKAIPOIKAI

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Mit dieser KULTURGESCHICHTE DER LITERATURKULTURGESCHICHTE DER LITERATUR soll die Diskussion im Fach über die Möglichkeiten einer kulturgeschichtlichen Germanistik weiter fundiert werden. Ausgehend von einem ursprünglich sozialgeschichtlichenSozialgeschichte Paradigma, wie es in der Germanistik seit den 1970er-Jahren bis über die Jahrtausendwende hinaus methodologisch diskutiert1 und dessen Ende immer wieder konstatiert wurde2, nehme ich in dieser KULTURGESCHICHTE DER LITERATUR eine Erweiterung und Neufundierung der theoretischen Rahmenbedingungen sowie eine deutliche inhaltliche Ausweitung vor. Die KULTURGESCHICHTE DER LITERATUR ist das Ergebnis des Selbstverständnisses von LiteraturwissenschaftLiteraturwissenschaft als einer Kulturwissenschaft. Denn obwohl immer wieder über das Ende der Sozialgeschichte in der Literaturwissenschaft spekuliert wurde, ist es doch unübersehbar, dass die Diskussion um die methodologische Neuorientierung und die thematische Erweiterung des Fachs Germanistik bzw. der Neueren deutschen Literaturwissenschaft zu einer Kulturwissenschaft weitergeführt wurde, längst spricht man vom cultural turn.3 Der Legitimationsdruck, dem die Geisteswissenschaften im Allgemeinen und dem die Literaturwissenschaft im Besonderen von den 1990er-Jahren bis zum ersten Dezennium des 21. Jahrhunderts ausgesetzt waren, führte letztlich zu einer disziplinären Neuorientierung. Der Leitbegriff von Kulturwissenschaft wirkte theoriestimulierend und in der Folge der Theoriestimulation auch transferstimulierend als transdisziplinäre Diskurserweiterung. Dieser Theorietransfer generierte schließlich Forschungsimpulse. Dies kann letztlich zu einem Paradigmenwechsel in den Geisteswissenschaften führen.

Eine KULTURGESCHICHTE DER LITERATURKULTURGESCHICHTE DER LITERATUR ist keine Ereignisgeschichte, sondern Prozessgeschichte. Darin unterscheidet sie sich von herkömmlichen Literaturgeschichten. Sie rekonstruiert nicht LiteraturgeschichteLiteraturgeschichte, sondern sie fragt nach der Bedeutung und FunktionFunktion der LiteraturLiteratur im kulturellen Prozess. Die KULTURGESCHICHTE DER LITERATUR ist wesentlich mehr als reine Rezeptionsforschung, sie bewahrt die klassische Trias von ProduktionProduktion, DistributionDistribution und RezeptionRezeption von Literatur als wechselseitige Bedingungsfaktoren für die gesellschaftliche Aufgabe und Bedeutung der Literatur. Sie setzt sich dabei mit der Kritik an hermeneutischenHermeneutik Positionen und mit den Problemen einer positivistischen Selbstexplikation auseinander. Damit leistet eine kulturwissenschaftlich orientierte LiteraturwissenschaftLiteraturwissenschaft einen Modernisierungsimpuls in dieser Disziplin, und die KULTURGESCHICHTE DER LITERATUR wird zum Bindeglied zwischen der Literaturwissenschaft als einer interpretatorischen Textwissenschaft und einer Kulturwissenschaft, welche die kulturellen Praktiken und sozialen Gebrauchsweisen von Literatur berücksichtigt, deren Themen von Fragen der Handschriftenüberlieferung bis zur Medienkonkurrenz unserer Tage reichen.

Die KULTURGESCHICHTE DER LITERATUR untersucht die Bedingungen, die Funktion und die Bedeutung der Produktion, der Distribution, der Rezeption und der TransformationTransformation von Literatur, den historischen Wandel von literaler Kommunikation am Beispiel literarischer Texte, die Veränderung von KulturtechnikenKulturtechnik (das impliziert Arbeiten zu Hypertexten ebenso wie Untersuchungen zur Geschichte des Lesens und Schreibens), den gesellschaftlich-historisch bedingten MedienwechselMedienwechsel und den kulturellen Prozess mit kulturgeschichtlichenKulturgeschichte, religionsgeschichtlichen, mediengeschichtlichen oder spezifisch literaturgeschichtlichenLiteraturgeschichte Fragestellungen. Eine KULTURGESCHICHTE DER LITERATUR untersucht die Mündlichkeit, die Schriftlichkeit (Hand- und Druckschriftlichkeit) und die Bildlichkeit von Literatur. Sie fragt dabei jeweils nach den Bedingungen der Produktion, der Distribution, der Rezeption und der Transformation von Literatur. Im Hinblick auf die ProduktionProduktion erfordert die KULTURGESCHICHTE DER LITERATUR Kenntnisse und Fertigkeiten der archivalischen Forschung und der editorischen Praxis, Aspekte der Handschriftenkunde sind ihr ebenso wichtig wie Aspekte der Textüberlieferung, der Entstehungsgeschichte und Druckgeschichte des Werks, der Verlagsgeschichte. Ihr Gegenstand ist also nicht nur die Literatur im umgangssprachlichen Sinn, sondern auch die Archivalie, das Manuskript, der Brief, der Gebrauchstext, die Zeitschrift etc. Die DistributionDistribution betrifft Kommunikations- und Gebrauchsformen der Verbreitung von Literatur oder von literarischen Techniken wie beispielsweise Briefwechsel, Literaturkritiken, Buch- und Buchhandelsgeschichte, Institutionengeschichte, Zensurgeschichte, Fragen der Buchherstellung, des literarischen Lebens, der Lesegesellschaften, Büchereien, Bibliotheken etc. Die RezeptionRezeption bezieht sich vor allem auf den Bereich der Lektürepraxis sowie auf Form-Inhalt-Relationen. Die KULTURGESCHICHTE DER LITERATURKulturgeschichte der Literatur operiert auf einer doppelten Ebene, sie beschreibt die Form und bestimmt den Inhalt, sie berücksichtigt die Außenfaktoren und die Binnenperspektiven eines Textes. Die TransformationTransformation von Literatur betrifft den MediensprungMediensprung der LiteraturLiteratur vom geschriebenen zum gesprochenen, zum inszenierten oder zum verbildlichten Text. Die Transformation zielt auf die Einschreibung von Literatur in ein anderes Zeichensystem, das textlich oder nicht-textlich, analog oder digital sein kann. Damit wird die klassische methodologisch-kulturwissenschaftliche Trias von Produktion, Distribution und Rezeption von Literatur um die Transformation (den Mediensprung) von Literatur erweitert. Die KULTURGESCHICHTE DER LITERATUR ist thematisch und disziplinär dialogfähig. Diese Dialogtransparenz betrifft die Theologie und Religionsgeschichte, die Wissens- und Diskursgeschichte, die Philosophie, die Theater- und Medienwissenschaft, die kulturwissenschaftliche Sprachwissenschaft und die Musikwissenschaft mit ihren je eigenen disziplinären Ausprägungen von Kulturwissenschaft.

Das Kerngerüst einer KULTURGESCHICHTE DER LITERATUR ruht auf einem reflektierten Fundament, das Aussagen trifft über die Bedingungen und Möglichkeiten von Literatur. Drei Kernparadigmata sind dabei geltend zu machen, deren Ursprung in einer exakten Lektüre und der erweiternden Deutung ihres Ursprungs in der aristotelischenAristoteles Poetik liegt und die das Werk strukturieren: Die PoiesisPoiesis von LiteraturLiteratur, die KatharsisKatharsis von Literatur und die AisthesisAisthesis von Literatur. Die PoiesisPoiesis betrifft das Machen von Literatur, die Katharsis betrifft die WirkungPoetik (Aristoteles)Poetik (Aristoteles) von Literatur und die Aisthesis betrifft das Wahrnehmen und Darstellen von Literatur. Diese drei Paradigmata beziehen sich erstens auf die Bedingungen und Möglichkeiten der Produktion, auf die Bedingungen und Möglichkeiten der Distribution, auf die Bedingungen und Möglichkeiten der Rezeption und auf die Bedingungen und Möglichkeiten der Transformation der Poiesis von Literatur; zweitens auf die Bedingungen und Möglichkeiten der Produktion, auf die Bedingungen und Möglichkeiten der Distribution, auf die Bedingungen und Möglichkeiten der Rezeption und auf die Bedingungen und Möglichkeiten der TransformationTransformation der KatharsisKatharsis von LiteraturLiteratur; und drittens auf die Bedingungen und Möglichkeiten der Produktion, auf die Bedingungen und Möglichkeiten der DistributionDistribution, auf die Bedingungen und Möglichkeiten der RezeptionRezeption und auf die Bedingungen und Möglichkeiten der Transformation der AisthesisAisthesis von Literatur.

Für das Werk KULTURGESCHICHTE DER LITERATURKULTURGESCHICHTE DER LITERATUR hat sich im Laufe der Arbeit folgende konzeptuelle Struktur ergeben. In der Einleitung wird das Verständnis von PhilologiePhilologie als einer KULTURGESCHICHTE DER LITERATUR diskutiert. Hier werden die grundlegenden Methodendiskussionen der Neueren deutschen LiteraturwissenschaftLiteraturwissenschaft sowie Positionen der Nachbardisziplinen kritisch rekapituliert. Dieser Teil ist der Darlegung der Grundparadigmata von PoiesisPoiesis, KatharsisKatharsis und AisthesisAisthesis und ihrer Herleitung aus der aristotelischen Poetik gewidmet. Das Philologieverständnis von Friedrich SchlegelSchlegel, Friedrich mit seinem Begriff der ExperimentalphilologieExperimentalphilologie wird ebenso thematisiert wie theoretische Positionen zum Thema BuchstäblichkeitBuchstäblichkeit und DeutungDeutung, einschließlich der RezeptionstheorieRezeptionstheorie, kritisch gewürdigt werden. Der Begriff des PermatextesPermatext als eines kulturgeschichtlichKulturgeschichte beständigen Referenztextes wird am Beispiel der aristotelischenAristoteles Poetik neu in den wissenschaftlichen Diskurs eingeführt. Der DiskursDiskurs über DeutungDeutung und Bedeutung in der Literatur der ModerneModerne wird kritisch analysiert, die hermeneutischeHermeneutik Differenz der DeutungDeutung von fiktionalen und nicht-fiktionalen Texten sowie grundsätzlich die Möglichkeiten und Grenzen des Verstehens im Spannungsfeld von BuchstäblichkeitBuchstäblichkeit und symbolischer Deutungsymbolische Deutung werden problematisiert.

Aus diesem konzeptuellen Aufriss ergeben sich folgende Diskussionspunkte: Theoretischer Bezug und Methodendiskussion, Konzepte der Kulturgeschichtsschreibung, Buchstäblichkeit und Deutung in Sozialgeschichte, Poststrukturalismus, New Historicism, Dekonstruktion, Mikrophilologie, Rezeptionstheorie, Hermeneutik und in anderen Wissenschaftsdiskursen. Die Geschichte der literarischen HermeneutikHermeneutik wird dabei nur am Rande eine Rolle spielen, statt dessen liegt der Schwerpunkt auf der Darstellung des Deutungsproblems (mehrfacher SchriftsinnSchriftsinn). Buchstäblichkeit und symbolische Deutung können als Strukturkonzept einer Kulturgeschichte gewonnen werden, das Kultur als TextKultur als Text und Kontext liest. Die Paradigmata von Poiesis, Katharsis und Aisthesis stellen dabei die Grundlegung dar. Der erste Teil (Poiesis) entfaltet den Gebrauch des Paradigmas der PoiesisPoiesis, hier wird PhilologiePhilologie als Überlieferungsgeschichte verstanden, was Aspekte der Handschriftengeschichte, der Druckgeschichte und der Editionsgeschichte literarischer Texte einschließt. Deren systematische Fundierung wird rekonstruiert und unter anderem an den Beispielen der aristotelischenAristoteles Poetik, GoethesGoethe, Johann Wolfgang WertherDie Leiden des jungen Werthers und am Thema der Autorschaft diskutiert. Der zweite Teil (Katharsis) widmet sich dem Gebrauch des Paradigmas der KatharsisKatharsis, hier wird Philologie als Wirkungsgeschichte verstanden, was Aspekte der Gattungsgeschichte, der Rezeptionsgeschichte und der Wissenschaftsgeschichte einschließt. Zur WirkungWirkung gehört nicht nur die affektive Wirksamkeit von LiteraturLiteratur, sondern auch die symbolischesymbolisch Deutungsmöglichkeit. Literatur entfaltet ihre Wirkung auch in ihrer DeutbarkeitPoetik (Aristoteles)Poetik (Aristoteles). Deutbarkeit ist ein wesentliches Merkmal der Wirkung von Literatur. Wirkungskonzepte vom MittelalterMittelalter bis in die Gegenwart werden an ausgesuchten Textbeispielen untersucht. Am Ende dieses Teils gehe ich explizit auf die Möglichkeiten der transdisziplinären Interaktion zwischen LiteraturwissenschaftLiteraturwissenschaft und Musikwissenschaft u.a. am Beispiel von MozartMozart, Wolfgang Amadeus und MendelssohnMendelssohn, Moses ein. Der ChorChor als eine ästhetische Schnittstelle von literaler, musikaler und theatraler Kunst in Johann KlajsKlaj, Johann OratorienOratorien wird einer genauen kulturgeschichtlichenKulturgeschichte Re-Lektüre zwischen Textierung und NotationNotation unterzogen. Der dritte Teil (AisthesisAisthesis) entfaltet den Gebrauch des Paradigmas der Aisthesis, hier wird Philologie als Deutungsgeschichte verstanden, was Aspekte der LiteraturgeschichteLiteraturgeschichte, der transdisziplinären Diskursgeschichte, der Theorie- und Thesengeschichte bis hin zur Mikrogeschichte des Buchstäblichen am Beispiel von GoethesGoethe, Johann Wolfgang WertherDie Leiden des jungen Werthers, von CortázarCortázar, Julios RayuelaRayuela und von Lammellentexten einschließt. Die beispiellose Karriere des Möglichkeitsbegriffs in Literatur und Literaturwissenschaft unter dem Label des MimesisMimesispostulats, die Möglichkeiten der Textdeutung als InterpretationInterpretation kultureller Deutungsmusterkulturelle Deutungsmuster am Beispiel von Texten der Frühen NeuzeitFrühe Neuzeit, des BarockBarock, der AufklärungAufklärung, des Sturm und DrangSturm und Drang, des 19. Jahrhunderts und der klassischen ModerneModerne (EinsteinEinstein, Carl, MusilMusil, Robert, DöblinDöblin, Alfred) bilden die Referenzgrundlage.

Die KULTURGESCHICHTE DER LITERATURKULTURGESCHICHTE DER LITERATUR bietet mitnichten eine Großtheorie. Ich versuche stattdessen den Term KULTURGESCHICHTE DER LITERATUR als Metabegriff differenter kulturwissenschaftlicher Theorieprofile und Lösungsansätze geltend zu machen. Kulturgeschichte zeichnet sich dann durch eine Kombinatorik unterschiedlicher Selbstthematisierungsvorschläge aus.4 Dadurch will sich eine KULTURGESCHICHTE DER LITERATUR ihre Anschlussfähigkeit an unterschiedliche Konzeptualisierungsformen von KulturKultur, von Kulturtheorie und von Kulturwissenschaft bewahren. Sie verfolgt das kulturgeschichtliche Kontextualisierungsgebot, sie festigt durch den Rekurs auf einen kontextualistischen Kulturbegriff das figurative Denken, sie kommentiert den Wandel textueller Kommunikation und sie erklärt die TransformationTransformation von KulturtechnikenKulturtechnik. Kulturwissenschaftlich zu arbeiten bedeutet, die Synergieeffekte von Theoriedebatten und Methodendiskussionen für die jeweilige Einzeldisziplin zu nutzen. Dieser kontextualistische Ansatz lotet die gemeinsame Schnittmenge von Text und KontextKontext auf der Gegenstandsebene und von DeutungDeutung und BedeutungBedeutung auf der methodologischen Ebene aus, sie bildet die Bezugsgrundlage sowohl in methodologischer als auch in gegenstandsspezifischer Hinsicht. Jeder Text hat einen Kontext, aber der Text ist nicht sein Kontext. Die Deutung eines Textes referiert auf die Bedeutung seines Kontextes und die Deutung eines Kontextes referiert auf die Bedeutung seines Textes. Die Deutung eines Textes erschöpft sich nicht in dem, was sein Kontext bedeutet, und die Bedeutung eines Textes erschließt sich nicht allein aus der Deutung seines Kontextes. Vielmehr erlangt der Text Bedeutung durch die Deutung seines Kontextes. Dabei geht es nicht um Deutung als einer ausschließlichen Rekonstruktion historischer BedeutungBedeutung, sondern die Bedeutung eines Textes liegt in der DeutungDeutung seines Kontextes, die selbst wiederumPoetik (Aristoteles)Poetik (Aristoteles) kontextabhängig, also historisch-kulturellen Veränderungen unterworfen ist. Das heißt, KulturKultur ist nicht TextText (das wäre gegen einen textualistischen Kulturbegriff vorzutragen)5, sondern Kultur ist KontextKontext, kulturwissenschaftliches Arbeiten ist kontextualistisches Arbeiten.6

Die KULTURGESCHICHTE DER LITERATURKULTURGESCHICHTE DER LITERATUR arbeitet mit dem sogenannten erweiterten Literatur- und MedienbegriffMedienbegriff. Gegenstand der kulturwissenschaftlichen Forschung ist nicht ausschließlich die fiktionale LiteraturLiteratur, sondern auch die nicht-fiktionale. Expositorische Texte (Gebrauchstexte) haben hier dieselbe wissenschaftliche Valenz wie fiktionale Texte. Die KULTURGESCHICHTE DER LITERATUR untersucht die Techniken und Praktiken kultureller Prozesse und deren literarischer Medien. Kulturelle Technik bedeutet allgemein die Bereitstellung der Techniken zur Ausbildung kultureller Identität, die informationell, medial, politisch-gesellschaftlich, sprachlich, regional, berufs- und tätigkeitsspezifisch, personal etc. erfolgen kann, wobei auch Aspekte materieller Volkskultur berücksichtigt werden. Kulturelle Praktiken meint die Festschreibung und Auflösung von Geschlechterdifferenzen, von Machtverhältnissen, von Mechanismen der Trivialisierung und Elitarisierung bzw. Kanonisierung von Literatur, die literarische Enkulturation, die mediale FunktionFunktion der Literatur im Sinne einer Vermittlung kultureller Standards, Verhaltens- und Bewusstseinsformen und generell die Funktionalisierung von Literatur zur Sicherung eines historisch-kulturellen Prozesses. Natur im Sinne einer Metapher als Buch zu lesen, ist uns lange geläufig. Nun aber wird dieser Blick umgekehrt, nicht die Natur erscheint als ein Text, sondern das, was der Fall ist (WittgensteinWittgenstein, Ludwig), die Kultur ist Text und Kontext gleichermaßen (insofern kann man von einem kon-textualistischen Kulturbegriff sprechen). Das ist der doppelte Blick der ModerneModerne, diesen Blick mit seinen historischen Entwicklungslinien erkennen zu können und verstehen zu lernen, ist die genuine Aufgabe einer KULTURGESCHICHTE DER LITERATUR.

Der Romanist Hans Robert JaußJauß, Hans Robert (1921–1997) ist vor allem als Mitbegründer der Konstanzer RezeptionstheorieRezeptionstheorie bekannt geworden, obwohl in der Vergangenheit eher die Biografie von Jauß als seine wissenschaftliche Leistung im Vordergrund stand. An dieser Stelle geht es aber nicht um die zweifelsfreie Mitgliedschaft von Jauß in der Waffen-SS und die damit verbundene öffentliche Debatte um seine Person. Jauß selbst hat zu Lebzeiten ein autopersuasives Narrativ gepflegt, das mit den inzwischen bekannten Dokumenten nicht in Einklang zu bringen ist. Wichtige Dokumente wie seine Tagebuchaufzeichnungen aus der Internierungszeit, die Feldpostbriefe und anderes hat er 1995 verbrannt, „wohl wissend, dass die Briefe und Dokumente unschätzbares Material für die Mentalitätsgeschichte des Dritten Reichs gewesen wären“7. Dass es sich beim Denkmodell einer kommunikativ strukturierten RezeptionRezeption nach Jauß keineswegs um ein gänzlich neues Theorem handelte, war auch dem Autor selbst bewusst. In seiner Abschiedsvorlesung hat er auf diesen Umstand hingewiesen und dabei auch die historische Verwurzelung der Rezeptionstheorie hervorgehoben. Jauß zitiert aus den EssaisEssais (1580/85) des Michel MontaigneMontaigne, Michel de: „Ein gebildeter Leser entdeckt in den Texten oft andere Vollkommenheiten als solche, die der Autor selbst in sie gelegt oder an ihnen bemerkt hat. Und derart verleiht der Leser dem alten Text immer reicherePoetik (Aristoteles)Poetik (Aristoteles) Bedeutung und Gesichter“8.

1982 veröffentlichte Jauß sein Hauptwerk Ästhetische Erfahrung und literarische HermeneutikÄsthetische Erfahrung und literarische Hermeneutik, das auf zahlreichen Vorarbeiten beruht und sie zusammenfasst. Ihm geht es darin um den Aufriss einer Theorie und Geschichte der ästhetischen Erfahrungästhetische Erfahrung, wie eine Kapitelüberschrift heißt, und um die entsprechenden literaturwissenschaftlichen und textanalytischen Exemplifizierungen. Die ästhetische Erfahrung, also der rezeptive Zustand in der Wahrnehmung von Kunst, hat sowohl einen prognostischen als auch einen retrospektiven Aussagewert. Ästhetische Erfahrung kann demnach im utopischen Vorschein ebenso zur Geltung kommen wie in einer Wiedererkenntnis, die in die Geschichte zurückverlängert wird. Damit werden Momente vergangener ästhetischer Erfahrung bewahrt und zugleich Momente zukünftiger ästhetischer Erfahrung neu entworfen. JaußJauß, Hans Robert bezeichnet als das eigentümliche, gleichwohl spezifische Merkmal der ästhetischen Erfahrungästhetische Erfahrung, dass darin das ästhetische Sinnverstehen eine freiwillige Leistung der Kunst sei, was ihren emanzipativen Charakter unterstreiche.9 Dass hier Zweifel kaum aus dem Weg zu räumen sind, ob Kunst tatsächlich sich je und stets Dogma und Logik entzieht, und ob Kunst tatsächlich immer und zu jeder Zeit durch Freiwilligkeit gekennzeichnet ist, muss skeptisch beurteilt werden. Denn der historische Prozess macht deutlich, dass die Geschichte der Funktionalisierung der Kunst mindestens ebenso lang ist und reich an Beispielen wie die Geschichte ihrer proklamierten Unabhängigkeit.

Jauß wirft AdornoAdorno, Theodor W., nicht ganz unbegründet, „ästhetische[n] Snobismus“10 vor, wenn dieser die KatharsisKatharsis rundweg ablehne. Denn für die RezeptionstheorieRezeptionstheorie ist gerade die kommunikative Leistung der Kunst durch eine primäre, emotionale Identifikation (Lachen, Weinen, Bewundern, Rühren), die sich von der sekundären ästhetischen Reflexion unterscheidet, bedeutsam. Jauß bündelt diesen komplexen Vorgang im Begriff der Katharsis. Die Katharsis ist der Ort, wo sich „der Umschlag von ästhetischer Erfahrung zu symbolischersymbolisch oder kommunikativer Handlung“11 vollzieht. Katharsis ist Kommunikation zwischen Kunstwerk und Rezipierenden, ohne die sich ästhetische Erfahrung nicht konstituiert. Die ästhetische Identifikation dient als ein kommunikativer Vollzugsrahmen, der Verhaltensmuster überliefert oder neu generiert, der aber auch Handlungsnormen übersteigen und negieren kann.12 Jauß spricht von „meinen fünf Ebenen der Rezeption“, die er als einen „Zusammenhang von Funktionen der ästhetischen Erfahrung“ verstanden wissen will.13 Im Einzelnen sind dies die assoziative Identifikation, die admirative Identifikation, die sympathetische Identifikation, die kathartische Identifikation und die ironische Identifikation.14 Diese FunktionenFunktion kennzeichnet, dass sie alle von der Rezeption her gedacht sind und somit rezeptive Einschreibungen darstellen. Damit fallen sie als wesentliche BeschreibungsmöglichkeitenPoetik (Aristoteles)Poetik (Aristoteles) von Jauß’ PoiesisPoiesis und AisthesisAisthesis aus. Der ästhetische Genuss – und Jauß blendet die Frage nach dem ästhetischen Verdruss aus, die möglicherweise über den Begriff der Kontraidentifikation hätte reflektiert werden können – geht der KatharsisKatharsis voraus und ist ein Selbstgenuss im Fremdgenuss. Mit dieser Formel betont JaußJauß, Hans Robert die Seite der Erfahrung seiner selbst im Zustand der ästhetischen Erfahrung. Katharsis, PoiesisPoiesis und AisthesisAisthesis bestimmt er als die drei Grundkategorien des ästhetischen Genießens. Kritisch anzumerken ist dabei, dass die Katharsis auf diese Weise die Basis ihrer selbst wird, also Katharsis die Grundlage für Katharsis ist, was sich logisch nicht erschließt. Im Grunde genommen hätte Jauß auf die Bestimmung des ästhetischen Genießens als Voraussetzungskategorie für Poiesis, Aisthetis und Katharsis verzichten können, da ihr die intrinsische Begründung fehlt.

Jauß entwickelt zunächst den Begriff der Poiesis aus der aristotelischenAristoteles Poetik. Ihm geht es dabei um eine möglichst exakte, textphilologische Erklärung. Poiesis definiert er als die „produktive ästhetische Grunderfahrung“15 und beschreibt damit jenen Prozess, in dem die Rezipierenden zu Mitschöpfern des Kunstwerks werden.16 Poiesis ist also ein Verhalten des rezipierenden Subjekts. Besonders nach der Jahrhundertwende 1900 erkennt Jauß einen Bedeutungswandel von Poiesis im Kontext der literarischen Avantgarde. Nun würde die ästhetische Rezeption aus einer durch Kontemplation gekennzeichneten Passivität befreit, indem die Rezipierenden Teil der Konstitution eines Kunstwerks würden. Allerdings mangelt dieser Perspektive, dass die Beteiligung der Leserschaft an der Konstituierung eines Kunstwerks nicht erst ein Kennzeichen der ModerneModerne ist, und dass ferner die Geschichte der ästhetischen Erfahrungästhetische Erfahrung nicht nur durch eine passive und kontemplative Rezeption markiert ist. Denn diese Neuskalierung von RezeptionRezeption beginnt historisch gesehen schon überall dort, wo die Abweichungen zum Normativen gesucht und gefunden werden.

Den Begriff der Aisthesis übernimmt Jauß ebenfalls aus der aristotelischen Poetik. Seine textphilologischen Erklärungen bleiben freilich hinter dem zurück, was als gräzistisches Basiswissen bezeichnet werden kann. Und auch wenn Jauß selbst die historisch-theoretischen Ansätze zu seiner Rezeptionstheorie in der aristotelischen Poetik sieht, so wurde doch nachgewiesen, welche bedeutende Rolle besonders KantsKant, Immanuel Kritik der UrteilskraftKritik der Urteilskraft (1790) in der Geschichte der theoretischen Reflexion spielt.17 JaußJauß, Hans Robert fasst im Begriff der AisthesisAisthesis als dem zweiten Zustand des ästhetischen Genießens ein Sehen, das Erkenntnis ist, und ein Wiedererkennen (eine Wiedererkenntnis), das Sehen seiner selbst ist. Aisthesis ist, so Jauß weiter, die „rezeptive ästhetische Grunderfahrung“18.

Auch die KatharsisKatharsis ist ein aristotelischerAristoteles Begriff aus der Poetik. Katharsis sei, so führt Jauß aus, die „kommunikative ästhetische Grunderfahrung“19. Das wird aber dort relativiert, wo er auch der Aisthesis eine kommunikative Leistung zuspricht.20 Und die Frage bleibt unbeantwortetPoetik (Aristoteles)Poetik (Aristoteles), ob denn die Mitteilung über eine andere Welt oder die Übernahme einer Handlungsnorm in der PoiesisPoiesis auch schon Kommunikation sei.21 Das Andere der Kommunikation bleibt jedenfalls stumm, es spricht stets der oder die Rezipierende, bestenfalls mit sich selbst. Auch die Engführung der Poiesis mit einer grundsätzlich kontemplativen Einstellung ist letztlich zu einseitig, da sich ästhetische Erfahrung nicht in reiner Kontemplation erschöpft.

Die kommunikative Funktion, kommunikative Grunderfahrung oder kommunikative Leistung der ästhetischen Erfahrungästhetische Erfahrung – Jauß variiert diese Begriffsfolge – wird mit einer dreifachen Präzisierung beschrieben. Zum Ersten müsse die kommunikative FunktionFunktion ästhetischer Erfahrung das enthalten, was AristotelesAristoteles als kathartische Lust beschrieben habe; zum Zweiten sei die augustinische Kritik am Selbstgenuss zu berücksichtigen; und zum Dritten müsse die affektive Bedeutung für den rhetorischen Imperativ der Überzeugung durch Rede, wie sie von GorgiasGorgias her bekannt sei, erkennbar sein. Das hindert JaußJauß, Hans Robert allerdings nicht daran, sein Verständnis von Katharsis zwischen einem „distanzlosen Objektgenuß“ und einem „sentimentalen Selbstgenuß“ mit der Gefahr, dass die RezeptionRezeption ihrer kommunikativen Funktion verlustig geht, aufzuspannen.22 Man kann die RezeptionstheorieRezeptionstheorie in dieser, von Jauß selbst so bezeichneten These, zusammenfassen:

„Ästhetisch genießendes Verhalten, das zugleich Freisetzung von und Freisetzung für etwas ist, kann sich in drei Funktionen vollziehen: für das produzierende Bewußstein im Hervorbringen von Welt als seinem eigenen Werk (Poiesis), für das rezipierende Bewußtsein im Ergreifen der Möglichkeit, seine Wahrnehmung der äußeren wie der inneren Wirklichkeit zu erneuern (Aisthesis), und schließlich – damit öffnet sich die subjektive auf intersubjektive Erfahrung – in der Beipflichtung zu einem vom Werk geforderten Urteil oder in der Identifikation mit vorgezeichneten und weiterzubestimmenden Normen des Handelns“23.

PoiesisPoiesis, AisthesisAisthesis und KatharsisKatharsis sind bei JaußJauß, Hans Robert drei Grundkategorien von ästhetischer Erfahrungästhetische Erfahrung, die in ihrem Zusammenwirken nicht hierarchisch, sondern funktional gedacht werden müssen. In der weiteren, hermeneutischenHermeneutik Reflexion auf diese Basisbestimmung entfaltet Jauß den zentralen rezeptionsästhetischen Bezugspunkt. Das Kunstwerk offenbare in der fortschreitenden Aisthesis und damit in seiner AuslegungAuslegung eine solche Bedeutungsfülle, dass der historische Horizont seiner ProduktionProduktion deutlich überstiegen werde. Jauß beschreibt die von ihm vertretene Rezeptionstheorie mit dem Hinweis, sie könne die Rekonstruktion des zeitgenössischen Erwartungshorizonts unter den Bedingungen der Produktion eines Kunstwerks historisch einholen und rekonstruieren, wodurch der (historische) Text und die Gegenwart der Rezipierenden in ein dialogisches Verhältnis träten, um in der hermeneutischen Praxis nicht nur jenen Sinn zu finden, der als Verstehen in den TextenPoetik (Aristoteles)Poetik (Aristoteles) nicht nur die Darlegung eines impliziten Sinns sucht, sondern wonach VerstehenVerstehen bedeute, einen bislang unbewussten SinnSinn bewusst machen zu helfen. Und mehr noch, Jauß sieht den Vorzug der Rezeptionsästhetik darin, dass sie das Verstehen von Sinn auch dort begründen könne, wo der oder die Rezipierende „sich des Sinnes, der sich im Vollzug einer Handlung zeigt, selbst gar nicht bewußt ist“24. Wirkung wird als das durch den TextText bedingte und RezeptionRezeption als das durch den Adressaten „bedingte Element der Konkretisation von Sinn“25 verstanden. Die literarische Kommunikation eröffne einen Dialog zwischen Kunstwerk und Rezipierenden, der die Wahrheit oder Falschheit einer DeutungDeutung darin zeige, ob sie in der Lage sei, „den unausschöpfbaren Sinn des Kunstwerks weiter zu entfalten“26. Das erklärt allerdings nicht, wer darüber entscheidet, was SinnSinn ist. Das Kunstwerk enthält demnach etwas, was es von Beginn an enthält und das lediglich in der RezeptionRezeption sichtbar gemacht wird. Das wiederum bedeutet, der Sinnfülle des Kunstwerks einen ontologischen Status zuzusprechen, den dieses unabhängig von seiner Rezeption enthält. Genau hieran sind Zweifel angebracht. Und das Problem dieses Vorverständnisses von Sinn wird auch in der RezeptionstheorieRezeptionstheorie nicht gelöst. Zu Recht wurde in der Kritik betont, dass JaußJauß, Hans Robert mit der Installation eines Erwartungshorizonts in seiner Rezeptionsästhetik27 die Vorstellung einer „Art objektivierbare[n] Bezugssystem[s]“28 verknüpft habe. Harald Weinrich hat in einer Rezension mit Blick auf Jauß’ Buch einst davon gesprochen, dass es zwei grundverschiedene Verstehensmuster in der deutschen LiteraturwissenschaftLiteraturwissenschaft gebe, eine evangelische Literaturwissenschaft und eine katholische Literaturwissenschaft, die evangelische werde in Göttingen mit aller Strenge der Buchstabengläubigkeit betrieben, und die deutungsfreudige, katholische sei die der Konstanzer Papisten.29 Dass dies schon seinerzeit eine Zuspitzung war, versteht sich von selbst. Und aus der historischen Distanz betrachtet wird deutlich, dass dies im Kern weder richtig war noch richtig ist. Denn sowohl Textualisten wie Kon-Textualisten ringen je um eine überzeugende Deutung von TextenText. Mit welcher Verve, ist eine Frage der beteiligten Emotionen und weniger der Argumente.

Das Denkmodell der Rezeptionstheorie nach Jauß suggeriert auf den ersten Blick eine begriffliche Nähe zu dem hier vorgestellten POIKAIPOIKAI-Modell. Allerdings liegt der wesentliche Differenzpunkt darin, dass PoiesisPoiesis, KatharsisKatharsis und AisthesisAisthesis (Poi-K-AiPoiKAi) in einer KulturgeschichteKulturgeschichte der Literatur als die kulturellen Bedingungen der Geschichtlichkeit von Literatur begriffenPoetik (Aristoteles)Poetik (Aristoteles) werden, und sich die Bedingungen kultureller Entstehung (mit den Leitbegriffen von PoiesisPoiesis, KatharsisKatharsis und AisthesisAisthesis) im Modell POIKAIPOIKAI widerspiegeln (s. Grafik)30. Damit übernehmen sie die Funktion von Dispositiven. In dem berühmten Gespräch Ein Spiel um die PsychoanalyseEin Spiel um die Psychoanalyse von 1977 definiert FoucaultFoucault, Michel das Dispositiv folgendermaßen:

„Was ich unter diesem Titel festzumachen versuche ist erstens ein entschieden heterogenes Ensemble, das Diskurse, Institutionen, architekturale Einrichtungen, reglementierende Entscheidungen, Gesetze, administrative Maßnahmen, wissenschaftliche Aussagen, philosophische, moralische oder philanthropische Lehrsätze, kurz: Gesagtes ebensowohl wie Ungesagtes umfaßt. Soweit die Elemente des Dispositivs. Das Dispositiv selbst ist das Netz, das zwischen diesen Elementen geknüpft werden kann.

Zweitens möchte ich in dem Dispositiv gerade die Natur der Verbindung deutlich machen, die zwischen diesen heterogenen Elementen sich herstellen kann. So kann dieser oder jener Diskurs bald als Programm einer Institution erscheinen, bald im Gegenteil als ein Element, das es erlaubt, eine Praktik zu rechtfertigen und zu maskieren, die ihrerseits stumm bleibt, oder er kann auch als sekundäre Reinterpretation dieser Praktik funktionieren, ihr Zugang zu einem neuen Feld der Rationalität verschaffen. Kurz gesagt gibt es zwischen diesen Elementen, ob diskursiv oder nicht, ein Spiel von Positionswechseln und Funktionsveränderungen, die ihrerseits wiederum sehr unterschiedlich sein können.

Drittens verstehe ich unter Dispositiv eine Art von – sagen wir – Formation, deren Hauptfunktion zu einem gegebenen historischen Zeitpunkt darin bestanden hat, auf einen Notstand (urgence) zu antworten. Das Dispositiv hat also eine vorwiegend strategische Funktion. Das hat zum Beispiel die Resorption einer freigesetzten Volksmasse sein können, die einer Gesellschaft mit einer Ökonomie wesentlich merkantilistischen Typs lästig erscheinen mußte: es hat da einen strategischen Imperativ gegeben, der die Matrix für ein Dispositiv abgab, das sich nach und nach zum Dispositiv der Unterwerfung/Kontrolle des Wahnsinns, dann der Geisteskrankheit, schließlich der Neurose entwickelt hat“31.


Modell POIKAI

DarüberPoetik (Aristoteles)Poetik (Aristoteles) hinaus geht es im Modell POIKAIPOIKAI nicht um eine textphilologische Genauigkeit (wie bei JaußJauß, Hans Robert), sondern um die TransformationTransformation dieser Leitbegriffe mit einem theoriestimulierenden Mehrwert. Die Poetik des AristotelesAristoteles kann als ein PermatextPermatext der abendländischen KulturgeschichteKulturgeschichte bezeichnet werden. Einen Permatext zeichnet aus, dass er dauerhaft überliefert wurde und somit auch dauerhaft gegenwärtig bleibt im kulturellen Gedächtnis durch Abschriften, Drucke oder Kommentierungen. Im Fall der Poetik trifft dies insofern zu, als der Text immer wieder gelesen wurde und er Gegenstand unterschiedlicher philologischer und interpretativer Debatten geblieben ist, sofern man vom Verlust des zweiten Teils über die Komödie absieht. Vergleichbare andere Permatexte sind beispielsweise die Bibel, Dramen des SophoklesSophokles, römische Tragödien. Die aristotelische Poetik ist das Grundlagenbuch der abendländischen Poetik- und Dichtungsgeschichte. Sie enthält ein Skandalon, über das bis heute sehr divergierende Auslegungsansichten bestehen, die sogenannte Katharsis-Stelle in der Tragödiendefinition. Dass die Rede von der KatharsisKatharsis die Folgen von Dichtung insgesamt und nicht mehr nur die affektive WirkungWirkung der Tragödie meine, ist die zweifellos richtige, spezifische Wahrnehmung eines Fachdiskurses.32 Der kulturgeschichtliche Blick auf die Poetik, der in diesem Buch im Vordergrund steht, prüft nicht, welche Textschichten sich in der Poetik freilegen lassen. Auch die für die altphilologische Forschung wichtigen Fragen einer ersten und zweiten Bearbeitung, die Frage des Verlustes einiger Textteile, der Umgruppierung ganzer Textsequenzen, die Probleme des Verständnisses der Poetik als einer exoterischen oder einer esoterischen Schrift, die Apographahypothese und ähnliches sind hier nicht entscheidend. Es geht daher auch nicht um die Frage einer vermeintlichen oder tatsächlichen richtigen Übersetzung. Ausgangspunkt einer kulturgeschichtlich-literaturwissenschaftlichenLiteraturwissenschaft Betrachtungsweise ist vielmehr die Tatsache, dass der Text der Poetik in einer bestimmten Gestalt, und dass besonders eine bestimmte Textstelle in je unterschiedlichen Auslegungen in über 2000 Jahren RezeptionsgeschichteRezeptionsgeschichte gewirkt haben.

DiePoetik (Aristoteles)Poetik (Aristoteles) vielzitierte Katharsis-Stelle im sechsten Kapitel der Poetik hat folgenden Wortlaut: „Die Tragödie ist Nachahmung einer guten und in sich geschlossenen Handlung […], die Jammer und Schaudern hervorruft und hierdurch eine Reinigung von derartigen Erregungszuständen bewirkt“33 (Poetik 1449 b 27f.). Diese Textstelle kann sowohl deskriptiv als auch normativ ausgelegt werden. Die aristotelischeAristoteles Poetik ist insgesamt eine Gattungspoetik und wurde als solche bis ins 18. Jahrhundert hinein rezipiert.34 In der Forschung hat sich längst die Einsicht durchgesetzt, dass Aristoteles in seiner Poetik weder ausschließlich normativ noch ausschließlich deskriptiv verfährt.35 In einer Anmerkung zur Übersetzung wird erklärt: „Jammer und Schaudern bewirken also, dass der Zuschauer von Erregungszuständen wie Jammer und Schaudern gereinigt, d.h. von ihrem Übermaß befreit wird“36. Ob die Wiedergabe des griechischen Pathos-Begriffs mit Erregungszustand besser getroffen ist als mit Leidenschaft, soll hier nicht entschieden werden. In der DeutungsgeschichteDeutungsgeschichte der aristotelischen Tragödiendefinition jedenfalls wurde nahezu ausnahmslos der Begriff der Leidenschaft gebraucht. Verfolgt man die Geschichte der Einschreibung des KatharsisKatharsis-Diskurses in den allgemeinen literarischen, historischen Leidenschaftsdiskurs, so ergibt sich beispielsweise für die aufgeklärte Literatur des 18. Jahrhunderts, dass Katharsis immer etwas mit LeidenschaftenLeidenschaften zu tun hat, was auch schon für die antike Tragödie galt. Damit zeichnet sich eine diskurshistorisch relevante Frage ab: Wie kam es, dass sich über das Verhältnis von LiteraturLiteratur und LeidenschaftLeidenschaft ein eigenständiger Diskurs entwickelte, der seinen Ausgangspunkt von der Katharsis-Stelle der aristotelischen Poetik nahm? Weshalb wurde die Formel der KatharsisKatharsis von Leidenschaften ungeachtet der verschiedensten Auslegungen stets als Skandalon empfunden?

Die Formulierung Reinigung der Leidenschaften („tōn toiūton pathemáton kátharsin“, Poetik 1449 b 27f.)37 lässt drei unterschiedliche Deutungen des Genitivs zu: 1.) als Genitivus subjectivus, die Leidenschaften selbst reinigen etwas oder jemanden, die Leidenschaften sind das Subjekt der Katharsis; 2.) als Genitivus objectivus, die Leidenschaften werden von etwas oder jemandem gereinigt, die Leidenschaften sind das Objekt der Katharsis; und 3.) alsPoetik (Aristoteles)Poetik (Aristoteles) Genitivus separativus, die Leidenschaften werden im Reinigungsakt separiert, wobei die Leidenschaften entweder vollständig beseitigt oder nur gemäßigt werden. Mit dieser grammatikalischen Differenzierung ist aber noch nichts darüber ausgesagt, ob die Katharsis ethisch oder medizinisch verstanden wird, ob sie also zur Verbesserung der moralischen Disposition der Menschen beiträgt und zur Tugendhaftigkeit anleitet, oder ob sie nur als therapeutischer Akt das psychisch-physische Wohlbefinden des Einzelnen fördert oder wiederherstellt.38 Der wichtigste Vertreter einer medizinischen Deutung der Katharsis, der dem altphilologischen Katharsis-Diskurs im 19. Jahrhundert wesentliche Impulse verliehen hat, ist Jacob BernaysBernays, Jacob, der Bruder des Literaturwissenschaftlers Michael BernaysBernays, Michael und Onkel von Sigmund FreudsFreud, Sigmund Braut Martha. Die Katharsis definiert er in seiner Arbeit Grundzüge der verlorenen Abhandlung des Aristoteles über Wirkung der TragödieGrundzüge der verlorenen Abhandlung des Aristoteles über Wirkung der Tragödie, die er erstmals 1857 als unselbstständige und 1858 als selbstständige Publikation veröffentlichte, wie folgt: „Eine von Körperlichem auf Gemüthliches übertragene Bezeichnung für solche Behandlung eines Beklommenen, welche das ihn beklemmende Element nicht zu verwandlen oder zurückzudrängen sucht, sondern es aufregen, hervortreiben und dadurch Erleichterung des Beklommenen bewirken will.“39 Eine Gelenkstelle der antiken und neuzeitlichen ÄsthetikÄsthetik in den Deutungshorizont von medizinischer und psychisch-therapeutischer Abfuhr zu stellen, galt Mitte des 19. Jahrhunderts als Sakrileg. Die Pathoskultur der AufklärungAufklärung, wie sie in ihrer LiteraturLiteratur zum Ausdruck kommt, nimmt gerade diese Stelle der Poetik zum Ausgangspunkt einer umfassenden Diskursivierung von LeidenschaftenLeidenschaften. Die Erinnerung daran geht im kulturellen Gedächtnis sukzessive verloren. Auch BernaysBernays, Jacob steht, wie jede andere Auslegung der Katharsis, in einer langen Tradition, die sich auf antike und neuzeitliche Quellen mit Fug und Recht berufen kann.40 Bei AristotelesAristoteles selbst sind – je nach Lesart – beide Deutungen als medizinische oder als ethische Reinigung angelegt. Der wohl prominenteste Vertreter einer ethischen Deutung der Katharsis und Verfechter des Genitivus objectivus ist LessingLessing, Gotthold Ephraim. Die Verfechter einer medizinisch-psychotherapeutischen Deutung der Katharsis berufen sich vornehmlich auf Textstellen aus dem achten Buch der PolitikPolitik des AristotelesAristoteles, wo die kathartische WirkungWirkung von Musik beschrieben wird, die Verfechter einer ethischen oder moralischen Deutung hingegen auf seine Nikomachische EthikNikomachische Ethik.41 Lessing selbst hat in seiner Miss Sara SampsonMiss Sara Sampson (1755) im fünften Aufzug, fünfter Auftritt auf das Problem der Externalisierung dessen, was dem aufgeklärten Menschen Angst macht, hingewiesen: „Wie schlau weiß sich der Mensch zu trennen, und aus seinen Leidenschaften einPoetik (Aristoteles)Poetik (Aristoteles) von sich unterschiedenes Wesen zu machen, dem er alles zur Last legen könne, was er bey kaltem Blute selbst nicht billiget“42. Und dem bürgerlichenbürgerlich Subjekt machten die schwer zähmbaren, menschlichen LeidenschaftenLeidenschaften Angst. Die WirkungWirkung der Tragödie kommt auch ohne Aufführung und ohne Schauspieler zustande (vgl. Poetik 1450 b 18f.). Selbst das bloße Hören einer Tragödie, ohne die Aufführung sehen zu können, erzeugt den kathartischen Effekt (vgl. Poetik 1453 b 5f.). Das führt unweigerlich zu der zentralen Frage, welche Rolle das LesenLesen einer Tragödie einnimmt. AristotelesAristoteles spricht in Poetik 1462 a 12 von der „bloßen Lektüre“43 einer Tragödie. Danach erziele die Tragödie „auch ohne bewegte Darstellung“44 ihre Wirkung, vergleichbar der Epik, im Übrigen würden auch Tänzerinnen und Tänzer eine KatharsisKatharsis erfahren, da sie Handlung nachahmten.45 Bereits die bloße Lektüre zeige, von welcher Beschaffenheit eine Tragödie sei und damit welche Wirkungsmöglichkeiten sie habe. Es ist hier nicht der Ort, darüber zu entscheiden, ob das entsprechende griechische Wort (vgl. Poetik 1462 a 12) mit bloßer Lektüre korrekt übersetzt ist. Entscheidend ist, dass die Tragödie in allen drei ästhetischen Erfahrungsmodi von LiteraturLiteratur, nämlich dem Sehen, Hören und Lesen, ihre kathartische Wirkung entfaltet. Dieser Gedanke wird auf das kulturgeschichtlicheKulturgeschichte Modell von POIKAIPOIKAI übertragen.

Der Katharsis-Stelle in der Poetik geht unmittelbar ein weiterer, kulturgeschichtlich gesehen problematischer Begriff voraus, wenn Aristoteles die Tragödie als Nachahmung (MimesisMimesis) von Handlung erklärt. Mit dem Mimesis-Begriff ist das Hoia an genoito verknüpft. Hier liegt der Ursprung des Modalitätenproblems in der LiteraturwissenschaftLiteraturwissenschaft. In Poetik 1451 a 37 spricht Aristoteles von der Aufgabe der Dichtung, die nicht das zu schildern habe, was ist, sondern das, was sein könnte („hoῑa àn génoito“). Das Verständnis von Mimesis ist in der WirkungsgeschichteWirkungsgeschichte des Begriffs mit der Diskursgeschichte des Möglichkeitsbegriffs verknüpft. In der bedenkenlosen Übersetzungs- und RezeptionsgeschichteRezeptionsgeschichte des Begriffs wurde MimesisMimesis mit Nachahmung wiedergegeben, und die Modalkategorie der Möglichkeit wurde diskreditiert, indem sie in das Reich der Dichtung verbannt und schließlich durch den vermeintlich aussagekräftigeren Begriff der FiktionFiktion ersetzt wurde.46 Man kann durchaus von einer Geschichte des Mimesis-Desasters in Poetik und LiteraturwissenschaftLiteraturwissenschaft sprechenPoetik (Aristoteles)Poetik (Aristoteles), das auf seine Weise aber wieder produktiv und kreativ gewirkt hat. Die Bestimmung der Kunst als Gestaltung wird nicht vom Mimesis-Begriff her gewonnen, und Mimesis bedeutet keineswegs irgendeine Art von „Reproduktion der Wirklichkeit“47. Robert MusilMusil, Robert aktualisierte das Modalitätenproblem aus der aristotelischenAristoteles Poetik, was auch weiterführend als Chance zur Neubelebung der Diskussion modaltheoretischer Probleme in der Literaturwissenschaft insgesamt gesehen werden kann. Schon HorazHoraz nennt den guten Dichter einen „doctum imitatorem“48, einen kundigen Nachahmer. Das ist eine Bestimmung, die, obwohl sie bis heute gebräuchlich geblieben ist, mit dem aristotelischen MimesisMimesis-Begriff nur schwer in Einklang zu bringen ist. Die Wiedergabe von dessen Mimesis-Begriff mit Nachahmung ist inadäquat und führt notwendigerweise zu Fehldeutungen.49 Die altphilologische Forschung konnte zeigen, „daß mίmēsis ‚Nachahmung‘ bedeuten kann, daß das Wort aber im übrigen ein ganz anderes Bedeutungsfeld besitzt als die Ausdrücke ‚Nachahmung‘, ‚imitatio‘. Sein Bedeutungszentrum liegt im Tanz“50. Das Verb zu mίmēsis heißt mimeῑsthai und ist ein ausdruckstheoretischer Begriff mit der „Grundbedeutung ‚tänzerische Darstellung‘ […]. Nur von diesem Ausgangspunkt her ist die Aufspaltung der Bedeutungen in ‚nachahmen‘ und ‚darstellen‘ sprachlich einwandfrei, nicht aber, wenn wir ‚nachahmen‘ zum Ausgangspunkt nehmen“51. Der MimesisMimesis-Begriff der aristotelischenAristoteles Poetik orientiert sich „in aktiver Auseinandersetzung“ an dem alten Mimesis-Begriff, „der seinerseits von der Mimesis des griechischen Tanzes ausgeht“.52 Mit dieser lebendigen Tradition, die bis in die Zeit der Sophistik zurückzudatieren ist, setzt sich Aristoteles auseinander. „Nie ist bei ihm die Dichtung ‚Nachahmung‘“53. Über das „Bedeutungsfeld von mimeῑsthai im vorplatonischen Sprachgebrauch heißt es: „sinnlich-konkrete Äußerungen belebter (bes. menschlicher) ‚Wesen‘ (unter Ausnutzung einer vorhandenen Ähnlichkeit) sinnlich-konkret (für jemanden) erscheinen lassen bzw. wiedergeben“54. Somit kann man vor allem das schöpferische Moment des Mimesis-Begriffs festhalten. Mimesis bedeutet in diesem Sinne das Darstellen und Gestalten von etwas, Mimesis ist gleichermaßen figuratio (Darstellung) und formatio (Gestaltung). Mit Blick auf das Modell POIKAIPOIKAI betreffen PoiesisPoiesis, KatharsisKatharsis und AisthesisAisthesis den Außenbezug von LiteraturLiteratur als den basalen kulturellen Bedingungen der Geschichtlichkeit eines Textes, während Mimesis nur auf den Binnenbezug eines Textes referiert.

In PoetikPoetik (Aristoteles)Poetik (Aristoteles) 1454 b 16 spricht AristotelesAristoteles von den aisthéseis (den „Sinneseindrücken“55), die notwendigerweise mit der Dichtkunst verknüpft seien. Man kann dies folgendermaßen verallgemeinern: Literatur wird sinnlich wahrgenommen, mehr noch, Literatur muss wahrgenommen werden, um überhaupt eine WirkungWirkung entfalten zu können. Wirkung (Katharsis) und Wahrnehmung (Aisthesis) sind miteinander verschränkt. Das Substantiv aísthesis (vgl. Poetik 1451 a 7) taucht im siebten Kapitel auf und wird mit dem „äußeren Eindruck“56 einer Aufführung wiedergegeben, im 16. Kapitel wird das substantivierte Verb von Aisthesis (vgl. Poetik 1454 b 37) mit dem „Anblick“57, also auch der Inszenierung einer Tragödie übersetzt. Die Aisthesis geht damit über die sinnliche Wahrnehmung hinaus, der äußere Eindruck ist die LektüreLektüre der äußeren Textur, die den Zugang zur inneren Textur eröffnet. Ob nun Sinneseindruck, äußerlicher Eindruck oder Anblick die adäquaten Übersetzungsmöglichkeiten darstellen, stets geht es um die Wahrnehmung von LiteraturLiteratur.

Die poíesis ist sicherlich der am weitesten generalisierte Begriff, der aus der aristotelischenAristoteles Poetik übernommen wird. Dort bedeutet er schlicht die Dichtung. Im Modell POIKAIPoiKAi wird er aber in einem allgemeinen Sinn als das Machen von Literatur, als deren Hervorbringung verstanden und schließt die Bedingungen ihrer historischen Wirksamkeit mit ein. Das POIKAI-Modell orientiert sich an einer Theorie des Textus receptusTextus receptus. Der englische Philosoph Francis BaconBacon, Francis spricht in seinem Novum organum scientiarumNovum organum scientiarum (1620) von der „philosophia recepta“58, was mit „den herkömmlichen philosophischen Ansichten“59 übersetzt wird. Das deckt sich nur zum Teil mit dem Wortverständnis von Textus receptus, wie es in der Theologie, genauer in der theologischen Textkritik der Evangelien entwickelt wurde. Dort meint Textus receptus denjenigen Text, dessen Textkonstitution angesichts konkurrierender Handschriften und Drucke als verbindlich gilt. Dem Textus receptus kommt ein autoritativer Status zu, und beginnt mit der Bibelausgabe von 1516 des Erasmus von RotterdamErasmus von Rotterdam. Der Theologe Hermann von SodenSoden, Hermann von bezeichnete die Denkfigur eines Textus receptus, was ja die Textgestalt einer allgemein anerkannten Textkonstitution bedeutet, als „Buchhändlerreklame“60, aus der schließlich ein Dogma gemacht worden wäre, das in einem Epitaphium endete. Für POIKAIPOIKAI ist demgegenüber ausschließlich entscheidend, dass der rezipierte Text wirkt, auch wenn sich die WirkungWirkung als Ergebnis einer auf falscher Textannahme basierenden Fehllektüre herausstellt. Der Wahrnehmung von Literatur geht die Wirkung von Literatur voraus und diese ist wiederum abhängig davon, dass überhaupt etwas geschaffen und Literatur entstanden ist. Poiesis betrifft das Machen von Literatur, KatharsisKatharsis betrifft das Wirken von Literatur und AisthesisAisthesis betrifft das Wahrnehmen von Literatur. So erklärt sich die Verschränkung von Poiesis, Katharsis und Aisthesis im Modell von POIKAIPOIKAI, die zugleich die kulturellen Bedingungen von Literatur bedeuten.

Buchstäblichkeit und symbolische Deutung

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